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WiLenMcb «schemen br«i Rummttn. Pritnumeration«-Psti« 22j Silbcrgr. (j Lblr.) »ierteljührtilb, z Thir. für e,'« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden non jeder Buchhandlung (in Berlin dei B-it n. Como., Iägerstrasic Nr. 28), so wie von allen König!. Pog Acmtern, angenommen. Litcrntur des Auslandes. iW. Berlin, Donnerstag den 2!. August I84S. Italien. Jtalianische Kritik deutscher Kunst. Selvatico über Gärtner.") Der Direktor der Akademie zu München, Friedrich Gärtner, gehört zu der geringen Zahl derjenigen Künstler, die begriffen Haden, daß die Architeklur eines Volkes, welches durch viele Jahrhunderte leine Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu erhalte» gewußt hat, einer ernstlichen Beachtung nicht minder würdig ist als jene, die in Griechenland kräftig entsprang oder, die etruskische Strenge mildernd, in Rom sich zur Pracht entfaltete. Gärtner hat durch lange Jahre den florentinischen Styl des Mittelalters studirt und so lieb gewonnen, daß fast alle von ihm in der Ludwigsstraße errichteten Gebäude demselben «»gehören. Diese Richtung verdient ohne Zweifel großen Beifall, und es würden Ge bäude von einem kräftigen Ausdruck aus derselben hervorgegangen seyn, wenn er nicht, aus Furcht, in sklavische Nachahmung zu verfallen, die Verhältnisse einiger diesem Stple organisch zugehörenven Theile verändert und dadurch den Charakter verfälscht hätte. Michelozzo, Benedetto, Damajano, Eronacca, Leone Battista Alberti und Brunelleschi gingen darauf aus, dem strengen Stple Lapo'S und Arnolfo'S eine größere Änmuth zu verleihen, und bereicher ten ihn deshalb mit den Ergebnissen, welche sie aus dem Studium der antiken Trümmer gezogen hatten. Die meisten dieser antiken Rumen aber, diejenigen nämlich welche noch heute in Italien zu sehen sind (denn Griechenland und Sicilien hatte bis dahin noch Niemand in künstlerischer Absicht durchwandert i, gehörten zur korinthischen Schul«, und waren deshalb nicht geeignet, sich mit den mächtigen Kragsteinen und den strengen Fenster» des Palazzo Vecchio zu vereinigen. Aber weder Michelozzo noch Cronacca war so unverständig, einen so wichtigen Punkt nicht einzusehen, und nicht zu begreifen, daß man sich die Schönheiten eines StplS aneigne» könne, ohne ihn durchaus kopiren zu müssen. Als sie mithin ihre Gebäude mit den schönen römischen Simsen ver- sehen wollten, vergrößerten sie die Verhältnisse derselben, damit sic mit der Strenge des Gebäudes nicht im Widerspruche stünden. Auf diese Weise wurde die Kraft durch die Eleganz nicht geschwächt, und die Nachahmung erhielt sich frei von ihren schwersten und häufigsten Fehlern, der Kälte und der Unange messenheit. Wollte man den eben erwähnten florentinischen Gebäuden ihre prächtigen Gesimse nehmen, und weichere, minder ausgeprägte Profile an ihre Stelle setzen, so würden fie kraftlos und wie gemalt aussehen. Diesen Um stand hat Gärtner nicht hinlänglich berücksichtigt, und deshalb erscheinen seine Gebäude, wenn man fie von weitem betrachtet, arm an Nachdruck und Relief. ES kömmt noch ein zweiter Grund hinzu, weshalb die Bauwerke Gärt- ner'S hinter ihren Vorbildern zurückzubleiben scheinen. Die genannte» floren- tinischen Paläste nämlich stehen an einem Platze, wo die Ecken einer Straße sowohl den Anblick von vorn als von der Seite her erlauben, so daß sich dem Auge kräftige Massen darstellen, welche in den Linien der Fayade keiner Be wegung bedürfen. Dies war in der Ludwigsstraße nicht möglich, weil die Gebäude gegen einander über zwei lange Reihen bilden und mithin nur den Anblick im Aufriß erlauben. Um also den wohlthätigen Eindruck hervorzu- bringen, welcher durch Abwechselung erzeugt wird, hätten die Linien der Fronten bei allen diesen Häusern durch Vorsprünge unterbrochen werden müssen. Gärtner aber hat fast alle diese sehr großen Gebäude in ganz geraden Linien aufgeführt, ohne Unterbrechungen durch hervortretende Thüren oder Fenster, wodurch diese übrigens prächtige Straße einen ernsten und fast trau rigen Anstrich erhalten hat. Diese prächtigen, so regelmäßigen, in ihren Theilen so korrekten Gebäude haben etwas TodteS-, es fehlt ihnen zwar nicht an Schönheit und Adel, selbst nicht an kräftiger Eleganz, dennoch aber ge bricht eS ihnen an jener Entschiedenheit, welche zur Bewunderung cinladct und der Architektur eine beredte Sprache verleiht. An diesem Fehler scheint unter allen Gebäuden Gärtner s die Bibliothek am meisten zu leiden. Mit welchem Rechte gortoul in diesem Gebäude eine vortreffliche Idee jener Paläste findet, welche die Scaliger im 14. Jahrhunderte zu Verona er- richten ließen, weiß ich in der That nicht zu sagen, und zwar um so mehr, als die Paläste der Scaliger zum großen Theil nur aus den Nachrichten der Historiker bekannt und ihre Reste so vielfach umgewandelt worden sind, daß es fast unmöglich ist, ihren ursprünglichen Styl zu errathen. So viel aber ') Bg>- bat Urthcil desselben Kunstkenner« über Leo von Klenze in Nr. 38 bc« Magazin«. steht fest, daß von der damals zu Verona herrschenden Manier in der Mün. chener Bibliothek auch »ich, eine Spur zu finden ist. Dies mächtige, 820 Fuß lange, 200 Fuß liefe, Fuß hohe und mit 72 großen Fenstern versehene Bauwerk hält die Milte zwilchen zwei ausgezeichneten Gebäuden von Florenz, dem Palazzo Vecchio und dem Palazzo Strozzi, dem schönsten Werke Bene- detto'S da Majano; es ist aber auch nicht ein Stein daran, welcher an die italo-germaniichen Formen erinnerte, die seit dem Ende deck 13. Jahrhunderts in Verona mehr als anderwärts angenommen wurden. Dies prächtige Gebäude erhebt sich in drei Stockwerken, von denen das Erdgeschoß dir Archive enthält, die beiden oberen für die Bücher und Hand- schriften bestimmt sind. Die ganze Fayade wird in ihrer gewaltigen Länge nur von einer offenen Treppe unterbrochen, welche 10 Fuß weit vorspringt und zu drei großen Thüren führt. Auf der Balustrade, welche ihr zur Brust, wehr dient, stehen die kolossalen Statuen von Aristoteles, HippokrateS, Homer und Thucpdides. Auch diese Treppe giebt der Eintönigkeit jener geraden Linie keine Bewegung und nützliche Unterbrechung, da sie unabhängig vor derselben angebracht ist. Die Seitenfront verdient mehr Lob, weil sie durch einige Vorsprünge unterbrowe» ist, welche der Baumeister vielleicht wohlgethan hätte in der Hauptfront zu wiederholen. Durch die drei EingangSthüren gelangt man in eine Hobe und weite, von großen Pilastern getragene Vor- Halle, in welcher sich rechts und links die Zugänge zu allen Räumlichkeiten des Erdgeschosses befinden. Zwischen zwei mit herrlichem Stuck bekleideten Mauern öffnet sich die prächtige nach dem Mittelgeschoß führende Treppe. Ueber den Seitenwände» steht eine Balustrade mit einer Säulenreihe, von der das mit Gold und bunten Farben bedeckte und mit Arabesken und Figuren gezierte Gewölbe getragen wird. Zwischen der Balustrade und den Fensterwändcn laufen geräumige Gänge hin, welche die Verbindung des Mitteltheilcs mit den Seitenflügeln des Gebäudes Herstellen. Das Gewölbe der Treppe ist ein Tonnengewölbe, das der erwähnten Gänge ein Kreuz- gewölbc; und in beide» erblickt man einige in Arabesken verschlungene Genien, welche mit ihren Symbolen auf die wissenschaftliche Bestimmung des Gebäudes anspiclen. In den Lünetten über den Fenstern find Medaillons angebracht mit den Portraits der berühmtesten Dichter, Entdecker und Gelehrten aller Zeiten. Eben fo schön als die Treppe ist der Lescsaal, nach welchem sic in gerader Richtung hinführt. Er zeichnet sich aus durch edlen Reichthum und Eleganz und macht einen sehr angenehmen Eindruck durch das reichlich in ihm Herr, schende Licht, durch die Schlankheit seiner, Verhältnisse und durch sein von zierlichen Säulen getragenes Deckengewölbc. Er ist geräumig genug für achtzig Leser und überdies mit großer Vorsorge nach dem Theile des soge nannten englischen Gartens gelegt, durch welchen keine Straße geht. Einige Thüren führen aus diesem Saale nach den Vorzimmern, nach dem Sekre tariate, nach den Zimmern der Direction und der Administration, und endlich nach einem Korridor und den Büchersälen, Dieser Saal, so wie die eben- erwähnte Treppe, zeigen zur Genüge, daß Gärtner, sobald er sich vom Alp der Nachahmung befreien kann, mit eigenen Flügeln aufzusteigen versteht. Dem Lesesaal entspricht im vorderen Theile des Gebäudes ein anderer geräumiger und prächtig verzierter Saal, der gerade über der Vor halle steht und zum Empfange vornehmer Personen benutzt wird, welche die Bibliothek besuchen. Die übrigen Räumlichkeiten der beiden Obergeschosse dienen zur Aufnahme der Bücher und Handschriften und könnten vielleicht etwas besser vertheilt seyn. Nicht alle von Gärtner in der Ludwigsstraße errichteten Gebäude erinnern gleich der Bibliothek an den Styl des florentinischen Mittelalters; in einigen begegnet man jener so zu sagen eklektischen Architektur, welche in Italien, be sonders im nördlichen Theile, von der zweiten Hälfte des >3. Jahrhunderts bis etwa zum Ende des 14. herrschte, und unter dem dreifachen Einflüsse des römischen Alterthums, der deutschen Systeme und der gegen das Ende des !>. Jahrhunderts in der Lombardei entsprungenen steht. Bei den Gebäuden dieser Art find die Fenster durch Säulchen getheilt, die Bogen ein klein wenig zugespitzt und mithin von der gothischen Kühnheit noch weit entfernt, die Kapitale und Simse reich an anmuthigen Verzierungen, welche ein wenig an den korinthischen Charakter erinnern. Fortoul sagt von ihnen, daß diese Ko- ketterieen ein angenehmes Erstaunen verursachen; das ist ein mageres und ironisches Lob, welches meines Erachtens Werken nicht zukommt, die zwar mehr oder weniger gefallen können, aber des Nachdenkens und eines ernsten LobeS nicht unwürdig find. Mit größerem Rechte könnte man tadeln, daß Gärtner die Gliederungen nicht scharf genug geschnitten hat, so daß sie, aus einer gewissen Entfernung