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„nicht aus Aberglauben, wie der größte Theil derjenigen welche diese Reise bloß machen, um Jerusalem zu sehen, sondern — da ich jetzt in Frankreich keinen Nutzen stiften kann, indem der Frieden abgeschlossen und mein geringes Alter geeigneter dazu, zu lernen, als dem Vaterlande zu dienen — vielmehr um meine Zeit darauf zu verwenden, diese verschiedenen Länder und Völker zu beobachten." — Warum er seinen Plan nicht ausgcführt, sondern als er über Deutschland nach Süd-Italien gekommen war, von dort wieder über Deutschland, die Niederlande und Großbritanien nach Frankreich zurückkehrte, wird in dem Buche nicht erklärt. „Ich mußte mich begnügen", sagt er, „die Länder der Christenheit zu sehen, in denen ich jedoch so viele merkwürdige Dinge wahrgenommen, daß mein Gedächtniß allein sie nicht behalten kann und ich es daher durch diesen kleinen Abriß meiner Reise erleichtern will." Vergebens sicht man sich nach einigen näheren Daten über seine Art, zu reisen, oder über seine Reisebcglcitung um . er gedenkt dieser Umstände mit keinem Wort. Ungleich den Touristen unserer Zeil, namentlich den fürstlichen Verstorbenen oder noch Lebenden, nimmt die eigene Person des Herzogs einen sehr untergeordneten Rang in seiner Darstellung ein: nicht ein einziges Aben teuer theilt er uns mit, und nicht eine einzige kleine JndiScretion gegen die vornehmen Kreise, in welche er zu kommen Gelegenheit halte. Nach zwei- hundcrtsünfunbvierzig. Jahren hat diese Tugend freilich an Werth verloren, und wir würden cs lieber sehen, wenn der Reisende weniger diskret gewesen wäre, so daß wir mehr über die Personen und häuslichen Zustände seiner Zeit erfahren hätten. Seine Beobachtungen sind meistens vom inilitairischen Gesichtspunkt aus aufgefaßt; der künftige General, der so viele feste Plätze für die Sache der Resormirten vcrthcidigcn sollte, passirte nicht leicht irgend eine Stadt, ohne sich mit ihren VerthcidigungSwerkcn genau bekannt zu machen. Zunächst führte ihn sein Weg von Paris über RhcimS nach Straßburg, dieser deutschen Stadt, die noch in demselben Jahrhundert, in welchem die Reife des Herzogs von Rohan unternommen ward, durch Verrath in die Hände des Nachfolgers Ludwig's Xlll. fallen sollte. „Straßburg", sagt er, „ist eine Stadt an den Gränzcn des keltischen Gallien und wird zu den größten Städten Deutschlands gezählt: cs liegt in sehr schöner Gegend und ist rings von breiten Wällen und dreifachen, ganz von fließendem Wasser angefülltcn Gräben umgeben. Der Rhein geht eine halbe Stunde von der Stadt vorbei und entsendet einen Arm, der sich innerhalb der Stadt mit der Preuse ver einigt, cinem Flusse, der durch die Stadt fließt und eine Stunde davon sich in den Rhein verliert. Ptolemäus, Marcellinus, Sertus Aurelius nennen die Stadt .4rgenlorsrum, Andere Argentina, wie allgemein angenommen wird, wegen des RcichsschatzeS, der sich daselbst befunden haben soll. Regino, der vor mehr als 700 Jahren geschrieben, nennt es Straßburg, weil es der maßen zerstört gewesen, daß cs nur noch eine große Landstraße war: seitdem ist cs so schön wieder erbaut worden, daß cs dis zu der Größe wieder an- wachscn konnte, in der wir es jetzt scheu. Die Stadt gehörte zuerst den Franzosen, alsdann dem Reiche, und ist seit fünfhundert Jahren, in Folge eines Aufstandes, bei welchem die gemeinen Leute die Stärkeren waren, zur Republik gemacht worden, in welcher Verfassung sic sich noch bis auf diese Stunde befindet. „Es ist dies der Grund, warum in allen ihren Räthcn zweimal so viel Bürgerliche als Adelige sitzen, und zwar giebt es ihrer besagten Räthe fünf, nämlich: den der Dreizehn, der Fünfzehn, der Einundzwanzig, der Dreißig und der Achtzehn. Der erste und der oberste besteht aus vier Adeligen und neun Bürgerlichen, von denen der Ammeister meistens der Vorsitzende, und ist er cs nicht, so wechselt das Konsulat jährlich. Folgendes sind ihre Titel und die Zeiten, in denen sie ihre Würden und Functionen befinden: Bürgerliche Ammeister sind für das Zeughaus auf zwölf Monate bestellt; adelige Stadt- meister: für den Krieg, drei Monate; Konsularen oder Bürgermeister: für den Marstall, sechs Monate; Bürger, Bauern und Hartschiere, sechs Monate. — Der zweite, welcher der Rath der Fünfzehn heißt, besteht aus fünf Edel leuten und zehn Nicht-Adeligen. Sic bewachen — während ihres ganzen Lebens, wenn sie nicht in cinen höheren Dienst treten — die Sitten eines Jeden, als Censoren über die Handlungen aller anderen Beamten: auch liegt ihnen der Haushalt der Stadt ob, und sie allein haben zu den Geldbußen zu verurtheilen. — Der dritte oder der Rath der Einundzwanzig besteht aus sieben Adeligen und vierzehn gemeinen Leuten, die ihr ganzes Lebcnlang nichts Anderes zu thun haben, als daß sie dem Rath der Dreizehn oder dem der Fünfzehn beitreten, wenn dort etwas Wichtiges und sehr Geheimes vorliegt. — Der vierte oder der Rath der Dreißig besteht aus zehn Adeligen und zwanzig Nicht-Adeligen. Ihr Amt dauert zwei Jahre. Sie befinden sich alle Dienstag im Gerichtshof, und sämmtlichc Advokaten verhandeln vor ihnen jede Art von Prozeß, falls die Prozeßsumme nicht 800 Gulden übersteigt. — Der fünfte und kleinste Nath besteht aus sechs Edelleuten und zwölf Nicht- Adeligcn. Ihr Amt dauert ein Jahr; sie nehmen von alle» geringfügigen Prozessen, so wie von kleinen Schulden und Erbschaften, Kenntniß. Die Wahl des AmmcisterS geschieht alljährlich, und zwar durch den Rath der Dreißig. Der besagte Ammeister wird während seiner Amtsdauer auf Kosten der Signoria erhalten und soll stets an offener Tafel speisen. „Ich habe diese kuriose Art von Republik eben nur der Kuriosität halber beschrieben, nicht aber weil ich diesen populären Staat für gut halte. Was mir am meisten daran gefallen, war die gute Mahlzeit, mit welcher man mir aufgcwartct, und was ich am liebsten in der Erinnerung behalten von Allem, was ich dort gesehen, wäre eines großen Königs viel würdiger, als dieses VolkeS: nämlich das Zeughaus, welches wegen der Anzahl von Ge schützen und anderen Waffen, so wie wegen der zahlreichen Munitionen aller Art, überaus bewunderungswürdig ist. Es sind dieselben so gut unterhalten, so nett und wohlgeordnet, daß man in der Welt nichts Schöneres zu sehen vermag. Die Anzahl der besagten Geschütze besteht aus 370 gegossenen Stücken, welche durch Winden montirt werden. Sie besitzen keine Batterie- Kanone, und zwar aus einem sehr kleinbürgerlichen Grunde; denn wie sie sagen, wollen sie Niemand angrcifen, sondern sich nur vcrtheidigen. Sie haben auch große Magazine von Wein, Gctraide, Mehl, Holz, Kohlen und allen anderen Bedürfnissen, um eine lange Belagerung auSzuhaltcn. Es giebt hier drei sehr gut-unterhaltene Hospitäler: eines für Kranke, ein anderes für Findlinge und Waisen, die man, nachdem sic dis zum zwölften Jahre er zogen worden, das Gewerbe lernen läßt, welches sie sich erwählen, und ein drittes Hospital ist für Pilger bestimmt. Was endlich die schönsten Gebäude betrifft, so find darunter bas Rathhaus und der Münster zu zählen, der für den höchsten Thurm der Christenheit gehalten wird. Die Uhr an dem selben ist sehr schon, aber die, welche ich in Augsburg gesehen, übertrifft sie noch." Man sieht, dem Herzog hat cs hauptsächlich darum nicht gefallen in Straßburg, weil dort die Adeligen von den „gemeinen Leuten" (Villain«, roruriers) unterdrückt worden: im klebrigen aber ist er keinesweges hochmüthi- ger Natur, wie denn auch der Beifall, den er in seinem Werke dem Gemein wesen anderer deutschen Reichsstädte, der Stadt Genf und Hollands schenkt, den Beweis liefert, daß cr Freiheit und Bürgersinn zu schätzen weiß. Von Straßburg aus besuchte cr die Städte Spcicr, Worms, Frankfurt, Mainz, Heidelberg, Ulm, Augsburg und München. An keinem Orte unterläßt er, den Namen, den er zur Zeit der Römer getragen, sorgfältig zu erforschen : cr be schreibt die öffentlichen Gebäude, andere Sehenswürdigkeiten und insbesondere stets die Zeughäuser; er rühmt den Empfang, den ihm der Kurfürst von der Pfalz zu Theil werden ließ, aber auch die übrigen deutschen Fürsten, denen cr vorgestellt wird, lassen es an Aufmerksamkeit gegen ihn nicht fehlen. Wir er fahren von ihm, daß schon zu seiner Zeit die in Bayern regierenden Fürsten für ihre Hauptstadt München viel gethan, daß sie allerlei Kuriositäten und Raritäten dort gesammelt, unter welchen der Reisende besonders den Helm und den Degen hervorhebt, die der König Franz I. in der Schlacht von Pavia getragen, „die seltenste Trophäe", sagt er, „die sich nicht bloß hier, sondern in der ganzen Welt befindet." Von Bayern reiste er über Trient, eine schon damals „halb italiänische Stadt", nach Italien. Zehn Tage gebrauchte er, um über die tyroler Alpen zu kommen: so lange dauerte in jener Zeit das Reisen, den» zum Vergnügen hielt sich der Hcrzog im Gebirge nicht aus, da er, wie er sagt, erst wieder frei athmcte, als cr aus den Bergschluchten heraus war. Auf seiner Reise nach Padua, Venedig, Verona, Mailand (an welchem Orte cr besonders die In dustrie bewundert, die dort damals verhältnißmäßig noch mehr blühte als jetzt), Genua, Florenz, Rom und Neapel wollen wir ihn nicht weiter begleiten, da uns für den Augenblick nur das interessirt, was cr über Deutschland sagt, und so schließen wir uns ihm erst wieder auf der Rückkehr und zwar in Oesterreich an, wohin uns seine Erzählung mit cinemmal versetzt, ohne daß gesagt wird, wie er von Mantua nach der Donau und zwar nach Passau gekommen scy. Auf diesem Strome gelangt cr nach Wien, wclchcr Hauptstadt er jedoch nur einen kurzen Artikel widmet. Folgende Kriegs-Anekdote ist beinahe Alles, was er uns über die Kaiserstadt miltheilt: „Die Belagerung Wiens durch Soliman im Jahre 1529 ist besonders merkwürdig"); sie begann am 13. September und ward am Ist. Oktober wieder aufgehoben wegen des schönen Widerstandes, den die Christen dasclbstleisteten. In derStadt isteinekleincStatue von einem Türken zu sehen, der, während der Belagerung den Christen nachietzend, die einen Aus fall gemacht, in dem Gewirre mit in die Stadt gerieth und sämmtlichc mit Kctten gesperrte Straßen passirte, ungeachtet der Büchsenschüsse und anderen Hindernisse von Seiten derjenigen, so ihm begegneten, bis zu einer der letzten Ketten, gegenüber der Statue, die ihm errichtet worden, wo, als er jene Kette überspringen wollte, sein Pferd stürzte und er getödtet warb. ES ist dies eine der schönsten Merkwürdigkeiten der besagten Stadt, nicht von wegen der Herr lichkeit der Figur, sondern in Betracht der Tapferkeit des gedachten Türken. Die Stadt ist klein, aber gut gebaut und sehr volkreich." „Um nicht zu bedauern, baß ich so nahe bei Ungarn gewesen, ohne davon sprechen zu können, entschloß ich mich, einen der festesten Plätze des Landes, wenigstens desjenigen Theiles, der den Christen verblieben, zu besuchen." — Als diesen festen Platz nennt darauf der Verfasser Java rin, welches viel leicht nichts anders ist, als die damals feste Stadt Jauer (äuvormu) in Schlesien, °") indem er bald darauf auch des nahegelegenen Platzes Strigonia gedenkt, wohin er zu seinem Bedauern nicht habe gelangen können. Strigoni» ist aber auch nichts anders als der lateinische Name der schlesischen Stadt Striegau. Vermuthlich hat also der Herzog, der eben so wenig deutsch, als böhmisch und ungarisch verstand, Schlesien für Ungarn angesehen, wofür auch der Umstand spricht, baß er unmittelbar von „äsvarin" nach Prag gelangt, welches er „nicht sonderlich freundlich und sehr schmutzig, aber ungemein volk reich" darstellt. „Die Stadt ist auch", fügt er hinzu, „in den Religionen sehr getheilt, indem eS in Deutschland keine Sekte giebt, von welcher sich daselbst nicht eine Aussaat befindet, und zwar ist nach der katholischen Religion die am meisten verbreitete und gestattete die hussitische." (Schluß folgt.) »1 Es ist dieselbe nicht mil der zweiten Belagerung Wiens durch die Tu te» im Jahre Ik« zu verwechseln. "l In Ungarn heißt nur nach das Gebirg in der Niihe des Fleckens Unghvar Ja var nick; dies kann der Reisende jedoch nicht gemeint haben.