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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration- - Preis 22j Silbergr. sj THIr.) vierteljährlich, z Thlr. für dai ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von feder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstrake Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. M 71 1845. Berlin, Sonnabend den 14. Juni Holland. Briefe von der Reise. 11 Religiöse Zustande in Holland. — Recht und Pflicht, Freiheit und Gottesfurcht identisch, — Eigenthümliche Gebräuche. — Protestantische und katholische Kirchen. — Synagogen. Was uns Deutschen, bei einigem Verweilen in Holland, gewiß nicht un. bemerkt bleibt, das ist der im Volke weit verbreitete religiöse Sinn, der unter den verschiedenen Glaubenspartcien auf gleiche Weise vorherrschend ist. Die letzteren finden fich hier in ganz ähnlichen Zahlenverhältniffen wie im nörd lichen Deutschland: der Protestantismus, wenngleich mit mehr calvinistischer Färbung, bildet die eigentliche Landeskirche, während mitten und neben ihm Katholiken in ziemlich großer Anzahl — in einer Provinz, in Nordbradant, eben so wie in einigen norddeutschen Gegenden die vorherrschende Kirche bil dend — und Juden in sehr ansehnlichen Gemeinden wohnen. Aber wie ähn. lich auch daö Zahlenverhältniß der Bekenntnisse in den beiden Ländern, so verschieden ist doch das der Kirchenbesucher und der Gläubigen im Gegensätze zu den für alles religiöse Leben Gleichgültigen. Wir fanden am Sonnlag in Amsterdam wie in Haarlem, in Leyden wie in Rotterdam die Kirchen überall gefüllt, und zwar mit Leuten aus allen Ständen; ja man hat uns versichert, daß fich diese Erscheinung an jedem Sonntage viermal hinter einander wieder- hole, und daß auch an den Wochentagen der Gottesdienst sehr besucht sey. Nicht minder hat die außerkirchliche Feier der Sonn - und Festtage einen viel entschiedeneren Charakter als bei uns. Während in Deutschland zur Aufrecht- Haltung dieser Feier Polizeigesetze nöthig find, die hier gar nicht eristiren — was uns unter Anderem der lebhafte Sonntagsverkehr in der Judenstadt von Amsterdam beweist, wie denn auch am Sonntage fast nur jüdische Lastträger auf dem Kay von Rotterdam fich zeigten, um die mit dem Dampfboot an- kommenden Reisenden zu bedienen — ist in den Handelsstädten Hollands der sonst so betäubende Straßenlärm am Sonntage wie verstummt: die Häuser find mit frischem Glanz überzogen, den ihnen die Hände der scheuernden Mägde am vorhergehenden Tage auch äußerlich verliehen hatten; die Läden find außen wie während der Kirchenstunden fest verschlossen ; kein Comptoir be fördert oder öffnet heute Briefe, denn die Prinzipale find sämmtlich auf dem Lande, wo sie sicher auch in der Kirche zu finden, zu der ihr reicher, aber stiller und überaus langweiliger Landfitz gehört; die Schiffe, sonst auf den Kanälen und Grachten entweder fich durchkreuzend oder mit Aus- und Ein laden beschäftigt, liegen ruhig am Ufer und haben ihre Flaggen aufgezogen; die Spaziergänge find in den Mittag - und Abendstunden, sobald die Kirchen zeit vorüber ist, mit den neuesten Pariser Moden wie mit den zierlichsten Trachten nach altem vaterländischem Schnitt bedeckt, und will der Fremde endlich ins Theater gehen, so findet er es zu seinem Erstaunen geschloffen. Nur das Letztere ist die Folge einer gesetzlichen Bestimmung; alles Uebrige beruht jedoch, wie diese selbst, auf LandeSfitte und Gebrauch. Man ist zwar gewöhnlich mit der Erklärung bei der Hand, daß der Einfluß, den auch in den protestantischen Niederlanden die Geistlichkeit übe, jener kirchlicheren Gesinnung Vorschub leiste — auch in Holland nämlich stehen die Familien unter der beständigen Obhut ihrer Seelsorger, und insbesondere die jüngeren Geistlichen haben die Pflicht, Besuche in den Häusern ihrer Pfarrkinder zu machen, um Letztere, wo sie es daran fehlen lassen, an Kirchenbesuch und Kommunion zu mahnen — aber würde diese doch rein auf Lehre und Ueber- redung und nicht auf irgend einem äußerlichen Zwang beruhende Macht wohl auf die Menge wirken können, wenn diese nicht auch schon in ihrer ganzen Lebensstellung eine Aufforderung fände, den Pflichten nachzukommen, die ihr die göttliche Weltordnung aufcrlcgt? Die Lebensstellung ist es, die den Holländer gleichmäßig auf seine Pflicht wie auf sein Recht hinweist. ES ist ihm diese Stellung nicht zufällig geworden, sondern er hat sie sich selbst geschaffen durch seinen Fleiß und seine Energie. Er hat zuerst den Elementen seinen Boden abgerungen, diesen dann unabhängig gemacht von äußerem Druck und Einfluß und damit zugleich seine freie kirchliche Ueberzeugung sich erkämpft. Er hat das Alles mit vollem Bcwußtseyn ge- than und hält darum fest an dem Rechte, das er sich erworben, aber er weiß auch, daß Niemandes Recht gesichert, dem nicht zugleich seine Pflicht heilig ist. Und dieser Pflichten heiligste ist die gegen den Ausfluß alles Rechts und aller Freiheit: gegen den Gesetzgeber der Welt, von dem das Licht kömmt und die Wahrheit. Wie kann ich Achtung vor meinem Recht erwarten, wenn ich nicht selber Achtung vor dem Recht überhaupt und seinem Gesetz habe, und wie soll das menschliche Gesetz in Achtung bleiben können, wenn selbst das göttliche keine Kraft mehr besitzt? So denkt und urtheilt der Holländer, der, gerade weil er eine große historische Vergangenheit, eine gesicherte Grundlage seiner Stellung im Staate besitzt, sich auch gedrungen fühlt, die Stellung zu Gott, die er einmal einnimmt, sich zu erhalten und daher immer wieder zurückzu kehren zum Hause des Herrn. Charakteristisch ist dabei, daß er dies stets thut, ohne sich dazu durch das in anderen Ländern übliche Kirchengeläutc auffordern zu lassen. In Amsterdam sagte man mir, als ich dies bemerkte, der freie Mensch müsse nicht, wie das liebe Vieh auf der Weide, durch äußerliche Merk- male, sondern durch inneren Ruf in das Gotteshaus getribben werden. Man entschädigt sich aber bei unzähligen anderen Gelegenheiten für das fehlende Kirchengeläute: bekannt ist das ewige Glockenspiel, das Einem in jeder hollän dischen Stadt und bei jedem Vicrtelstundenschlag in die Ohren gellt ; es kommen dazu die Hellen Schiffsglocken der an den Kapcn liegenden großen Kauffahrer, ferner die Glocken, die zur Börse läuten und dann das Zeichen geben, daß man von diesem Augenblick an nur gegen Zahlung von 25 Cents in die Börse eingelassen wird, und endlich gar die Eisenbahnglocken, mit denen man in Holland vicrtelstundenlang unbarmhcrzigerweisc den armen Reisenden die Ohren zerreißt. Nicht minder charakteristisch wie daS fehlende Kirchcngelänte ist für das religiöse Gefühl der Holländer der Umstand, daß sie meistens in den Kirchen nicht eher den Hut abnehmen, als bis das Gebet beginnt. ES ist dies eben- falls eine von den vorhin erwähmen Andeutungen, daß bei dem Holländer Recht und Pflicht stets identifizirt seyen: auch im Hause Gottes, zu welchem des Herzens Pflicht ihn drängt, fühlt er sich als freier Mann, und nicht vor dem Menschenwerk, vor den Wänden der Kirche, sondern nur vor dem Wort und dem Geiste des Herrn neigt er sich in Demuth. Nur im Haag, wo das Residcnzleben die charakteristischen Seiten der Holländer etwas abschlcift, habe ich diesen Gebrauch nicht wahrgenommcn, sonst aber in allen anderen Städten, die ich besuchte- Von außen besonders imposant erscheinen die Lieueve Lerk in Amsterdam, in welcher die Könige NiederlandS gekrönt werden und wo das Denkmal des Admirals de Ruyter sich befindet, die große Kirche in Haarlem, in der eine der mächtigsten Orgeln Europa'S für dreizehn Gulden, die man dem Organisten und dem Küster zu zahlen hat, gespielt wird und vor deren Pforten dem angeblichen Erfinder der Buchdruckerkunst, Lorenz Coster, ein Denkmal aufgestellt ist"); ferner die Kirche mit dem Grabmal Bocrhave's in Leyden und endlich die Hauptkirche von Rotterdam, in deren Nähe sich die Statue des gelehrten EraSmuS erhebt. Bon allen diesen Kirchen hat jedoch nur die letztere etwas von ihrem alten inneren Schmucke fich erhalten, während die übrigen mit ihren weiß «»gestrichenen kahlen Wänden, die einen um so pein- licheren Eindruck machen, wenn man etwa aus den von Rubens und van Dyk geschmückten Kirchen Belgiens kömmt, redende Zeugnisse von dem Vandalis mus der Jkonoklasten sind. Glücklicherweise haben die großen Staatsmänner und Seehelden Hollands nach der Zeit der Bilderstürmer gelebt, so daß die Gotteshäuser zum Theil wieder mit ihren das Nationalgefühl ungemein er hebenden Denkmalen geschmückt find. In Holland tragen indessen auch die katholischen Kirchen, deren eck jetzt neun allein in Amsterdam giebt, den Charakter der Einfachheit und Schmuck, losigkeit, wozu noch kömmt, daß sie meistens, statt nach Heiligen, nach irgend einem Schilde, wie der „Stern", der „Hahn", der „Adler" re., genannt werden. Unbegründet ist, daß sie — was noch in vielen Handbüchern zu lesen — weder Thürme noch Glockcngeläutc haben dürfen; das holländische Grundgesetz, das alle Glaubensbekenntnisse glcichstellt, weiß von einer solchen Zurücksetzung nichts; auch ist dies einmal, in Folge erhobener Zweifel, durch eine königliche Erklärung ausdrücklich kundgemachl worden. Die in neuerer Zeit gebauten Kirchen Amsterdams Haden daher auch Thürme, und wenn sie kein Glockengeläut- besitzen, so hängt dies lediglich mit der oben gedachten Sitte und Ansicht zusammen. Wie die Kirchen, so sind in Holland auch die Synagogen viel besuchter und zahlreicher als in Deutschland. Einige derselben, worunter namentlich die große „poreugiesicks Lerle" in Amsterdam, die den Nachkommen der im 15. und 16. Jahrhundert aus Spanien und Portugal vertriebenen und von Holland aufgcnommenen Juden gehört, haben ein ganz maurisches Ansehen und einen von dem Gottesdienste der übrigen Israeliten sehr verschiedenen Ritus. Auffallend ist, daß die Juden in Holland einen spanisch-portugiesischen, '1 „v«ro lnvnotori t^pograplnae " heiß! c» in der Jnschriit; öui Guttenberg'? Denkmalen hat man nicht für nöthig gehalten hinzuzusügen, daß er der wahre Er linder sen.