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WSchentlick erscheinen drei Nummern. Pränumeration--Prei« 22j Silbergr. Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da- ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägcrstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Acmtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 22. Berlin, Donnerstag den 20- Februar 1843' Italien. Beatrice Cenci. Eine römische Geschichte.') Vor nicht langer Zeit berichtete die Augsburger Allgemeine Zeitung, daß ein zwanzigjähriges Mädchen, Johanna Hildebrandt, zu Limburg an der Lahn, ihren eigenen, der Trunksucht ergebenen Vater mit einem Handbeile erschlagen habe. Sie that dies in einer Nacht, als derselbe trunken nach Hause gekommen war, um seinen wiederholten Mißhandlungen zu entgehen, und zündete alsdann zur Verbergung der That das Bett, in welchem der Er mordete lag, an. Als sie nun zu gefänglicher Hast gebracht war, leugnete sie zuerst hartnäckig und legt» erst späterhin auf die ihr vorgehaltenen Ju dicien ein limitirteS Geständniß der That ab. Das Hof- und Appellation». Gericht in Dillenburg hat hierauf die Jnkulpatin wegen TodtschlagS zum Tode verurtheilt, das Mädchen aber den Rekurs an den höchsten Gerichtshof des Landes ergriffen, ohne jedoch, falls ich mich recht entsinne, eine Aende- rung des Urtheils erlangt zu haben. Ein ähnliches Ereigniß erregte im letzten Jahre des sechzehnten Jahrhun derts die größte Aufmerksamkeit in der Hauptstadt der katholischen Christen heit. Denn kein armes Landmädchen, sondern Beatrice Cenci, eine Jung» frau von sechzehn Jahren, schön und lieblich von Gestalt, die Tochter eines angesehenen Hauses, ward des Vatermorde« angeklagt und nach erfolgtem Geständnisse bingerichtet. Ader diese That geschah unter so merkwürdigen und des tiefsten Mitleids würdigen Umständen, daß Viel» schon damals meinten, e- hätte müssen B-atrice Cenci vor dem irdischen Richter Gnade finden und es ihr allein überlassen bleiben, die furchtbaren Entwickelungen, deren Opfer sic geworden war, abzubüßen. Weil dies nun nicht geschehen ist, so trägt sich die VolkScrzählung noch immer mit Bruchstücken aus jener Schauer geschichte, und der Ausdruck: la liella 6«nci hat im Munde des Römer» den Nebenbegriff der Zärtlichkeit für «ne anerkannt Schuldige, wie jene alt- römische-Tarpeja, welche die Burg des kapitolinischen Berges an die be lagernden Sabiner aus Liebe zu ihrem Feldherrn TatiuS verrieth, in der Volkssprache der umwohnenden Landsleute nach so langer Zeit noch immer I» bella Tarpejs heißt."') Reisende, die nach Rom kommen, vermögen nicht, sich eines melancholischen Eindrucks zu erwehren, wenn sie die öden Sckle der Villa Mondragone, die jetzt der Familie Borghese zuge hört, durchwandern und man ihnen sagt, daß dieser Landsitz vor mehr als zweihundert Jahren das Eigenthum der Familie Cenci gewesen ist, deren Haupt hier ein so blutiges Ende genommen hat. Auch das Zimmer wird ge zeigt, wo Francesco Cenci von Mörderhand gefallen ist. Und noch weit mehr fesselt den Fremden das Gemälde in der Bcrbcrinischen Galerie, welches für LaS Bildniß der Beatrice Cenci gilt. ES ist von Guido Reni gemalt und stellt ein junges Mädchen von großer Schönheit vor, mit einem sanften, sehr wehmüthigen Ausdruck in der zarten GeßchtSbildung. Augen, Mund und Nase find sehr fein, wenn ihnen gleich der eigentliche, echt römische Ausdruck fehlt. Die Kleidung ist eine ganz einfache, weiße Draperie, welche auch den Kopf und das reiche, blonde Haar in Form eines Turbans umschlingt. Nahe bei ihr hängt ein Brustbild von Scipio von Gaeta, welches die Stiefmutter Beatricc'S, Lucretia Peroni, die in jenem furchtbaren Prozesse eine Haupt rolle spielte, darstellen soll, eine echt römische Matronen-Schönheit, voll und stark, ganz das Gegenstück zu Beatrice s sanftem, jungfräulichen Bilde. Diese Begebenheit war zu merkwürdig und eignete sich zu vortrefflich zu romantischer Ausschmückung, als daß sie nicht viele Schriftsteller hätte be- schäftigen sollen. Bisher lag allen diesen der Bericht des ernsten, wahrheits liebenden Muratori°°") zu Grunde. Aber vor einigen Jahren ward durch Alfr. Reumont, der mit Italiens Sprache, Sitten und Literatur so vertraut ist, wie nur wenige Deutsche, die Handschrift eines Gleichzeitigen und Augen- Wir berichteten jüngst, daß Nirevlini in Florenz eine italiänische Bearbeitung de- Drama'« „Beatrice Cenci" von Shelley herau-gegeben, worin er wesentliche Berände. rungen de- Texte- vorgenommen, die seiner Meinung „ach nothwendig waren, um den excentrischen Romantiker den nüchternen Jüngern der klassischen Schule genießbar zu machen. Gleichzeitig ist so eben eine deutsche Ueberschung Shelleyscher Schriften erschienen, unter denen sich ibensalli die Beatrice Cenci befindet. Und so möchte wohl gerade gegen wärtig diese von einem unserer Mitarbeiter bearbeitete Geschichte für viele Leser außer dem Interest«, da- sie an und für sich hat, auch noch ein literarische- haben. ") Niebuhr'« Römische Geschichte Th. I. S. rar. zw, Ausl. Xu-all ü'It-II» wom. X. L. 1. j>. >20, zeugen aus einer Kloster.Bibliothek in Frascati bekannt gemacht"), di» in schlichter Sprache das getreueste Bild des ganzes Vorganges giebt. Mit ihm gleichzeitig — aber ganz unabhängig — erschien auch eine französische Ueber. arbeitung dieser Handschrift von Stendhal. °") Beide Darstellungen find von uns gewissenhaft benutzt, denn fie ergänzen sich gegenseitig und berichtigen manche Jrrthümcr und Ungenauigkeiten früherer Erzählungen, wie im Alma- nach aus Rom und im Reisetagebuch» Elisr'S von der Recke. Alles wird frei lich auch durch diese Berichte nicht aufgeklärt, eS ist — um ein schönes Wort Jak. Grimm's in der Vorrede zu den deutschen WeiSthümern zu gebrauchen — die Brunneneinfassung noch nicht vollführt und der Schöpfeimer noch unauf- gehangen, aber es scheint uns doch genug zu sepn, um eine weit größere Klar heit in dieser Sache, als früher möglich war, zu gewinnen. Francesco Cenci, der Vater der Beatrice, war ein römischer Edelmann, der schon von seinem Vater große Schätze geerbt und diese durch die Heirat mit »inrr reichen Frau vermehrt hatte. Sie gebar ihm sechs Kinder; die zweite Ehe mit Lucretia Peroni blieb kinderlos. Nun gab es kein Laster, dessen sich Cenci nicht schuldig gemacht hätte; aber Geiz, Betrügerei, Verkehr mit Banditen und andere Schändlichkeiten vergrößerten nur sein Vermögen, das selbst durch große Geldstrafen, die ihm wegen grober Laster mehr als einmal auferlegt wurden, sich nicht verminderte. Er hatte kein Gewissen, sagt der Chronist; er glaubte nicht an Gott, und das einzige Gute, was er in seinem langen 8«ben that, war die Erbauung einer Kirche des heil. Thomas im Hof» seine» Palastes. Aber auch dies that er nur, um die Gräber seiner Kinder recht unter den Augen zu haben, da er gegen diese Unschuldigen schon von ihrer Kindheit an den unnatürlichsten Haß hegte. Die drei ältesten Söhne, Rochus, Christoph und Jakob, sandte er auf die Universität Salamanca, ließ sie aber dort ohne alle Unterstützung, so daß sie zurückkchren mußten und ge- nöthigt waren, sich auf der Reise ihren Unterhalt durch Betteln vor den Thüren zu verschaffen. In Rom begegnete er ihnen nicht besser. Als er daher zum dritten Male im Gefängniß saß, baten die Söhne den Papst, er möge doch die Hinrichtung ihres Vaters anbefehlen, weil er durch seinen Leben», wandel die ganze Familie beschimpfe. Der Papst aber ging darauf nicht ein, sondern jagte fie wegen ihrer unnatürlichen Gesinnung von sich, und Cenci kam mit einer Geldstrafe von 100,000 Scudi los. Nicht besser al» die Söhne hatten eS die Töchter. Daher wußte die älteste Mittel zu finden, dem Papste ihre traurige Lage bekannt zu machen und ihn zu bitten, ihr entweder einen Klosterplatz zu verleihen oder fie zu verheiraten. Clemens VIII. erbarmte sich ihrer, wählte ihr zum Gatten den Carlo Gabrielli, einen vornehmen Edel mann aus Gubbio, und nöthigte auch den alten Cenci, seiner Tochter ein» ansehnliche Aussteuer zu geben. Der Haß des erbitterten Greises traf nun allein seine jüngste Tochter Beatrice, nachdem die Söhne sich ganz von ihm getrennt hatten und von einem geringen Jahrgehalt lebten, das ihnen Cenci auSzusetzen genöthigt war. Als aber Christoph und Nochu» im Verlauf de» folgenden JahreS er mordet wurden, siel das Jahrgehalt weg; der lasterhafte Vater wollte sie nicht einmal auf seine Kosten beerdigen lassen und sagte ohne Scheu frei heraus, daß er nicht eher froh werden könnte, al» bis alle seine Kinder, vom ersten di» zum letzten, gestorben wären. Der jüngste Sohn, Bernardo, war noch klein und machte wenigstens auf keine besondere Unterstützung Anspruch, aller Grimm deck Alten konnte sich also auf die unglückliche Beatrice werfen. Sämmtlich» Nachrichten stimmen darin überein, daß sie in der schönsten Jugendblüthc ge standen habe und dabei eine» so heitern, frohen, unschuldigen Sinnes gewesen sey, wie man ihn selten findet. Damit sie nun nicht dem Beispiel» ihrer Schwester folgen könne, schloß der Wüthrich sie in ein Zimmer ein, dessen Schlüssel er bei sich behielt, und brachte ihr täglich selbst das Essen. Mag c» nun sepn, daß er sich bei diesen Besuchen in die eigene Tochter verliebte, oder daß er ein grausames Vergnügen daran fand, sie mit seinen unnatürlichen Anträgen zu quälen und ihre jungfräuliche Schamhaftigkeit durch die unzüch- tigsten Reden zu beleidigen, kurz, er peinigte fie auf jede Weise, als fie seine Nachstellungen standhaft abwie», und erhitzte sich in seinem Grimme so, daß er die Wehrlose auch nicht selten körperlich mißhandelte. Die Einzelnheiten, welche die italiänische Chronik hier mittheilt, hat der deutsche Uebersetzer nicht wiedergebcn können; auch der französische Bearbeiter erklärt — und das will -) In de» Römischen Briefen eine« Florentiner- Th. II. S. 10 ff. "1 In den Anhänge» zur l-'-d«.,- a« tl-.tro p. rn. Di« früheren Bearbeitungen hat Böttiger in einer Anmerkung zum Reisetagcbuche El. v. d. Reche Th. IV. S. 174 ausgezählt.