Volltext Seite (XML)
214 vermögen zum Grunde liegen. Die wissenschaftlichen Vorurtheile können, wie alle anderen, nur sehr allmälig, und wenn die Zeit dafür gekommen ist, abgc- worfen werden. Doch theilt der Verfasser eine Stelle des coiwermnx Innnau unüer8tanüing (boote II., ck. 21, h. 10—20) mit, wo Locke allerdings der Aufdeckung jener Erschleichungen sehr nahe gekommen ist, indem er, bei Gelegenheit der Streitfrage über den freien Willen, ausdrücklich bemerkt, die Kräfte oder Vermögen sehen lediglich Attribute von Substanzen, nicht selbst Substanzen, gehörten nur dem Handelnden an, seyen nicht selbst handelnde Personen; und als das bei den psychischen Entwicke lungen Wirksame habe man daher die einzelnen wirklichen Gedanken (cl»8 or ctuw sctuai tbougkt), Wollungen rc. anzusehen. Daß er diese höchst wichtige Einsicht nicht weiter verfolgt, vielmehr durch das ganze übrige Auch hindurch die abstrakten Vermögen in der gewohnten Weise auf einander Wir kungen ausüben läßt, und vermöge dessen vielleicht mehr, als irgend ein Anderer, zur Bestätigung und Festigung der bezeichneten falschen Lehre beigc- tragen hat, ist vorzüglich daraus abzulcitcn, daß die Aufgabe, welche sich Locke für sein großes Werk gestellt hatte, der ganzen Richtung der damaligen Zeit gemäß, zunächst nicht die der Psychologie, sondern die der Metaphysik oder der Erkenntnißthcoric war. „Welchen Ursprung haben die Begriffe, die wir in uns vorfinden?", Das war die Frage, welche er beantworten wollte; und eS war ihm also um den Inhalt unserer Vorstellungen zu thun, nicht um deren Formen und Formenveränderungen. — Bei Condillac stellt sich die Sache schon anders. Es ist der psychologische Standpunkt, aus welchem er Locke tadelt, daß er zwei Quellen für unsere Ideen angenom men statt Einer. „Die Reflexion oder die innere Wahrnehmung (wie es in dem kLtrsw r«i80im« des '1'raice ües 8«n8stion8 heißt) scy, ihrem Prinzipe nach, wieder nur die sinnliche Empfindung selber, sey nicht sowohl Quelle der Ideen, als der Kanal, durch welchen sie von den Sinnen herbeiflöffen. Diese Ungenauigkeit verbreite große Dunkelheit über sein System: er begnüge sich zu berichten, daß die Seele wahrnehmc, denke, zweifle, glaube, überlege, erkenne, wolle, nachdenke; aber er werde nicht der Nothwendigkeit inne, das Prinzip und die Entstehungsweise davon zu erforschen; und so erschienen ihm alle Vermögen der Seele als angeborne Qualitäten, und er denke nicht daran, daß sie ihren Ursprung wieder in der sinnlichen Empfindung haben könnten." Hiermit ist Condillac gegen Locke im vollen Rechte; und hat er die Aufgabe der tieferen psychologischen Forschung, wie sie gegenwärtig ge löst worden ist, den äußersten Umrissen nach richtig angegeben. Aber der Lö sung derselben durch Condillac selbst stellten sich theils die Unvollkommen heit der damaligen Vorarbeiten, theils Condillac's eigene Individualität ent gegen , die mit der Verfolgung einer so verwickelten und tiefen Aufgabe im vollsten Gegensätze stand. „Die bekannte Auseinandersetzung über das allmälige Erwachen der einzelnen Sinne an einer Statue abgerechnet, findet sich in keiner Schrift Condillac's eine zusammenhängende Untersuchung; nichts als ab gerissene Thesen, geistreiche Apercü'S, beständige Sprünge, kühne Behauptun gen, die oft das Richtige treffe», aber noch weit öfter falsch find. Alles ist ihm leicht, ist mit Einem Schlage abgemacht." Dies weist dann der Verfasser ausführlicher aus Condillac's Schriften nach. — Laromiguicre endlich (von dessen zuerst 1813 hcrauSgekommenen I-eyviw äs pbilo8opkie »u «88si nur len 1aculre8 üe I'amo vor kurzem bereits die sechste Auflage erschienen ist) will bekanntlich Condillac vorzüglich darin verbessern, daß er die Seele nicht bloß mit einer Fähigkeit zu empfinden, sondern außerdem mit einer eigcnthüm- lichen, ihrer Natur inwohnenden Kraft der Thätigkeit (sctivire) aus gestattet annimmt. Sie sey eine Kraft, welche sich selbst bewege, d. h. sich selbst modisizire. Hierdurch allein werde eü möglich, daß aus den Empfindun gen die verschiedenen geistigen Produkte hervorgehen könnten: zuerst die Auf merksamkeit, darauf die Vergleichung, dann das Raisonnement; und auf der Seite des Willens: das Begehren (ässir), das Verziehen (preference) und die Freiheit (liberte). Für alle diese sechs Klaffen der Thätigkeit (welchen er eben so viele Vermögen zum Grunde legt) sey die der Aufmerksamkeit die Grundthätigkeit; weshalb er auch die gesammte Geistesentwickelung, im Gegen satz mit Condillac's 8SN8»tion tr-mrssormee, als Lttention trLN8kormee oder moüilieo, als äiflsrentS8 msniere8 ä'etre sUenliüi bezeichnet. Aller dings nun ist diese Hervorhebung der bei allen unseren Seelenentwickelungen zum Grunde liegenden Sclbstthätigkcit als eine Verbesserung der Condillacschen Lehre anzusehen; und dieselbe hätte, nach einer tiefer greifenden, naturwissen schaftlichen Methode weiter verfolgt, zu höchst bedeutenden Aufklärungen führen können. Aber Laromiguicre hat von der Sclbstthätigkeit der Seele eine so durchaus unbestimmte, schwankende, nebelhafte Vorstellung, daß er, wenn man Alles zusammennimmt, im Verhältniß zu Condillac wenig mehr als ein anderes Wort gegeben hat. Auch bei ihm werden als die tiefsten Grund, lagen für die Thätigkeit die Interessen, Vergnügen und Schmerz, namhaft gc- macht; und dabei die Sclbstthätigkeit, welche sich bei der Vorstellungsbildung und der intellektuellen Entwickelung äußert, fortwährend zusammengcworfen mit der äußeren Thätigkeit (der Bewegung der leiblichen Organe), und beide wieder mit dem Wollen rc. Ueberdies hat die Aufmerksamkeit, welche er zur geistigen Grundkraft macht, schon eine BildungSsorm von sehr abge leitetem Charakter; und in der weiteren Ausführung finden wir nirgend Prädikate, die ein eigentliches Geschehen, wie eS für die Seele paßte, einen Naturerfolg in derselben ausdrückten, sonder» statt dessen lediglich Bilder, Gleichnisse, welche in der gewohnten Weise die Vermögen als handelnde Personen ihren Roman abspielen lassen; so daß also auch sein Werk im Ganzen wenig oder nichts zur Lösung der in dieser Beziehung vorliegenden Aufgabe beigctragen hat. (Schluß folgt.) Frankreich. Der spanische Hof im Jahre »800. lAus ThierS' Geschjchie dc§ Konsulats.) (Schluß.) Nur der Minister Urquijo, der Nachfolger und natürliche Feind des Frie- densfürsten, ein bizarrer Charakter, der den General Bonaparte nicht sonderlich liebte, leistete einigen Widerstand. Urquijo war von niederer Herkunft, besaß etwas Energie, hatte sich durch einige in der Verwaltung des Königreichs ver- suchte unbedeutende Reformen die Feindschaft der Geistlichkeit und des Hofes zugezogen und reizte auf eine für einen Spanier jener Zeit befremdliche Weise zu revolutionairen Ideen. Er stand mit vielen französischen Demagogen in Verbindung und theilte dis auf einen gewissen Grad ibre Abneigung gegen den ersten Konsul. Er hatte das Verdienst, die schreiendsten Mißbräuche abstellcn zu wollen; er versuchte z. B. die Einkünfte der Geistlichen und die Gerichts barkeit der Agenten des römischen Hofes zu beschränken und hatte sich deshalb an den heiligen Stuhl gewendet; aber indem er diesen Versuch machte, setzte er sich großen Gefahre» aus. Denn da ihm bereits der Zriedensfürst entgcgen- arbeitetc, war er verloren, wenn sich der römische Einfluß mit dem des Palastes verband, um ihn zu stürzen. Da er jedoch die Neigung des Königs und der Königin kannte, vermochten ihn einige Aufmerksamkeiten von Seiten Alquier'S, endlich auch sich zur Bewunderung Bonaparte's zu bekehren, welchen zu bewun dern damals nicht nur natürlich, sondern auch Mode war. Die Neigung des Königs wuchs mächtig. Als er die dem FriedenSfürstcn übersendeten Waffen gesehen hatte, äußerte er den Wunsch, ähnliche zu besitzen. Man beeilte sich, einige Prachtstücke anzufertigen, und er empfing sie mit wah rer Freude. Die Königin wünschte ebenfalls Schmucksachen, und Madame Bonaparte, deren Geschmack berühmt war, schickte ihr das Ausgesuchteste und Eleganteste, was Paris in dieser Gattung besaß. Karl IV., nobel wie ein Castilier, wollte nicht zurückbleiben und sorgte für eine königliche Erwiederung. Da er wußte, daß dem ersten Konsul Pferde angenehm seyn würden, beraubte er die Stutereien von Aranjuez, Medina-Celi und Altamira ihrer schönsten Bewohner, um erst sechs, dann zwölf, dann sechszehn Pferde, die schönsten der Halbinsel, auszuwählen. Man weiß nicht, wie weit er gegangen seyn würde, wenn man seinem Eifer nicht Einhalt gethan hätte. Zwei Monate brauchte er, um sie selbst auszuwählen, und Niemand hätte dies Geschäft besser besorgen können, denn er war ein vortrefflicher Kenner. Er stellte überdies ein zahl reiches Personal zusammen, um sie nach Frankreich zu führen, und bestimmte dazu seine besten Stallknechte, ließ ihnen prächtige Livreen machen und bat sich bei all diesem Pompe nur eine Bedingung aus, daß man nämlich seinen Stallknechten während der Reise in Frankreich jeden Sonntag sollte eine Messe lesen lassen. Man versprach ihm die Erfüllung seines Wunsches, und seine Freude, dem ersten Konsul ein schönes Geschenk zu machen, war nun ohne Gränzcn. So sehr er Frankreich liebte, glaubte dieser vortreffliche Fürst doch, daß man daselbst durch einen Aufenthalt von wenigen Tagen Gefahr laufe, die Religion seiner Väter zu verlieren. Das Aufsehen, was diese Demonstrationen erregten, war dem ersten Kon sul sehr gelegen. Es war ihm lieb und erschien ihm nützlich, daß er Europa und selbst Frankreich zeigen konnte, wie die Nachfolger Karl s des Fünften, die Abkömmlinge Ludwig s XIV., sich durch ihre persönlichen Beziehungen zu ihm geehrt fühlten. Ader er suchte verlässigere Vortheile in seinen diplomatischen Beziehungen und strebte nach einem ernsteren Ziele. Der König und die Königin von Spanien liebten eines ihrer Kinder, die an den Erbprinzen von Parma verheiratete Infantin Maria Luise, mit Lei denschaft. Die Königin war die Schwester des regierenden Herzogs von Parma und hatte ihre Tochter mit ihrem Neffen verbunden und auf diesen beiden Häuptern ihre zärtlichsten Neigungen vereinigt, denn sie war dem Hause, von den; sie stammte, mit außerordentlicher Liebe zugethan. Sie wünschte für dieses HauS eine Vergrößerung in Italien; und da Italien von dem Sieger von Marengo abhing, so hatte sie alle Hoffnung, ihre Wünsche erfüllt zu sehen, auf ihn gesetzt. Der erste Konsul, von dem geheimen Verlangen der Königin benachrichtigt, beeilte sich, dieses Mittel zur Erreichung seiner Absichten wahr- zunehmen, und schickte seinen getreuen Berthier nach Madrid, um die dar- gebotene Gelegenheit zu benutzen. Dies war seine erste Wahl, als er von Marengo zurückkehrte. Nach Berlin und Wien hatte er Adjutanten abgefer tigt, für den spanischen Hof wollte er mehr thun, er wollte den Mann dahin sende», der den größten Antheil an seinem Ruhme hatte, denn Berthier war damals der Parmenio des neuen Aleranber'S- Gerade zu derselben Zeit, als der erste Konsul mit St. Julien die Frie denspräliminarien unterhandelte, als er das leicht crreglichc Herz Paul s I. bestach, als er im Norden den Streit über die Neutralität anschürte, sandte er in größter Eile den General Berthier nach Madrid. Dieser reiste gegen Ende August ab, zwar ohne offiziellen Titel, aber mit der Gewißheit, schon durch seine Gegenwart allein und durch geheime Vollmachten zu Unterhandlungen über die wichtigsten Gegenstände eine große Wirkung hcrvorzubringen. Seine Reise vereinigte mehrere Zwecke. Der erste war, die hauptsächlichsten Häfen der Halbinsel zu bereisen, ihren Zustand, ihre Hülfsmittel zu untersuchen und durch Geldspenden Expeditionen nach Malta und Aegypten zu betreiben- Berthier entledigte sich dieses Geschäftes rasch und eilte dann nach Madrid, um seinen hauptsächlichste» Auftrag zu erfüllen. Der erste Konsul wollte näm lich dem Hause Parma eine GebietSvcrgrößerung zugesiehen, er war selbst ge neigt, dieser Vergrößerung einen neuen Titel, die Königswürde, hinzuzufügen,