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Wichentlick erscheinen drei Nummern. PrSnumerativns-Preis 22 j Tilbergr. () Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für du» ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Coniv., Iägerstraße Nr. 28), so wie von allen König!. Post- Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. Berlin, Sonnabend den 2l. Juni 1843. Belgien. Briefe von der Reise. Ul. Holland und Belgien. — Tympaihieen und Anlipathicen. — Belgien» religiös politische Stellung. — Universitäten. — Die Liberalen »nd die Verjagung. — Vlaemische Sprache m Flandern und Brabant. — Bauwerke in Gent. Dit Frage, ob Holland und Belgien wohl zusammengehören oder nicht, ob die Ehe, die der Wiener Kongreß gestiftet, oder oh die Scheidung, die in Folge der französischen Juli-Revolution zu Stande gekommen, ein natur gemäßeres Ereigniß war, beantwortet sich der Reisende, der beide Länder mit unparteiischem Blick betrachtet, bald in dem einen und bald in dem anderen Sinne. Kontraste sowohl als Aehnlichkeiten begegnen uns auf jedem Schritt und Tritt; wir fühlen, daß wir in Belgien aus anderm Boden uns bewegen, eine andere Luft einathmen als in Holland, und dennoch erinnern uns die redenden Denkmale der Jahrhunderte, die herrlichen Rathhäuser und Kirchen, wie die kaum noch zu reden wagenden Kinder des Volkes, die nicht vlaemisch sprechen, weil cS außer Mode ist, und nicht französisch, weil sie sich damit zu blamiren fürchten, daß wir auch hier uns wie in Holland unter Nieder ländern und unter den Schöpfungen niederdeutschen Kunstfleißes bc- finden. Die erste Wahrnehmung des Reisenden, der aus Holland nach Belgien kömmt, ist freilich ein Kontrast, und zwar ein wohlthuender, denn die Reise kosten werden um die Hälfte geringer: wir bekommen in Belgien für einen Franc fast dasselbe, was in Holland einen Gulden kostet , doch müssen wir uns dabei, wohl zu merken, außerhalb des Bereichs der englischen Reisenden halten, denn wo diese in größeren Karavanen durchziehen, da ist eS in bel gischen Gasthöfen, wie in holländischen, rheinländischen und schweizerischen, eben so theuer wie in England selbst: eü ist, als ob die Gastwirthe den Eng ländern überall ihr Vaterland, wenn auch nur durch die Verzehrungskosten, ins Gedächtnis zurückrnfen wollten! Gleichwohl bewährt sich im Allgemeinen auch hier, daß in den Ländern wohlfeiler leben ist, die nach kleineren Zahl- werthcn rechnen. Belgien hat nicht bloß den alten Münzfuß abgeschafft, der hier bis zum Jahre I8Z0 gegolten, sondern sich auch dem französischen Zähl- und Zahlsyftem so eng angeschloffen, daß es im gewöhnlichen Verkehr kaum möglich ist, die eine Valuta gegen die andere auszugleichen, ohne einem Geldverlust ausgesetzt zu scpn. Dadurch ist allerdings der Zweck erreicht worden, und der Verkehr zwischen beiden Ländern wird fast nur noch durch das dreimal wöchentlich von Rotterdam nach Antwerpen und eben so oft zurück fahrende Dampfschiff erhalten. Indessen ist cS gerade das, was jetzt noch in einem Theile von Belgien die Verstimmung über die Trennung, die nun schon eben so lange währt, als das Beisammensepn gedauert hat, noch so rege erhält, daß man bei Gelegenheit der letzten Wahlen wieder von den Bestrebungen der „Orangisten" in Antwerpen, Gent mW Brügge gehört und daß eine Zeitung, der ObEvsteur, sogar von dem hier und da herrschenden Gedanken einer Rückkehr zu den Zuständen von >829 gesprochen hat. Nennt sich doch ein in Gent, dem Mittelpunkt und Haupisitze der flandrischen Fabri kanten, die sonst für die holländischen Kolonieen arbeiteten, erscheinendes und viel gelesenes Blatt auch jetzt noch »essaxer üe Kami et üe« und ganz konsequent bringt es darum auch die Nachrichten aus Holland nicht unter der Ueberschrift eines fremden Landes, sondern unter der Rubrik In land. Gleichwohl kann man annehmen, daß die Scheidung von Holland und Belgien auf ewige Zeiten geschehen sep. Beide Länder fühlen sich zu sehr als das, was sie jedes insbesondere find und gelten, als daß sich eines noch mals an das andere ganz hingeben könnte. Holland ist sich selbst genug und verschmäht es, sich vurch Provinzen vergrößert zu sehen, von denen cS über die Schultern angesehen wird, und Belgien andererseits fühlt, daß cs durch di, eigcnthümlichc religiös-politische Stellung, die es sich errungen, weder zu Holland noch zu Frankreich paßt, und wie sehr ihm auch die holländischeu Abzugskanäle fehlen, wie sehr cS auch französische Sitte nachahmt und die französische Sprache liebt, wird eS doch immer unabhängig von dem einen wie von dem anderen Nachbar zu bleiben suchen, dem es eben so häufig seinem ganzen inneren Wesen nach widerspricht, als eS hier und da Berührungspunkte mit ihm hat. Ich habe von der eigenthümlichen religiös-politischen Stellung Belgiens gesprochen; damit will ich keineSwegeS ausdrücken, daß der belgische Staat als solcher einen religiösen Charakter habe. Gerade im Gegentheil ist eS eben der Umstand, daß die belgische Verfassung keinerlei Staatsreligion anerkennt, den Individuen aber volle Religionsfreiheit, so wie den Religionen die unbedingteste Lehrfreiheit gestattet, was das unterscheidende Moment dieser Verfassung von der der Engländer, Franzosen, Holländer, Spanier und alle« anderen europäischen Nationen bildet. CS wird dieses Moment freilich von der streng katholischen Partei meistens für ihre Zweck.c auSgcbeutct; di» Jesuiten haben überall im Lande Missionen und Schulen errichtet; die unter den Auspizien des Erzbischofs von Mechel» stehende „katholische Universität" Löwen ist die blühendste Hochschule des Landes; aber auch jeder anderen Rcli- gionspartei ist es unverwchrt, in Lehre und Praxis auf gleiche Weise thätig zu scpn; sie kann, wenn sie sich als Glaubensgemeinschaft konstituirt hat, auf die Unterstützung des Staates eben so zählen wie die katholische Mehrheit, und wenn auch von den Jesuiten angeseindet, so gewinnt doch die erst seit zehn Jahren bestehende „freie Universität" Brüssel immer mehr an Ausdehnung und Einfluß, so daß sic bald neben Löwen ihren Rang einnehmen dürfte. Jene eigenthümlichc religiös-politische Stellung der Belgier also ist eS, die ihren Stolz auSmacht und die sie davor bewahren wird, Frankreich sich in die Arme zu werfen, wie es einige leivenschasilichc Wallonen wünschen, oder Holland, wie cs eine noch kleinere Zahl von Fabrikanten oder Rhedern in Flandern möchte. Zwar kämpfen auch die Liberalen in Belgien gegen einige Bestimmungen der Verfassung an, und hier tritt die ganz eigenthümliche Er scheinung ein, daß es die Gegner des Unterdrückungsspstcms sind, die sich eben so gegen den niedrigen Wähler-Censns — besonders auf dem Lande, wo die Wähler meistens in den Händen der Geistlichen sind — als gegen das freie Untcrrichtsspftem erheben, aber auch diese überzeugen sich immer mehr von der Inkonsequenz, die in ihrem Verfahren liegt, besonders wenn sie selbst, wie eS nur zn häufig geschieht, an die Wähler im Volke sich wenden und von den Mitteln des freien Unterrichts Gebrauch machen, um ihre eigenen Ideen zu verbreiten. Ich habe Belgien hauptsächlich in seinen flamändischen Theilen durch streift; ich bin nämlich von Antwerpen nach Brüssel, von da nach Löwen und von hier wieder nach Gent, Brügge und Ostende gereist. Je näher ich dem Meere gekommen, um so ausgeprägter habe ich auch noch das vlaemische Naturell und um so verbreiteter im Volke die vlaemische Sprache gesunden. In Brüssel selbst tritt diese immer mehr zurück; dort hat auch die uutere Stadt, die sonst in dem Rufe stand, daß sie eine ganz andere Sprache rede als die obere, scit einem Menschenalter französisch gelernt, und cs würde bald Mühe kosten, sich dort noch auf vlaemisch verständlich zu machen, wenn nicht immer frischer Zuzug aus den Provinzen ankämc. Selbst in den Elementar schulen Brüssels ist jetzt das Vlaemische nicht mehr Unterrichtssprache, und nur noch in einigen Kirchen der Hauptstadt wird hin und wieder auch in der Sprache des Volkes gepredigt. Unter solchen Umständen läßt sich leider von den Bestrebungen der chrenwerthen Herren Willems, Conscicnce, van Kerk- hoven rc. in Gent und Antwerpen für Wiederbelebung der vlaemische» Schrift sprache nur wenig erwarten. Wenn eS ihnen gelingt, die auf eine ganz unglaubliche Weise in ihrer Grammatik und Rechtschreibung vernachlässigte Flamänderin wieder einigermaßen zu Ehren zn bringen, so daß sie nicht allzu sehr gegen die holländische Schwester zurückstcht, so dürfen sie sich Glück wünschen, aber das möchte wohl auch baS Höchste scpn, was sic erreichen. Um in ihrer Sprache und Literatur selbständig zu werden, wie sie es in ihrer politischen Verfassung find, müßten die Belgier Achtung vor der erster» be sitzen und an die Möglichkeit der zweiten glauben; ihre Sprache jcdoch wie ihre Literatur haben sie bereits seit Jahrhunderten an die Franzosen vcrrathcn schon die Burgundischen Herzoge hatten Antipathie«» gegen das deutsche Reich genährt, und als der deutsche Schwiegersohn Karl'S des Kühnen, der nach malige Kaiser Marimilian >., die Vormundschaft seines Sohnes Philipp als Regent des Landes antrat, da wollten ihn die unruhigen flandrischen Bürger zwingen, jene Vormundschaft dem Könige von Frankreich zu überlassen, und viele Woche» hielten sic ihn darum aus der Cranenburg zu Brüggc gefangen. Kaiser Karl V., obwohl ein gedorner Flamänder, liebte doch vic spanische und die französische Sprache mehr als die vaterländische. Nicht minder wurde durch die nachmalige» Statthalter, sowohl unter spanischer als unter öster reichischer Herrschaft, das fremde Element stets begünstigt, und so ist cS wohl kein Wunder, wen» die französischc» Revolutionen von >789 und I8ZO in dem benachbarten Belgien nicht bloß Anhänger fanden, sondern auch völlig vernichtend auf die längst schon so gering geschätzte heimatliche Sprache und deren Ausbildung wirkten. Wenn ich daher auch in Allem das treffliche Buch, das Frau von PlocnnieS so eben über ihre vorjährige belgische Reise herauSgegeben °), ') Berlin bei Duncker und Hmnbw«,