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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prömumration«-Preis 22? SUbergr. (j THIr.) vierteljährlich, Z Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Aemrern, angenommen. Literatur des Auslandes. 51. Berlin, Dienstag den 29. April 1845. England. Neueste Werke über Jung-England. Man würde sich nicht wenig irren, wenn man dem sogenannten jungen Englund dieselben Tendenzen unterlegte, die das junge Frankreich, das junge Italien, das junge Deutschland u. s. w. charakterifiren und welche hauptsächlich darin bestehen, das Prinzip des Fortschritts im demokratischen Kinne geltend zu machen. „Es ist ein glückliches Omen", sagt Carlple °) in seinen UorsI ksienomens ok Kerman^, „daß das junge England das wieder aufbauen will, was das junge Frankreich und das junge Deutschland Nieder reißen möchten." — Das junge England hat von der Jugend — d. h. von jugendlichen, neuen, die Zeit bewegenden Ideen — nichts als den Namen, der höchstens durch den Umstand gerechtfertigt wird, daß seine Koryphäen meistens noch junge Männer find; das ganze Trachten und Streben dieser Partei ist aber mittelalterlich — sie schwärmt für Mönch- und Ritterthum, für die ländliiyen Sports und chevaleresken Spiele Alt-EnglandS, für die Mischung des religiösen und aristokratischen Elements, die sich (besonders in Nomanen und Gedichten) so pittoresk auSnimmt. Die materiellen Interessen unseres Zeitalters erscheinen ihr nüchtern und prosaisch, in den Fortschritten der Intelligenz und der freien Forschung wittert sie Unglauben und Atheismus, und in der immer mehr überhand nehmenden Verschmelzung der Stände be dauert sie das Verschwinden der poetischen Gegensätze, der starken Lichter und Schatten, die ihr geliebtes Mittelalter auSzeichneten. Das junge England scheint sich, mit einem Worte, den verstorbenen Friedrich Baron von La- Motte Fouque zum Muster erwählt zu haben, und der bekannte Wahlspruch des Letzteren: visu mou Lme, Ua vie Lu Kok, 51oa eneur »ux üswe», würde gewiß bei Lord John MannerS, Herrn Sydney-Smythe und ihrem Anhang den größten Beifall finden. Zu diesen Betrachtungen find wir durch eine Schrift veranlaßt worden, die neulich unter dem Titel: Hawkstone, eine Erzählung von und für England im Jahre 184—°°), die Londoner Presse verlassen hat. Das Thema dieses Buches ist die gesellschaftliche, politische und religiöse Lage Englands, und der Verfasser will eine Art pusepistisches Millennium zu Stande bringen. Der Held deS Romans ist ein ehrenwerther Gentleman, der fich eben so sehr den Whigs als den Konservativen abhold zeigt; er gründet auf seinem Landgut ein protestantisches Kloster, errichtet eine große Fabrik nach eigenthümlichen Prinzipien, schlägt die neugebackenen, heterodoxen Ma schinen durch Vas alterthümliche, ehrwürdige Spinnrad aus dem Felde und vertreibt am Ende sowohl den katholischen Priester als die dissentirenden Geist lichen aus der guten Stadt Hawkstone, indem er sämmtliche Bewohner der selben in den Schoß der nach seinen Ideen umgemodelten anglikanischen Kirche zurückfiihrt. Vom politischen Standpunkt aus kann man „Hawkstone" als eine ziemlich klare Darstellung der Meinungen und Ansichten des jungen Englands be trachten; es ist mit größerem Ernst und tieferer Ueberzeugung geschrieben als „ConingSby", den es übrigens an cxceutrischen Plänen zur Wiederherstellung eines goldenen Zeitalters bei weitem übertrifft. Was den religiösen Charakter des Werkes anlangt, so ist dieser schwerer zu bestimmen. Wir leugnen nicht, daß wir in den religiösen Stimmungen des englischen Volkes eine größere Gewähr für seinen sittlichen Charakter, eine festere Grundlage seiner bürger lichen Freiheit erblicken, als in den philosophischen Forschungen und in den politischen Declamationen anderer Völker, aber wir sind auch eben so über zeugt, daß jedes künstliche Bearbeiten, jedes Hinausschrauben jener Stim mungen nur zu einer Reaction im entgegengesetzten Sinne führen kann. Der Verfasser ist auch einer dieser Bearbeiter, der, wie dicS kaum anders seyn kann, in unzählige Widersprüche mit seinen Umgebungen und mit fich selbst geräth. Obgleich er den puseyistischen Lehrsätzen huldigt, ist ihm doch die römische Hierarchie ein Gräuel; obgleich er sür die anglikanische Kirche eifert, ') Dieser Carlyle ist nicht mit dem berühmten Schriftsteller gleiche« Ramen« zu ver- wechseln. "> (wörtlich übersetzt: „Falkenstein"), » D»Ir «s.uS for LaglaoS In >8«-. 2 vole. lyer. greift er doch die zu derselben gehörige, sogenannte evangelische Partei mit einer Erbitterung an, die nur von seiner Wuth gegen die Dissenters über- troffen wird. Während er die Unfehlbarkeit des Papstes leugnet, scheint er seine eigene nicht im mindesten zu bezweifeln. Der bigotteste Hochkirchen mann , der strengste Ultramontane kann keine stolzeren Begriffe von der Macht der Kirche und der Würde des priesterlichen Charakters hegen, als die seinigen ; nichtsdestoweniger wirst er fich zum Vertheidiger des Protestantismus auf und bekämpft die Anmaßungen deS päpstlichen Stuhls, wobei er aber zugleich aus Wiedereinführung der Klöster, Fasten, Kasteiungen und anderer Gebräuche der römischen und orientalischen Kirche dringt. Noch weniger als diese und ähnliche Inkonsequenzen ist die Unduldsamkeit zu entschuldigen, die, wie man ohne Uebertreibung behaupten kann, in „Hawkstone" ihre Apotheose feiert; der Grundsatz, daß man sich auch des Umgangs mit Andersdenkenden enthalten müsse, wird darin zu wiederholten Malen eingeschärst. „Ich halte es ernst lich für unrathsam", sagt Beattie, eine Person, die wahrscheinlich den Ver- saffer selbst repräsentiren oder ihm als Organ zur Entwickelung seiner eigen- thümlichcn Theoriecn dienen soll, „ich halte es sür unrathsam, mit den Römlingen auf vertrautem Fuße umzugehen. Sie halten uns für Ketzer — wir betrachten sie wenigstens als Schismatiker. In einer gemischten Gesell schaft müssen wir diese Ueberzeugung, dem Anschein nach, aufgcben und folg lich den Heuchler spielen — und die Heuchelei endet, bei uns wenigstens, oft mit dem Glauben, daß unsere Meinungs-Verschiedenheiten in der That von keinem Belang sind." — „Finden Sie es denn nöthig, sich aus diese Weise gegen Alle abzuschlicßen, mit denen Sie in der Religion nicht übereinstimmen?" fragt Villiers. — „Gegen Alle", erwiedert Beattie, „die nicht Mitglieder der katholischen Kirche find und die mich selbst nicht als Mitglied derselben an- erkennen. Außer dem Bande der Kirche giebt es kein soziales Band, dem ich vertrauen kann." — Diese katholische Kirche ist nicht die römische, sondern Vie allgemeine, apostolische, oder mit anderen Worten eine Theokratie, eine Priesterherrschaft, die fich aber dem römischen Ritus und den römischen Cere- monien so sehr nähert, daß man nicht recht einfieht, warum fie den Schluß stein deS ganzen Systems, das sichtbare Haupt der Kirche, perhorreszirt. „Der tägliche Gottesdienst", sagt Beattie, „wird heutzutage sogar in unseren Dorfkirchen immer gewöhnlicher." — „Und dieses", bemerkt Villiers, „rührt wohl von den Traktaten (Dl-acts kor tlle Dimes, dem bekannten puseyistischen Werke) her?" — „Es rührt von dem Geiste Gottes her", entgegnet Beattie. — „Und finden Sie nicht", sagt Villiers, der gerade mit seinem Freunde beim Frühstück fitzt, „daß diese Verbesserung fich auch auf praktische Handlun gen der Selbstverleugnung erstreckt? Wenn wir vor zehn Jahren an einem Freitag zusammen frühstückten, so würden wir nicht, wie heute, unser Mahl aus trockenes Brod beschränkt haben; jetzt stehen wir Beide nicht an, dieses öffentlich zu thun. Wird auch dieser Gebrauch unter den jungen Leuten der gegenwärtigen Epoche vorherrschend?" — „Noch nicht", meint Beattie, „aber die Aussichten dazu sind höchst ermuthigcnd. Vor zehn Jahren erzählte mir ein Professor der Theologie, daß die Mitglieder der Orforder Universität ihre meisten öffentlichen Diners während der Fastenzeit (Dent) veranstalteten: jetzt weiß ich hingegen, daß Viele ihre Diners auf einen anderen Tag verlegt haben, um fie nicht während der Fastenzeit geben zu müssen." — „Und ge schieht dieses freiwillig?" — „Ganz freiwillig." — „Aus Achtung gegen die Autorität der Kirche?" — „Ich vermnthe eS, da sich diese Erscheinung auch auf Solche erstreckt, die weder unter dem Einfluß des Enthusiasmus noch der Partei-Rücksichten stehen und folglich nur durch die Ueberzeugung bestimmt werden, daß fie den Satzungen der Kirche gemäß handeln." — In diesem Augenblicke bringt inan dem Herrn Beattie eine Kiste, die so eben mit der Post angekommen ist; er öffnet fie und beglückt seinen gleich- gefinntrn Freund mit dem Anblick eines kostbar gearbeiteten, mit Edelsteinen verzierten und mit Abbildungen biblischer Gegenstände bemalten Kelchs. „Er ist", bemerkt Beattie, „für unsere Univcrfitäts-Kapelle bestimmt." — „Und wer", fragt Villiers, „hat dieses Geschenk dargebracht?" — „Das", versetzt Beattie, „ist ein Geheimniß, welches ich nicht veröffentlichen darf. Wir haben seit einiger Zeit die Gewohnheit, unsere Gaben anonym darzubringen und SudscriptionS-Listen zu vermeiden. Vor zehn Jahren hätte man statt deS Kelchs eine Punsch-Bowle, eine Kaffeekanne oder eine filberne Schüssel ringe- sandt." — Die goldenen Kelche, die strenge Beobachtung der Fasten, der täg liche Gottesdienst — Alles soll dazu beitragen, um eine Kirche herzustcllen, die, wie der enthusiastische Herr Beattie auSruft, „selbst in dieser Welt schon aller Bewunderung würdig ist und in einer anderen über jede Verfolgung triumphtren must." — Daß fie Verfolgung noch in einer anderen Welt zu