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38 Manneck unterwarf, den er seinen Wohlthäter nannte. Der Pairshof hatte die Instruction Herrn Pasquicr und den von ihm bezeichneten Mitgliedern der Pairie anvertraut: Herr Lavocat wurde gebeten, seine guten Dienste bei dem Schuldigen anzuwenden, eine schlimme Aufgabe, welche namentlich in unserem Lande nicht übernommen werden kann, ohne sich dem Tadel der öffentlichen Meinung auszusetzen. Herrn Lavocat gegenüber spielte Fieschi eine Rolle, deren Heuchelei für die Folge entlarvt wurde. Er übertrieb den Ausdruck seiner Dankbarkeit auf eine merkwürdige Weise; er trug dieselbe stolz zur Schau und schien zu glau ben, daß ste ihn würde schützen können. Um dem Manne, auf denen Schutz er hoffte, die nöthige Macht und den nöthigen Einfluß zu geben, machte er denselben zum Retter des Königs. „Als ich im Begriff war, meinen Plan zu vollführen", sagte er, „bemerkte ich meinen Wohlthäter und gcrieth in Verwir rung; die um zwei oder drei Zoll zu tief gerichtete Maschine verfehlte ihr Ziel." Die Entdeckung, welche man von ihm forderte, verweigerte er anfangs. Sodann verstand er sich zu halben Mittheilungen und führte die Untersuchungs- Richter in einem Irrgange von Widersprüche», Ausflüchten und Lügen umher. Man mußte glauben, daß er indirekt um den Lohn seiner Geständnisse feilschte, und man vergaß sich so weit, daß man vor seinen Augen das Versprechen der Gnade leuchten ließ. Obwohl man entschlossen war, sie ihm nicht zu bewilli gen"), soll ihn Herr Lavocat in dem Glauben bestärkt haben, daß er sein Leben erkaufen könne, wenn er seine Mitschuldigen vcrrathc. Wir glauben daS Gcgcntheil behaupten zu können. Aber sicher ist, und später werden wir den Beweis liefern, daß Fieschi bis zu seinem Ende die Ucberzeugung bewahrte, sein Kopf werde dem Henker entzogen werden. Sicher ist ferner, daß die Diener der Gerechtigkeit eS nicht verschmähten, aus die Eitelkeit dieses Elenden zu spekuliren. Ma» umgab ihn mit Rücksichten, die eben so hinterlistig wie skandalös waren. Damit er seiner Geliebten Geld schicken, seinen Wärtern Geschenke machen und sich wie Pepin und Morey das Ge° fängnißleben erleichtern könne, wurden ihm hinter einander verschiedene Summen gegeben; dieselben erreichten zuletzt die Höhe von fast viertausend Francs, und er verfügte über sie auf eine möglichst auffallende Weise. Wie oft hörte er sich nicht mein Herr und mein Thccrer nennen! Man erkundigte sich nach seiner Gesundheit mit einer Theilnahme, deren Höflichkeit ihn be zauberte. Und er nahm alle diese Huldigungen wie eine Abbitte hin, welche die Gesellschaft seinem so lange verkannten Genie leistete! Von seinem Gefäng nisse aus verfolgte er die höchstgestellten Personen mit Briesen, welche in einem seltsamen Kauderwelsch geschrieben waren und in welchen auffallende Schmeicheleien und einzelne Fetzen grotesker Gelehrsamkeit bunt durch einander liefen. Eines Tages entwarf er eine Parallele zwischen Pöpin, dem Gcwürz- krämer, und Pipin dem Kleinen; ein andermal verfaßte er eine große Arbeit, in welcher er sich mit Salvator Rosa verglich. Ein anderesmal sagte er: „Als Talleyrand mich spreche» hörte, gcrieth er in Verwirrung, weil er in meinem Organ eine Aehnlichkeit mit dem Napoleon's erkannte, den er ver- rathen hat." So war glso ein Bösewicht, der elendste, den cs vielleicht je gege ben hat, zur Selbstanbctung gekommen. (Schluß folgt.) England. Zur Physiologie und Psychologie. Die Dualität der Seele. (Schluß.) In manchen Erscheinungen des gewöhnlichen wachen Zustandes ist die Duplizität der Seele, aus der der Verfasser dieselben erklären will, von sehr zweifelhafter Natur und auch gar nicht nothwendig zu ihrer Erklärung. Wenn wir auch annehmen, daß das Gehirn ein doppeltes ist, so können wir doch sowohl nach der Analogie des Gesichts und Gehörs, als nach den Ergebnissen der Erfah rung überzeugt bleiben, daß das Gehirn im gesunden Zustand des Bewußt- seynS für eine einige und ungetheilte Thätigkeit eingerichtet ist, und diese Ein heit spricht eben so wenig gegen die Duplizität des Organs, als die, Einheit des Gesichts gegen die Duplizität des AugeS oder das einfache Resultat der Thätigkeit einer Maschine gegen die Komplexität ihrer Theile. Der Ver fasser bemerkt, seine Theorie werde durch das Faktum unterstützt, daß manche Menschen im Stande sehen, gleichzeitig zwei Schachpartieen zu spielen oder zwei Briefe zu schreiben, ein Faktum, das nur aus dem Nebeneinandcrlaufen von zwei scharf geschiedenen Gedankenreihcn zu erklären sey. Abcr Philidor konnte zu gleicher Zeit ein halbes Dutzend Schachpartieen spielen, und Napoleon konnte sechs Secretaircn auf einmal diktiren. Diesen Einwand hat der Verfasser nicht übersehen; aber er nimmt an, daß in dem Fall, wo der Geist mit mehr als zwei Operationen beschäftigt ist, dieselben nicht ununterbrochen »eben einander fortlaufen, sondern sich gegenseitig ablöse». Aber diese Erklärung ist ja auf zwei Gedankenreihen oder geistige Operationen eben so gut anwendbar, als aus sechs, vr. Wigan führt das Beispiel Georg's IV. an, welcher rasch seine Unterschrift zeichnete, während er eine Unterhaltung fortsetzte, und Buchhalter, di» eine Geschichte erzählen, während sie lange Reihen von Ziffern hinstcllen. Diese Fälle zeigen nur, daß Schreiben und Rechnen durch Gewohnheit, wie Weben oder Nähen und selbst Gehen, rein mechanische Verrichtungen werden können. ') Seite ns der UntersuchungSakie» Nist man: „Ihre Familie und das Leben muS Ihnen iheuer s-»n; Sie haben s-in andere« Mittel, Ihre» Kindern und sich zu nuxen, al« wenn Sie die Wahrheit sagen." (Anmcrk d. Vers.) In praktischer Beziehung verspricht sich der Verfasser bedeutende Resultate von der Annahme seiner Theorie für die Behandlung der Geisteskrankheiten. Wenn eine Zerrüttung im Gehirn hervorzutreten anfängt, so glaubt er, daß durch Ausbildung und Stärkung des gesund bleibenden Theils der Patient allmälig in Stand gesetzt werden kann, seine Illusionen zu unterdrücken. „Ver setzen wir uns einen Augenblick", sagt er, „auf die niedrige Stufe des Wahn- sinnigen. Erinnern wir uns, wie ärgerlich wir werden, wenn wir muthwilli- ger Weise nur in einem Gähnen, das wir vergebens zu unterdrücken gesucht, unterbrochen werden, und wir werden uns einen ungefähren Begriff machen können von der bedeutenden Erbitterung, die den Wahnsinnigen ergreifen muß, wenn man durch Handschellen und Zwangsjacken das tiefe Bedürfniß nach Muskelbewegung, das vielleicht durch Ausdehnung der Krankheit oder Reiz- barkeit auf das Gehirn erzeugt wird, unterdrückt. Man lasse diesen armen Un glücklichen Naum für die Uebung ihrer überflüssigen Lebenskraft; denn so lange diese nicht verwendet ist, könycn sie das zerrüttete Gehirn durch das ge sunde nicht kontroliren. Man lasse die bedaueruswcrthen Opfer des furcht barsten Unglücks, das den Menschen treffen kann, ihrem Trieb ohne Einschrän kung nachgcben, und wenn die Ermüdung der Muskeln cintritt, dann werden ihre Geister vcrhältnißmäßig ruhig werden. „Sollte meine Behauptung, daß der Unterschied zwischen vernünftigem und wahnsinnigem Zustand in dem Grade der Selbstkoutrole, deren der Mensch fähig ist, besteht, Jemanden paradox erscheinen, so mag er eine kurze Zeit lang auf die Gedanken und Gefühle, die seinen Geist berühren, achten, und er wird finden, daß, wenn er sich ganz ihrem Zuge überließe, sie eben so wild und furchtbar in ihren Folgen seyn würden, als die irgend eines Wahnsinnigen. Abcr der Mann von starkem Geist unterdrückt sie und sucht draußen frische Eindrücke, wenn er diese Hülfe nöthig findet; der Mann von schwachem Geist giebt ihnen nach und wird wahnsinnig." Wie unwahrscheinlich es ist, daß wir je im Stande seyn werden, die Ur sachen geistiger Zerrüttung zu ergründen oder die Art, in welcher die Struktur des Gehirns auf Denken und Willen Einfluß übt, mehr als vunkel zu ahnen, geht aus der Thalsache hervor, baß daö Mikroskop gezeigt hat, daß in einem Quadratzoll des Gehirns an einhundert Millionen Fasern enthalten sind. Jede Faser ist eine Röhre, die eine Flüssigkeit enthält, welche während des Lebens zirkulirt, aber nach dem Tode gerinnt. Durch ei» mächtiges Mikroskop ge sehen, sind diese Fasern de» dünnen Fäden in einem Stück feinen Tuches ähnlich, wenn man dieselben mit bloßem Auge betrachtet, während diese Fäden, der- selben mikroskopischen Kraft unterworfen, wie große Taue erscheinen. Wir entlehnen nun noch dem Buch des l)r. Wigan einige nicht uninter essante Belege für die doppelte Thätigkeit der Seele in Fällen des Wahnsinns. Zuerst von einer Person, die von ihrem eigenen Bilde besucht wird. „Ich kannte", erzählt der Verfasser, „einen sehr intelligenten und liebenswürdige» Mann, der die Fähigkeit besaß, sich vor sich selber hinzustclle», und oft herz lich über seinen Doppelgänger lachte, welcher selbst ebenfalls zu lachen schien. Dies war lange ein Gegenstand der Belustigung und LeS Scherzes, aber das Ende war ein trauriges. Er ward allmälig überzeugt, daß er von seinem eigenen Ich besucht werde. Dieses andere Ich pflegte hartnäckig mit ihm zu streiten, und zuweilen widerlegte cs ihn zu seinem großen Verdruss», da er auf seine geistigen Kräfte sehr stolz war. Er war crcentrisch, wurde aber nie seiner Freiheit beraubt oder dem geringsten Zwang unterworfen. Endlich seiner Qual überdrüssig, beschloß er mit Ucberlcgung, kein neues Jahr anzutreten, ordnete seine finanziellen Angelegenheiten, erwartete mit der Pistole in der Hand die Nacht des 31. Dezember, und sobald die Glocke zwölf schlug, schoß er cS sich in den Mund. „ES ist", fügt der Verfasser hinzu, „in der That eben so leicht begreiflich, daß ei» Mann sein eigenes Bild, das er in einem Spiegel gesehen, sich ver gegenwärtige, als das eines abwesenden Bekannten. Ich weiß nicht, welche Wirkung ein solcher Fall auf Andere hervorbringen würde; jenen kann ich mir nur durch die Annahme von zwei Gehirnen erklären, welche zu gleicher Zeit sich in verschiedenen und entgegengesetzte» Gedankenrichtungen ergehen." Auch die Fälle, wo der Wahnsinn auf einen Punkt oder auf eine fixe Idee beschränkt ist, dienen dem Verfasser zur Unterstützung seiner Theorie. „In dem Fall, wo ein Gehirn positiv zerrüttet ist, ist es ost sehr schwer, dasselbe durch das andere zu kontroliren, und nur ein sehr starkes Motiv, wie z. B. der Wunsch, seine Freiheit zu erlangen, giebt dem Patienten die Kraft dazu. Ein solcher Mensch kann eineZeitlang sich verstellen und es durchsetzen, daß die Vorstellungen des zerrütteten Gehirns sich nicht manifeststen. Es sind viele Fälle bekannt, ähnlich dem, den Pinel erzählt, wo «in Bewohner des Bicätre, nachdem er eine lange Reihe von Querstagen bestanden und alle Zeichen wicder- hergestcllter Vernunft an den Tag gelegt, auf dem Blatt, das seine Los sprechung autorisirte, sich „Jesus Christus" unterschrieb und sich daun in allen Extravaganzen erging, die mit dieser fixen Idee verbunden waren. Ich habe bei solche» Personen bemerkt, daß cs ihnen viel Zeit und Mühe kostet, sich auf die Höhe vollständiger Selbstbeherrschung hinauf zu schwingen. Wenn sie durch «iue zufällige Bemerkung aus ihrer Behutsamkeit hcrauSgelockt oder durch die Länge des Verhörs ermüdet werden, dann lassen sie sich gehen und können uicht ohne Vorbereitung ihre frühere Haltung wiedcrzcwinnen. «ord Erskine erzählt von einem Manne, der dem Doktor Munro einen Prozeß machte, weil er ihn ohne Grund eingesperrt. Er wurde von dem Sachwalter der Gegen partei dem strengsten Verhör unterworfen, ohne daß er einen Schein von GeisteS- zerrllttung vcrricth, bis ein Herr ihn nach einer Prinzessin fragte, mit der er in Kirschsaft korrespondirte, worauf er sofort zu faseln anfing. Dies geschah in Westminster, und durch die wunderlichen Anomalieen des Gesetzes ward er in Stand gesetzt, in der Londoner City noch einmal zu klagen, wo er sich so voll-