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Wichen«,» erscheinen drei Nummern. PrinumeratiönS-Preis 22^ Siibergr. (! THIr.) viericijähriich, Z Wr. siir da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beit ». Comp., Jägerstraße Nr. 28), so wie von allen Königl. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 81. Berlin, Dienstag den 8. Juli 1845. England. Briefe von der Reise, v. Die Versammlung der britischen Natursorschcr in Cambridge. — Frühere Versammlungen derselben. — Cambridges Lollego« und Hallen. — Zur Statistik der deutschen und der englischen Universitäten. — Sehenswürdigkeiten in Cambridge. — Das OrUiuarx und die Speisehallen der LoUex». — Ein Abendgottesdienst. — Britische und deutsche Gelehrte in Cambridge. — Erdmagnetismus und Meteorologie. — Die medizinische Section. — Vor träge und Komplimente. — Sir John Herschel und der deutsche MiOijiSmus. — Lord Roste'S Riescntclcskop. — Die Geologie und die Frauen in England. — Murchison'» geologische Karte von Rußland. — Die Kirche und die Wissenschaft in England. Ehe ich Ihnen, meinem Versprechen gemäß, über die Eindrücke berichte, die England und das englische sieben auf mich gemacht, wende ich mich aber mals zu einer Episode meiner Erlebnisse in England, weil dieselbe, zur TageS- geschichte gehörend, auch sogleich beobachtet und erzählt scpn will, um ein objektives Interesse zu haben, während jene Eindrücke dem Gemüth verbleiben und einer späteren gelegentlichen Darstellung überlassen bleiben können. Ich meine mit dieser zweiten Episode die Versammlung der britischen Natur forscher, der „Driüslr e4««oeiscion sor tbs säv-mvemenr ok 8ciencs", die vom IS. bis zum 28. Juni in Cambridge stattgesunden, um derentwillen ich zwar nicht, wie einige andere Landsleute und Freunde, die ich hier angetroffen, aus drücklich hierher gereist war, die mir jedoch anziehend genug erschien, sie auf. zusuchen, da ich mich einmal in England befand. Man gelangt jetzt von London nach dem 38 englische oder etwa 12- deutsche Meilen entfernten Cambridge in fünf Stunden, und zwar indem man ungefähr 7 d. Meilen auf der Kaxcvrn-Oouiuie«-Eisenbahn bis Bishops »Stortford, die übrigen 8» Meilen aber auf der Chaussee zurücklegt. Bis zum Monat September wird die ganze Eisenbahn nach Cambridge vollendet sepn, und man würde auch zur Bequemlichkeit der vielen i» London lebenden Gelehrten die Versammlung der britischen Association bis dahin aufgeschoben haben, wenn Cambridge nicht eben eine Universitätsstadt wäre. Hier nämlich wie in Orford treten die »vao-mcie«", d. h. die Ferien, nicht wie in Deutschland um Ostern und Michaelis, sondern um Weihnachten und Johannis ein; so oft also die britische Association nach Cambridge oder Orford berufen wird, versammelt sie sich schon im Juni, wo auch die Zimmer in den Vosloge« von den meisten b'ellow« und Studirenden geräumt sind und den fremden Gästen überlassen werden können, während die früheren Versammlungen der nunmehr vierzehn Jahre bestehenden Wandergesellschaft in Aork (zweimal), Edinburg, Dublin, Bristol, Liverpool, Newcastle, Birmingham, Glasgow, Plymouth, Manchester und Cork stets im August oder September stattgefunden. In Cambridge, wo die Gesellschaft bereits 1833 sich befand, war sie Heuer zum zweitenmal — ein Beweis also, daß es ihr hier Wohlgefallen hatte. Die siebzehn verschiedenen Kollegien und Hallen der Stadt, die eben so viele ab- gesonderte Bezirke in Form fürstlicher Paläste, mittelalterlicher Abteien oder von herrlichen Park-Anlagen umgebener Klöster bilden, geben ihr aber auch ein überaus feierliches Ansehen, das durch keinerlei gemeinen Verkehr unter brochen wird, indem sich der Handel und die sonst über ganz England ver breiteten Dampfmaschinen-Schornsteine von den beiden Universitätsstädten fern gehalten haben. Die Town-Hull (das RathhauS) auf dem Markle war in ein Empfangshaus für die ankommenden Fremden verwandelt; dorj erhielt man sein Quartier (ein Wohn - und ein Schlafzimmer) in einem der kollege« angewiesen; dort wurden an jedem Morgen die Programme der an demselben Tage stattfindenden Vorlesungen nebst einem Verzeichniß der am vorher- gehenden Tage neu angekommcnen Fremden auSgegeben; dort erhielt man die Karten zu dem „Orüinsr/', nämlich dem allgemeinen Mittagstisch der Mit glieder, insofern man nicht von einem der Muter« (Rektoren) der verschiedenen vollege« zum Diner in der 6oIIege-U»II cingeladen war; dort endlich hatte das Postamt ein eigenes Büreau für die Mitglieder aufgeschlagen, die da ihre Briefe empfangen, schreiben und abgeben konnten. Nachdem man zwischen 9 und 10 Uhr gefrühstückt (bei den Engländern beginnt und endet der Tag in der Regel viel später als bei unS) und zwischen 10 und 11 Uhr seine Verabredungen auf der Town-Hull getroffen hatte, eilte man um 11 Uhr nach den Sectionen, deren es sieben gab, und zwar: 1) für Mathematik und Physik; 2) für Chemie, sowohl überhaupt als in ihrer An- Wendung auf Ackerbau und Gewerbe; 3) für Geologie und physikalische Erd beschreibung; 4) für Statistik, mit einer Unterabtheilung für Ethnologie; 3) für Zoologie und Botanik; 6) für Medizin, und 7) für Mechanik. Ich selbst hatte mich der Abtheilung für Statistik und Ethnologie angeschloffen, in welcher unter Anderem Herr Jullien aus Paris einen Plan vortrug, das gesammte statistische Material, das in Europa gesammelt werde, in einem Central-Büreau zu vereinigen, das bann in französischer Sprache vergleichende Uebersichten der Statistlk aller Länder und Zustände herauSgeben sollte. Herr James Heywood las eine Abhandlung über die deutschen Universitäten, die nach Wuttke'S Jahrbuch so wie nach statistischen Notizen eines Engländers, der in Göttingen und Bonn studirte, gearbeitet war. Der Vortragende suchte unter Anderem zu erklären, weshalb jetzt die Universität Göttingen so viel weniger besucht sey, als in früheren Jahren, wobei denn auch die Geschichte der sieben Professoren vorkam, die ein um so größeres Interesse erregte, als sie den Anwesenden gänzlich neu zu seyn schien, was Ihnen ein abermaliger Beweis seyn mag, wie wenig sich John Bull um die Ereignisse im Auslande kümmert, falls diese nicht mit seinen eigenen Interessen in Konflikt kommen. Daß ein Engländer, der von deutschen Universitäten spricht, bald auch auf doS Kapitel von den Kneipen und Paukereien kömmt, versteht sich von selbst; es ist dies etwas von der Disziplin der englischen Hochschulen so Abweichendes, daß man nicht genug davon erzählen und sich nicht genug darüber wundern kann. Bei dieser Gelegenheit wurde denn auch mitgetheilt, daß Prinz Albert, der Gemahl der Königin Victoria, einer der besten Zweikämpfer auf der Universität Bonn gewesen und es einmal mit nicht weniger als zwanzig Stu denten hinter einander ausgenommen habe, die sämmtlich von ihm überwunden worben seyen. — Derselbe Herr Heywood gab sodann einige statistische No. tizen über die Universität Cambridge und erzählte unter Anderem, daß in den Jahren 1820—39 die Zahl der Matriculationen durchschnittlich in jedem ^ahre 434, die der Studirenden dagegen, welche nach dreijährigem Studium den ersten UniverfitätSgrav, das Bakkalaureat, erwarben, nur 321 betrug, woraus hervorgeht, daß beinahe ein Drittel aller matrikulirten Studirenden die Hochschule verläßt, ohne irgend einen UniverfitätSgrav nachzusuchen, der der nothwendige Vorläufer aller späteren Stufen auf den Laufbahnen der Kirche, der Jurisprudenz und der Arzneiwiffcnschaft ist. Viele Studirende, namentlich die Söhne der Adeligen, verlassen die Universität sogar schon nach einjährigem Studium. Von denen, die länger als drei Jahre auf den Kolle, gien verbleiben, geht etwa ein Drittel zur Kirche über, die in England be- kanntlich viel früher und leichter zu einer sorgenfreien Stellung verhilft, als in Deutschland. BemerkenSwerth ist, daß ungeachtet der außerordentlichen Zunahme der Bevölkerung Englands die Zahl der Studirenden doch, und zwar schon seit 200 Jahren, nicht bedeutend zugenommen hat. Englands Handel hat aber auch in den letzten bciven Jahrhunderten eine so ungeheure Ausdehnung gewonnen, daß er vorzugsweise die jungen Leute anlockt. Ehren und eine politische Stellung kann sich hier der Kaufmann und der Fabrikant eben so gut erwerben, wie der Mann der Wissenschaft und der Beamte. ES drängt sich also auch nicht Alles, was Ehrgeiz hat, so zur Universität wie bei uns, wo das Beamtenthum ausschließlich der Weg ist, eine öffentliche Carriere zu machen. Gegen 3 Uhr waren die Arbeiten in den meisten Sectionen beendigt, und dann suchte man noch die Sehenswürdigkeiten der Stadt auf, namentlich die Universitäts-Bibliothek, wo sich an 200,000 Bände so wie viele alte Druck- und Handschriften befinden, z. B. das von Th. Beza geschenkte griechisch, lateinische Evangelienbuch, eine der ältesten Abschriften der Mgns clmrts aus der Cottonianischen Bibliothek rc.; ferner das von Lord Fitzwilliam der Universität vermachte Museum, das eben so werthvolle Kunstgcgenständc als Bücherschätze enthält und für welches jetzt — da der Lord zugleich eine Rente von 100,000 Pfd. Stocks mit seinem Legat verbunden hatte — ein herrliches Gebäude im edelsten griechischen Styl, innerhalb mit großartigen Friesen ge schmückt, in der Vollendung ist. Nicht minder anziehende Punkte waren die Sternwarte, der botanische Garten, die alte runde Kirche zum heiligen Grabe, ein Bauwerk, das aus dem 12. Jahrhundert herrühren soll und vor einigen Jahren restaurirt wurde — wobei der anglikanische Eiser nicht zugeben wollte, daß der steinerne Altar mit Kruzifix rc. so wieder hergestellt werde, wie er vor der Reformation ausgesehen, was auch, aller Protcstationen der Alter. thumSfrcunde ungeachtet, nicht durchgesetzt ward — und die Kapellen, Speise, hallen und Studirsäle der verschiedenen Kollegien. Von diesen besitzt das Xing«. Oollexe eine Kirche, die als eines der kunstvollsten gothischen Bau. werke in Europa angesehen wird. Sie ist im Innern, das in der Mitte durch die imposante mit altem Schnitzwerk geschmückte Orgel in die sogenannte Lnrrsnce-ckurek (Vorkirche) und das eigentliche Kirchenschiff getheilt wird, 291 Fuß lang, 48 F. breit und 78 F. hoch, hat keine Pfeiler und ein meister.