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88 Frankreich. Die französischen Werkgerichte. ES war vor kurzem in diesen Blättern von der Errichtung von Werk- gerichtet in Paris die Rede- Wir fügen jener Notiz noch einige Bemerkungen bei, die wir französischen Zeitschriften entnehmen. Tribunale, die aus den Abgeordneten eines Gewerkes zusammengesetzt waren und über die Streitigkeiten ihrer Standesgenoffen entschieden, gab es schon vor langer Zeit in mehreren Städten Frankreichs. Man nannte sie Lonseils äe kruä'iiomuws (Räthe der weisen Männer) und glaubt, daß sie in den alten Kaufmannsgilden entstanden sepen. Das erste, dessen in der Geschichte erwähnt wird, ist das Fischergcricht in Marseille, 1482 von König Rene zur Schlichtung der Streitigkeiten unter den Fischern gegründet. Dasselbe eristirt noch heute und machte sich erst vor kurzem bei der Ankunft der Herzogin von Aumale in Frankreich bemerkbar, bei welcher Gelegenheit eS in seinem malerischen Kostüm unter den glückwünschenden Körperschaften erschien. Im Jahre 1806 wurden für die Seidenfabriken in Lpon ähnliche Gerichte installirt, welche die Aufgabe erhielten, auf friedlichem Wege die kleinen Differenzen beizulegen, die sich täglich zwischen Fabrikanten und Arbeitern, zwischen Auf sehern und Lehrburschen erheben. Die Streitigkeiten haben gewöhnlich unbe deutende Veranlassungen, würden aber leicht die Wirksamkeit einer Fabrik hemmen, wenn sie nur vor der kostspieligen und langsamen Civil-Justiz könnten anhängig gemacht werden. ES haben sich aber auch diese Werkgerichte so nützlich erwiesen, daß bereits in 68 französischen Fabrikstädten dergleichen eristiren. Paris allein hat bis jetzt die Wohlthat eines solchen Instituts ent- behrt, obgleich eine Stadt, deren Ausfuhr an steuerbaren Gegenständen in elf Monaten des vergangenen Jahres 140 Mill. Fr. betrug, wohl zu den ersten industriellen Städten der Welt gezählt werden darf. Was nun die Wirksamkeit und die Geschäftsführung der Werkgerichte be trifft, so bemerken wir Folgendes: Hauptzweck derselben ist es, Frieden zu stiften. Deshalb bleibt das Tribunal, oder vielmehr das Spezial-Büreau, das aus einem Fabrikanten und einem Arbeiter besteht, so zu sagen, in Per manenz. Außerdem eristirt ein General-Büreau, das, je nach der Lokalität, aus mehr oder weniger Mitgliedern zusammengesetzt ist. Diesem werden nur diejenigen Prozesse überwiesen, die von dem Spezial-Büreau nicht haben ge schlichtet werden können. Die Appellation ist aber so selten, daß von 138,730 den Werkgerichten vorgelegten Streitsachen nicht mehr als 188 von dem General-Büreau entschieden wurden. Bei den Prozessen ist jede gerichtliche Förmlichkeit verpönt; es giebt weder Advokaten, noch HuissierS; die Parteien müssen persönlich erscheinen und dürfen sich nur vertreten lassen, wenn cs erwiesen ist, daß sie abwesend oder krank sind, und auch dann wird nur ein Standesgenoffe zum Ersatzmann angenommen. — Die Werkgerichte haben die Befugniß, Geldprozeffe dis zur Höhe von 100 Fr. in letzter Instanz zu ent scheiden. — Die Kosten sind fast null, und wenn man bedenkt, daß für die Verwaltung der Justiz und für Gerichtskosten, nach einer nicht übertriebenen Schätzung, Frankreich jährlich dreihundert Mill. Fr. braucht, so muß man die billigen Werkgerichte als eine große Erleichterung für das Land ansehen. Ferner soll ihnen das Amt übertragen werden, über die Echtheit der Fabrikzeichen und die Preiswürdigkeit der Waaren zu wachen, wodurch das Institut zu einem wahren öffentlichen Ministerium der Industrie würde. Es soll zugleich statistische Notizen über die verschiedenen Jndustrieen sammeln und wird ohne Zweifel auch für tue Verbesserung des Zustandes in den Fabriken wirken können. DaS Werkgericht, das durch Ordonnanz vom 29. Dezember vorigen Jahres in Paris ins Leben trat, ist einstweilen nur für die Metallarbeiter bestimmt. ES besteht aus fünf Abtheilungen: die erste ist für die Maschinen bauer, Schmelzer, Kupferschmiede, Schlosser und Wagenbauer; die zweite für die Goldschmiede und Plattirer; die dritte für die Fabrikanten musikalischer und optischer Instrumente und die Uhrmacher; die vierte für die Bronze arbeiter und Ciseliere; die fünfte für die Stahlarbeiter. Die erste und fünfte Abtheilung bestehen aus einem Fabrikanten und einem Arbeiter, die zweite und dritte aus zwei Fabrikanten und zwei Arbeitern, die vierte aus zwei Fabrikanten und einem Arbeiter, so daß im Ganzen fünfzehn Mitglieder da sind. Ihre Functionen dauern drei Jahre; die Zahl der Substituten ist zehn. Das neue Tribunal soll in einem Flügel des Justiz-PalasteS seine Sitzungen halten, und der Munizipalrath hat bereit» 18,000 Fr. für die EinrichtungS- kosten rc. bewilligt. Auffallend aber und vielleicht für das junge Institut nachtheilig ist es, daß man die Vorarbeiten, wie z. B. die Bildung der Wahl-Kollegien, dem Büreau der Nationalgarde und nicht dem HandelS- Büreau übertragen hat. Politische Rücksichten sollten bei einer so ganz ge meinnützigen Einrichtung billig wegfallen. Mannigfaltiges. — Die Negersklaven in den Vereinigten Staaten. Herr Geh. Regierungsrath Prof. Friedrich von Raumer theilte am 18. d. M. im „wissen schaftlichen Verein" ein Kapitel aus der Beschreibung seiner im vorigen Jahre nach Nordamerika unternommenen Reise mit, das den Zustand der Sklaven in den südlichen Staaten der Union zum Gegenstand hatte. Wenn das ganze Buch diesem Kapitel gleicht, so darf sich Herr Brockhaus in Leipzig einen guten neuen Vcrlagsartikel und die deutsche Reiseliteratur eine nicht unwesentliche Bereicherung versprechen. Herr v. Raumer stellte hauptsächlich nur die An- sichten der Nordamerikaner selbst über die Sklavenfrage zusammen, so nament lich die von Channing, des berühmtesten und einflußreichsten Abolitionisten, und die der großen Staatsmänner und Präsidenten, welche, wie Washington, Jefferson, Jackson und jetzt Polk, sämmtlich Söhne südlicher Staaten der Union und nicht bloß die Negersklaverei mit ihren politischen und humanen Ansichten vereinbar fanden, sondern zum Theil auch selbst Sklavenbefitzer — allerdings sehr milde und von ihren Sklaven verehrte Herren — waren. Schon der Nachdruck, den der Redner auf die letztgedachten Umstände legte, bewies, daß er selbst sehr geneigt sey, sich den Ansichten der Anti-Abolitionisten anzuschließen ; er hat aber auch in seinem eigenen Urtheil diese Neigung nicht verhehlt und damit viele Anwesende, besonders die Frauen, nicht wenig überrascht, ja man kann sagen — erschreckt. Denn wir wollen nicht verkennen, daß wir, wenn auch in politischer Hinsicht minder gebildet und minder selbständigen Geistes als die Nordamerikaner, doch ihnen weit überlegen sind in Sachen der Huma nität, die bei uns nicht als gewaffnete Minerva aus dem Haupte des Jupiter, d. h. eines gesetzgebenden Kongresses sprang, sondern die Frucht von Jahrhun derten, das Resultat historischer Leiden, Freuden und Arbeiten ist. Wir markten wohl noch hin und wieder umpolitische Rechte — eben weil wir über den Be griff uns entweder noch nicht zu einigen oder uns zur allgemeinen Erkenntniß desselben nicht zu erheben vermochten — aber menschliche Rechte versagen wir Keinem, ja Keinem, und wäre er auch roth oder schwarz von Hautfarbe. Man denke sich, daß die freien Amerikaner sich nicht bloß in ihren Gesellschaf ten, sondern sogar auch in ihren Gotteshäusern — mit Ausnahme derer der katholischen Kirche, die auch jenseits des Oceans die europäische Ein heit nicht verleugnen darf — gegen den unglücklichen Neger abschlicßen! Wen kann es hiernach also wundern, daß man in den südlichen Staaten — denn nur in diesen allein giebt eS noch Sklaven und hier sind sie auch nicht so leicht zu entbehren als in den gemäßigten Klimaten des Nordens — den Zustand derselben nicht bloß als vereinbar mit der Idee des freien StaateS, sondern sogar als förderlich für dieselbe betrachtet? „Wir kön nen freier sepn als Ihr und sind auch freier", rufen sie dort im Süden, „weil wir Eure Proletarier, Eure Sklavenarbeit der Freien nicht besitzen"; aber dieses „Wir" ist nicht das des Menschen, sondern nur das des privilegirten Weißen, der von allen Aristokratieen die gedankenloseste, nämlich die der Haut, anerkennt. Allerdings wird behauptet, daß nicht bloß die Farbe des Körpers, sondern auch die der Seele beim Neger anders sep, als beim Weißen, daß seine Schädelbildung von der unsrigen verschieden wäre, daß ihm, wenn auch nicht der Sinn für die Sittlichkeit des Familienlebens, doch der für die Sittlich, keit dcS öffentlichen und Staatslebens völlig abgehe, und als Beweis für diese Behauptung wird auf Haiti, wird auf die freigelassenen Neger Amerika'S und wird auf ihre Wiege selbst, auf Afrika, hingewiesen. Aber mit diesen Be hauptungen, die durch jeden neuen Tag widerlegt werden können, hat eS eine eigene Bewandtniß. Ganz eben so gut und mit gleicher Berechtigung hätten vor der Zeit Christi die Juden behaupten können, daß allen übrigen Menschen der Sinn für die Sittlichkeit der Gottesidee völlig abgehe. Die Pharisäer mögen es damals auch wirklich behauptet haben, aber sie sind durch den fol genden Tag widerlegt worden. Und so beweist auch in jenem Falle das, was als unumstößliche Thatsachc angeführt wird, nur, daß es den Negern bisher an Aposteln gefehlt, die den angeblich fehlenden Sinn ihnen zu erschließen wußten. Wer weiß, ob nicht morgen schon dieser Tag der Offenbarung kömmt. Und ist nicht der auch von den Anti-Abolitionisten nicht geleugnete Umstand, daß der geistige Bildungsgrad der in Amerika geborenen Neger ein ganz anderer sep, als der der Schwarzen in Afrika, ein Beweis ihrer Fähigkeit, besser und menschlicher zu werden? Auch das weiße Menschengeschlecht hat, wie die Geschichte und wie Lessing lehrt, zu seiner heutigen Höhe, die aber noch lange nicht der erreichbare Gipfel ist, erzogen werden müssen. Nun so gönne man doch auch dem schwarzen Geschlechte, dessen Erziehungsperiode ein paar Jahrtausende später begonnen, Luft und Licht, die dem Sklaven überall verkümmert werden! Man beschütze sein Liberia mit allen dem überlegenen Weißen zu Gebote stehenden Waffen gegen die eindringendcn Wilden der Hellen wie der dunkelcn Farbe, man überlasse ihn dort nicht wie auf Haiti den schon durch die Berührung mit dem Auswurf der Civilisation verderbten Lcidenschas. ten einiger Mulatten, und man wird vielleicht schon in den nächsten zwölf Jahren andere Resultate sehen, als in den seit der Stiftung jener freien afrikanischen Kolonie verflossenen. Leider werden sich Staaten, die den Menschen nicht eben so wie den Bürger achten, zu einer großartigen Maßregel zu Gunsten bloßer Menschen, die obendrein schwarz sind, nicht leicht entschließen, und darum fürchten auch wir, daß das von einzelnen Menschenfreunden be gründete Liberia bald wieder verkümmern werde. Aber aus demselben Grunde ist auch anzunehmen, daß der von Herrn Friedrich v. Raumer den Amerikanern ertheilte Rath einer allmäligen und freiwilligen Ueberlaffung von Grund eigenthum an die Sklaven, um sie auf diese Weise zu xlebse sü^eripti und demnächst zu freien Menschen zu machen, nicht befolgt werden wird. Die Hin weisung auf eine ähnliche Freimachung der Hörigen und Frohnbauern, die unter unseren eigenen Augen vorgegangen, findet eben darum schon keine An wendung dort, weil die menschliche Grundlage, die die Hörigen und Fröhner zu allen Zeiten bei uns hatten, in den Augen der Amerikaner dem Neger sklaven gänzlich abgcht. Herausgegeben und redigirt von I. Lehmann. Im Verlage von Veit S> Comp. Gedruckt bei A. W. Hayn.