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WöchcnMch erich-iu-u drei Nuuaii»». Prätt!,u:c»li-nr Ptti« 22j «Ubergr. (1 Tblr.) vi«rl«iiährUch, I T<Ur. tu: das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Lheilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beir n, Comp., Jögtrßraßt Nr. 2!»), so wie oo» alle» Stönigl. Post > Äemlern, angenommen. ^ilcrntur dcs Auslandes. l/ ILZ. Berlin, Sonnabend den 21. Dezember 1844. England. Die historischen Phantasieen des jungen Englands. Selten beginnt eine neue politische Partei ihre Wirksamkeit so vorherr schend mit poetischen Produkten, als dies bei dem sogenannten „jungen Eng land" der Fall ist. Zu den bedeutendsten Vertretern desselben gehören auch zwei junge Männer, die bisher fast nur durch literarische Leistungen für ihre Partei gewirkt und die auch durch ihre Jugend noch mehr als Herr -'Israeli berechtigt sind, das junge England zu reprälentiren. Der älteste der beiden Schriftsteller ist noch nicht achtundzwanzig Jahr alt. Beide gehören der Aristo kratie an: George Sydney Smythe ist der älteste Soh» des Viscount Strang- ford, Lord John Manners ist einer von den Söhnen des Herzogs von Rut land. Auch sind Beide seit drei Jahren Mitglieder des Unterhauses. Die Bücher, um derentwillen sie eine nähere Besprechung verdienen, sind: Lnx- lanä's Drust (Englands Zuversicht, nebst anderen Gedichten) von Lord John MannerS und die lU-worm f»,leien (historische Phantasieen) von Smythe. Ein einziger Gedanke durchdringt die Gedichte des Lord John MannerS: dies ist ein religiöser Gedanke, aber mit der Nuance, die England eigenthüm- lich ist und die besonders die junge Schule auSzeichnet. Lord John Manners hat an der Religion nicht daS besungen, was sich der Poesie zunächst darbietet, den Rausch der Ertasen, die Pracht der Hymnen, die Schmerzen, die von der Resignation hingenommen und von der Hoffnung beschwichtigt werden. Lord John MannerS hat es weniger mit der Religion als mit den Instituten der Religion zu thun, mit der äußeren Form, die ihr in England zur politischen Hülle dient; er hat vorzüglich eine Demonstration zu Gunsten dessen gemacht, was die Engländer die bestehende Kirche, rbe vilsbl^fleü dmrvb, nennen. Für ihn ist LnglsixI'ü Trus« (Englands Zuversicht) die Kirche. Man sieht überhaupt aus den Poesieen des Lord John MannerS, daß das junge England in der Politik ein Resultat der religiösen Bewegung ist, die vor zwölf Jahren an der Universität Orford sich zu entwickeln begann. Diese Puseyistisch-katho- lische Schule von Orford ist selbst aus den politischen Umständen hervorge gangen. Die Lage der anglikanischen Kirche bietet heute einen merkwürdigen Kontrast, verglichen mit dem, was sie vor zwölf Jahren war. Man befand sich damals unter dem Eindruck der Emancipation der Katholiken; die utilita- rischen Ideen und der philosophische Liberalismus, die in der Reform-Bill ihren Sieg feierten, verfolgten damals einen aufstcigenven Weg; die alten, schon angegriffenen Privilegien der Kirche sahen noch gefährlichere Stürme gegen sich heranzichcn; eine parlamentarische Kommission, welche für die Be- aufsichtigung der Kirchen-Angelegenheiten ernannt worden, in der aber die Laien die Mehrheit bildeten, schien der geistlichen Unabhängigkeit der Kirche Gefahr zu bringen, indem sie an ihrer weltlichen Einrichtung rüttelte. In diesem Moment war e-, wo, den Angriffen des philosophischen Geistes und der diffentirenden Sekten gegenüber, einige eiergx»,-» der Universität Orford, die Herren Pusey, Palmer, Williams und Newman, sich in dem Bestreben vereinigten, die anglikanische Kirche auf die Basis der römischen zurückzufühlen, die vergessenen Prinzipien, welche jene mit dieser gemeinschaftlich hat, wieder, herzustellen, ihr den Glanz der alten Traditionen wiederzugeben, auf welchen die englische Kirche beruht, die, obwohl sic von der Gemeinschaft mit Rom getrennt ist, gleichwohl Anspruch macht, den Fundamental-Charakter des Katholizismus in sich zu bewahren. Sie schrieben erst kleine Abhandlungen, in welchen die Hauptpunkte des Glaubens und der Verfassung der anglikanischen Kirche einer neuen Prüfung und Erklärung unterworfen wurden: diese Bro schüren, die anonym und unter der Bezeichnung Dract« kor rke Dime« er schienen, machten großes Aufsehen. Mitten in der Polemik, die sich um sie erhob, verbreitete sich der Geist, der sie eingcgeben, bei einem Theile der llniversitäts-Jugend, des jüngeren Klerus und der höheren Klaffen Englands. Die Schriften der ersten Theologen der anglikanischen Kirche, in denen man den Geist des Katholizismus, je näher man der Epoche Heinrich s VIll. kommt, desto lebendiger wiederfindet, sind von neuem gedruckt und publizirt worden. Man hat neue Ausgaben von den Werken der alten Kirchenväter veranstaltet; noch in diesem Augenblick giebt man das Leben der Heiligen heraus, die der Zeit ««gehören, wo England mit Roni in Verbindung war, geschrieben in den Gesinnungen der mittelalterlichen Jahrhunderte -- doch schon fängt auch der oppositionelle Sturm an, ein furchtbares Ungewitter hcrauszuführen, in welcher Beziehung wir namentlich auf einige der letzten Blätter der whiggisti- schen stlorninx-OKronicle verweisen. Zu den Büchern, welche jene Bewegung hervorgcrufen, gehören auch die Poesieen des Lord John MannerS. Der Enthusiasmus desselben für di« Kirche läßt sich auf ein doppeltes Motiv, auf ein doppeltes Element znrückführen. Lord John MannerS liebt in der Kirche die Hüterin der edlen und heiligen Tugenden, die das religiöse Gefühl unterbält, und dann liebt er die Kirche wegen der Wohlthaten, die sie über sein Vaterland verbreitet hat, also aus patriotischer Dankbarkeit. Diese letzte Nüance, welche vielleicht die Gefühle des Lord MannerS beherrscht, wirst auf seinen Kultus für die Kirche eine historische Farbe; er macht gern die Vergangenheit der Kirche zum Gegenstand seiner Betrachtung. Auch sind er und seine Freunde weit entfernt, das Urtheil der Protestanten in Bezug auf die Religion des Mittelalters zu unterschreiben: sie erblicken vielmehr in dieser Epoche die schönsten Zeiten deS ChristenthumS. Ja, er wünscht nicht bloß die Rückkehr des alten Glanzes der Kirche, sondern auch die Vereinigung der Kirchen, die im Episkopat die apostolische Tradition bewahrt haben. Er hofft, daß sein „wicdergeborener Glaube" England an die Spitze der katholischen Kirchen stellen wird; er möchte cS gern „mit einem heiligeren Namen als dem der Herrin der Meere geehrt sehen, mit dem Na men, den Nom in seiner blühenden Jugend trug und den der Glaubt von Ufer zu Ufer fortpflanzte, dem Namen einer Mutter der Kirchen." In einem an Rom gerichteten Gedichte macht er dem Papstthum Vorwürfe, die gewiß in dem Munde eines Engländers sehr bedeutsam klingen. „Herzloses Rom! groß ist deine Sünde, daß du noch nicht das grausame Urtheil, unter welchem wir in den fremden Ländern schmachten, widerrufen hast.... In reineren Tagen blieben die Kinder der Kirche fest gegen das Schisma und die Häresie. Aber jetzt, wie ist mein Herz so betrübt!" .... Nach solchen Aeußerungen ist Lord John MannerS nur konsequent gewesen, wenn er im Unterhause die Negierung aufforderte, diplomatische Verbindungen mit Rom wieder anzu knüpfen. Dies ist die pusepistischc Richtung eines Theils deS jungen Englands; eine mehr positive und politische Tendenz hat das Buch des Herrn Smythe, das auch den politischen und sozialen Sympathie«» unserer Zeit mehr entgegen- kommt. Der Titel desselben, „historische Phantasieen", stimmt vollkommen zu seiner Form. Herr Smythe wollte mit der Feber diejenigen seiner histo rischen Eindrücke, die ihm für seine politischen Grundsätze bedeutungsvoll schienen, festhalten. Er hat in die Wahl derselben eine Phantasie, eine Man- nigfaltigkeit gelegt, die nicht ohne Reiz ist. Obwohl offenbar aus derselben religiösen und konservativen Quelle, wie blngwnü'» ll'rusc, hervorgegangen, hat doch der Gedanke der Uistorlc ksncies mehr Breite und Entwicklungsfähigkeit. Herr Smythe strebt nach einer Art politischen Eklektizismus, nach einer Versöhnung der Gegensätze, die sich in sei- nein Vaterland und in der Welt bekämpfen. Um dieses Werk der Vereinigung durchzuführen, nimmt er seine Basis auf dem Boden der konservativen Interessen und entlchnt de» demokratischen das Ziel, das sie sich zu Gun sten der arbeitenden Klaffen vorgesetzt, und mit dcm religiösen Gefühl und den Ideen von Pflicht und Hingebung, die daraus entspringen, möchte er dieser Verbindung die Weihe geben. Die Initiative dieses Plans gehört nicht Herrn Smythe; er ist aus der Lage deS Vereinigten Königreichs selbst hervorgcgan- gen und hat schon seine Erfüllung gefunden in den zunehmenden Fortschritten jenes religiösen für die ärmeren Klaffen wirkenden ToryismuS, von dem die Gruppe dcs jungen Englands nur die Avantgarde bildet. Um diese Verschmel zung herbeizuführcn, ist eS natürlich, daß man das Gute und Edle, das in den entgegengesetzten Parteien und Mcinuügcn liegt, zu erfassen sucht. Wo kann man sich zu diesem EklektizimuS, zu diesem Geist politischer Toleranz bester vor- bereiten, als in dein Studium der Geschichte? Herr Smythe glaubt dies, und man muß gestehen, daß er zu diesem Studium keine bessere Gesinnung mitbrin gen kann, als die, welche ihm die Worte cingegeben: „Ich habe nie vergessen, daß selbst bei den verkehrtesten Menschen immer noch mehr zu lieben als zu hassen ist." Herr Smythe wählt die Lehren, die er sucht, hauptsächlich aus der sran- zösischcn, und zwar besonders aus der neueren Geschichte Frankreichs. Frank reich nimmt zwei Drittel der Ui-nnrie kancie^ ein. Ein Aufsatz über die fran zösische Aristokratie eröffnet den Band; Verse über Armand Earrel beschließen ihn. Eine lange Reihe von biographische» Portraits der bedeutendsten Männer der Revolution nimmt den größtcn Theil dieser Skizzen ein. Unter diesen sind te onderS die Portraits von Mirabeau, Saint-Just und RobeSpicrre lesenS- werth. Die Schilderung Mirabeau'S zeigt, daß Herr Smythe das oratorische Talent dieses VolSktribunS aufmerksam studirt hat, wie dies unter Anderem aus folgender Bemerkung hervorgeht: „Man nimmt gewöhnlich an, daß Mirabeau nur in der Heftigkeit und Energie eines Demosthenes sich auszcichnete. Seine