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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration»-Preis 22 ( Silbcrgr. (^ Thir.) vierteljährlich, 3 Thlr. sür da« ganze I-Hr, ohne Erhöhung, in allen Theilen Ler Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von ieder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstrakc Nr. 28), so wie von allen König!. Poft-Acmtem, angenommen. Literatur des Auslandes. . l/ 54 Berlin, Dienstag den tz. Mai 1845. Die Psychologie des Auslandes. Während in den übrigen wissenschaftlichen Gebieten die Forscher aller Völker ununterbrochen einander fördernd zusammciiarbeiten, und eine Ent deckung, welche in dem einen Lande gemacht worden ist, nicht selten schon nach wenigen Monaten in einem weit davon entfernten fongcführt oder für die Praxis auSgcbeutct wird: so zeigt sich uns in Betreff des philo sophischen Denkens schon seit längerer Zeit eine für sein wahres Fort- schrciten gewiß sehr nachthcilige Geschicvenheit, welche namentlich zwischen uns Deutschen und den übrigen Völkern seit der Kantischc» Epoche beinahe zu einer völligen Jsolirung geworden ist. Die Franzosen sind die Einzigen, welche angestrengte und stetige Versuche gemacht haben, sich die deutschen Spekulationen anzueigncn; aber selbst bei ihnen (wie man bei unbefangener Betrachtung nicht verkennen kann) haben dieselben nur sehr schwache Wurzeln geschlagen. Indem man sie mit den radikal entgegengesetzten Lehren der Schottischen Schule eklektisch verschmelzen wollte, haben beide nur zu einer höchst kümmerlichen und unerfreulichen Eristenz gelangen können. In England sind vollends, ungeachtet der so nahen Verwandtschaft der geistigen Grund organisation mit der unsrigcn, und obgleich es auch hier nicht an einzelnen Anstrengungen für eine Ucbertragung dieser Spekulationen gefehlt hat, alle darauf gewandten Bemühungen entschieden gescheitert. Diese Thatsachen sind namentlich in einer Beziehung betrübend, welche man noch nicht genugsam beachtet hat. Sie liefern einen indirekten Beweis, wie wenig die Philosophie bisher noch zur Allgemeingültigkeit ausgebildet worden ist. ES ist gewiß eine ungerechte Anklage, die man neuerlich so oft gegen unsere Zeit erhoben hat, daß sic ausschließlich auf das Materielle ge spannt sep. Wie ausgebreitet, wie rege die Theilnahme auch für da» Geistige ist, sobald sich irgend ein Interesse in einem ausgebreiteteren Umkreise als ein derselben würdiges herausstellt, davon liegen unzählige Zeugnisse vor, nament lich noch wieder in der neuesten Zeit in der warmen Theilnahme an den christ katholischen Angelegenheiten. Und Dasselbe hat sich selbst bei Demjenigen, was, als die höchste Blüthe der geistigen Entwickelung, dem Materiellen am meisten fern liegt, bei der Philosophie, herausgestellt. In England sogar, welches man am entschiedensten des AbgestorbensepnS für das höhere Geistige anklagt, Haden Thomas Brown'S I^eelure« on tbe plülo^opb): of tbs buman »ünst von l82ü bis l842 nicht weniger als dreizehn Auflagen erlebt (in Nord-Amerika vielleicht eben so viele). Welche Masse von philosophischen Schriften ist in Frankreich während dieser Zeit erschienen, und die ebenfalls zum Theil durch mehrere Auflagen hindurchgegangen sind! Und auch bei uns Deutschen ist, ungeachtet allerdings die Theilnahme des größeren Publikums in der letzten Zeit immer mehr abgcnommcn hat, doch noch immer die Anzahl der philosophischen Bücher, die uns jeder Meßkatalog bringt, bedeutend genug. Also an Interesse überhaupt fehlt eS nicht. Aber dasselbe ist leider in den letzten fünfzig Jahren gewissermaßen nur ein Lokal- und Zeit inte resse gewesen, weil cs an philosophischen Leistungen gemangelt hat, welche sich für alle Völker und bleibend als des Interesses würdig herausgestellt hätten. Die Philosophie hat noch immer nicht aufgehört, eine Mo de fache zu sepn: hat, als solche, namentlich bei uns Deutschen, von Jahrzehend zu Jahrzchend gewechselt und sich auf immer engere Kreise, ja zuletzt auf Koterien zurück gezogen. Nur sehr Wenige haben sich bei uns von Zeit zu Zeit bemüht, den abgc- brochencn Verkehr mit anderen Völkern wieder anzuknüpfen. Zu diesen gehört besonders der Professor Beneke. Außerdem, daß er in seinen Schriften fort während, theils hinweisend und empfehlend, theils kritisch beleuchtend, auch die philosophischen Werke des Auslandes berücksichtigt, hat er namentlich in den Jahren I8rl —3« Rezensionen der vorzüglichsten unter denselben in der „Allgemeinen Literatur-Zeitung" abdrucken lassen, »nd später in unserem „Magazin rc." wiederholt Artikel darüber mitgetheilt. Diese früheren zer. streuten Leistungen hat er nun zusammengefaßt und vervollständigt in einer Schrift, welche so eben in der hiesigen Mittlerschen Buchhandlung unter dem Titel: „Die neue Psychologie-, erläuternde Aufsätze zur zweiten Auflage meines Lehrbuches der Psychologie als Naturwissenschaft" erschienen ist. Wie schon dieser Titel besagt, ist die Bestimmung der Schrift eigentlich von allge meinerem Charakter. Es ist bekannt, daß die Grundlegung der Psychologie in der neueren Zeit eine durchgreifende Reform erfahren hat: indem man die Annahme, daß die Vermögen, welche in der ausgebildeten Seele in ihren Aeußcrungen vorliegen (Einbildungskraft, Verstand, UrtheilSkraft, Wille, Vernunft rc.), auch schon ursprünglich in der Seele vorhanden, oder ihr angeboren, sepen, als unbegründete Erschleichung erkannt und die Noth wendigkeit nachgcwicsen hat, über diese hinaus und zu weit mehr elemen- tarischcn Vermögen und Entwickelungsgesetzen zurückzugehcn. Für die Ein- und Durchführung dieser Reform hat Beneke seit bereits fünfundzwanzig Jahren eine ausgedehnte Thätigkeit entwickelt; und dieser reiht sich die vor liegende Schrift an: eine „Unterlage" für das bezeichnete Lehrbuch, welche einige in diesem (wie eS die Natur des Kompendiums mit sich bringt) nur in den äußersten Umrissen dargestellte, besonders wichtige Gegenstände ausführ licher entwickelt. Sic soll (wie der Verf. in der Vorrede sagt) „zunächst einige Mißverständnisse heben, welche sich bei Anhängern wie bei Gegnern der neuen Psychologie so oft wiederholt haben, daß die Schuld zum Theil wenigstens in seinen früheren Darstellungen liegen mußte; sie soll Denen, welche weder Gegner noch Anhänger der neuen Psychologie sind, weil sie überhaupt noch keine oder doch nur eine unvollkommene Kenntniß von ihr genommen haben, eine Anschauung von Dem geben, was dieselbe eigentlich gewollt und auSge- führt hat; sie soll endlich Alle zusammen über deren Stellung zu den vorzüg lichsten einstimmigen und entgegengesetzten Bestrebungen, der Gegenwart Wit der Vergangenheit, bestimmter orientiren." — Demgemäß setzt der erste Auf- satz auseinander, wie die Psychologie, ungeachtet aller dagegen sorge- brachten Einwendungen, einer Behandlung nach der allgemeinen natur, wissenschaftlichen Methode, die in den übrigen Naturgebieten bereits seit länger als zwei Jahrhunderten so glänzende Früchte getragen habe, nicht nur überhaupt, sondern in dem Maße fähig sey, daß sie in manchen bedcu. tcnden Punkten den übrigen Naturwissenschaften selbst vorleuchtcn könne und müsse. Der zweite Aufsatz erläutert in Beziehung hierauf noch bestimmter die Natur der inneren Wahrnehmung; der dritte, im Hinblick auf neuer lich darüber erhobene Streitfragen, das Vcrhältniß zwischen der Psychologie des Verfassers und der Herb arischen. Der vierte deckt dann die tieferen Grundlagen der äußeren Wahrnehmung auf; der fünfte die „Grund organisationen der Theilnahme und der Zuneigungen zu an deren Menschen". Im sechsten werden die verschiedenen Momente, in welchen sich das menschliche Bewußtseyn auSbildet, vargelegt und ge nauer begründend auScinandcrgchalten; im siebenten die Grundclemente des menschlichen Handelns und der ihm verwandten (geistig) produktiven Entwickelungen. Aber alles dies müssen wir, wie inter essant auch manche der bezeichneten Themata sepn mögen, als der Bestimmung unseres Blattes fremd, zur Seite liegen lassen. Wir haben es hier nur mit den beiden letzten Aufsätzen zu thun, welche die Ueberschriften führen: „lieber das Verhältnis meiner Psychologie zur sogenannten sensualistischen" und „Wie weit stellen sich die gegenwärtigen psychologischen Arbeiten des Auslandes die Aufgabe einer naturwissenschaftlichen Behandlung der Psychologie?" Der erste derselben beschäftigt sich mit den Leistungen von Locke, Con- dillac und Laromiguiere. Der Verfasser widerlegt hier zunächst die An sicht, daß die sogenannte sensualistische Construction der Psychologie schon ihrer Aufgabe nach eine oberflächliche und seichte sey. „Wenn ich (bemerkt er hierüber S. 2SI) die höheren Gebilde, welche mir die unmittelbare Erfahrung meines SclbstbewußtseynS darstellt (die Vernunft, das Ich, den Begriff rc.), ohne Weiteres als auch schon ursprünglich vorhanden und als Grundfaktoren der Scelcnentwickelung setze, so bleibe ich bei der Oberfläche stehen. Ich gehe nicht in die Tiefe dieser Gebilde ein: denn ich mache sie ja in der Art, wie sie unmittelbar an der Oberfläche der Seele erscheinen, zu Erklärungsgrundlagen; stelle mir nicht einmal die Aufgabe, zu ihrer inneren Organisation, zu ihrem Ursprünge zurückzugehcn. Behaupte ich dagegen, daß auch diese höheren Ge bilde zuletzt von sinnlichen Empfindungen stammen, so behaupte ich diese letzteren als die Tiefc von jenen; ich stelle mir also die Aufgabe, in diese Tiefe einzugehen, und, da beiderlei Gebilde sehr weit in ihren BildungSformcn von einander abstehcn, in eine sehr große Tiefe cinzugehen." — Also die Aufgabe, mit welcher eS diese sogenannte sensualistische Psychologie zu thun hat, ist jedenfalls eine ohne allen Vergleich tiefere; und sollte jene Systeme der Vorwurf der Seichtigkeit mit Recht treffen: so könnte derselbe wenigstens nur von Seiten der mangelhaften Ausführung seine Berechtigung erhalten. Der Verfasser zeigt nun, wie eS unbillig sepn würde, Locke, welcher sich durch die Widerlegung der Lehre von den angebornen Begriffen weit übcr die sonsti gen Ansichten seiner Zeit erhoben, und ein nicht genug zu preisendes Verdienst erworben hat, deshalb zu tadeln, daß er nicht auch schon die Erschleichungen aufgedeckt habe, welche der Annahme von den angeborenen abstrakten Seelen-