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Wöchentlich erscheine» drei Nummern. Pröuumeralionr-Prei- 22j Siibergr. Thlr.) »iertelsihrlich, 3 THIr. für daS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theile» der Preußische» Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Luchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägcrslraßc Nr. 28), so wie von allen König!. Post - Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 4-' 33. Berlin, Dienstag den 18. März 1848. Frankreich. Chateaubriand und sein neuestes Werk. Chateaubriand, der berühmte Veteran der französischen Literatur, dessen Biographie der begierigen Lesewclt noch vorenthalten wird, hat vorläufig ein Stück seiner Lebensgeschichte dem neuesten Produkt seiner Feder cinvcrleibl, es ist dies die in diesen Blättern bereits erwähnte „Vie eie Uiwee", eine Biogra phie des bekannten Reformators von La Trappe, Jean Armand de Rance, Abbe de la Trappe. Chateaubriand der Greis erzählt nach Art alter Leute, die vom Hundertsten ins Tausendste gerathen; bald spricht er von den Zeit genossen Rancv'S, bald von seinen eigenen und, was gar seltsam klingt: von beiden mit jen'er kleinen Bosheit, jenem Wohlgefallen am Skandal, die weit entfernt ist von historischer Strenge. Seine Landsleute, und namentlich der geist reiche Kritiker Sainte Beuve, haben der Biographie Rance'S viel Weihrauch gestreut, sie beugen sich rücksichtslos vor dem Ruhm und dem Alter des Ver fassers; ich gestehe aber, daß ich mich nicht zu ähnlicher Schonung gedrungen fühle. Es giebt überhaupt Ruhmesglorien, die, in der Nähe betrachtet, der- schwinden wie der Abendschein, wenn er Fensterglas vergoldete; so giebt es auch Menschen und Bücher, deren Namen in der literarischen Welt gleichsam heilig gesprochen wurden, ohne daß die Tradition wiverlegt wird, weil Niemand sie prüft, sondern blindlings glaubt. Wie mancher Nimbus würde sonst spurlos sich verlieren! Mit Chateaubriand's gefeiertem Namen ist es mir lhcilweiS ähnlich ergangen; wie hatte mich nicht seine Atala begeistert, so lange ich sie nur von Hörensagen kannte! Schon der bloße Name klang mir wie pcrsoni- fizirtcr Blumcnduft; ich glaubte, beim Lesen müßten die zartesten, heiligsten Empfindungen wie das fromme Echo einer Orgel in einsamer Kirche durch meine Seele vibriren — und was sand ich? Ein grellbuntes Gemisch von Phantasie und Sinnlichkeit, wie ich es nicht in die Hände unserer Jugend ge ben möchte! Die unleugbaren poetischen Schönheiten sind zu vereinzelt, um mit dem Ganzen aussöhnen zu können ; die feurige Natur der Tropenländer verstand der Verfasser meisterhaft zu schildern, aber in der Natur der Gefühls welt ist er nicht heimisch, er verirrt sich beständig in Affectationen. Seine Liebe ist nur üppig, sein Schmerz gemaltes Feuer! Chateaubriand s Muse ge hört überhaupt mehr der Phantasie an als der Empfindung und dem geistigen Element; das schimmernde Prisma der Phantasie erscheint zwar zuweilen wie Geistesfunken, aber der Geist fehlt doch und mit ihm die Ordnung und Klar- heit, die Folgerichtigkeit. So hat auch Chateaubriand's berühmtestes Werk: le gerne «In Oliri.-iliuniüine, von welchem Atala nur eine Episode ist, die spä terhin abgesondert erschien, nicht das Verdienst einer schlagenden Beweisfüh rung, sondern daS einer Poetisirnng des Christenthums, welche die Gemüther tief ergriff, weil sie in der Zeit gänzlicher Dürre und Verkommenheit in der religiösen Sphäre wie ein Sonnenstrahl erschien, nämlich unmittelbar nach den Stürmen der Revolution. Napoleon begünstigte die Erscheinung dieser wirksamen Schrift, um seinen Plänen zur Wiederbelebung des katholischen Kultus Vor schub zu leisten; später soll dies der Kaiser bereut haben, wie der Ver- fasser in der Vorrede zur Gesammtausgabe seiner Werke behauptet, da er als Parteiführer der Legitimisten dem kaiserlichen „Usurpator" gefährlich geworden. Es ist dies wohl nur eine Autorcitclkeit, die an die ähnliche nur größere der Frau von Stavl erinnert; mit Phrasen, wie sie Chateaubriand's Geist des Christen thums bringt, ließ sich der „Welteroberer" nicht schrecken! Der Ruhm, den derselbe für Frankreich errungen, hat übrigens Chateaubriand nicht kalt gelassen; in seinem neusten Werk, dem oben genannten Leben des Abbe Rance, streut er dem Kaiser cben so viel Weihrauch wie dem legitimistischen Idol Heinrich V. Die öftere Erwähnung der knicbeugenden Demonstration, die dem Prinzen in England von den Legitimisten, worunter Chateaubriand, dargebracht wurde, trägt neben den Ergießungen über Napoleon und die eige nen kleinen LebenSereigniffe bedeutend zu der Zerflossenheit, Weitläufigkeit und Planlosigkeit des Buches bei. Die übrigen Abschweifungen verzeiht man eher, weil sie meistens von der Poesie der Erinnerung herbcigeführt werden und manche schöne Stelle bezeichnen. Chateaubriand ist ein Dichter, aber kein Histo riker, das wird hinlänglich durch sein neuestes Werk bewiesen. Der Gegenstand desselben bietet übrigens reichen Stoff für ein interessantes Stück Spezial geschichte aus der religiös bewegten Zeit des I7ten Jahrhunderts, wie sie sich in Frankreich manifestirtc. Es ist merkwürdig, mit welcher Inbrunst der Reue die Sünder und besonders die schönen Sünderinnen, deren cS viele gab, stets zur Buße zurückkehrten, sich in Klöster vergruben und trachteten durch ihr Beispiel die Mitmenschen zu erbauen und zu bekehren. Im folgenden Jahr- hundert verlernte die Sünde jede Umkehr und setzte an die Stelle frommer Neue die Philosophie des Zweifels, sic verspottete die Religion wie eine abge setzte Zuchtmeisterin und suchte lachend nach Lebensgenuß. Bei den Nachkom men jener Zeit, unseren Zeitgenossen, hat der religiöse Zweifel eine andere Phy- siognomie angenommen: er ist melancholisch, der Spott hat sich in eine Art Trauer verwandelt über daS Nichtglau denk önuen, was zur Zeit der En- cpklopädisten nur ein Nichtglaubenwollcn war. — Neben der Gläubig keit deck I7tcn Jahrhunderts machte sich aber die Verderbtheit nicht minder breit und bereitete den Untergang der erster» unausbleiblich vor, wenn auch die Buße, ich möchte sagen, noch Mode war. Es ist entsetzlich, wie verderbt besonders die Frauen und die Geistlichkeit jener Zeit waren; das Leben des Abbö Ranc«, des nachherigen reuevollen Reformators von La Trappe, giebt ein unwiderlegliches Zeugniß davon ab. Selbst die vorsichtigsten günstigsten Biographen desselben können nicht verbergen, daß er, obwohl seit der Wiege für die Kirche bestimmt, nur für die Welt lebte, bis ein erschütterndes Ereig- niß: der Tod einer geliebten Person, ihn zur Umkehr vermochte. Dieser Um stand spricht jedoch mehr für die Romantik seines Gefühls als für die Reinheit seiner Grundsätze. Die Geliebte des Adbö de Ranc» war die Herzogin von Montbazon, die gefeiertste Schönheit am Hose Ludwigs XlV., aber, wie fast alle Frauen jener Zeit, kokett und habsüchtig. Liebhaber und Bestechlichkeit wirft Chateaubriand auch der schönen Herzogin von Longuevillc und der Prin zessin von Cleve vor, derselben, die uns in dem Roman der Frau von Lafayette als Tugendhcldin dargestellt wird, und selbst die liebenswürdige Sevignv spricht er nicht frei von Habsucht und Erbschleicherei. Die romantische Sage über den Tod der Geliebten Rance'S sucht Chateaubriand gültig zu erhalten, weil jeder Dichter sich dafür aussprechen müsse. Es wird nämlich erzählt, der ver liebte Abbö sei von einer kleinen Reise zurückkehrcnd noch Abends spät in das Hotel Montbazon gegangen, um die schöne Herzogin, die ihm nur zu ost Ge legenheit zur Eifersucht gegeben, zu überraschen. Als bevorzugter Liebhaber habe er stets den Schlüssel zu einem geheimen Eingänge in die Zimmer der Herzogin bei sich getragen, und so sey es ihm möglich gewesen, von Nieman den bemerkt zu ihr zu gelangen. Er öffnet die Thür und findet die Geliebte im Sarge! sie war während seiner achttägigen Abwesenheit plötzlich gestorben, und ihr schöner Kopf lag, in Folge einer von den Aerzten vorgenommenen Operation, abgeschnitten aus dem Tisch. Rance, in Verzweiflung, bemächtigt sich des geliebten Hauptes und stürzt hinweg. Fortan arbeitete er an seiner Be kehrung und wünschte nichts eifriger, als seinen Schmerz in den Bußübungen der Einsamkeit und Selbstabtödtung des Klosters von La Trappe zu begraben, wobei er den geliebten Todtenkopf nie wieder von seiner Seite gelassen haben soll. Andere Biographen behaupten dagegen, die Herzogin von Montbazon wäre in der Blllthe der Schönheit an den Blattern gestorben, und ihr Freund Rancö habe ihr im Todeskampfc beigestaudcn. Der tiefe Eindruck, den der Schmerz um den Verlust und das Entsetzen über die Vergänglichkeit und Nich- tigkeit von so viel irdischem Glück auf ihn gemacht, sei allerdings die Veran lassung seines veränderten Lebens gewesen. Er war erst ZI Jahr alt, als er der Welt Valet sagte, die Herzogin dagegen schon über 48, als sie starb; wie sich das mit der vielgerühmten Blüthe der Schönheit zusammenreimt, lasse ich galanterweise dahingestellt seyn. Ranc« zog sich nach dem Tode seiner Gelieb ten auf sein prachtvolles Landhaus Beretz zurück, aber sein Schmerz steigerte sich nur dort, wo ihn so viel weltliche Erinnerung umgab, er verkaufte all sein Silbergeräth, seine Möbel und Bibliothek, und endlich auch das Gut selbst ; den Ertrag schenkte er frommen Stiftungen. Er entsagte seinen Pfründen und suchte sich ein Plätzchen, um darauf zu sterben, im Kloster. Die Abtei La Trappe war schon im Jahr 1122 gegründet, jedoch nach und nach in äußer, sten Verfall gerathen; die Möuche waren nur noch dem Namen nach Mönche, die Klosterregeln eristirlen nicht mehr, selbst die Mauern des Klosters drohten den Einsturz. Rancö schritt mit Feuereifer zu Verbesserungen aller Art, aber er mußte lange kämpfen, bis sic ihm gelangen; er hatte das Schicksal aller Reformatoren, verkannt und gehemmt zu werden von denen, auf deren Hülfe er am meisten gezählt. So fand er in Rom, wohin er sich zweimal deshalb begab, keine Unterstützung ; man hielt ihn für überspannt, für herrschsüchtig, und nannte seinen frommen Eifer un» tun« frunoes«. Als er sich seines Ver mögens entledigen wollte, hatte er mehr Mühe wie Mancher, der Vermögen erwerben will; seine Verwandten widersetzten sich seinem Vorhaben nach allen Kräften. Es dauerte lange, bis er in seiner klösterlichen Zurückgezogenheit die Ruhe fand, wonach er sich sehnte. Er ist von vielen Seiten angefochten, und bis zuletzt hat man ihm vorgeworfen, Janscnist zu seyn; sein Freund Bossuct übte jedoch so viel Einfluß auf ihn, um ihm eine andere Ueberzeugung beizu bringen. Die Strenge des Jansenismus mußte des eifrigen Trappisten Sym pathie erwecken, auch blieb er stets ein Vertheidiger desselben. Gegen den im