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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration-.Preis 22 j Silbcrgr. (^ Thlr.) vierteijährüch, 3 Thir. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in alten Theilen der Preußischen Monarchie. für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beil u. Comp., Jägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Acmtern, angenommen. Literatur des Auslandes. Berlin, Sonnabend den 1. März 1845 Frankreich. Die französische Akademie zur Zeit Corneille'?. Als die Mitglieder der neuen Akademie von Richelieu ernannt waren, dachten sie daran, wie sic sich beschäftigen und der Welt eine Idee von den Leistungen gebe» sollten, deren sie fähig wären. Sie kamen daher überein, abwechselnd über beliebige Gegenstände Vorträge von beliebiger Länge zu halten, und zwar jede-Woche einen, was, bei dreißig Akademikern, für dreißig Wochen Stoff zur Unterhaltung gab. Einige von diesen Reden waren thcilü in Bezug auf das Thema, das sic behandelten, theils wegen ihrer eigcnthümlichen Abfassung höchst merkwürdig. So sprach ein gewisser Godeau gegen die Bercdtsamkeit, de l'Etoile über die Vorzüge der Poesie und die Seltenheit ausgezeichneter Dichter, Bardin darüber, daß cs etwas gäbe, das mehr sey als Alles, und etwas, das weniger sey als nichts. Der letztere Vortrag stellte eine Art von philosophischem Räthsel vor, dessen Auflösung Gott und die Sünde war. Chapelain sprach gegen die Liebe und suchte in feiner Abhandlung dieser Leidenschaft die Göttlichkeit zu nehmen, die ihr die Alten beigclegt hatten. Ihm antwortete DeSmarets' Aufsatz über die Liebe der Geister, in welchem er beweist, daß, wenn die Liebe des Herrn Chapelain tadclnSwerth und verächtlich sep, die seine nicht nur geschätzt werden müsse, sondern sogar etwas Göttliches habe, worauf Boissat die Verhandlungen über diesen Gegenstand damit schloß, daß er die sinnliche Liebe wieder in ihre Rechte cinsetzte. Man brachte die Zahl der Vorträge bis auf zwanzig, da mehrere Mitglieder sich davon dispcnfirt halten, ihren Beitrag zu dem geistigen Piknik zu liefern. Wie viel Geist und Beredtsamkeit auch in diesen Vorträgen mag entwickelt worden scpn, so waren dieselben denn doch den Stplübungen der Gymnasiasten gar sehr ähnlich und entsprachen dem Zwecke wenig, den sich die Akademie hätte vorsetzen sollen. Dessenungeachtet waren Einige, als man die zwanzig ' Reden gehört hatte, der Meinung, cs müsse wieder von vorn angefangen werden und sofort in mstnicum. Manche sanden auch wirklich ihre Rechnung bei diesen Uebungcn, denn sie benutzten dieselben als eine erwünschte Gelegen, heil, die Feinheit ihres Geistes und die ganze Gewalt ihrer Logik an den Mann zu bringen. Andere hatten die vernünftige Ansicht, daß solches Wort gefecht wohl einige Monate unterhalten könne; aber das ganze Leben damit hinzubringen und die Geisteskräfte keiner anderen Beschäftigung zuzuwenden, sey ein Mißbrauch, denn Alles, was man bis dahin erreicht habe, sey, daß man sich gegenseitig kennen lernte und seine Kräfte prüfte. ES machte sich also das Bcdürfniß eines reellen Zieles geltend und der Wunsch, der Mit- und Nachwelt wahrhaft zu nützen. Auch Richelieu, dem jene Verstandesspiele nur kurze Zeit gefallen konnten, war für diese Richtung der Akademie, die nun anfiug, sich mit der Abfassung ihres berühmten Dictionnaire's, mit der Grammatik und Rhetorik zu beschäftigen, als ihr unerwartet eine neue Arbeit dargeboten wurde. Der Kardinal hatte eine große Vorliebe für das Theater und protcgirte daher die tragischen wie die komischen Schauspieler aufs freigebigste. Er ließ mit großen Kosten ein prächtiges Schauspielhaus errichten, wo die dramatische Kunst, die sich bis dahin mit Scheunen und Privathäusern hatte begnügen müssen, ein würdiges Asyl fand. Und hierbei blieb er nicht stehen; er glaubte nicht genug gcthan zu haben, wenn er das Theater als Minister unterstützte, sondern wollte auch geistig seinen Antheil zu der wissenschaftlichen Umwälzung beitragcn, die sich in Frankreich vorbereitete. Darum wohnte er nicht nur jedem neuen Stücke bei und ermuthigte die Autoren durch Geldgeschenke, son dern unterhielt sich auch mit ihnen angelegentlich über Stoff und Plan ihrer Werke. Manche Dichter mochten freilich die Geschenke des Kardinals seinen dramaturgischen Ideen vorzichcn, aber um den Gönner zu haben, nahmen sie den Mitarbeiter mit in den Kauf. Richelieu beschränkte sich nicht darauf, diejenigen Autoren zu unterstützen, die bereits für das Theater geschrieben hatten, sondern wo sich in einem anderen Fache ein Schöngeist ausgezeichnet hatte, suchte er denselben durch alle mögliche Bestechungen und Schmeicheleien für seine dramatische Armee zu werben. So galt z. B. DesmarctS damals für eines der größten Talente der Zeit. Er hatte zwar crst einen einzigen Roman „Ariane" geschrieben, aber durch denselben allgemeinen Enthusiasmus erregt. Dem Kardinal leuchtete cS ein, welchen Nutzen er aus einem so reichen Geiste ziehen könnte, der bereits entdeckt hatte, daß Homer und Virgil einen Strich über Chapelain zu setzen seyen. Da aber der Verfasser der „Ariane" wenig Lust zeigte, für die Bühne zu schreiben, so forderte ihn Richelieu ans, wenigstens ein Süjet zu erfinden, das er einem Anderen zur Ausarbeitung übergeben könnte. Desmarcts, welcher glaubte, es wcrde hier bei sein Bewenden haben, machte die Plänc zu vier Stücken und brachte sie ihm. Der Plan der „Aspafia" gefiel dem Kardinal außerordentlich; er lobte und belohnte den Erfinder, meinte aber, wer ein solches Süjet habe aus- denken können, der sey allein fähig, cs würdig auszuarbeiten. Desmarcts durste nicht nein sagen, setzte das Stück in Verse und hatte die Ehre, daß es vor dem Herzog von Parma aufgeführt wurde. Als Richelieu sah, daß sein Schützling für das Drama eben so Ausgezeichnetes leistete, als für den Ro- man, so verlangte er von ihm, daß er ihm jährlich wenigstens ein Stück liefern sollte. Desmarcts beschäftigte sich damals mit seinem Hauptwerk, dem prächtigen Gedichte „Clovis", das, hoffte er, der französischen Literatur zum großen Ruhme gereichen und den Streit zwischen dem Alten und Modernen, den er selbst angeregt hatte , entscheiden würde. Er stellte dem Kardinal vor, daß er gegen den Ruhm Frankreichs und des Königs handle, wenn er ihn zwinge, seine Dichtung zu unterbrechen. Richelieu antwortete ihm wie ein Egoist: er hoffte nicht, so lange zu leben, daß er den „EloviS" könnte beendet sehen, und zöge es vor, bei seinen Lebzeiten das Talent Desmarcts' zu genießen. So mußte dieser, er mochte nun wollen oder nicht, mehrere pmees üv cowöäie, wie man damals sagte, schreiben und halte eS auch nicht zu bereuen, denn sie brachten ihm so viel Ruhm und Geld ein, als je ein Dichter gewonnen. Unter den von ihm verfaßten Glücken war INirame eines der berühmtesten, an welchem sich der Kardinal so stark betheiligt hatte, daß ihn die Nachwelt beschuldigte, der alleinige Autor zu seyn. Mit Wrame wurden noch mehrere andere Dramen hcrausgegeben, an denen Richelieu fünf Autoren arbeiten ließ, indem er Jedem, nachdem einmal das Gerippe des Stücks vollendet war, einen Akt in Verse zu bringen übertrug. Unter diesen Autoren war Einer, der sich durch seine Gewandtheit im Reimen auSzcichncte; er hieß Pierre Cor- neille, war ein junger Advokat aus Roucn und nach Paris gekommen, um daselbst sein Glück zu suchen. Richclieu, dcr in dem jungen Manne, den man ihm empfohlen hatte, ein Talent witterte, beschäftigte ihn wie die An deren, obgleich er nicht zur Akademie gehörte. Corneille aber, der schvn Melite, Clitandre, la Veuvs, la Kalorie du kalai«, la Zuivaute und andere Stücke, selbst auf Befehl des Kardinals eines mit vielem Spektakel, das auf höchst anmuthige Weise ans Tragische streifte, verfaßt hatte, ließ plötzlich den „Cid" spielen, den man ihm nicht anbefohlcn hatte, und zu dem er so unver schämt war, ganz allein den Stoff in einer spanischen Romanze zu finden. Meiner Treu, das überschritt alle Gränzcn; Richelieu und die Akademie sahen sich vollkommen überflügelt, die Schöpfungen Hardp's und Garnicr'S zerrannen in Nichts. Das Publikum fühlte, daß man ihm noch nichts Achn- licheS vorgeführt hatte, obgleich cs sich von den Schönheiten des Gedichts keine genaue Rechenschaft geben konnte. „Schön wie der Cid", diese Redens art wurde sprüchwörtlich und schildert bündig die allgemeine Begeisterung. „Man konnte nicht müde werden", sagt Pelisson, „den Cid zu sehen ; man hörte nichts Anderes in Gesellschaften, Jeder wußte ein Stück davon aus wendig, und sogar die Kinder ließ man daraus lernen." Bis dahin hatten die übrigen Schriftsteller geduldig dem Ruhme Corneillc's zugcsehen. Man be trachtete ihn nur als Mode-Autor, dessen Stücke von den Schauspielern ge schätzt wurden, weil sie viel Geld einbrachten, und vom Publikum, weil sie unterhaltend waren. Hardy, welcher dcr allzeilfertige Theaterdichter war und als solcher einen Antheil an jeder Benefiz-Einnahme hatte, sagte, als man ihm sein Kontingent von der Einnahme des „Melile" brachte: „Wie'S scheint, ist die Farce gut." Als aber dcr „Cid" erschien, brach eine allge meine Verwirrung herein: die Schriftsteller hielten nicht länger an sich, und selbst der Kardinal, sagt Fontenelle, war so erschrocken, als ständen die Spanier vor den Thoren. , Herr von Scudery übernahm eS, den ersten Streich zu führen. Der be rühmte Verfasser des Ligdamon und Orontes durfte einen solchen RuhmeS- gcnoffen nicht neben sich dulden. ES war schon eine Schande für ihn, daß sich die Menge zu anderen Stücken drängte, als zu den seinigcn, für ihn, dcr sich durch seine „Tyrannische Liebe", die im nächsten Jahre hätte ausgeführt werden sollen, bereits wieder einen Lorbecrwald gesät balle, den cin junger armer Advokqt zertreten konnte. Er gab Ob^ervalion« nur le Kick heraus und zeigte » priori, daß man wenig Urthcil haben müsse, wenn man ein Stück von solchem Gehalte gut finden könne, cin Stück, in welchem jcdc Regel verletzt und keines von den edlen Gefühlen zu finden sey, denen man in den (einigen auf jeder Seite begegnet, in welchem man Alles alsbald verstände und dem Zuhörer das Vergnügen genommen sep, den Sinn eines Satzes aus