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ES giebt verschiedene Arten von Reisenden, die die Welt durchwandern: Einige erzählen uns, wie sie essen und trinken, wann sie aufstehen und zu Bette gehen, wann sie weine» oder lachen, wie sie sich ans Lustpartieen ihre Zeit verkürzen, sie berichten uns endlich Alles, was ihr wichtiges Individuum zu jeder Stunde des Tages erlebt hat; Andere fahren hinaus, um in der Fremde ihren Gewohnheiten und Neigungen ungehindert zn fröhnen, hoffen auch wohl, ihre Lieblingsträume und Utopien dort erfüllt zu sehen, und sind empört über das barbarische Land oder Volk, das, nach eigenen Sitten und Gesetzen lebend, sich einen besonderen Weg zur Erreichung seiner Bestimmung gebahnt hat. Der Jünger also, der im fremden Lande lehren und nicht lernen wollte, der Apostel, den Niemand verstehen kann oder mag, o! der große Mann fühlt sich im Innersten verletzt und schüttet dann seinen gewaltigen Groll über ein ganzes Volk aus. Gering ist aber die Zahl der Reisenden, die ihre Landsleute gewissenhaft aufklären über alles Neue und Unbekannte, was ihnen in den Sitten und Ge setzen, in der Geschichte, in den Künsten und Wissenschaften des Auslandes entgegentritt. Dazu ist nothwendig, sich in ein Volk hinein zu denken und zu leben und cS ohne Vorurtheil nach allen Seiten hin zu studiren. Herr v. La londe gehört zu dieser Kategorie und hat darum auch ein sehr lehrreiches Werk geliefert. ES entgeht ihm Nichts, was nur irgend wissenswerth ist; die Vcr gangenheit und Gegenwart der französischen Schweiz, alle bedeutende Männer, die dem Lande angehören oder die sich dort aufgehalten haben, lehrt er uns kennen, und mit wenigen Ausnahmen kann man Alles unterschreiben, was er uns mittheilt. Diese wenigen Ausnahmen berühren aber gerade recht empfind- liche Punkte; der Verfasser ist nämlich ein strenger Katholik und eifert gegen die Protestanten und Philosophen. Er möchte die verirrten Schafe gern wieder in den allgemein» Schafstall unter die Obhut eines einzigen Hirten zurückführen; er hält ihnen Buß- und Strafpredigten und wendet alle seine Logik an, um sie wieder in den Schoß der alleinseligmachen den Kirche hineinzulocken. Verzeiht man dem Autor diese seine Lieblings neigung und Schwäche, — (und da er sie so offen und unschuldig ohne jesuitisch verhüllte Nebenabsichten gesteht, wird man sie ihm wohl verzeihen) — so kann er uns als treuer und gewissenhafter Mentor in diesen» Theile der Schweiz dienen. Wir heben unter Anderem Folgendes aus dieser Reisebeschreibung hervor: „Seit dem Jahre 1816 sind englische Methodisten in der französischen Schweiz ansässig. Sie lehren also: „der Glaube ist Alles, bewirkt Alles, die That aber Nichts. Der Sünder wird ohne sein Dazuthun tugendhaft, durch höhere Vermittelung, durch eine inner» Stimme. Seine eigene Bemühung zur Erlangung dieser Gnade wäre sogar ein Verbrechen. Jeder Ungläubige wird verdammt, was er auch dagegen thue, der Gläubige aber wird selig, bloß weil er glaubt, trotz seiner Handlungen." Demnach wäre der Mensch eine bloße Maschine, die von der Vorsehung zu Gutem und Bösem angeleitet, also für Nichts mehr verantwortlich sepn könnte. Diese gefährliche Lehre ist jetzt besonders unter den arbeitenden Klaffen Genfs eingewurzelt, die durch die Freigebigkeit der englischen Apostel bestochen worden sind. Daher rührt aber auch so mancher Zwiespalt in vielen Familien dieser Stadt, von denen ein Kind der kalvinistischen, ein anderes der katholischen, ein drittes der methodistischen Konfession angehört, und da sic mit Eifer an ihrem Glauben hängen, so entstehen daraus die heftigsten Reibungen. Die Priester dieser verschiedenen Sekten verfolgen sich natürlich auch unter einander, und einein früheren protestantischen Prediger ward eS vom Magistrat untersagt, eine Kirche auf seine eigenen Kosten zu bauen. So protestiren die Einen gegen die Anderen. — Herr Malan, so heißt der Prediger, dem eS nicht zugestanden ward, eine Kirche zu bauen, trennte sich von seinen Kollegen, welche die Gottheit Christi bezweifelten. Sic verlangten nämlich von den Kandidaten der Theologie folgendes schriftliche Geständniß: „Wir versprechen, so lange wir in den Kirchen des KantonS Genf predigen, unsere Meinung nicht aus- *) oi» plttoresque, instoriyue et litteruire r» 6eueve et äao» te O»lltvo äs Vsuä (Luisse) p»r A. äe monä«. 2 vol. vantn, rue äe »u„7, »843. -»sprechen 1) über die Weise, in welcher die göttliche Natur mit Jesus Christus vereint scy; 2) über die Erbsünde rc. re." „Darauf trat Malan seinen früheren Amtsbrüdern feindlich gegenüber und beschloß, eine neue Religion der wahrhaft Gläubigen, welche aber höhnisch von der Gegenpartei die „momiers" (von momie, Mumie) genannt wurden, zu stiften. Malan ließ, weil es in der Stadt nicht erlaubt ward, außerhalb derselben einen Tempel bauen, wo sich denn die neue Gemeinde zur Andacht und zu frommen Zwecken häufig versammelt. Die Zahl der wenigen AuSerwähltcn ward bald durch einen Haufen Proselyten vermehrt. Sie glauben, daß sie allein den echten Weg zum Heil gefunden haben, daß es Jedermann erlaubt sey, die Schrift nach seinem Erkenntnißvermögen auSzu- legen, daß übrigens der heilige Geist jedem Gläubigen den wahren Sinn der selben andeute; daß, da Christus sür alle AuSerwählte gestorben, man nur zu glauben brauche, um selig zu werden. Der größte Verbrecher sey dieser Glückseligkeit theilhastig ; der allein werde verdammt, welcher dies nicht glaube, denn Christus selber habe gesagt: „Wer glaubt und getauft ist, wird selig werden." (Ev. Markus K. 17. V. IK.)" Um diese neue Lehre ganz und gar kennen zu lernen, macht unser Rei sender dem Gründer derselben, dem Herrn Malan, einen Besuch. ES ent- spinnt sich ein theologischer Wettstreit unter Beiden; der Eine will den An deren für seine Lehre gewinnen. Malan, dessen Logik und Gelehrsamkeit ohne Wirkung auf seinen Antagonisten bleiben, fängt darauf an zu singen und seinen Gesang mit der Orgel zu begleiten. Auch dieses Mittel schlägt nicht an; ihr Streit beginnt von neuem, sie belegen mit Bibelstellen, was sie durch führen wollen, sie werden nicht cinS; der Eine hält nur den Glauben ohne die guten Werke nothwcndig fürs Seelenheil, der Andere besteht aber auf beiden Punkten. Malan war bettelarm, ehe er Methodist wurde; seitdem reiste er, gab Gastrollen, besonders in England, wo er mit Predigten und seinem Gesang jährlich »0,000 Francs gewonnen und jetzt mit seiner zahlreichen Familie im Besitz eine» anständigen Vermögens ist. In unseren Tagen wird auf Alles spekulirt, sogar aus die Religion. — Malan ist übrigens einer von den Pri- vilegirten, denen Gott noch heute erscheint. — So entschuldigte er sich, als er eines TageS zu spät in die Kirche kam: daß er mit Christus so eben eine lange Unterredung gehabt habe. Die literarischen Charakteristiken bieten noch viel mehr Interesse: Wie z. B. Voltaire im Jahre 1770 Kapuziner vom Kloster Ger wird und sich „Bruder Franz" nennt; wie er 1768 beichtet, kommunizirt und in der Kirche predigt gegen einen Dieb, der ihm eine Kuh aus dem Stalle gestohlen hatte. Er beutet auf den in der Kirche anwesenden Verbrecher, ermahnt ihn, „sich mit Gott auszusöhnen, dem er besonderen Dank dafür schulde, daß cr noch nicht gehängt sey", und daß er ihm einen so gnädigen Herrn, wie ihn, den Herrn v. Voltaire, gegeben habe; er dringt in ihn, dein Priester oder ihm (Voltaire) selber seine Sünden zu beichten. — ES war gerade Ostern, und Voltaire hielt einen stattlichen Einzug mit allen seinen Vasallen, die mit Flinten und Hellebarden bewaffnet waren, in die Kirche. Musik und Trom meln begleiteten diesen Zug. Der Bischof der Diözese war darüber erzürnt und schrieb sehr ernste Briese an Voltaire, der ihm darauf sehr unterthänigst und respektvoll antwortete. Der Philosoph fürchtete damals die Geistlichkeit, denn es war ihm wohl bekannt, daß sie bei Hose daraus hinarbcitete, alle Schriften des „gottlosen Spötters" zu verbieten. Ueber Rousseau, von dem der Verfasser 120 unbekannte Autographen bei Herrn Coindet gesehen, theilt er mit, wie langsam und mühevoll der be rühmte Denker geschrieben, wie cr sonst immer jeden Brief mit diesen vier Versen angefangen: „ksuvrer avevxle« que vou« somme,! (-lel, äemssHue les Importeurs, Lt koree leur» i>»rt)Lre« eoeur» s'ouvrir sux rezaräs äe» ilomwes Ein Brief von Rouffeau'S Vater ist besonders merkwürdig; der alte Genfer Uhrmacher beklagt sich bitter darüber, daß sein ungehorsamer Sohn seine Zeit mit Bücherlesen und schriftstellerischen Versuchen vertändele. ES ist unmöglich, einen vollständigen Begriff von diesem interessanten Werke zu geben, man müßte sonst die Geschichte der Literatur, der Politik und der Religion der Schweiz ausführlich behandeln. Schließlich nur noch Einiges über das Winzerfest, welches von Zeit zu Zeit in Vevey gefeiert wird. An 17,000 Menschen wohnten diesem Feste bei. Mehrere Tage ver- flossen unter Musik, Tanz und Gesang. Zwei Winzer wurden mit der Me-