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„Ich zweifelte keinen Augenblick, daß dies Alles so eintreffen müßte, und das Herz pochte mir, als ich beim Scheine der Schiffslaterncn die Goelette, umgeben von Kähnen, sah. Aus diesem leichten Fahrzeuge, das auf dem Wasser tanzte und bei dem leisesten Winde hin und her schwankte, kamen mehr Schwarze, als ich mir Menschen darin gedacht hatte. Sie waren aber auch immer zu zweien auf einander gelegt worden, damit sie sämmtlich im Schiffs raum untcrgebracht werden konnten. Sie schienen mir alle mehr oder weniger krank, was auch natürlich war, da sie während der ganzen Uebersahrt in feuch ter und dumpfiger Luft gesteckt hatten. Als sie einige Zeit in der frischen Abendluft saßen, erholten sie sich allmälig, bis auf wenige, die, wie Fische außer dem Wasser, langsam abstarben. Der Capitain schwor, sie stürben rein aus Trotz, denn es giebt wirklich unter diesen Negern Subjekte, die zu Allem fähig sind. Nachdem die Sklaven verkauft waren, wurde der Schiffsraum gereinigt, die nöthige Provision an Bord genommen, und am folgenden Mor gen war keine Spur mehr von der Ladung zu sehen. Der Kreuzer, der an der Küste stationirte, setzte sich schon mit Tagesanbruch in Bewegung, aber die Goelette war bereits an dem Punkte, wo wir sic am Tage vorher zuerst sahen, und ist gewiß ungestört nach Afrika gekommen. „Die Schwarzen nun konnten sich glücklich schätzen, von der afrikanischen Küste auf unsere schöne Insel versetzt worden zu sepn. UeberdieS waren es meist Kriegsgefangene, die ihre Besieger sonst würden aufgefreffen haben. Die aus Madagaskar wären mit Wurfpießen getödtet worden, denn dies ist dort die Art, wie man sich der Gefangenen entledigt, die man nicht verkaufen kann. War es nicht also besser, daß sie Zuckerrohr und Kaffee bauten? Aber dennoch hielt es sehr schwer, ihnen dies begreiflich zu machen. Einige von ihnen liefen, als sie kaum ans Land gesetzt waren, geradezu ins Gebirge und wurden nach einigen Tagen halbtodt vor Hunger im Gehölz gefunden oder lagen im Grunde einer Schlucht, in die sie sich gestürzt hatten, um nicht gefaßt zu werden. An dere kauerten unter einem Baume, die Augen nach dem Meere gerichtet, wiesen jede Nahrung von sich und kümmerten sich weder um Drohungen, noch um Schläge. Allmälig ermatteten sie, verfielen in Zittern und starben aus Sehn sucht nach einem Lande, in welchem ihnen der Tod gewiß war. ES mußte wohl schmerzlich für uns sepn, kräftige Männer und Weiber so vor unseren Augen verwelken zu sehen, ehe sie ihren Herren, die sie so thcuer erkauft, einen Sou eingebracht hatten. „Wir hatten einen Malgachen gekauft, der von diesem dummen Heimweh nicht ergriffen schien. Es war ein flinker, thätiger Bursche, der seine Art mit einer gewissen Gewandtheit führte. Wir behandelten ihn gut, denn bei den Malgachen richtet man mit zu großer Strenge nichts aus. Wenn er Stämme zu Kähnen auShöhlte, die wir dann nach Saint-Pierre verkauften, sah ich ihm zu und half ihm sogar zuweilen. Ich hatte ihn recht liehgewonnen, aber mein Vater faßte Mißtrauen gegen ihn und sagte eines Tages zu mir: „Dein Mal gache wird uns einen Streich spielen; er sieht mir dem Quinola zu ähnlich." Quinola war ein Schwarzer aus Madagaskar, den man seit langer Zeit Ver mißte. Die Einen meinten, er wäre in den Bergen umgekommen, Andere be haupteten, er führe die Negerbanden, die in den Wäldern hausten und, trotz der vielen Jagden, die man nach ihnen anstellte, immer zunahmcn. II. „Zu jener Zeit, meine Herren", fuhr Maurice fort, „hätten wir nicht so ungestört, wie heute, im Walde Pflanzen sammeln können. Die entlausenen Neger hatten die Hochebene inne, die von jähen Abhängen und Schluchten um geben war, wie eine Festung von Wällen und Gräben. Die Raubnester waren fast unzugänglich ; höchstens konnte man an den Fuß der Abhänge ge langen, wenn man die Flüsse hinauffuhr. Dies war jedoch während der Regenzeit unmöglich, und außerdem war man bewaffnet nicht im Stande, die höckerigen, abschüssigen Felsenwände hinanzuklettern. Wir wußten wohl un gefähr, wo die Schwarzen nisteten, denn zuweilen zündeten sie sich in den Nächten Feuer an, weil die Kälte ihnen arg zusetzcn mochte. Wenn sic keine Nahrungsmittel mehr hatten, machten sie in einer finsteren Nacht plötzlich einen Ausfall in die Thäler, plünderten die Gärten, verbrannten und zerstörten in einigen Stunden die Aerndic eines ganzen Jahres. Freilich bewaffneten und versammelten wir uns augenblicklich, aber wie und wo sollten wir an- grcifen? Die Landstreicher waren mit Kokosöl bestrichen und entschlüpften Jedem, der sie fassen wollte, zerstreuten sich durch die Nacht und hatten mit ihrer Beute rascher ihre Schlupfwinkel erreicht, als wir ihnen folgen konnten. Manchmal schlichen sie sich mit ihren Weibern in die Wohnungen, und am Morgen fanden die Pflanzer ihre Häuser ausgelecrt. Für manche Neger ist es wahrhaft Bedürfniß, zu vagabundiren; man fängt sie ein, legt sie an Ket ten, prügelt sie nach Kräften, und kaum ist die Züchtigung zu Ende, so reißen sie von neuem aus, als bestände ihr Leben nur darin, jenen Fehler zu begehen und ibn abzubüßen." „Und man hört noch nicht aus, sie so streng dafür zu strafen, daß sie ihre Freiheit suchen?" fragte ich den Kreolen. „Die milderen Sklavenbesitzer, mein Herr, züchtigen ihre Schwarzen nicht selbst, sondern schicken sie an den Hafen, wo man sie freilich ein wenig hart be handelt. Sie müssen dies ja gesehen haben, als ...." „Lieber Freund", unterbrach ihn der Doktor, „erinnert mich nicht an diese scheußlichen Scencn. Uebrigens, wenn ihr die Erlaubniß, Sklaven zu halten, auf diese Weise mißbraucht, so befördert ihr unfehlbar die Emancipation." „Dank' schön für Ihre Emancipation", rief Maurice. „Ich frage Sie, wozu wäre man dann ein Weißer? Wenn je dergleichen geschähe, ich ginge selbst unter die Neger, verließe mein Dorf und desertirtc aus der Miliz. Man kann ein ganz gemüthliches Leben in diesen Bergen führen, wenn man sich aus der großen menschlichen Gesellschaft nicht viel macht. Es giebt entflohene Sklaven, die länger als zwanzig Jahre dort gelebt haben und, während die übrige Bevölkerung, je nach den Wechselfällen des Krieges, bald englisch, bald französisch war, immer Kaffern und Malgachen blieben. In jener Zeit be unruhigte man sie nicht, und auch sie sahen mit Gleichgültigkeit von ihren Bergen aus zu, wie ihre früheren Herren sich an der Küste herumschlugen. Sie hatten fast im Mittelpunkte der Insel ihr Hauptlager aufgeschlagen. Man nennt diesen Platz noch jetzt das Heinrichslagcr. Dies war ihre Festung; da aber dort nicht genug eßbare Pflanzen wuchsen, besetzten sie, je nach der Jahreszeit, auch andere Punkte, die tiefer gelegen waren. Von diesen kleinen Lagern war dasjenige, was jenseits dcS großen Sees an der Palmen-Ebene lag, am leichtesten zugänglich. Trotz der Unsicherheit aber verweilten die Neger auf diesem Punkte, weil man von dort aus leicht St. Benoit, St. Rose und St. Pierre erreichen konnte und ringsherum im Ueberfluffc Palmen, Ba nanen und andere nährende Pflanzen wuchsen. „Eines Tages nun beschlossen die Kreolen der umliegenden Dörfer, zur Zeit, wo man die Neger in diesem Lager Vermutbete, einen doppelten Angriff auf sie zu machen. Ein Spion wurde zu ihnen geschickt, der sie auf eine falsche Fährte bringen mußte. Alle Maßregeln waren gut getroffen, und es wurde ver abredet, daß man von zwei Seiten auf das Plateau losrü'cken und an einem festgesetzten Tage sich daselbst vereinigen sollte. Bei einer solchen Erpedition gab es viele Strapazen und Gefahren; aber wir kümmerten uns wenig darum. Die Berge locken, wie das Meer; man möchte wissen, was dort oben vorgeht, wie man sehen will, was jenseits des Horizontes ist. Dazu kam, daß unsere Väter Abenteurer von Profession waren und ihr Vergnügen daran hatten, auf den Hügel herumzuklettern, in die Schluchten hinabzuglciten, überall umher zusuchen, ob nicht noch ein Fleckchen Erde zu entdecken sep, und diesen Spür- tricb haben sie aus uns, ihre Kinder, vererbt. Der Zug nun wurde angeführt von alten Kreolen, die früher Sklavenhändler in Madagaskar gewesen waren und nach einem bewegten Leben sich bei uns niedergelassen hatten. Reichthümer brachten sie gerade nicht aus dem Malgachenlande mit, aber eine Menge wunderbarer, abenteuerlicher Geschichten, die wir uns an den Rastorten von ihnen erzählen ließen. „Auf diesen Märschen gingen wir stets barfuß; wir tragen überhaupt nur Schuhe, wenn wir des Sonntags nach dem Dorfe gehen, um nicht für unfreie Mulatten gehalten zu werden. An der Seite die Kalabasse, auf der Schulter die Flinte, zogen wir heiter durch die Wälder. Außerdem hatte Jeder noch eine Pfeife in seinem Hutbande stecken und ein Feuerzeug und einige Provision bei sich. Manche trugen auch noch ein kleines Beil, um die dicken Lianen zu durchhauen, die uns etwa im Wege standen, oder um in Eile eine Brücke über irgend einen Abgrund zu zimmern. Ich machte diese Erpedition in die Palmen- Ebene als Freiwilliger mit. Ich war damals kaum siebzehn Jahr alt, fand eS aber nicht für schwerer, Neger zu verfolgen, als auf dem Felsen Tölpel- nester auszuhcben. Und welches Kind auf unserer Insel hat nicht hundertmal sein Leben gewagt, um diese Secvögcl aus ihren Löchern hcrauSzuholen? Wir gelangten in den Wald des Vieur-Brule. Dieser Vulkan, den Sie fast an der Südspitze der Insel rauchen sehen, scheint wahrhaftig eine Reise durch die selbe gemacht zu haben, ehe er sich dorthin postirte, denn in der ganzen Länge jenes ungeheuren Waldes tritt man auf Lava- Man geht dort wie auf Glas und hat wahre Hallen von Laub über sich, denn aus den erkalteten Feuerwellen ist der üppigste Daumwuchö hervorgesprosscn. Wenn aber die Sonne die dichte Blättermaffe durchbricht, dann ist man wohl im Schatten, doch die Füße wollen in dem heiße» Sande verbrennen. Das Gras, auf das man tritt, zerfällt in Staub und Asche, und der Seewind rauscht in den obersten Wipfeln des Waldes und spottet des verschmachtenden Wanderers." Der Kreole konnte nicht von jenen heißen Tagen reden, ohne an seine Kalabasse zu denken. Aber sie wäre bei dem häufigen Durste des braven Mannes längst leer gewesen, hätten wir sie ihm nicht mit einer Flasche alten französischen Weines wieder gefüllt. „Danke, meine Herren", crwiedertc er, sich den Mund mit dem Rücken seiner Hand trocknend, „so ein Trunk hätte uns Noth gethan auf unserer Jagd! — Nach einer beschwerlichen Tagereise machten wir in einer Bergschlucht Halt, unter großen Takamakas, die halb entwurzelt über den Abgrund hingen und nur auf einen tüchtigen Windstoß warteten, um auf uns hinunterzustürzen. Nur noch einige Stunden hatten wir zu steigen, um auf das Plateau zu kom men, wo die Schwarzen hausten-, aber war das Wild noch oben, das wir suchten? DaS mußten wir wissen. Ein junger Mann aus der Truppe erbot sich, voranzuklcttcrn und uns durch einen hinabgeworfencn Stein das Zeichen zum Aufbruch zu geben. „Wenn Quinola bei ihnen ist", sagten die Einen, „so wird man das Nest wohl finden, aber die Vögel werden ausgeflogen sepn." — „Bah!" antworteten die Anderen, „wenn Quinola noch lebte, würde man ihn unter den Banden bemerken." Die Schwarzen, die man seit mehreren Jahren wieder eingefangen hatte, bestätigten sämmtlich, daß er noch in den Bergen wohne, sich aber unsichtbar machen könne, weil er in Zauberkünsten erfahren sep. Sie nannten ihn auch Ombia, den Großpriester. So viel war sicher, in den Städten spottete man derer>die Quinola am Leben glaubten, in den Dörfern aber nahm man die Sache ernster, und seine Gefährlichkeit war so in Aller Munde, daß man mit seinem Namen die Kinder schreckte. Ich, für mein Theil, konnte mir recht gut denken, daß er noch irgendwo im Walde lebte, aber zu schlau war, seinen Raubgenossen sein Versteck zu vcrrathen; aber ich konnte eine geheime Furcht vor diesem Menschen, vor diesem Neger will ich sagen, nicht los werden. Ich war nämlich einmal als Knabe weit vom Hause Blumen pflücken gegangen, und während ich so auf der Erde kauere, steht plötzlich ein alter Malgache mit weißem Haar hinter mir. Sie