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srw erstaunt, diejenigen zu hören, die Herr de Maistre vorschlägt. Zuerst soll die Naturgeschichte gestrichen werden, welche nach ihm der Poesie gleicht, inso. fern sie diejenigen, die sich ihr ganz hingcben, berühmt und alle Andere lächerlich macht. Sodann die Geschichte: „Nie", sagt der Graf, „ist sie als Gegenstand des Unterrichts, der einen besonderen Lehrer erfordert, in irgend ein System des öffentlichen Unterrichts ausgenommen worden." Er meint, eS genüge, während deS EffenS einen vollständigen Kursus der Geschichte von einem der Zöglinge, der vor oder nach den Uebrigen speist, vorlesen zu lassen ; aber man müsse sich bei der Wahl des Buches i» Acht nehmen- „denn keine Gattung der Literatur liege vielleicht in tieferem Verderben." Der Lobredner der Inquisition fürchtet sich natürlich vor der Geschichte! Daß er als guter römischer Katholik das Griechische, die Sprache des Evangeliums und des byzantinischen SchiSma'S, aus dem Unterrichte ausgeschlossen wissen will, ist leicht erklärbar; der Grund aber, den er gegen das Griechische anführt, ist posflrlich genug- „Glauben Sie, Herr Graf, den fleißigen Leuten, welche sich mit dieser schönen und schweren Sprache beschäftigt haben", schreibt er an den Minister, „eS giebt nicht einen jungen Mann in Rußland aus den höheren Klaffen, der nicht lieber drei Feldzüge und sechs Schlachten mitmachen, als die bloßen griechischen Conjugationen auswendig lernen wollte." Die polnischen Jesuiten schlossen eben so das Deutsche aus, als die Sprache der Reformation. DaS Lateinische dagegen stand bei ihnen in sehr hohem Ansehen- „Das Lateinische", sagt der Verfasser deS Buches vom Papste, „ist die Sprache der römischen Eroberer und die der Missionäre der römischen Kirche.... Die Fraternität, welche eine gemeinsame Sprache erzeugt, ist ein geheimnißvolleS Band von großer Kraft. Im neunten Jahrhunderte hatte Johann Vlll., ein allzu nachgiebiger Papst, den Slawen erlaubt, die Messe in ihrer Sprache zu feiern, waS denjenigen verwundern kann, der den testen Brief dieses Papstes gelesen hat, worin er die Nachthcile dieser Toleranz anerkennt. Gregor Vll. zog diese Erlaubniß zurück; aber eS war bei den Russen zu spät, und man weiß, waS dieses große Volk dadurch verloren hat. Wenn die lateinische Sprache in Kiew, Nowgorod, Moskau festen Fuß gefaßt hätte, so wären die Slawen nie in die Arme jener entarteten Griechen Ostroms gefallen, deren Geschichte Mitleiden, wo nicht Abscheu erregt." Der dritte Brief handelt von der moralischen Erziehung. Die Decora- tionen nehmen darin als Erziehungsmittel einen hervorragenden Platz ein. Die beiden letzten Briefe endlich handeln ausschließlich von den Jesuiten. Hier widerlegt der Verfasser einige Vorwürfe, die man öfters den Jesuiten gemacht hat. Man beschuldigt sie erstens, daß sie sich in Staatsangelegenheiten mischen. Dies sey wohl zuweilen vorgekommen; Herr de Maistre hütet sich, es zu leugnen; nur schreibt er die Schuld davon den Regierungen zu, die es gelitten oder vielmehr sie aus der Einsamkeit, in welcher sic sich der Erziehung der Jugend und der Civilisation der wilden Nationen widmeten, hervorgezogen, um sie an den Geschäften zu betheiligen. „Wenn eS einem Souverain einfiele", sagt er, „sein Königreich durch seine Garde-Offiziere regieren zu lassen, so bliebe ihm dies unverwchrt, und die Offiziere müßten ohne Zweifel ge horchen. Könnte man dann sagen: die Garde-Offiziere haben Ränke ge schmiedet; sie haben sich in die Geschäfte gemischt; man muß die Garde aufhcben? Nichts wäre thörichter." UebrigenS wenn die Jesuiten sich in die Politik gemischt, so haben sic eS nur gethan, um den Feinden des Staates und der Souverainc Widerstand zu leisten und die Verbreitung ihrer Lehren zu verhindern. Diese Lehren gehen auf den Umsturz der Throne aus, während die Jesuiten von jeher blinden Gehorsam gegen die weltliche Macht gepredigt haben. Dieses Argument konnte nicht verfehlen, bei den Zeitgenossen der französischen Revolution und in einem Lande, wie Rußland, großen Eindruck zu machen. Doch möchte sich dasselbe aus den Schriften der Jesuiten, in welchen einestheils der Königsmord in gewisse» Fällen, d. h. wenn das Interesse der Kirche dadurch gewinne, in Schutz genommen, andernthcils den Mitgliedern deS Ordens blinder Gehorsam gegen ihren General, selbst wenn er ein Verbrechen von ihnen verlange, zur Pflicht gemacht wird, leicht wider legen lassen. (Schluß folgt.) England. Lord Brougham über Voltaire. Lord Brougham's vielbesprochenes neues Werk, die „Lebensbeschreibungen berühmter Schriftsteller und Gelehrten aus der Zeit Georg'S lll.", bildet eine Fortsetzung zu desselben Verfassers „Staatsmännern aus Georg'S III. Zeit". „Die gelchrten Männer, von denen dieser Band handelt", sagt Lord Broug- Ham, „bedeckten da» Zeitalter Georg'S lll. mit größerem Ruhme als die Staatsmänner und Krieger, dic seine Angelegenheiten leiteten": daher werden Jene auch mit größerer Ausführlichkeit besprochen als diese Letzteren. Doch hat der Verfasser auS dem reichen Kranze von Sternen, welche jene Zeit er leuchteten, nur eine sehr kleine Anzahl herausgehoben, und man könnte mit Recht fragen, nach welchem Prinzipe er gerade diese auSgcwählt, und Andere, die mindestens eben so berühmt sind, weggclaffcn hat. Die Männer, von denen hier die Rede ist, sind- Voltaire, Rousseau, David Hume, Robertson, vr. Black, Watt, Priestley, Cavendish, Humphry Davy und Simson. WaS Voltaire betrifft, so bemerkt der Verfasser in der Vorrede, daß eS keine des Namens würdige Lebensbeschreibung gcbe; hier hat er also das Seinige dazu beigetragen, eine vorhandene Lücke auSzufüllcn. Bei der Wahl Anderer ging er von der Ansicht auS, daß ihre Verdienste bei weitem nicht genug bekannt und gewürdigt seyen, so bei vr. Black: „Die Entdeckungen des vr. Black", bemerkt er, „haben bei weitem nicht den Ruf erlangt, den sie al« dir Bafi» der neueren Chemie verdienen." „Meine eigene persönliche Bekanntschaft", fährt er fort, „mit einigen von den großen Männern, deren Geschichte ich zu schreiben gewagt, setzte mich in Stand, neues Licht auf dieselbe zu werfen, und über einen, den ich natürlich nicht selbst gekannt haben konnte, David Hume, habe ich aus guten Quellen durch die Güte von Freunden Mittheilun- gen erhalten. Die Materialien zu seinem Leben find jedoch hauptsächlich in seinen Schriften zu suchen, besonders in seinen Briefen. Dieselbe Bemerkung ist auf das Leben Voltaire's anwendbar. Diejenigen, die eS (wie der Marquis von Londorcet) beschrieben haben, ohne auf die vierzehn großen Bände seiner Korrespondenz, welche neuntausend enggedruckte Seiten enthalten, Rückficht zu nehmen, hätten eben so gut Rouffeau's Leben schreiben können, ohne seine 6onke»ione, oder Hume's, ohne seine Sclbstbiographic zu Rathe zu ziehen. Ich habe überdies zu werthvollen Original-Dokumenten von Voltaire, Ro bertson und Cavendish, und zu einigen, welche Watt und Simson betreffen, Zugang gehabt." Die wichtigste unter den vorliegenden Lebensbeschreibungen ist die von Voltaire, die bedeutend mehr als ein Viertel des ganzen Bandes einnimmt. DaS Urtheil Brougham's über Voltaire ist sehr unparteiisch gehalten; dennoch wird eS in gewissen Regionen Anstoß erregen, weil eS den Unglauben jenes Schriftstellers nicht genug brandmarkt und neben dem Tadel, mit dem es seine Aeußerungen über die Religion trifft, ihm doch wieder in anderer Be ziehung Gerechtigkeit widerfahren läßt. Ein Beispiel hierfür ist das, waS der Verfasser über die berüchtigte kucolle bemerkt: „Die kueelle", sagt er, „ist Ein durchgehender Hohn auf Alles, was die Menschen für heilig halten und halten sollten, und zwar nicht bloS in moralischer, sondern auch in ästhetischer Beziehung. Die Religion und ihre Diener und Lehrer, die Tugend, besonders die Tugenden einer verständigen Kategorie, die Gefühle der Menschlichkeit, der Sinn für das Schöne, die Regeln der poetischen Composition, selbst die Gattungen der Literatur, in welchen Voltaire am meisten zu glänzen fich be müht hatte, alles dies wird zu einem Gegenstände höhnender Verachtung oder frivolen Gelächters gemacht. Es ist traurig, daß die drei Meisterstücke von drei solchen Männern, wie Voltaire, Rousseau und Byron, gerade sämmtlich die unsittlichsten ihrer Werke find. ES scheint, als ob ihre reizbare Natur durch eine kranke und verbrecherische Aufregung dazu getrieben worden wäre, über fich selbst hinauszugehen. Wenn dies Voltaire's Fall nicht war, so ver dient er den Tadel vollkommen; denn er scheute fich nicht, seine kucelle seiner Nichte, die damals eine junge Frau war, vorzulcsen. Doch hier wäre eS auch ungerecht, zu vergessen, daß derselbe Genius, der diese unwürdige Prostitution erfuhr, von seinem gewandten Besitzer auch für den Dienst der Tugend und der moralischen Wahrheit in Thätigkeit gesetzt wurde. Man kann daran zweifeln, ob seine moralischen dic viscourn nur l'twmmo, an die Spitze seiner ernsten Werke zu stellen, aber nicht daran, daß sie eine Arbeit vom höchsten Verdienste sind. Pope'S moralische Versuche gaben die erste Idee zu diesen schönen Darstellungen, aber eS ist nichts darin von diesem Dichter entlehnt. Eine strenge Bescheidenheit herrscht durch daö Ganze, mit Ausnahme von ein oder zwei Zeilen, und der Zweck des Ganzen ist die Anempfehlung der reinsten Grundsätze der Menschlichkeit, Toleranz und Tu gend. Nur ein bigotter Papist konnte einen versteckten Angriff auf die Re ligion in den edeln Versen entdecken, die gegen die Sitte gerichtet sind, eitle Ceremomen an die Stelle guter Werke zu sehen, und gegen den Glauben, daß man die Gottheit durch eine ascetische Enthaltsamkeit von den Genüssen ehre, die ihre Güte zu unserer Glückseligkeit geschaffen hat. Ja, der schönste Pane- gyrikuS auf das Wirken Christi liegt in dem gerechten Tadel derer ausge sprochen, welche seine Lehren verkehren und entstellen (Disc. Vll), und selbst der Optimismus, dessen extravagante Lehren er in seinen übrigen Werken lächerlich gemacht hat, wird hier mit einer frommen Billigung seiner gemäßig ten und vernünftigen Richtung gepredigt." Von Voltaire's persönlichem Charakter heißt es- „Seine Reise nach England hatte zwei wichtige Folgen. DaS Geld, das er erwarb, und da» er nachher durch einen glücklichen Treffcr in der Lotterie und durch ein oder zwei glückliche Handels-Spcculationen vermehrte, bot ihm ein reichliches Ein- kommen für den Rest seines Lebens, so daß cr seitdem wenig um den Ertrag seiner Werke bekümmert war und in der That viele von ihnen den Buchhänd lern und Schauspielern für Nichts hingab. Hierdurch war er nicht blos in jene Unabhängigkeit versetzt, welche der beste Schutz eines Autors gcgen hastiges und unreifes Produziren ist, sondern er war auch im Stande, der Richtung seines eigenen Geschmacks in der Auswahl seiner Gegenstände zu folgen, junge Schriftsteller von Talent zu ermuntern und die Noth würdiger Personen zu mildern .... Er unterstützte nothleidende Personen gern, vor züglich aber junge Leute von Talent, die mit schwierigen Umständen zu kämpfen hatten- so ließ cr die Nichte Corneille'S, die in einer hülflosen Lage zurückgelaffen war, um das Jahr 1760 nach Ferney kommen, wo sie mehrere Jahre blieb und ihre Erziehung erhielt. Vor Allem aber war er der Be schützer der Unterdrückten, sey eS durch politische oder geistliche Tyrannei. Sein Ruf als großer Schriftsteller, als der größte sicherlich eines hochgebil deten Zeitalters, ruht auf unvergänglicher Grundlage; aber diese Ansprüche auf unsere Achtung haben mit der Mißbilligung zu kämpfen, welche die ver derbliche Tendenz eines nicht kleinen Theils scincr Werke in uns hcrvorruft. Als der Vorkämpfer beleidigter Tugend dagegen, als der Rächer schreiender öffentlicher Verbrechen verdient er eine Verehrung, welche sein Andenken in den Herzen aller guten Menschen verewigt, und dieser Theil seiner Charakters, der durch keinen Flecken entstellt ist, darf mit Recht in die andere Waagschale gelegt werden, um die Vorwürfe aufzuwiegen, welche auf anderen Abschnitten seiner ieben-geschichte lasten."