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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerationS-PreiS 22^ Silbergr. (^ Thlr.) vicrteljadrlich, Z TIM. für d.iS ganze Jahr, » hne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Camp., Iägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Äemtcrn, angenommrn. Literatur des Auslandes. .1/ 10 Berlin, Donnerstag den 23. Januar 1845. Frankreich. Der Prozeß Fieschi's und seiner Mitschuldigen. °) Am 30. Januar 1836 eröffneten sich die Thüren des Palastes Lurembourg einem neuen Prozesse. Der Pairshof sollte über den Mörder vom 28. Juli und seine Mitschuldigen Gericht halten. In dem Saale, vor dem Bureau des GerichtsschrcibcrS, sah man unter anderen Beweisstücken eine Maschine mit gesenkten Flintcnläufcn, eine Lunte, einen Dolch, einen Riemenstock mit bleiernen Kugeln, einen eisernen Handschuh und ein blutbeflecktes Beil. Die Menge drängte sich auf den Tribünen, gethcilt zwischen dem Gefühl wilder Neugierde und tiefen Abscheus. Die Angeklagten wurden eingeführt. Sie waren der Zahl nach fünf; aber drei unter ihnen zogen besonders die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich. Der erste war ein kleiner Mann, ungestüm in seinen Bewegungen. Sein durch frische Wunden entstelltes Gesicht drückte Schlauheit und Kühnheit aus. Seine Stirn war schmal, seine Haare kurz, sein linker Mundwinkel durch eine Narbe in die Höhe gezogen; sein Lächeln war herausfordernd und falsch, in seiner Lippenbildung sprach fich Schamlosigkeit aus. Er bemühte sich sehr, die Aufmerksamkeit auf sich allein zu ziehen, beleidigte diejenigen, die er kannte, durch vertrauliche Gesten und genoß seine abscheuliche Wichtigkeit mit Affectation. Der zweite war ein kranker und bleicher Greis. Aber seine strenge Ge- sichtsbildung, sein Auge, in welchem ein düsteres Feuer glänzte, die unver söhnliche Ruhe seines römischen Antlitzes ließen den Zustand seines Herzens ahnen. Ei' scyntt langsam vor, setzte sich an den bezeichneten Platz, ohne die geringste Aufregung zu verrathcn, neigte den Kopf auf seine abgemagerte Hand und blieb unbeweglich; sein Blick war starr, er schien gleichgültig für seine Umgebung und gewissermaßen in seine inneren Anschauungen versenkt. Der dritte zeichnete fich von seinen Gefährten durch seine ungewöhnliche Niedergeschlagenheit aus. Man schritt zu den Verhören. Ehe wir aber weiter gehen, müssen wir diese Sache wieder da aufnehmen, wo wir sie im vorhergehenden Bande ver lassen haben. Der Leser kennt die näheren Umstände der schrecklichen Katastrophe, welche am 28. Juli l83S Paris in Schrecken gesetzt halte. Einige Augenblicke nach der Erplosion schritt ein junges Mädchen, welches von der Salpetriöre kam, über den Boulevard in der Nähe des äarüin 'Iure. Todesblässe bedeckte ihre Wangen und ihr Blick schien die Vorübergehenden ängstlich zu befragen. Als sie an das Haus No. SO gelangt war und erfuhr, daß die Erplosion von hier ausgegangen war, kehrte sie eiligst nach der Salpetrierc zurück und verweilte hier nur so lange, als nöthig war, um die Kleider zu wechseln. Sie weinte, sie zitterte und wiederholte unaufhörlich mit dumpfer Stimme : ich bin ver loren ! Dies war Nina Laffave>, die Geliebte des Mörders. In ihrem Schrecken flüchtete sie zu einem alten Niemer, Namens Morey, mit welchem ihr Geliebter in vielfachen Verbindungen gestanden hatte. Dieser empfing sie freundlich und beruhigte fie; er führte fie in eine Zuflucht, die er für sicher hielt, und als er sic verließ, gab er ihr das Versprechen, am fol genden Tage wieder zu ihr zu kommen. In der That kam er wieder, gefolgt von einem Packträger, der einen geheimnißvollen Koffer trug; durch diesen Umstand wurde Alles entdeckt. Dieser Koffer hatte dem Mörder gehört und war einige Stunden vor dem Attentate zu einem Marmorschneidcr ge bracht worden, mit dem Befehl, ihn nur an Morey zu übergeben. Mit Hülse der Packträger, denen dieser Koffer anvertraut worden war, konnte man leicht den verschiedenen Wanderungen desselben auf die Spur kommen; am 3. August 183S drangen die Agenten der Staatsgewalt in die Zuflucht Nina Laffave'S; bei ihrem Anblicke suchte sie fich zu tödtcn, aber man bändigte ihre Verzweiflung. Nun zog fie aus ihrer Schnürbrust einen Brief, welcher fol- gende Worte enthielt: „Sic werden gebeten, Nina nicht mehr zu besuchen; fie wird heute Abend nicht mehr leben. Sie läßt in ihrem Zimmer die Sache, die bei ihr deponirt war. Das ist die Folge davon, daß Sie fie verlassen haben. Leben Sie wohl!" MS Nina Lassave gefragt wurde, weigerte sie sich eine Zeit lang, Erklärungen zu geben. Endlich gestand sie, daß Morey den Koffer hatte zu ihr bringen lassen, und daß das Billet für ihn bestimmt gewesen war. ') Au« dem so eben erschienene» fünften Bande von L. Blane't „givtolrv ü« <Nx LU«". Morey nährte einen geheimen, aber gründlichen Haß gegen die Könige. In seinem durch das Alter geschwächten Körper lebte ein gewaltiger und tiefer Geist; er sprach wenig und besaß jene unheimliche Macht, welche eine aus schließliche Leidenschaft und die Verachtung des Todes verleihen. Man zog ihn ein und führte ihn vor den UntcrsuchungS-Richter. Aber hier zeigte er sich so unbefangen, so vollkommen Herr seines Gedankens, er beantwortete die Fragen, mit welchen man auf ihn eindrang, mit so vieler Kaltblütigkeit, d. ß die Justiz ihn wieder in Freiheit setzte. Sic besann fich bald eines An deren; als sie sich zum zweitenmal bei ihm einstellte, eröffnete er ihr ruhig seine Thür und überlieferte fich ihr wiederum mit einer unvergleichlichen Heiterkeit. Nächst Morey'S Verhaftung war die wichtigste die eines Gewürzkrämers, Namens Pepin, eines außerordentlich furchtsamen und schwachen Menschen, der aber bei den Juni-Unruhen bcthciligt gewesen war und den eine feierliche Freisprechung nicht gegen den Argwohn der Polizei hatte schützen können. Eine in seiner Gegenwart von nur drei Agenten vorgenommenc Haussuchung gab ihm Gelegenheit, zu «ntchlüpfen, und er benutzte dieselbe. Wo verbarg er fich? Lange blieb dies unbekannt , und eine falsche Nachricht, welche die Zeitungen rasch verbreiteten, ließ schon vermuthen, daß er sich außerhalb Frankreichs befinde, als Herr GiSquet plötzlich die Nachricht erhielt: daß man dem Flüchtigen auf der Spur sey, und daß seine Zuflucht sich zwischen Meaur und CoulommierS im Dickicht des Waldes von Creep befinde. In der That wurde er bald in Magny verhaftet, wo man ihn im Hemde fand, verborgen , in einem geheimen Verstecke in einem Alkoven; seine Bestürzung war so groß, daß fie dem Wahnfinne nahe kam. Außer den Arbeitern Boircau und Bescher, welche im Prozesse figurirten, wurden auch mehrere Individuen aufgcgriffen, von welchen später nicht mehr die Rede war. — In Peronne z. B. soll in der Nacht vom 30. zum 3t. Juli, während das Thor für die Diligence geöffnet wurde, ein Mann fich heimlich in die Stadt geschlichen habe». Er war ohne Hut und ohne Papiere, und bald bemerkte man, daß eine seiner Hände, welche er zu verbergen suchte, die Spur von Verletzungen zeigte, welche durch das Hinabgleiten an einem Seile verursacht zu seyn schienen. Man brachte ihn nach Paris, aber kein Jndicium begründete die Voraussetzung seiner Mitschuld. Das Dunkel, welches den Mörder anfangs umhüllt hatte, fing allmälig an, fich zu lichten. Anfangs hatte er fich Girard genannt; in Folge einer Anzeige Herrn Olivier Dufrcsne's, Gefängniß.Inspektors, wurde Herr La- vocat zu ihm berufen und erkannte ihn. Sein wahrer Name war FieSchi. Dieser Mann, der mit einer Energie begabt war, welche bei ihm durch die Berechnung der raffinirtestcn Gemeinheit unterstützt wurde, und dessen Eitelkeit bis zum Wahnsinn ging, hatte sich mit jeder ScheuSlichkeit besudelt. Nachdem er als Soldat tapfer gefochten hatte, war er als Dieb und Fälscher ver- urtheilt worden; nachdem er das Gefängniß von Embrun verlassen, war er der Liebhaber einer Frau geworden, deren Tochter er später verführte. Bei ihm schien Alles ungeheuerlich, selbst seine Abstammung; denn er war in Korsika geboren, diesem Vaterlande eines heldcnmüthigcn Geschlechtes, dem nie ein so elender Mensch angehört hatte. Lange zog er mit seinem unruhigen Sinne, seiner intriguirendcn Armuth und seinen Lastern von Stadt zu Stadt. Nach Paris kam er 1830, und hier versuchte er sich nicht ohne Verstand in verschiedenen Handwerken, deren Gewinn er durch seine Schurkerei ver größerte. So hatte er mit Hülse falscher Zeugnisse von der Regierung die Begünstigung der politischen Gefangenen erhalten. Als Meuchelmörder in Ruhestand hatte er denjenigen seine mörderischen Dienste angcbotcn, deren Schutz ihm zu Theil geworden war. Nachdem er der Polizei seine Seele und seinen Arm verkauft, ergab er sich den entgegengesetzten Parteien, fachte die Empörung an, zog mit einem Dolch in der Hand gegen den Aufstand aus und lebte als Straßen-Abenteurer, bis zu dem Augenblick, wo die Entdeckung seiner Betrügereien ihm nur die Aussicht auf Gefahr, Schande und Noth ließ. Nun mußte er einer schmachvollen Strafe entfliehen; verlassen von einer der beiden Frauen, die er mit seiner blutschänderischen Neigung besudelte, sann er, wüthend, verzweifelnd, unfähig zu Allem, außer zu einem Verbrechen, über einen schrecklichen Streich nach. Wie er diesen vollführte, und wie seine Wuth getäuscht wurde, haben wir schon erzählt. ES hat vielleicht nie einen vollständigen Verbrecher gegeben: FieSchi besaß eine Tugend, die Dankbarkeit. Herr Lavocat, Direktor der GobelinS-Fabrik, hatte seine Zuneigung durch freundliche Behandlung zu gewinnen gesucht. AuS den Rcdcn FieSchi'S konnte man ersehen, daß das sicherste Mittel, Ge ständnisse von ihm zu erhalten, darin bestand, daß man ihn dem Einflüsse des