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Jede Revolution ist die Erolosion einer Spannung, welche dadurch entstand, daß das Land sort- schritt, die Regierung aber mit den veraltenden Institutionen zurückblieb. Die augenblickliche Wirkung des Durchbruches wird natürlich in seiner unmit telbaren Nähe am stärksten seyn und die größte Masse des Bestehenden über den Haufen stürzen; aber die Erschütterung pflanzt sich weiter fort und bringt auch in entfernteren Kreisen dasjenige zum Falle, was, überreif geworden, nur des Anstoßes bedarf. Die Verwirrung kann auf die Länge nicht bestehen; man drängt vor, drängt rückwärts, verlangt, giebt nach, räumt die Trüm- mer aus dem Wege, baut auch wohl ein altes Stück, so gut cs eben gehen will, wieder auf und versucht, sich für Has nächste dringende Bedürfniß wieder wohnlich einzurichten. Das ist ein vorwiegend mechanisches, der äußeren Nothwendigkeit folgendes Bestreben. — Endlich, wenn die Leiden schaft verraucht, wenn der Staub der stürzenden Tempel 'und Häuser ver- flogen, wenn der alte und neue Bauschutt hinweggeräumt und die neue Ein richtung leidlich hingestellt ist, kommt die prüfende Vernunft und untersucht die Zweckmäßigkeit und Festigkeit der neubegründeten Niederlassung. Es be greift sich, daß vor ihrem Richterstuhle gar Manches ungenügend befunden werden muß, was im Drange der Verhältnisse zur Befriedigung des augen blicklichen Bedürfnisses eingerichtet wurde; es begreift sich aber eben so leicht, daß sowohl für das Ganze als für die einzelnen Theile nur dann eine Gewähr glücklichen Bestehens gegeben ist, wenn ihr Gesetz Alles bis in das Kleinste durchdringt und zusammenhält. Nu» beginnt das schwere Geschäft, dasjenige, waF meistenteils durch äußere Gewalt an und unter einander gewürfelt worden war und, als vorhanden, einen mehr oder minder gültigen Rechts titel aufzuwciscn hat, innerlich und äußerlich so zu gestalten und umzuwan deln, daß Jedes zur nothwendigen Ergänzung des Anderen und das Ganze zur organischen Einheit werde. Von wem soll die neue, schlechthin vernünftige Gestaltung der menschlichen Gesellschaft in staatlicher sowohl als in allgemein menschlicher Hinsicht aus- gchen? Jede auf der Höhe der Zeit stehende Regierung sieht ein, daß ihre Kräfte allein dazu nicht hinrcichen, und allmälig ist man zu der Ueberzeugung gelangt, daß die wahre Wohlfahrt Aller nur durch die Bestrebungen Aller möglich gemacht werden kann. Natürlich sind hier nicht die kommunistischen Versuche von Handwerker-Vereinen und andere ähnliche Erscheinungen ge meint, welche zwar als Zeichen der Zeit ihren guten Grund habe», aber in ihrer einseitigen Richtung sich selbst das Urtheil sprechen: wir meinen die täg lich immer zahlreicher, immer dichter unter derselben Fahne sich schaarende Menge aller Gebildeten an Kopf und Herz, welche als die Träger der Ver nunft dcS Jahrhunderts, mit Wort und That eingreifend, zunächst die Haupt- gcbrechen der Zeit scharf inS Auge fassen, ihre wahre Beschaffenheit und ihre Ursachen zu ergründen suchen und so mit vereinten Kräften die Heilung all gemeiner Schäden erstreben, welche der Einzelkraft, und wäre sie noch so mächtig, unmöglich ist. Freiheit und Gleichheit ist der uralte christliche, durch die französische Revo lution aufs neue proklamirte Grundsatz der Menschenrechte und des Menschen wohles. Freiheit und Gleichheit sind aber leere Begriffe, welche in ihrer nackten Allgemeinheit niemals zur Erscheinung kommen können, weil die Ab- stufung alles unter die Sinne Fallenden ein Naturgesetz ist- Gegensätze also werden ewig bleiben, aber nicht Gegensätze, welche die menschliche Natur, die Vernunft beleidigen. Zwar über Sklaverei und Despotismus sind wir in den Staaten Europa's, welche der Hauch der neueren Zeit belebend durch wehte, hinaus -, die Leibeigenschaft, die Hörigkeit ist vernichtet, der Adel als privilegirtc Kaste ist nicht mehr wie sonst im Ausschließlichen Besitz des Bodens und der Acmtcr: aber noch haben wir Proletarier, noch haben wir eine Aristokratie. Auf Jene, als den Alp der Gegenwart, als das Gespenst der Zukunft, sind die meisten Blicke gerichtet; auch wir haben ihrer schon oft ge dacht und werden leider noch sehr oft auf sie zurückkommen müssen. Heute wollen wir einmal die andere Seite des Bildes beschauen und den Betrachtun gen zweier Schriftsteller über die Aristokratie, eines jüngeren und eines älteren wohlbekannten, nachgehen. Der erste Schriftsteller ist der Graf August CieszkowSki. Auf philo sophischem Wege gelangt er durch die Erforschung deS Allgemeinen zur Er- kenntniß des Besonderen, und zwar handelt er im größeren Theile seines in französischer Sprache geschriebenen Buches °) über die französische Pairs-Kam- mer, obwohl er Pole von Geburt und in Deutschland seine Studien gemacht hat. Der andere ist der alte Arndt, welcher ein kräftiges Wort abgegeben hat über die Rheinischen ritterbürtigcn Autonomen °°), d. h. über die dreißig Herren von der rheinländischen Ritterschaft, welche die landesväterliche Milde Friedrich Wilhelm's III. zu benutzen wußten, um durch die freie Verfügung über sämmtlichcs Erbtheil zu Gunsten eines Sohnes und durch die Gründung einer doppelt ausschließenden Ritter-Akademie sich wenigstens versuchsweise in die guten alten Zeiten beschränkten KastcnthumS zurückzuschicben. Vom be sonderen Falle ausgehend und hier und da zu allgemeinen Betrachtungen aus greifend, gelangt Arndt in der Hauptsache zu demselben Ergebnisse als Graf CieszkowSki, nur daß Letzterer einen Schritt weiter ging und die Stellung der Aristokratie, wie sie in der Zukunft sich gestalten muß, mit scharfen und festen Strichen aussührte. Wir folgen hier seiner systematischen Entwickelung und nehmen gelegentlich eine oder die andere Bemerkung des biederen Landsmanns mit auf. Zwar ließen sich auch treffliche und reichhaltige Randglossen zum Texte des deutschen Büchleins schreiben, aber «xewpl» «unr ollios». I. A. v. CieszkowSki'S Kritik der französischen Pairie. Unter den Ursachen, welche gegenwärtig die organische Entwickelung dcS Lebens der Völker aufhalten, steht in erster Reihe der exklusive und partielle Geist, welcher mehr oder weniger überall, und besonders in Frankreich, die Sitten und die politischen Ideen beherrscht. In Beziehung auf die Sitten offenbart sich dieser Geist in dem beständigen Spiele der Privat-Interessen, in Beziehung auf die Ideen in der Herrschaft abstrakter, unvollständiger und widerstreitender Thcorieen. Es ist Zeit, dieser Zersplitterung entgegenzuwirken und eine Wechselwirkung der Sitten und Ideen herzustellcn. DaS „Gehcn- laffcn" ist in Beziehung auf die Sitten nur ein Zugeständniß an die Trägheit; denn obgleich die Sitten ein selbstkräftiges Produkt des Lebens der Völker sind, und die Institutionen Folgen der Entwickelung dieses Lebens, so ist eS doch eben so wahr, daß die Institutionen auf die Sitten zurückwirken. DaS laisser saire und lawer Pilger ist in der Politik eben so unfruchtbar als in der Oekonomie. Die Zeit seiner Herrschaft ist vorüber. Das wahre Prinzip ist jetzt, die Entwickelung des Völkerlebens zu unterstützen, auf die Gesellschaft zu wirken, und zwar nicht durch Hemmnisse und Verbote, sondern durch positive und organische Institutionen; und diese Institutionen müssen durch die Ent- Wickelung eben so positiver und organischer Ideen gefördert werden, als welche gegenwärtig ihre nothwendigen Vorläufer sind. Frankreich ist gar zu lange die Beute ausschließendcr Theorieen und ab strakter Prinzipien gewesen ; deshalb sind nicht nur die positiven und organi- scheu Ideen in ihrer Spannkraft gehindert, sondern auch die politischen Sitten des Volkes in ihrer Entwickelung aufgehalten worden. ES ist auch eine an erkannte Thatsache, daß cs fast keine politische Sitten in Frankreich giebt, und die wenigen vorhandenen Keime derselben besinden sich noch im chaotischen Ur zustände. Doch erkennt man bereits, baß diese oder jene, einheimische oder fremde Idee oder Institution schon Wurzel gefaßt hat; den» auch die fremden Pflanzen gewöhnen sich allmälig an den neuen Bove», indem sie ihre Natur thcilweise verändern. Ein solches fremdes, jetzt aber als eingebürgert anzu- sehcndeS Gewächs ist die Rcpräsentativ-Verfassung. Es fragt sich nun, ob diese in ihrem gegenwärtigen Zustande den Bedürf nissen und dem Charakter des Volkes entspricht. Zur Lösung dieser Frage muß man die theoretischen Prinzipien und die praktischen Resultate, d. h. die historisch vorhandenen Thatsachen, die Elemente und die Bedürfnisse der Nation untersuchen. Gegeben ist also: I) das Zweikammer-Spstem mit seinen Grund prinzipien und seinen logische» Folgen; . 2) der Zustand deS französischen Volkes, zugleich als ein gegenwärtiger und als ein durch die Vergangenheit erzeugter; gesucht wird: die den gegebenen Bedingungen entsprechende beste parlamentarische Organisation. ') I)e la kairie et üs 1'^ri«toer»t!e moäerue, par le Pointe ^.uxuste auteur ü,i vrellit et «le I» eirenlstiou vto. pari», Ubrsirie 6'^.mvot. 1844. 164 Seiten 8. ") Die Rheinischen ritterbürtigen Autonomen. Von E. M. Arndt. Leipzig, Weid- mannsche Buchhandlung. 1844. 89 Seilen 12.