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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrünumerationS-Preis 224 Silbergr. Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Camp., Jägerstraße Nr. 28), so wie von allen Königl. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 53 Berlin, Sonnabend den 3. Mai 1845. Frankreich. Der spanische Hof im Jahre 1800. sAu« Thier«' Geschichte de« Konsulat«.» Der König, die Königin von Spanien und der Friedensfürst beschäftigten seit langen Jahren die Aufmerksamkeit Europa'» und gaben für das in der Achtung der Völker schon so gesunkene Königthum ein sehr gefährliches Schau spiel. ES schien, als sep eS vom Schicksal über das erlauchte Bourbonische Haus verhängt gewesen, am Ende des Jahrhunderts da» Königthum in Frankreich, Neapel und Spanien zu verlieren: denn in diesen drei Reichen gaben drei Könige schwachen Geistes ihr Scepter dem Gelächter und der Ver achtung der Völker preis, indem fic es den Händen leichtsinniger, oder leiden schaftlicher, oder ausschweifender Königinnen überließen. Die Bourbonen Frankreichs waren, ob aus eigener Schuld, ob aus Un gunst des Schicksals, von der französischen Revolution verschlungen worden-, die von Neapel hatten sie thörichterweise selbst hervorgerufen und deshalb zum erstenmale aus ihrer Hauptstadt entweichen müssen; die von Spanien, ehe sie ihr Scepter in die Hand des gekrönten Soldaten fallen ließen, den diese Re volution hervorgebracht hatte, hatten nichts Besseres zu thun gewußt, als sich in seine Gewalt zu geben. Schon zur Zeit des Konvents halten sie sich Frank reich genähert; sie mußten es jetzt noch um so lieber thun, als die Revolution ihnen statt einer blutigen Anarchie einen großen Mann darbot, welcher sie zu schützen bereit war, wenn sic seinen Rathschlägen folgten. Wohl ihnen, wenn sie dem damals so vortrefflichen Rathe des großen Mannes gefolgt wären! wohl ihm selbst, wenn er sich auf die Ertheilung dieses RatheS beschränkt hätte! Der König von Spanien, Karl IV., war ein ehrlicher Mann, nicht hart und auffahrend wie Ludwig XVI., angenehmer von Person, aber minder ge bildet und noch viel schwächer. Er stand früh auf, nicht um seinen königlichen Pflichten obzulitgcn, sondern um einige Messen zu hören und sich dann in seine Werkstätten zu begeben, wo er unter Drechslern, Schlossern und Waffen schmieden in Hemdsärmeln arbeitete. Von den Werkstätten ging er nach seinen Ställen, um die Besorgung der Pferde anzusehcn, und erlaubte sich gegen seine Stallknechte die unglaublichsten Vertraulichkeiten. Wenn er auf diese Weise die erste Hälfte des Tages verbracht hatte, so nahm er ein ein sames Mahl ein, zu welchem selbst seine Gemahlin und seine Kinder nicht zugelaffen wurden, und widmete den anderen Theil des Tage« der Jagd. Mehrere Hunderte von Pferden und Dienern wurden für dieses tägliche Ver gnügen, welches seine Hauptleidcnschaft war, in Bewegung gesetzt. Darauf kehrte er nach Hause zurück, schenkte seinen Kindern eine Viertelstunde, eine halbe der Unterzeichnung der von der Königin und den Ministern beschlossenen Verfügungen, spielte mit einigen Herren seines Hofes, gähnte auch zuweilen mit ihnen bis zur Abendmahlzeit, nach welcher er, täglich zur selben Stunde, zu Bett ging. So war sein Leben unveränderlich das ganze Jahr hindurch beschaffen; nur die stille Woche wurde ganz und gar gottesdienstlichen Ver richtungen gewidmet. Uebrigens war er ein ehrlicher Mann, hielt sein Wort, war sanft, menschenfreundlich, religiös und lebte musterhaft keusch, obgleich er sich von der Königin entfernt hielt seit sic es ihm durch seine Aerzte hatte befehlen lassen. An den Skandalgeschichten des Hofes und an den Fehlern der Regierung hatte er keinen anderen Antheil, als daß er die ganze lange Zeit Alles geschehen ließ, ohne eS zu sehen oder daran zu glauben. Neben ihm führte die Königin, die Schwester des Herzogs von Parma und eine Schülerin Condillac'S, der für sie und ihren Bruder schöne ErziehungS- werke geschrieben hatte, ein ganz anderes Leben, was dem berühmten Philo sophen wenig Ehre machen würde, wenn die Philosophen überhaupt für ihre Schüler einstehen könnten. Sie war ungefähr fünfzig Jahr alt und besaß einige Reste von Schönheit, die sie mit unendlicher Sorgfalt zu erhalten suchte. Sie hörte, wie der König, täglich die Messe und verwandte die Zeit, welche Karl IV. seinen Werkstätten und Ställen opferte, zu einem Brief wechsel mit vielen Leuten und besonders mit dem Friedensfürsten. In diesen Briefen berichtete sic dem Letztcrn über die Angelegenheiten des HofeS und des Staates und erhielt dafür von ihm die Erzählung der Kindereien oder Stadtklätschereien von Madrid. Zum Beschluß des Morgens schenkte sie ihren Kindern eine Stunde und eine Stunde den RcgierungSgeschästcn. Nicht eine Verordnung, nicht eine Ernennung, nicht eine Bewilligung wurde dem Könige zur Unterzeichnung übergeben, ohne ihr vorgelcgt worden zu sepn. Der Minister, welcher sich ein solches Vergehen erlaubt haben würde, wäre augenblicklich seiner Stellung verlustig gegangen. Auch sie nahm, wie der König, ihr Mittagsmahl allein ein; der Rest des Nachmittages war zum Empfange bestimmt, wobei sie sich mit vieler Anmuth zu benehmen wußte, und für den FriedcnSsürsten, dem sie täglich einige Stunden widmete. Zu der Zeit, von der wir sprechen, war der Friedensfürst bekanntlich nicht mehr Minister. Herr von Urquijo, den wir sogleich kennen lernen werden, hatte ihn ersetzt, aber er war nichtsdestoweniger die mächtigste Person im Staate. Dieser merkwürdige Mann, ohne Fähigkeiten, unwissend, leicht sinnig, aber von schönem Acußercn, gerade wie man beschaffen seyn muß, um an einem verderbten Hofe sein Glück zu machen, herrschte schon seit zwanzig Jahren über die Königin Luise. Don ihrer Gunst gelangweilt, theilte er sie gern mit unbeachteten Günstlingen, überließ sich einem unordentlichen Lebens wandel und freute sich, seine gekrönte Sklavin durch die Erzählung desselben zu kränken, ja er mißhandelte sie selbst, wie man sagt, auf die gröbste Weise; und dennoch behielt er eine unbeschränkte Herrschaft über diese Fürstin, die ihm nicht zu widerstehen wußte, die nicht glücklich seyn konnte, wenn sie ihn nicht täglich gesehen hatte. Lange Zeit hatte sie ihm die Regierung unter dem offiziellen Namen eines ersten Ministers überlassen; fic überließ fie ihm jetzt gerade eben so, obgleich er nicht mehr den Namen führte, denn eS geschah nichts in Spanien, als was er wollte. Er verfügte über alle Geldmittel des StaateS und hatte in seinem Hause gewaltige baare Summen, während der Staatsschatz in der drückendsten Noth von einem auf halben Werth gesunkenen Papiergelde lebte. Die Nation hatte sich fast schon an dieses Schauspiel ge wöhnt; sic wurde nur unwillig, wenn rin neuer, außergewöhnlicher Schimpf den tapfern Spaniern, deren heroischer Widerstand kurze Zeit darauf bewies, daß sic einer anderen Regierung würdig waren, die Schamröthe ins Gesicht jagte. In demselben Augenblicke, wo Europa von den großen Ereignissen widcrhallte, welche sich zwischen Po und Donau zutrugen, geschah am spanischen Hofe ein unerhörter Skandal, der die Geduld des Volkes erschöpfte. Der Friedensfürst war aus einem unsittlichen Verhältniß ins andere gefallen und hatte endlich eine Verwandte der königlichen Familie geheiratet. Ein Kind war die Frucht dieser Verbindung. Der König und die Königin wünsch, tcn es selbst über die Taufe zu halten und hatten das ganze gebräuchliche Tauf-Cercmoniell angeordnct. Die vornehmsten Granden des HofeS sahen sich genöthigt, dieselben Dienste zu leisten, die man für einen königlichen Sprößling von ihnen gefordert haben würde. Man hatte diesem Kinde in den Windeln die großen Orden der Krone und prächtige Geschenke gegeben. Der Groß- Inquisitor hatte bei der heiligen Handlung fungirt. Es ist wahr, daß dies mal der Unwille bis zum Gipfel gestiegen war, daß jeder Spanier sich per sönlich beschimpft glaubte. Die Sachen waren so weit gediehen, daß die spanischen Minister sich selbst gegen die fremden Gesandten, und namentlich gegen den französischen, aussprachen, zu dem fie gewöhnlich ihre Zuflucht nahmen, und der aus ihrem eigenen Munde die hier erzählten Einzelheiten erfuhr. Mitten unter diesen schimpflichen Vorfällen war der König, welchen seine Gemahlin fortwährend überwachen ließ, allein in vollkommener Unwissenheit und dachte an nichts Arges. Weder der Schrei seiner Untcrthanen, noch die vorübergehende Empörung einiger spanischen Granden, welche fich gegen den Dienst auflehnten, den man von ihnen forderte, noch die unerklärlichen Be suche deS Friedensfürsten vermochten ihm die Augen zu öffnen. Der arme gute König warf selbst zuweilen die sonderbare Bemerkung hin, welche alle Anwesenden, die sie anhören mußten, nicht wenig in Verlegenheit brachte: „Mein Bruder zu Neapel ist ein Narr, daß er fich von seiner Frau regieren läßt." — Wir müssen hinzufügen, daß der Prinz von Asturien, später Fer dinand VII., der fern vom Hofe mit unglaublicher Härte erzogen wiirde, den Günstling verabscheute, dessen verbrecherischen Einfluß er kannte, und daß sein gerechter Haß gegen den Günstling sich später bei ihm in einen unwillkürlichen Haß gegen Vater und Mutter verwandelte. Was für ein Schauspiel am Ende des I8ten, am Anfänge des ISten Jahr hunderts, als der Thron Frankreichs eben mit Krachen zusammengestürzt war, als auf den Trümmern fich eben ein junger, einfacher, strenger, unermüd- lichcr, genialer Heerführer erhob! Wie lange konnte die spanische Monarchie noch der gefährlichen Wirkung dieses Kontrastes widerstehen? Das spanische Haus wurde mitten unter dieser Unordnung zuweilen von dunklen Ahnungen ergriffen und begann schon, eine Revolution zu fürchten. Die alte Anhänglichkeit der Spanier an das Königthum und die Religion be schwichtigte eS wohl ohne Zweifel; aber cs fürchtete doch, daß die Revolution über die Pyrenäen kommen könne, und suchte die Gefahr durch die äußerste