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536 auch nicht der Gesellschaft, doch des Verhältnisses der arbeitenden Klassen zum Staate aus, weil ihm die bisher bestehenden Einrichtungen an Sparkassen, Kranken- und anderen Unterstützungs-Vereinen ungenügend dünken. Wir haben in Nr. 132 des Magazins eine Nachricht über die Einrichtung der von den unserigen so vortheilhaft sich unterscheidenden Pariser Sparkasse mitge lheilt und halten es, da man jetzt auch bei uns mit der Gründung von Ver einen zur Aufhülfe der arbeitenden Klaffen sich beschäftigt, für recht, über ähn liche in Frankreich auftauchende, wenn auch vorläufig wohl unausgeführt bleibende Projekte hier zu referiren. Die Einleitung des Tcrsonschen Memoire's bespricht die Klagen der ar beitenden Klaffen, ihre Stärke, ihren Mangel an Geduld (etwas, was in Frankreich bekanntlich nicht bloß bei der arbeitenden Klaffe wahrzunehmen) und die Unbilligkeit und Gefahr einer längeren Verzögerung der nöthigen Reformen. Um die Lage der Arbeiter auf friedliche Weise zu verbessern, schlägt Herr Terson die Errichtung dreier Anstalten vor: 1) einer Kasse für die kranken und alten Arbeiter; 2) gemeinsamer Werk stätten, und Z) einer Kreditbank. Die letzte darf erst ins Leben treten, wenn die beiden ersten bereits im Gange sind, und wird in dem Memoire nicht weiter beschrieben. Die Vcrsorgungskasse soll alten Arbeitern beiderlei Geschlechts eine jährliche Pension von 2-800 Francs sichern, wenn dieselben dreißig Jahre hindurch in Frankreich oder in den Koloniee» Gehülsen in irgend einer Fabrik oder Werkstatt gewesen find. Nähere Bedingungen für die Zu lassung zu dieser Unterstützung, die auf solche Weise zugleich eine Belohnung wird, sind eine stets unbescholtene Führung, die Unmöglichkeit, länger von der Arbeit oder von eigenen Mitteln zu leben, und ein Alter von fünfundsechzig Jahren. Die Pension ist mit einem eigenen Ncchtstitel verbunden, wird aber nicht in einem Hospital, sondern an jedem dem Penfionnair beliebigen Orte verzehrt. Die gemeinsamen Werkstätten sind zweierlei Art, entweder konstant an dem Orte ihrer Errichtung, oder beweglich. Die ersteren, deren es in jedem Departement wenigstens eine geben soll, besorgen ausschließlich diejenigen Arbeiten, welche Monopol des Staates find oder unter dessen unmittelbarer Aussicht stehen. Alle Arbeiter und Arbeiterinnen vom sechzehnten bis zum fünfundsechzigsten Jahre werden hier ausgenommen und für einen bestimmten Zeitraum engagirt. Ferner wird die Menge und die Dauer der Arbeit, je nach dem Alter und Geschlecht, und halbjährlich die Höhe des Lohns festge setzt. Diese Werkstätten werden von permanenten Oberarbeitern beaufsichtigt, die ein fixes Gehalt bekommen und eine Uniform tragen. Die beweglichen Werkstätten bilden eine wahre industrielle Armee, ein Arbcitsheer, wie ein solches auch bereits in der Schweiz in Vorschlag gebracht worden (m. vgl. Nr. St des Magazins von d. I.), das ausschließlich aus männlichen, majorennen, kräftigen und unverheirateten Arbeitern besteht. Dieselben theilen sich in Divisionen, Regimenter und Compagnieen und stehen unter Capitainen, Kommandanten und Generalen. Jedes Departement hat einen General. Die Ernennung der verschiedenen Chefs geschieht auf Vor schlag der Arbeiter durch die Regierung. Die Arbeiter tragen eine Uniform, leben gemeinschaftlich und find während ihres Engagements, das wenigstens die Zeit von zwei Jahren umfassen muß, der Disziplin unterworfen. Der Unterricht, die Feierstunden, die Hospitäler, der Sold und das Arbeitsquantum werden offiziell durch Statuten geordnet. Diesen beweglichen AttelierS werden die öffentlichen Bauten übertragen. Ein General-Büreau leitet sämmtliche öffentliche industrielle Anstalten und hat drei Comitü's unter sich, ein Zulaffungs- und Verwaltungs- und ein JnspectionS-Comitö, deren Geschäfte in dem Memoire weiter ausgesührt find. In Bezug auf die Mittel zur Jnswerksctzung dieser Vorschläge appellirt Herr Terson an die Großmuth der Regierung und seiner Mitbürger. Eine Petition mit einer großen Anzahl von Unterschriften, die er herbeischaffen will, soll den Kammern vorgelegt werden, damit dieselben die Initiative zu dem Na- tional-Vercin gegen das Elend der Arbeiter ergreifen. Sind die Kammern dazu bereit, so ernennt die Regierung das General-Büreau, Las sogleich in Paris und den Hauptstädten der Departements Comites zur Subscription errichtet und einen Geldaufruf an das Land erläßt. Herr Terson rechnet, daß von jedem Departement ein jährlicher Beitrag von I,SOO,000 Fr. werde gegeben werden. Dies würde für ganz Frankreich ungefähr die Summe von 12» Mill. Francs ausmachen, welche genügend sind, um die projektirten Anstalten ins Leben zu rufen. Mannigfaltiges. — Ein Schreiben Ludwig's XVI. und der Seinigen. In der Nevue g« I>sr>8 wird ein Schreiben mitgetheilt, das Ludwig XVI. am 2». Juli 178» wahrscheinlich an die Prinzessin von Lamballe gerichtet hat und woran so wohl die Königin Marie Antoinette als die Prinzessin Elisabeth einigeZeilen ge schrieben. Es ist dieser Brief charakteristisch für alle drei Personen, indem nämlich der König voll Herzlichkeit über meistens geringfügige Dinge schreibt, als ob nichts in der Welt vorgefallen wäre; die Königin dagegen drückt sich in sorgen- und ahnungsvoller Weise über das eben stattgefundenc Ereigniß, nämlich über die Erstürmung der Bastille, aus; die Prinzessin Elisabeth end lich begnügt sich, ein Gebet ihres Herzens hinzuzufügen. Folgendes ist das Schreiben aller drei, nachmals so unglücklich gewordenen Personen: „2S. Juli 1780. „Ich habe Ihr Schreiben, meine Liebe, empfangen und auch bereits darauf geantwortet; ich thue dies jedoch in einem Duplikat, da man heutzu tage auf keinen Weg sicher rechnen kann. Ich bin nicht wenig erstaunt ge wesen über den, auf welchem ich von Ihnen Nachricht erhalten. Ich hatte derselben mit Ungeduld cntgegengcsehen; ich fürchtete, baß die Reise Sie zu sehr anstrengcn würde, und war nicht weniger besorgt für Ihre Reisegefährtin, so wie für Jeden, der zur Zeit des 13. Juni nicht entfernt war. Ich wünschte wohl zu wissen, ob Ihre kleine Schwester auf der Reise munter gewesen und ob sie glücklich angekommen, so wie, ob die Cousine vom Verin wohlbehalten bei Ihnen eingetroffen. Hier würde sich Alles Wohlbefinden, wenn das Herz nur zufrieden wäre; aber es ist doch eine schöne Allegorie, die von der Büchse der Pandora. Guten Abend, meine Liebe, Sie kennen meine ganz unver änderlichen Gesinnungen. Ludw ig." „Ich kann, mein theures Herz, die sichere Gelegenheit, die sich mir dar- bietet, Ihnen heute noch einmal zu schreiben, nicht vorübergehen lassen. Es ist dies ein so großes Vergnügen für mich, daß ich meinem Gemahl für die Zusendung seines Briefes unzählige Male gedankt habe. Sie wissen, ob ich Sie liebe und ob ich Ihre Abwesenheit bedaure, besonders unter den gegen wärtigen Umständen. Die Sachen scheinen keine gute Wendung zu nehmen. Sie wissen ohne Zweifel, was am 14. Juli vorgefallen; der Augenblick war furchtbar, und ich kann mich von dem Abscheu über das vergossene Blut noch nicht erholen. Wollte Gott, daß der König das Gute, mit welchem er einzig und allein beschäftigt ist, zu thun im Stande wäre! Die Rede, die er an die Versammlung gehalten, hat einen großen Eindruck gemacht. Die Recht schaffenen unterstützen uns, aber die Sachen gehen rasch und ziehen nach sich, man weiß nicht, wohin. Sie können sich von den Jntrigucn, die rings um uns Vorgehen, keinen Begriff machen; ich mache täglich die merkwürdigsten Entdeckungen in meinem eigenen Hause. O, meine Freundin, wie traurig und betrübt bin ich! So eben kommt Herr °°° hier an; er hat Sie gesehen und mir von Ihnen erzählt; seine Rückkehr ist ein wahrer Triumph gewesen. Könnte er uns doch helfe», den blutigen Sccnen ein Ende machen, die dieses schöne Land verwüsten. Adieu, Adieu, mein theures Herz. Ich küsse Sie von ganzer Seele, Sie und die Ihrigen. Marie Antoinette." „Wollen Sie, liebe Frau, daß ich Ihnen sage, wie sehr ich zu Gott bete für Sie und für diejenigen, die Ihnen theuer find? Elisabeth Marie." — Balbi und das Pariser ^nnuaire «leg Vozages. Der be kannte Geograph, Ritter Avrian Balbi, hat kürzlich in einer Beilage der karretta R IVlilsna auf die Ausstellungen geantwortet, die in dem diesjährigen Xnnuiüre des Vozages et de la Keograptü« gegen sein Buch über die Elemente der allgemeinen Geographie erhoben worben, wobei er namentlich den Vorwurf zurückweist, daß er die politische mit der natürlichen Geographie bunt durch einander gemischt und also keinem bestimmten Spstem gefolgt sey. Das Interessanteste an dieser Abfertigung ist jedoch, daß Herr Balbi dem Herausgeber des ^nnuaire eine Masse von geographischen Schnitzern nachweist, die dieser selbst gemacht, wie er denn z. B. den Taal, einen der heftigsten feuer speienden Berge auf Luoon, einer Insel der Philippinen, nach China verlegt hat, und zwar wahrscheinlich bloß deshalb, weil dieser Berg, eben so wie die Wasserfläche, aus der er sich erhebt, einen chinesisch klingenden Namen hat; letztere heißt nämlich Bongbong, was beinahe so wie Hongkong klingt. Herr Balbi weist dem französischen Herausgeber ferner nach, daß er zwar die Lei stungen der Franzosen auf dem Gebiete der Geographie einigermaßen, wenn auch nicht vollständig kenne, doch von dem, was für diese Wissenschaft in England und in Deutschland gethan werde, kaum eine Ahnung habe. Aller dings muß man auch dem Ritter Balbi das Verdienst zuerkennen, daß ihm kaum etwas entgeht, was in diesen beiden Ländern zur Erweiterung der Erd kunde geschieht, und daß er gewissermaßen als der Vermittler zwischen Deutsch land und England einerseits und Italien und Frankreich andererseits auf dem Felde der Erdkunde zu betrachten ist. — Lebensdauer der Kriegsschiffe. Das älteste Schiff der briti schen und wahrscheinlich auch wohl jeder anderen Marine der Welt ist das jetzt im Hafen von Portsmouth liegende Linienschiff „Bictorp", das Admiral schiff, auf welchem Nelson fiel; cs ist dasselbe im Jahre 1705 gebaut, jetzt also 70 Jahr alt und — da es das älteste ist — ein Beweis, daß die Kriegs schiffe im Durchschnitt noch jünger zu sterben pflegen, als ihre Kommandiren- den. Das älteste Linienschiff der Franzosen, der „Ocean", datirt erst aus dem Jahre 1790. Die Engländer thun alles Mögliche, um das Leben der „Victorp" zu verlängern, und da fie wahrscheinlich den Ort, auf welchem sie in jenem Hafen vor Anker liegt, nicht wieder verlassen wird, so kann sie allerdings noch einige Zeit ihr Dasepn fristen. Ohne die in den Marine-Zeughäusern auf- bcwahrten Modelle würde man heutzutage kaum noch wissen, wie die Schiffe ausgcsehen, mit welchen England im I7ten und I8ten Jahrhundert seinen Ruhm auf dem Meere begründete. Von der Flotte des alten Venedig ist jetzt nur noch ein halb verbranntes Bruchstück von dem Schiffsschnabel des letzten „Bucentaur" vorhanden. Auch auf die Flotten und deren Manövrirkunst ist der alte Spruch anwendbar: tlrs longa, vir» brevw. Herausgegebcn und redigirt von I. Lehmann. Im Verlage von Bert Comp. Gedruckt bei A. W. Hayn.