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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prünumerations - Preis 22j Silbergr. (^ Thlr.) vierteljährlich, z THIr. für daS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von ieder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jiigerslraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. so. Berlin, Sonnabend den 2V. April 1843. England. Zur Biographie Sydney Smith's. Im Februar d. I. starb in London der ehrwürdige Sydney Smith, Kanonikus der St. Paul'S-Kirche — ein Mann, der als Mitbegründer der Lüinburxb keview und einer der launigsten und geistreichsten Schriftsteller seines Zeitalters einige Erwähnung verdient, obgleich er, da seine Werke sich meistens auf Partei-Streitigkeiten und Lokalfragen beziehen, im AnSlande vielleicht weniger bekannt ist. Er stammte aus einer guten Familie und wurde im Jahre 1771 zu Woodford in Esser geboren. Seine erste Erziehung erhielt er in der Schule zu Winchester, wo er einen heftigen Widerwillen gegen „das abgeschmackteste aller Lehrspsteme" faßte, das, wie er sagt, „in der Verfertigung langer und kurzer lateinischer Verse und im Skandiren griechischer Chöre besteht." Unter seinen Mitschülern war der gegenwärtige Erzbischof von Canterbury, vr. Howley, wie man aus einem seiner Briese erfährt, in welchem sich folgende Stelle befindet: „Der Erzbischof von Canter- dury besuchte mit mir die Schule und die Universität; vor dreiundfnnfzig Jahren schlug er mich mit dem Schachbrett zu Boden, weil ich ihn Matt ge. macht hatte, und jetzt will er mir mein Kirchenpatronat wegnehme». Ich glaube jedoch, daß dieses die beiden einzigen Gewaltthaten sind, die er je be gangen hat." Im Jahre 178» bezog Smith die Universität Orford, wo er nach einiger Zeit eine fellow^lup erhielt, die er indeß bei seiner Verheiratung im Jahre 180« aufgeben mußte, da die halb klösterliche Einrichtung dieser Hochschule die Ehelosigkeit der sellocv» zum Gesetze macht. Schon früher war er auf Wunsch seines Vaters in den geistlichen Stand getreten und hatte eine kleine Pfarrstelle in Wiltshire angenommen. „Mein erstes Amt", schreibt er in seiner Autobiographie, „war eine kleine cursc^ in der Mitte der Ebene von Salisbury. Hier gefiel ich dem Squire, der mir antrug, seinen Sohn als Gouverneur nach der Universität Weimar (? vielleicht Jena) zu be gleiten. Ehe wir aber dahin gelangten, hatte sich der Kriegsschauplatz nach Deutschland gezogen, und durch die politischen Stürme verschlagen, kam ich nach Edinburg, wo ich fünf Jahre zubrachte. Die Grundsätze der fran zösischen Revolution waren damals im vollen Gange, und die schottische Haupt stadt befand sich im Zustande einer heftigen sozialen Bewegung. Zn den ersten Personen, mit denen ich bekannt wurde, gehörten die jetzigen LordS Jeffrey, Murray und Brougham, welche Alle politische Gesinnungen hegten, die für den regierenden Minister Dundas °) ein wenig zu liberal waren." Der Aufenthalt in Edinburg entschied über Smith's künftige Laufbahn ; sein Geist erhielt dort die Richtung, die ihn während seines ganzen Lebens auszeichnete. „Ich habe eine leidenschaftliche Liebe für unparteiische Gerechtig keit und gesunde Vernunft (1 I>»v« » ps^iu»»^ love kor eommon jusOce »ml evmmun nenne)", sagte er einst, um sein politisches Glaubensbekenntniß mit wenigen Worten auszudrücken, und dieses Gefühl bildete in der That die Grundlage seines Charakters. Er umfaßte die liberalen Ideen seiner Zeit mit Wärme, ohne die revolutionairen Erzesse zu billigen, von denen sie begleitet wurden; er haßte den Jakobi,ilsmus nicht minder als den Toryismus und zeigte von Anfang an eben so viel unerschrockenen Muth als besonnenen Ver stand. Er scheute sich nie, ein wenn auch verrufenes, aber von ihm als ge recht erkanntes Prinzip auszusprechen und zu vcrtheidigen; bis zum Ende seines Lebens war er der eifrigste Anwalt aller praktischen Reformen und widmete ihnen mit Uneigennützigkeit ein Talent, welches, im Dienst der Re gierung ausgeübt, ihm die glänzendsten Belohnungen gesichert hätte. Im November 1802 gab er, in Verbindung mit Jeffrey und Brougham, die erste Nummer der Lüinburgl, keview heraus — einer Zeitschrift, die in der englischen Literatur Epoche machte und nicht wenig zur Verbreitung libe raler Meinungen beitrug. „Um den Werth der Lümburgb Uevievv zu ver stehen", schreibt er selbst, „muß man sich des Zustandes erinnern, in welchem sich Großbritanien zu jener Periode befand. Die Katholiken waren noch nicht emanzipirt, die Corporations- und Test-Akten nicht aufgehoben — die Jagd gesetze waren furchtbar drückend — das ganze Land war mit Fallen und Selbstgeschoffen bedeckt — den Kriminal-Gefangenen war kein Sachwalter gestattet — Lord Eldon und das Kanzleigericht lasteten schwer auf dem Lande — Libelle wurden mit den grausamsten und rachsüchtigsten Gefängnißstrafen ') Henry DundaS, Discount Melville, der später durch eine im Unterhause gegen ihn erhobene Anklage gezwungen wurde, seine sämmtiichcn Poste» niederzuicgen, besaß unter der Verwaltung Pitt'S einen überwiegenden Einfluß aus Schottland. belegt — von den Grundsätzen der politischen Oekonomie verstand man wenig — die Schuld- und HochverratHS-Gesetze waren auf dem allerschlechtesten Fuße — die ungeheure Gottlosigkeit des Sklavenhandels wurde geduldet — eS eristirten tausend Uebel, die seitdem durch die Bemühungen ehrcnwerther und talentvoller Männer verringert oder ganz beseitigt worden sind, welche Be mühungen von der Lüinburgb Ksvierv mit edler Kühnheit unterstützt wurden." — Schon im Jahre 180Z legte Smith jedoch die Redaction nieder und be gab sich nach London, wo er als Prediger am Findelhause angestellt wurde und sich bald durch seine Kanzelreden auszeichnete. Diese erschienen später im Druck und erregten sowohl Bewunderung als Tadel. Den meisten reli giösen Kritikern war es nicht recht, daß er mehr Gewicht auf die Moral als auf das Dogma legte, und die absichtliche Vermeidung einer gewissen kon ventionellen Phraseologie gab seinem Styl einen ungezwungenen und eleganten Anstrich, der ihnen zu sehr nach der Welt zu schmecken schien. In der That erhalten aber seine Reden gerade dadurch, daß er sich der Sprache der Lite ratur und des geselligen Lebens bedient, einen Charakter der Wahrheit und echten Ueberzeugung; er drückt sich wie ein Mann aus, der von Wirklichkeiten spricht, und wurde daher oft von Solchen mit Interesse gehört, die bei ge wöhnlichen Rednern gleichgültig bleiben. Als literarische Arbeiten betrachtet, haben seine Predigten zwar nicht denselben Werth wie seine Schriften über politische und moralische Fragen, doch sind sie voller Kraft und Schärfe und tragen ganz den Stempel des gesunden Verstandes, der den Verfasser charak« terisirte. Obgleich sein glänzender Witz und seine sozialen Talente ihm den Zutritt zu den höchsten Zirkeln verschafft hatten, befand er sich in äußerst mäßigen Glücksumständen, bis die Whig-Partei, der er sich mit Leib und Seele an- geschloffcn, im Jahre 1806 auf kurze Zeit ans Ruder kam. Dieses Ereigniß hatte einen bedeutenden Einfluß auf die Lage Sydney Smith's. Der neue Kanzler, Lord Erskine, beschenkte ihn mit der Pfründe Foston, in Aorkshire, die ein jährliches Einkommen von 500 Pfd. Sterl, abwarf und wo er den größten Theil der folgenden fünfundzwanzig Jahre seines Lebens verbrachte. Hier widmete er sich mit gewohnter Energie den Pflichten eines Landpfarrers und trug eben so sehr für die zeitlichen als für die geistigen Bedürfnisse seiner Pfarrkinder Sorge, indem er, in Ermangelung eines Arztes, die Kranken pflegte und sie unentgeltlich mit Medikamenten versah, wozu er sich auf der Universität durch die Anhörung eines Kursus medizinischer Vorlesungen quali- fizirt hatte. Bei allem dem hörte er jedoch nicht auf, sich mit Literatur und Politik zu beschäftigen. Das Whig-Ministerium, das gleich nach dem Tode des großen For zu wanken begann, wurde im Jahre 1807 durch eine Jntrigue gestürzt, die sich mit vieler Geschicklichkeit der anti-papistischen Vorurtheilc deS Königs und der Nation bediente, um die Tories wieder ans Ruder zu bringen. „Für die jenigen", schreibt Smith, „die das Unglück hatten, liberale Meinungen zu hegen, und die zu ehrlich waren, sie gegen den Hermelin-Mantel deS Richters ober den Talar deck Prälaten zu vertauschen, war der Anfang dieses Jahr hunderts bis zum Tode Lord Liverpool s (1828) eine traurige Periode. Eine lange, hoffnungslose Carriöre stand ihnen bevor: sie hatten das schmunzelnde Gelächter der Dummköpfe, den ironischen Seitenblick der politischen Achsel- träger zu erdulden; sie mußten Präbendarien, Dechanten und Bischöfe über ihre Köpfe avanzircn und hochwllrdige Renegaten nur deshalb zu den höchsten Kirchenwürden befördert sehen, weil sie die Fesseln der katholischen und pro testantischen Dissenters schmieden halfen. Ein Whig-Ministerium war eben so wenig zu hoffen, als Thauwettcr in Nova-Sembla, und cs gab nicht nur keinen Lohn, sondern auch viele Streiche. Es ist in England stets für eine Unverschämtheit gehalten worden, wenn ein Mann, der weniger als zwei- bis dreitausend Pfund jährlich zu verzehren hat, auf eine eigene Meinung über politische Fragen Anspruch macht, und zu jener Zeit wurde er noch überdies mit allen Schimpfreden überhäuft, mit denen man die französische Revolution bekämpfte — Jakobiner, Gleichheitsprediger, Atheist, Deist, Socinianer, Mord brenner, Königsmördcr waren noch die höflichsten Titel, die er zu gewärtigen hatte, und wer eine Sylbc gegen die unsinnige Bigotterie der beiden George zu äußern oder die tyrannische Behandlung der irischen Katholiken zu rügen wagte, ward als frecher Ruhestörer in den sozialen Bann gethan." Die von den Whigs beantragte katholische Emancipation und die Aufregung, die sie im Lande hcrvorbrachte, gab zu dem ersten Werke Veranlassung, in welchem das eigenthümlichc Talent Sydney Smith's einen angemessenen Spielraum fand. Die „Briefe Peter Plymley's an seinen Bruder Abraham" sind in der politi schen Literatur der Engländer als klassisch anerkannt. Sie vereinigen die