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Wichrntliid erscheinen drei Nummern. PrönumerationS-Preis 22^ Silbcrgr. (s Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für Lai ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen «erden von jeLev Buchhandlung (in Berlin hoi Veit u. Comp., Jägerslraßc Nr. 25), so wie von allen König!. Pos! Äemtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 68. Berlin, Sonnabend den 7. Juni 1845. Holland. Briese von der Reise. I. Eine Reise nach Holland. — Bon Berlin nach Amsterdam. — Eisenbahnen und Chausseen. — Di- Spurweg-Aufregung. — Holländische Karikaturen. — Deutschland und der Zollverein. — Die Marine und ihre Abbildungen. — Das Museum in Amsterdam. — Ausstellung aller Meisterwerke. — Holländisches und deutsches Theater. — Madame Birch-Pfeiffer und die deutsche Literatur in Holland. Nichts ist jetzt bequemer und leichter, als von Berlin nach Holland, und zwar mitten in das Centrum des holländischen Handels und Treibens, nach Amsterdam, zu gelangen. Eine Reise, die unsere Väter nur in dringenden oder einträglichen Fällen unternahmen, weil sie dazu sehr viele Zeit und noch mehr Geld gebrauchten, kann man jetzt in sechzig Stunden und mit einem Reisegeld von etwa fünfundzwanzig Thalern zurücklegen, welches letztere sich noch reduzirt, wenn wir etwa einen Platz in den Wagen der dritten Klasse der Eisenbahnen vorziehcn. Der erste Tag der Reise, an welchem wir Berlin auf der Anhaltischen Eisenbahn um 7 Uhr Morgens verlassen, bringt uns um 'S Uhr Abends nach Hannover, von wo eine Schnellpost zwei Stunden später nach Minden abgcht; hier treffen wir Morgens zwischen 6 und 7 Uhr ein, fahren um 8 Uhr auf der kürzlich eingerichteten Courierpost über Münster und Wesel nach Emmerich und befinden uns, 48 Stunden nachdem wir die preußische Hauptstadt verlassen, an der preußisch-holländischen Gränze. Wäre nun nicht ein zeitraubender Aufenthalt in Emmerich, wo den bestehenden Einrichtungen gemäß alle Briefpakete nachgesehen und vic einzelnen Briefe mit dem Gränz stempel versehen werden, so könnten wir noch zeitig genug in Arnheim ein- treffcn, um mit dem Mittagszuge auf der Eisenbahn nach Amsterdam abzu- gehen, und dann würden wir hier schon 56 Stunden nach unserer Abreise von Berlin seyn, von denen übrigens auch noch 5 bis 6 Stunden durch je ein- bis zweistündiges Verweilen in Cöthen, Magdeburg, Braunschweig, Hannover und Minden verloren gehen. Aber Sic werden zugeben, daß eS bei alledem keine kleine Metamorphose der Zustände und Umgebungen ist, wenn man sich in drittchalb Tagen aus dem sandigen Berlin auf die Kanäle und Lagunen des niederländischen Venedigs versetzt sieht. Die Eisenbahn von Arnheim nach Amsterdam ist ganz kürzlich erst fertig und eröffnet worden, denn bis vor acht oder zehn Tagen ward sie von Amsterdam nur dis Utrecht und Drpbcrgcn befahren. Man legt die neun deutschen Meilen dieser Bahn mit etwas holländischer Langsamkeit, nämlich in 2i Stunden, zurück, doch liegt dies wohl weniger an der einheimischen „kemukkelijkiieid" der Dampfwagen, als an den zahlreichen Stationen und Statiönchcn, von denen sich wenigstens von Meile zu Meile eine befindet. Mehr als irgendwo sonst hat uns die Eisenbahn in Holland, was sie an Schnelligkeit der Reise einträgt, an anderen Annehmlichkeiten derselben ent zogen. Während man sonst durch Vie „holländische Schweiz" bei Zevenaar und Arnheim in die grünen, von Bächen, Kanälen und Strömen durch zogenen Triften des von der See beglänzten Landes cintrat und auf einer Straße weiter fuhr, die besetzt ist von reichen Landhäusern und Gärten, welche mit eben so reichen Meiereien und Bauerhöfcn abwechseln, trägt uns die Eisenbahn jetzt in den allerödcsten Theil der Provinz Gelderland, wo das Land allerdings wohlfeiler und bequemer für das Unternehmen war, als anderwärts; ja, selbst in der Provinz Utrecht, wo die Aussicht des Reisenden auf der Eisenbahn sich etwas verbessert, fahren wir doch nur hinter den Ländereien und Wiesen, deren Gebäude und Garten-Anlagen der Chaussee zugckehrt sind. Nur bei Arnheim selbst hat man noch einen Blick in die ge segneten Landschaften, auf denen man Potter'S Viehstücke in malerischster Lebendigkeit erblickt, und im Angesichte des dem reichen Baron van Heekcren gehörenden, ungemein reizenden limlenverblijs (Landsitzes) steigen wir in die Wagen des niederländischen „SpurwcgcS" °). Dieser „Spurweg" hat übrigens jetzt eben eine sehr große Aufregung im Lande hcrvorgerufen — eine Aufregung, wie man sie bei dem Holländer der neueren Zeit kaum mehr kennt, da er, von der Uebcrzcngung durchdrungen, daß die bürgerliche Freiheit, die ihm vom Gesetze zugesichert ist, von der Regierung vollkommen beschützt sey, dieser auch ein unbedingtes Vertraue» zu schenken Pflegt, wie z. B. die über hundertfünfundzwanzig Millionen große ') 8poor««g nennt der Holländer, imter treffenderer Bezeichnung denen, worauf es eigentlich ankömmt, seine Eisenbahn. freiwillige Anleihe bewies, die man vor ungefähr einem Jahre auf den Aufruf des Königs Wilhelm's II. zeichnete, und zwar als eine Sclbst- bcsteuerung, die höchstens l- pCt. vom Vermögensbcsitz betragen sollte, woraus man beiläufig abnehmen kann, wie groß der Reichthum in Holland scpn mag. Aber der auf seine Geschichte und seine Selbständigkeit mit Recht stolze Niederländer ist in diesen Stücken auch ganz besonders empfindlich und hält sich gleich für verrathen und verkauft, wenn er seine Regierung dem Aus lände, sey dies nun England oder Frankreich oder Deutschland, irgend eine Konzession machen sieht. Nun hat eben die Regierung — die Bekanntmachung darüber ist erst vor einigen Tagen erfolgt — die Verwaltung der Eisenbahn von Amsterdam nach Arnheim und die Ausbeutung des damit verbundenen Rechtes der Erbauung von Zweigbahnen nach der preußischen Gränze, nach der Maas und Belgien rc. einer Gesellschaft englischer Kaufleute überlassen, an deren Spitze sich das Haus Enthoven u. Comp. im Haag befindet, und darüber ist das Volk hier, und noch mehr in dem nicht auf Actien spekulirenden Theile des Landes, so unruhig geworvcn, als hätte man ihm seine Deiche durchstochen und als wäre es nun von den Meereswellen in seinen friedlichen Wohnungen bedroht. Zwar ist die Eisenbahn auch bisher nicht dcS Landes Eigenthum gewesen, sondern von einer Actien-Gesellschaft begründet worben, welcher der verstorbene König Wilhelm I. in seiner Eigenschaft als Privat mann ein ZinS-Minimum von 4- pCt. zugefichert, doch stand dem Lande allerdings, wenn auch erst in fernster Zukunft, die Aussicht bevor, daß die Bahn in den ausschließlichen Besitz des Königs oder seiner Rechtsnachfolger übergehe, sobald mit Hülfe des Ueberschuffcs, den das Unternehmen über 4- pCt. bringt, von welchem Ueberschuß die Hälfte unter die Actionaire ver theilt werden soll, die Actien einmal amortisirt seyn werden. Gegenwärtig, wo die englischen Kapitalisten in die Bürgschafts-Verpflichtungen so wie in die Rechte des verstorbenen Königs Wilhelm's I. hinsichtlich der Amsterdam- Utrecht-Arnheimcr Bahn eintretcn, fällt natürlich auch ihnen einmal der aus schließliche Besitz der Bahn zu. Für die Erben des Königs Wilhelm's I. war eS indessen sehr wünschenswert-, der von ihrem Erblasser übernommenen Ver pflichtungen quitt zu werden, denn nach dem gegenwärtigen Ertrage der Bahn zu schließen, würde ihnen noch viele Jahre lang die Last obliegen, jährlich einen sehr bedeutenden Zuschuß zu zahlen, damit die Actionaire die verbürgten 4- pCt. erhalten, und obwohl ihnen das Recht zustcht, bei dcreinstigem Mehrertrage die früher geleisteten Zuschüsse in Abzug zu bringen, bevor den Acticnbefitzcrn eine Dividende (die Hälfte des Mehrcrtrages über 44 p§t.) ausgezahlt wird, so läßt sich doch eine Erbschaftsmasse nicht gern auf so un sicher gestellte Vorschüsse ein, während sie — was die englischen Kapitalisten bei der Erwerbung eigentlich im Ange haben — die Berechtigung zum Baue vorthcilhafter und daS Unternehmen erst recht nutzbar machender Zweigbahnen auszubcuten weder geneigt noch geeignet ist. Dem königlichen Hause mußte die Gelegenheit zum Verkauf also jedenfalls sehr angenehm seyn; ein großer Theil der Holländer jedoch, der die Sache auö einem rein nationalen Stand punkte betrachtet, macht dem Minister des Innern, der dazu gerathen und der daS Geschäft mit den Herren Enthoven u. Comp. abgeschlossen, ein Ver- brechen gegen die beleidigte Nation daraus, und so sind denn auch mehrere holländische Karikaturen auf die Bcthciligten erschienen. Holländische Karikaturen! DaS klingt so ironisch, als ob eS auf die ehr lichen Holländer überhaupt gemünzt wäre! Einen allzu großen Aufwand von Witz und Scharfsinn darf man freilich nicht erwarten-, auch ist in der That auf den vor uns liegenden sieben Bildern blutwenig davon zu finden. Herr Enthoven und der Minister kommen auf jedem derselben, der Eine als sehr dicker John Bull mit holländischem Phlegma und der Andere als sehr magerer Mynheer in englisirtem Kostüm, vor. Das Witzigste dabei ist, daß Herr Enthoven gleich zu Anfang, bevor er noch irgend etwas gethan, mit den, großen Orden des Niederländischen Löwen bekleidet wird. Die Eisenbahn selbst wird uns in englischem Gewände vorgcführt: von allen Stations- Gebäuden, Tclegraphenstangen w. weht die englische Flagge, und selbst die aus dem letzten Waggon als Conducteur hinten stehende Schutzgöttin Hollands (üe Holliunlüelie Illssgd) hält statt deS alten niederländischen PfeilbündclS eine echt englische neunschwänzige Katze (ear o'nine tail«) in der Hand. Das Schlußbild zeigt uns die betrübten Holländer in der Mitte zwischen dem „Lugelselien Lpooeweg" und den „ZIeepboten van Ouitsebe ILlsatxelisp- pisen" (Schlepp-Dampfschiffen deutscher Gesellschaften) auf dem Rhein. „In dieser Stellung", .heißt cS in der Unterschrift, „befinden wir unS, list bare kloppende van KarionsLlgevoel, üe boo8en> ^vollende von volktrot8 (das Herz pochend von Volksgefühl, der Busen schwellend von Nationalstolz)."