Volltext Seite (XML)
WScheMIich erschein!» drei Nummern. PränumerationS-PreiS 22j SUdergr. (z LHIr.) vierleljährlich, r Thlr. für d^o ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Td-ilen der PreuSische» Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin der Beit u. Comp., Iögerflrahc Nr. 25), so wie von allen König!. Pog Aemtern, angenommen. Literatur d c s Auslandes. Berlin, Sonnabend den 28. Dezember 1844. Frankreich. Jules Janin über den gallischen Rhetor Ausonius. Wir lernen hier den Ausonius von einer Seite her kennen, woher wir uns dessen nicht vermuthet Hutten. Wenn daher auch der Rhetor unseren Lesern gleichgültig scyn mag, so ist eS vielleicht nicht sein Geschichtsschreiber. Jules Janin schreibt Geschichte auf dieselbe glitzernde Weise, wie er Romane und Kritiken schreibt. Er reißt ein paar Blätter aus einem Folianten, taucht sie in die Farben des Regenbogcns und fährt uns damit vor den Augen hin und her, so daß wir wohl zuweilen ein Wort des Textes erwischen. Wir können auch damit zufrieden sepn, denn cs beunruhigt uns wenig, ob uns das eine oder das andere Jahr im Leben des Ausonius dunkel bleibt. Wenn einmal, so redet er seine Leser an, die Einbildungskraft der No manschreiber erschöpft sepn wird und ihr, von erfundenen Abenteuern über sättigt, euch an den Fingern alle Combinationen jenes ungeheuren Triktrak- spicls werdet abzählen können, das darauf beruht, wie man sein Auditorium eine Stunde lang wach erhalte: dann kommt vielleicht, wenn die Leser nicht schon vor Langeweile gestorben sind, eine Zeit, wo man zu ernsteren Studien zurückkchrt. Literatur und Geschichte, die besten Zerstreuungen eines gebil deten Geistes, werden ohne Zweifel eines Tages in diese ihre Würde wieder eingesetzt werden, denn unsere jetzige Unterhaltungs-Lektüre muß an der zu nehmenden Ermüdung der Schreibenden und der Unaufmerksamkeit der Lesenden zu Grunde gehen. Indessen aber, da dieser glückliche Tag noch nicht erschienen ist und vielleicht erst über unseren Gräbern aufgeheu wird, mag man uns er lauben, schüchternen Schrittes mit irgend einer vergessenen historischen Erinne- rung zwischen den heut vollendeten und den morgen anfangenden Roman zu treten. Diesmal z. B. möchte ich euch einen sonderbaren Mann vorstellen, einen Mann, der halb Gallier, halb Römer, halb Christ, halb Heide, heut Grammatiker, Philosoph und Dichter, morgen römischer Konsul war, der seine Frau innig liebte, aber nicht weniger seine schönsten Sklavinnen, der des Morgens die Messe hörte und, wenn der Abend kam, die profanen Lieder des Petronius sang. Vielleicht komme ich euch recht, weil ich unerwartet komme, vielleicht, da ihr den Mährchen der Gargantua's aus den Lesekabi netten mit Vergnügen zuhören konntet, gewinne ich auch für meinen Mann euer Interesse. Er heißt Ausonius, war ein lateinischer Schriftsteller und lebte im vierten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung in der Stadt Bordeaux. Um den Lesern nicht die dramatische Erzählungsform vorzuenthalten, an die sic durch die Romanschreiber gewöhnt sind, beschreibt Janin Auson'S Jugcndleben und Familienvcrhältniffe mit dessen eigenen Worten. Wir er fahren da, daß AnsoniuS gelehrte und berühmte Abnen gehabt habe und sein Vater ein moralisch und wissenschaftlich musterhafter Arzt gewesen scy. Der künftige Rhetor wurde in den Schulen von Bordeaux erzogen. Bordeaux war im dritten und vierten Jahrhundert, wie wir jetzt zu sagen pflegen, eine Metropole der Intelligenz. Sie blühte unter römischem und griechischen! Ein flüsse, und ob sie gleich christlich war, so las man dennoch dort zn viel Virgil und Homer, als daß man die alten Götter und ihren Schützling, die Kunst, hätte vergessen sollen. Zu dieser Zeit herrscht in der römischen Welt noch Ruhe. Die Barbaren regen sich wohl, aber ganz in der Ferne. Die römischen Kaiser lieben Gallien wie ein zweites Vaterland. Noch zweifelt Niemand an der Unsterblichkeit NomS, Niemand denkt an die möglichen Ereignisse, die ein künftiges Jahrhundert bringen könnte, und im Schutze dieser Ruhe gedeihen die Arbeiten des Geistes im südlichen Gallien, das einer einzigen großen Schule zu vergleichen ist, denn wir sprechen von dem Zeitalter der Gramma- tiker und Rhetoren. Nehme man aber das Wort Rhetor nicht in schlechtem Sinne. Damals verstand inan darunter einen Mann, der zugleich Dichter, Professor und Advokat war. Gallien aber galt in jener Epoche für Roms Vorrathskammer großer Männer. In seinen Rhetoren flackerte noch einmal die Fackel des römischen Genins auf, ehe sic erlosch. Sie haben die Grazie des Antiken, wenn auch nicht seine Kraft, noch einmal der Welt gezeigt, ehe sic von den Füßen der Barbaren zertreten wurde. Nächst den Rhetoren machten den Ruhm jener Zeit die Grammatiker. Sie wachten über die Schätze der klassischen Sprachen, die schon aus dem Leben in die Leihbibliotheken zurück- gedrängt wurden. Oft erhoben sie sich auch bis zur Bcredtsamkeit, denn diese Kunst war aus der Hinterlassenschaft des alten Griechenlands dem südlichen Frankreich zugesallen, das mit dem Vaterland der Künste schon so früh ver bunden war. Und dieses Erbtheil hat eö bis in die neueste Zeit bewahrt, denn Flechier, Massillon, Mirabeau, alle Männer der Gironde, Thiers und Guizot sind Kinder dieses Bodens. Wie sehr die Rhetoren in Ehren standen, mögen die Reskripte der Kaiser Konstantin und Valentinian zeigen, in denen die Professoren mit ihren Frauen und Kindern von allen Abgaben frei erklärt werden. Sie brauchten weder in den Milizen zu dienen, noch irgend eine schwere Arbeit zu Gunsten des Staates zu übernehmen. Freilich halten sic auch ihre Sorge. Ncbcn dem Unterricht lagen ihnen gewissermaßen die Functionen unserer Staatszeitungen ob, denn jedem nur irgend wichtigen Ereigniß, vornehmlich jeder Handlung des Kaisers, mußte ihre Muse Tribut zahlen. Und leider war es Sitte, diese Aufgabe nicht so schön, sondern so künstlich als möglich zu lösen; daher sank die Poesie jener Zeit bis zu faden Calembourgs herab. Unser Ausonius war fleißig in diesem Felde; aber, zu seiner Ehre sey es gesagt, er nannte dies die Geißel der Grammatiker, ltrau>msrieom»8tix. Er war davon durchdrungen, daß für seine rhetorischen Kunststücke AsraniuS und PlautuS keine Citronenschalc geben würden. Nach dreißigjähriger Wirksamkeit gelangte Ausonius zu der unver hofften Ehre, vom Kaiser Valentinian zur Erziehung des Kronprinzen Gra- tianuS an den Hof nach Trier berufen zu werden. Das war das Amt der Sencka, Fronton und LactantiuS gewesen, und mit Freude und Stolz ging Ausonius an die Aufgabe, der künftigen Generation der Menschheit ihren Herrscher heranzubilden. — Ampot schrieb für Karl IX. die Uebersetzung des Plutarch, Perefixe für Ludwig XIV. die Geschichte Heinrich's IV., Fcnelon für den Herzog von Burgund den Tclemach, was schrieb Ausonius für den jungen Gratian l Hier zeigte sich der Pedant. Wie ein Dorfschulmeister machte er Gedächt- nißvcrse über alle Gegenstände, die der einstige Kaiser lernen sollte. Vier Zeilen genügten ihm für die Geschichte Julius Cäsar's, „den der Senat, ihm feind ge sinnt, getvdtct hat." Gleicherweise wird die Geschichte der folgenden Kaiser behandelt. Aber man muß gestehen, der Dichter ist aufrichtig, er sagt den tobten Kaisern so viel Wahrheiten, als nur immer in so wenigen Versen angebracht werden können. Den Nero nennt er grausam, den Otho weibisch, den VitelliuS infam, und so fort. Nach der Geschichte kommt die Geographie. ^Alle größere Städte des Reichs werden mit ein paar Reimen bezeichnet, die dem Kaiser immer die Vorzüge, nie die Bedürfnisse derselben schildern und gewiß während seines ganzen Lebens ihm im Gedächtniß geblieben sind. Darauf folgt in diesem Buche für Alles eine Orthographik und Etymologie. Hier aber ist Ausonius auf seinem Felde und sagt manches Ausgezeichnete. So z. B. lesen wir dort die Behauptung, daß eine gebildete Sprache keine Spnonpmen habe. Eine andere Arbeit, die wir glücklicherweise nur im Auszuge besitzen, ist da gegen wieder recht kindisch. ES ist dies ein Kalender für seinen erhabenen Zögling, der in schönen Versen geschrieben und mit zwölf Bildern geziert ist. Die Verse klappen gut und sind leicht zu behalten. Leider aber wird UM diese Zeit der würdevollen römischen Sprache, um sic für Reime gelenkig zu machen, arge Gewalt angethan. Ihr Genius ist todt, der sie weiter bilden könnte, und was in ihr geschrieben wird, ist entweder nur Zusammenstellung schon vorhan dener klassischer Phrasen, oder, wie cS am häufigsten geschieht, nach dem Geiste einer fremden Sprache umgeschmolzcn. Traurige Veränderung der Dinge! Der grünende lebendige Fels, auf dein das Kapitol gebaut war, ist zu weichem Wachs geworden, das jeden Eindruck annimmt und keinen behält. Für die Sprachen ist, wie für die Menschen, der bedauernswürdigste Charakter die Charakterlosigkeit. Nächst dem Almanach schrieb Ausonius in umun veljstmü eine Erklärung des Homer, die gründlich und unterrichtend ist. Kurioser für uns ist eine Komödie ans der Feder des Ausonius, die den Kirchenspielen im Mittelalter ähnlich ist. Sie heißt „das Spiel der sieben Weisen" und hat eine unerreichte Einfachheit. Im Prolog entschuldigt sich Ausonius deshalb, daß er die sieben Weisen auf dem Theater erscheinen läßt; er beruhigt sich aber damit, daß cs sich um griechische Philosophen handle und für diese, die aus dem Theater einen Tempel und ein Forum machten, nicht schimpflich sey, was Römern Schande brächte. Nachdem dies gesagt ist, erscheint Solon und sagt mit langen Kom mentaren und Beweisen seinen Wahlspruch her: „Niemand ist vor seinem Tode glücklich zu preisen." Darauf kommen seine Kollegen, jeder mit scincm Motto. Keiner spricht mit dem Anderen, und zu Ende singen sie, als ignorirtcn sie ein ander völlig, gemeinschaftlich in verschiedenen Rhythmen das Ncsum« ihrer respcktivcn Philosophicen. Ausonius war übrigens, so naiv er auch hier erscheint, durchaus nicht ohne Malice und hat am Hose des Valentinian, so zu sagen, ein schwarzes Buch über alle skandalöse Begebenheiten dcS Tages geführt, das cr seine „Epi-