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WSchemUch «scheinen drei Nummern. Pränumeration«-Preis 22j Silbergr. (j Thlr.) vierteljäkrlich, 3 THIr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der PreuSischc» Monarchie, Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u, Eomp., Iägerstraße Nr. 2S), so wie von allen König!. Post Aemtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. .4/ 147. Berlin, Sonnabend den 7. Dezember 1844. Schweiz. Die Schweizer Geschichtsforscher. Der Grundcharaktcr aller Werke über die Geschichte der Schwei) ist eine wissenschaftliche, streng unparteiische Kritik, die ihre Bahn durch das ver worrenste Dickicht der Handschriften und Chroniken verfolgt, die man ungern auf ihrem Wege begleitet, aber freudig an ihrem Ziele ankommen sieht. Der Stoff dieser Geschichtswcrke trägt in unzähligen Citaten die Spuren Ler Mühe, welche seine Gewinnung und Säuberung gekostet; er ist in so viele Einzelheiten zersetzt, seine Behandlung ist so juristisch minutiös, daß jene Bücher im Allgemeinen der Masse des Publikums kaum zugänglich sind, ob gleich sie die neuesten und interessantesten Resultate schweizischcr GcschichtS- forschung enthalten. Dessenungeachtet ist die künstlerische Behandlung der Geschichte nicht weniger in den Händen talentvoller Männer, als die kritische, und hier ist eS besonders Johannes Müller, der alle seine Landsleute überragt. Indessen, wenn derselbe noch von keinem Schweizer erreicht wurde, so ist dies nicht nur seinem Genie, sondern auch gewissen anderen Verhältnissen zuzuschreiben, die wir sogleich auScinandersctzen wollen. Die Geschichtsschreibung hat in der Schweiz, wie wir bereits angedeutet haben, vorzugsweise eine gelehrte Färbung. In keinem anderen Lande, das ähnliche gesellschaftliche Zustände in sich entwickelt hat, ist die Vorliebe für Alterthums-Studien so vorherrschend als hier, und selbst bei Müller strotzt jedes Blatt von Citaten und Nachweisungen, die er freilich nur halblaut und, wie die Schauspieler ihre geheimen Gedanken und Beweggründe, „bei Seite" spricht. Aber eingefleischte Historiker würden sehr in Verlegenheit gesetzt werden, wenn man sie zwischen Tert und Nolen wählen ließe, und ich kenne welche, die ohne GewisscnSskrupel den ersteren opfern würden. Ucbrigens hat Müller die gelehrten Anmerkungen nicht zur Ausschmückung seines Werkes ge schrieben; er fühlt im Gegentheil ihre Bedeutung, er steht zwischen ihnen, wie der Berggeist unter Gnomen, — sie sind es, die ihm die begeisternden Worte getragen, aus denen er für sein Volk sein Epos aufbaut. Er ist indeß nicht der Erste, der in den öffentlichen Dokumenten eine solide Grundlage für die Geschichte der Schwei) suchte, und hat hierbei, nach Art vieler großen Künstler, nur eine schon vor ihm von Anderen angeregte Idee in Ausführung gebracht. Jeder Kanton, jede nur einigermaßen bedeutende Gemeinde hatte ihre Chroniken, die von den Staats-Secretairen geführt wurden und aus diese Weise einen halboffiziellen Charakter erhielten. Dessenungeachtet sind es keine trockene Aufzählungen von Begebenheiten, und manche Chronikenschreiber, wie Tschudi, wissen uns durch Naivetät und Poesie zu rühren. Man darf sich über diese Vereinigung des poetischen und kritischen Geistes nicht wundern, wenn man bedenkt, daß die Schweizer einerseits früh gelernt haben, ihre eigenen Angelegenheiten mit scharfem Auge zu beurtheilen, und daß sie an- dcrcrseitS, was die Poesie betrifft, Bergvölker sind. Auch waren eS nicht die Historiker, welche der Geschichtsschreibung in der Schweiz den Charakter gaben, sondern der Stoff derselben war es, der ihn bedingte. Dieser Stoff ist die Geschichte eines Volkes, aber nur eines Volkes, nicht seiner Anführer. Dies ist so wahr, daß man bei Erzählung der wichtigsten Ereignisse von den Führern schweigt. Man lese nur die Beschreibung der großen Schlachten. Die Streiter haufen, die verschiedenen Banner, die Soldaten aus jeder Gemeinde und jedem Thale sind gezählt, aber die Feldherren sind vergessen worden. Es ist durchaus nicht entschieden, wer bei Morgarten, Sempach und Granson kom- mandirte, und in der That war es auch nur der Entschluß Aller, zu siegen oder zu sterben, der jene Schlachten leitete. Und dennoch, wiewohl kein Name in den Vordergrund tritt, ist die Geschichte keines Landes einem Epos ähnlicher, als die der Schweiz. Hier ist das Volk der wahre Held, und was die Geschichte zu erzählen hat, ist das Leben Aller, das öffentliche Leben. Das Volk aber ist in Kantone und Distrikte vertheilt, thcils industriell, theils mit Ackerbau oder Viehzucht beschäftigt, aber immer frei und, was auch in den einzelnen Kantonen sein Gewerbe ist, kriegerisch. Darum lieferte auch jeder Theil der Schweiz der Geschichte hinlängliches Material, und darum muß man die Geschichte aller einzelnen Distrikte studiren, wenn man diejenige des ganzen Volkes kennen lernen will. Diese Spezialgeschichten nun sind das wahre Feld der Kritik, jedoch nicht weniger ein Kreuz für die Lernenden. Man begreift die Schwierigkeit dieser Studien und bewundert Müller, dessen Buch neben den cigcnthllmlich starken Gedanken und Worten die genaue sten Quellenforschungen enthält. Er schreitet ordnend in stolzer Haltung durch die verworrenen Massen sich kreuzender Ereignisse. Krieger, Staatsmänner, Sitten, Gesetze, Revolutionen, Friedensschlüsse, Alles kommt zu seiner Zeit, an seinen gehörigen Platz, nichts ist von ihm vergessen worden. Man muß sein Werk gelesen haben, — und wir können hinzufügen, wer eS nicht ein wenig studirt hat, hat es nicht gelesen, — um sich einen Begriff von der Last zu machen, die sich ein Geschichtsschreiber der Schweiz auflegt. Müller hatte indeß Nachfolger, die sich von der Schwierigkeit der Aufgabe nicht zurück schrecken ließen. Es ist freilich eine kleine Verlegenheit, selbst bei vorzüglichem Talent, einen so originellen und genialen Vorgänger zu haben, als Müller ist. Auch ist sein Werk mehr abgeschlossen und ungeeigneter zu einer Fortsetzung, als cs scheint. Müller ist die alte, die heldenmüthige Schweiz, deren Geschichte halb unter dem Schleier der Sage verborgen liegt und ihn nie ganz entbehren mag. Die Ereignisse jener Zeit waren feierlich, und eben so feierlich ist der Stpl, in welchem sie Müller erzählt. Aber nicht mehr so verhält es sich mit den Zeiten, die er nicht geschildert hat, die besser gekannt sind und in denen fremde Kriege, Reformation und Revolutionen die Schweiz entzweiten. Müller würde sic sicher ebenfalls mit Meisterhand gezeichnet haben, aber sein Geist hätte sich da nicht heimisch gefühlt. Diese Arbeit war seiner Eigen- thümlichkeit nicht angemessen, und seine Nachfolger befanden sich also in der sonderbaren Lage, ihre schwierige Aufgabe um so besser zu lösen, je weniger sie dem großen Historiker ähnlich waren. Der Erste von ihnen, der Zeit nach, ist Robert Glutz aus Solothurn. Er beschrieb die italiänischcn Kriege und ist nur wichtig, weil er, freilich in ziem lich ungewandter Weise, das Leben der Söldner aus der Schweiz genau schil derte. Im Ucbrigen ist er für jene Zeit unzureichend, in welcher die Schweiz einen Augenblick zu der Nolle einer großen kriegführenden Macht gelangte, in der z. B., wie Guieciardini ausdrücklich bemerkt, „der Verlust oder die Erhal- tung Mailands nur davon abhing, ob sich Schweizer anwerben ließen oder nicht". Selbst die Schlacht von Marignano, jene Schlacht der Niesen des sechzehnten Jahrhunderts, ist in dem Werke von Glutz verworren dargestellt. — Auf Glutz folgt Hottinger, ein Züricher, der vieles und tiefes Studium verräth und über die Anfänge der Reformation geschrieben hat. Sein Werk ist gewissermaßen nur eine weitläufige Einleitung in dieselbe oder, wenn man will, eine spezielle Geschichte der kirchlichen Revolution in Zürich zur Zeit Zwingli'S, keineswegeS aber eine der großen Abtheilungen der Schweizer Ge schichte. Diesen Fehler bei Seite gesetzt, ist die Arbeit sehr ausgezeichnet, und obgleich sie nur einen Zeitraum von wenigen Jahren umfaßt, enthält sie doch einige sehr wichtige Begebenheiten. Unter Anderem ist die Schilderung der Schlacht von Pavia und der Person Ulrich Zwingli'S, von dem derselbe Autor vor kurzem eine populaire Biographie geschrieben hat, besonders gelungen. Hottinger ist zwar ein geborner Deutscher, aber an Geist und Charakter völlig zum Schweizer geworden. Vulliemin übernahm, als Dritter in dieser Reihe der Geschichtsforscher, die Reformation der französischen Schweiz, Genf und Kalvin. Mit Einschluß aller Folgen, welche dieses Ereigniß nach sich zog, reicht das Werk bis 1712. Monnard wird über das I8te Jahrhundert und die Revolution schreiben. Diese mühevollen Arbeiten sind eben so ehrenvoll für die Autoren, welche sich ihnen widmen, als für das kleine Volk, das der Geschichte ein so reiches Material liefern kann. Vulliemin und Monnard haben französisch geschrieben und die Arbeiten ihrer Vorgänger ebenfalls in diese Sprache übersetzt. Das Hauptwerk Monnard'S ist noch nicht erschienen und soll den letzten Theil einer großen Sammlung historischer Arbeiten bilden. An der Spitze dieser Sammlung steht eine Biographie Müller's von Monnard, die großes Aufsehen in der Schweiz gemacht hat. Sie hat den nicht unbedeutenden Fehler, daß sie Müller nur als Mensch und Geschichtschreiber, nicht aber als politische Person betrachtet. Dessenungeachtet bietet sie eine sehr anziehende Lektüre dar und berechtigt für die übrigen Schriften ihres Verfassers zu den schönsten Hoffnungen. Um einen Geist zu schildern, den das Genie bewegt und treibt, muß man mehr als bio graphisches Talent haben, man muß sich in seinen Helden versenken können und selbst vom stürmischen Thatcndrange ergriffen gewesen sepn. Das ist es auch, was uns in dieser Lebensbeschreibung Müller's fesselt, daß wir ihn selbst finden, wie er war, in seiner unwandelbaren Größe, in der Fülle seines Geistes und seiner Kraft, mit seiner Gelehrsamkeit und seinem Unglück. Man sicht eS dem Biographen an, daß er seinen Helden mit der innigsten, aber einer schweig, samen Liebe zeichnete; er überredet und rührt durch die bloße Aufzählung von Thatsachen. Durchdringender Verstand und feiner Geschmack sind die hervortretcnden