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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration--Preis 22, Siibergr. (^ ThlrJ vierteijähriich, Z Thir. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Lhcilcn der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Deit ». C°mp., Jägerstraßc Nr. 25), so wie ron allen König!. Post-Acmtein, angenommen. Literatur des Auslandes. .4/ 64. Berlin, Donnerstag den 29. Mai L84S. Frankreich. Abälard und Heloise. Charles de Remusat, der einen in der Wissenschaft bereits berühmten Namen führt, wird in kurzem eine Lebensbeschreibung Peier Abälard'S nebst einer Kritik über die Schriften desselben herausgeben. Diejenigen, denen dies Werk bisher zugänglich gewesen ist, versichern, daß eS einen werthvollen Bei trag zur Geschichte der Philosophie des l2tcn Jahrhunderts bildet. Bei uns wird Abälard seltener unter den Philosophen als unter den berühmten Lieb habern genannt. Wir glauben daher, daß eS Manche intereisiren wird, zu erfahren, was die neuen Forschungen über sein Verhältniß zu Heloisen er geben haben, und theilen in dieser Voraussetzung unseren Lesern folgendes Bruchstück aus jenem noch ungedrnckten Werke mit, das wir in der kevu« <Ie« äeux Namies fanden. „Zur Zeit, da die Lite noch die ganze Stadt Paris war, halte die Kathedrale Notre-Dame einen Hofstaat von fünfzehn Kirchen um sich, von denen jetzt keine Spur mehr übrig ist. Im Schatten dieser Kirchen standen Klöster, deren Bewohner, wie die Mönche aller Orten, das Friedenspanier deS Glaubens und der Wissenschaft trugen, aber nicht selten im Herzen die Macht liebten und in irdischem Streite erfahren waren. Unter der Aufsicht der Priester lebten die Novizen der heiligen und weltlichen Studien, welche der Ruhm der Pariser Schulen aus allen Ländern Europa'S herbeigezogen hatte. Im Kreise dieser keimenden Größen sah man häufig einen Mann rmt breiter Stirn, lebendigem Auge und edler Haltung, dessen Schönheit mehr eine konservirte als eine wirklich jugendliche schien. Seine prunklose und den- noch sorgfältige Tracht, seine imponirenbe und zugleich anmuthige Gestalt, die Ehrerbietung, mit der sich ihm die jungen Leute näherten, die sonst aus der Anmaßung eine Tugend machten, die Neugier, mit der Vie Menge nach ihm blickte, wenn er in seine Vorlesungen oder nach Hause ging, alles dies ließ in ihm einen sehr berühmten und sehr beliebten Lehrer vermuthen. Ueberall sprach man von Abälard; aus England und Deutschland eilte man herbei, ihn zu hören, und selbst Rom schickte ihm Schüler. Die Menge auf den Straßen blieb stehen, wenn er vorbeiging. Um ihn zu sehen, kamen die Leute aus den Häusern an die Thür, lüfteten die Frauen die Vorhänge ihrer kleinen Fenster. Paris war stolz auf Abälard und ehrte diesen Namen, der bis heute, also sieben Jahrhunderte lang, in der Stadt der gefeierten und vergessenen Größen populär geblieben ist. Damals stand Abälard im Glanzpunkt seines Lebens, und er verdankte seine Stellung nur sich selbst, seinem Fleiße, seinem Muthe, seiner Beredt- samkeit und der Macht der Wahrheit. Er konnte sich für einen Apostel der Philosophie halten; dann aber war er einer von den Wenigen, die ins Reich der Geister gesandt werden und nicht das härene Gewand der Dürftigkeit und Dcmüthigung tragen müssen. Den» sein Reichthum glich an Größe seinem Ruhme. Der Unterricht nämlich wurde jenen fünftausend Studirenden, die, wie man erzählt, um ihn zu hören, herbeigeströmt waren, nicht gratis ertheilt. Als er nun zu diesem Gipfel geistiger Größe und weltlichen Glückes ge kommen mar, hätte er in Ruhe die Aerndte seiner Mühen und natürlichen Anlagen genießen sollen. Aber eben die Ruhe war seinem Geiste nicht gegeben. Nachdem Ehrgeiz und Wißbegier befriedigt waren, erwachten Leidenschaften in seinem erregbaren Gemüthe, die längst ausgetobt haben konnten und ihn nun in ein neues, tragisches Geschick zogen. Seine Lebensweise war bei der Beschäftigung mit den Wissenschaften, der er sich ausschließlich ergeben hatte, stets regelmäßig gewesen, und er hielt sich fern von allen Exzessen, die sich damals ein großer Theil seiner Standes- genossen zu Schulden kommen ließ. Obgleich sein Ruf ihm die Gunst mancher Großen der Erde zugewandt hatte, besuchte er dieselben dennoch selten und mochte sich wohl nie mit anderen Frauen unterhalten haben, als mit Nonnen und Aebtissinnen. Uebrigens würde Abälard, wenn er sich je verliebt hätte, nie haben den unterwürfig-zärtlichen Liebhaber spielen können; es paßte das nicht zu seinem Stolze. Aber in dem ungetrübten Glücke, zu dem er gelangt war, verließ ihn plötzlich seine Sittenstrenge und eS bemächtigte sich seines Charakters eine gewisse Weichlichkeit. In der Cite lebte ein sehr junges Mädchen, Namens Heloise, Nichte eines Kanonikus Fulbert von Notrc-Dame. Sie war Waise und arm, soll aber mit der Familie Montmorencp durch ihre Mutter, Hersende, verwandt gewesen seyn. Ihre erste Erziehung genoß sie im Kloster Argcnteuil bei Paris-, später unterrichtete sic ihr Oheim in den Wissenschaften, was damals bei den Frauen sehr selten war. Sie machte überraschende Fortschritte, und es wurde von ihr behauptet, sic verstände nicht nur Lateinisch, sondern auch Griechisch und Hebräisch. Obgleich sie nicht vollendet schön war, überraschte sie durch ihre äußere Erscheinung, mehr aber noch dnrch ihren Geist, von dem man im ganzen Reiche sprach. Man weiß nicht, wann sie Abälard das erste Mal sah und auf welche Weise er ihre Bekanntschaft machte. ES scheint, seinen eigenen Worten nach, als hätte er sich, so zu sage», vorgenommen, sich in sie zu verlieben, unv sie für die ebenbürtigste und vielleicht auch für die leichteste Eroberung gehalten. Denn er selbst erzählt uns, daß er mit seinem Namen, seiner Jugend und seinem Aussehen nicht fürchten durfte, abgewiesen zu wer- den, welche Vorzüge auch diejenige habe, die er seiner Liebe würdigte. Uebcrdies, fährt er fort, führe Heloise ein zurückgezogenes Leben und stehe mit ihm durch den Geschmack an den Wissenschaften bereits in einer geistigen Verbindung, und deshalb habe er den Entschluß gefaßt, sich ihr zu nähern. Aber er täuschte sich; nicht sein Verstand, sondern sein Herz trieb ihn zu Heloisen und sagte ihm, daß Keine sep wie sie. Er suchte nun Gelegenheit, zu ihr zu gelangen und in ihrem Hause heimisch zu werden. Gute Freunde legten sich ins Mittel und machten Fulbert, dem Oheim HeloisenS, der mit seiner Nichte in der Nähe der theologischen Schule wohnte, den Vorschlag, Abälard gegen eine gewisse Entschädigung in Kost und Miethe zu nehmen. Seine angestrengten Arbeiten, ließ er sagen, der Ekel, den er vor wirthschastlichcn Sorgen hätte, und die unnöthigen Kosten, die ihm seine unüberwindliche Nachlässigkeit in der Haushaltung verursachte, bestimmten ihn, Fulbert jenen Antrag zu machen. Dieser war geldgierig und haschte zugleich nach jedem Mittel, die Kenntnisse seiner Nichte zu vermehren. Er willigte nicht nur in Alles, sondern cs schien, als habe er selbst schon lange nach der Bekanntschaft Abälard'S gestrebt. Er bat, der berühmte Lehrer möge ganz und gar die Leitung seines Mündels übernehmen, dürfe zu jeder Stunde zu ihr kommen und, wann er nur immer die Zeit dazu habe, eS sey Tag oder Nacht, ihr Unterricht geben; ja, er dürfe sie auch wie ein Lehrer schlagen, wenn sie sich ungelehrig zeigen werde. Abälard erstaunte über die Einfalt des guten OhcimS; eS war ihm, als gäbe man ein Lamm in die Gewalt des räuberischen Wolfes, denn man brachte ihm die unbeschränkte Freiheit ins Haus, über diejenige zu schalten, deren Erwerbung das einzige Ziel seines Strebens geworden war. Zwei Dinge verblendeten den Greis, die Triumphe seiner Nichte, die seiner Eigenliebe schmeichelten, und der strenge Lebenswandel, den Abälard bis dahin geführt hatte. Man zeigt noch heute in der Cito im Norden von Notrc-Dame, ani Aus gang einer engen und krummen Straße, das HauS des Kanonikus Fulbert.') Dort, in dem bescheidenen Stübchen eines Pariser Bürgermädchens aus dem l2ten Jahrhundert, beim matten Tagesschein, der durch die kleinen Fenster drang, oder wohl »och öfter beim röthlichen Schimmer einer Lampe, saß Abälard mit seiner Schülerin und spannte alle Segel seines Geistes, der die Schulen der ganzen Welt aufwog, um das arme, unerfahrene, unbefangene Kind zu erjagen. Alle Früchte der Wissenschaft, alle Blüthen der Bildung und Bcredtsamkeit wurden heraufdeschworen, um ein denkendes und zartes Gemüth mit ihrem Dufte zu berauschen. Aber worin unterrichtete Abälard Heloisen? Lehrte er ihr die Sprachen und Künste deS AlterthumS, führte er sie in die Jrrgängc der Dialektik oder inS blendende Lichtmeer deS Glaubens? Oder las der Professor der Theologie mit jener Kunst der Rede, die man so sehr an ihm bewunderte, seiner Schü lerin die heidnischen Dichter vor, vielleicht die schlüpfrigen Verse der „Kunst, zu lieben"? Man weiß es nicht; doch so viel weiß man, daß alle Kenntnisse und Anlagen Abälard'S Mitschuldige seiner Liebe waren. „Ihr hattet" — schrieb ihm lange Zeit nachher Heloise, noch entzückt von dem, was sie ins Verderben gestürzt hatte — „Ihr hattet vorzüglich zwei Eigenschaften, die Euch auf der Stelle das Herz aller Frauen gewinnen mußten, die Anmuth nämlich, mit der Ihr vorlasct, unv die, mit der Ihr fanget." Und seine Lieder hatte er für sie geschrieben und in Musik gesetzt. So wurde der Philo- soph ein Redner, Künstler und Dichter. Die Liebe verlieh seinem Geiste, was ihm allein noch gemangelt hatte. Kein Liebender kann sich die Verhältnisse günstiger wünschen, als fie sich *) Ueber der Thür diese- Hause- befindet sich felgende Inschrift: Ueloiss, ^delar<l lisditereot ees lieui, Des »iooere« smsu« luocisle« preoieux. L.LN 1118.