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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrämimeraiionS > Preis 22j Sildergr. (j Thlr.) vierlelj'chrlich, Z Thir. für das qan;e Iadr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationrn werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veir n. Eomp., Iägerstraße Nr. 25), so wie von allen Königs. Boll > Remtern, angenommen. Literatur des Aus l n nd es. s/ 82. Berlin, Dienstag den 9. Juli 1844. Frankreich. Der Aufstand der Seiden-Arbeiter in Lyon. November I8ZI. (Aus dem drilt,u Bande von L. Blanc'S „Ili.toir« So Sir an«".') Während Paris der grüßten Aufregung pretSgegebcn war, glimmte in Lyon der Bürgerkrieg. In Lyon waren cs aber nicht, wie in Paris, politische Fragen, welche die Geisler in Verwirrungen stürzten und die Gemüther mit Leidenschaft erfüllten. Hier hatte das Uebel tiefere Wurzeln. In der Vor stadt Croir-Rouffe vegetirte eine ungeheure Bevölkerung, welche einer müh seligen und für sie fast unfruchtbaren Arbeit hingegeben war. Die Seiden- Arbeiter schmachteten nicht bloß unter dem Drucke des ElendS; sie waren auch das Opfer der ungerechtesten Verachtung. Diejenigen, die sie bereicherten, betrachteten sie als einen niedrigeren und gemeineren Menschcnstamm; der schreckliche Tribut, den die ungesunde Wohnung und die übermäßige Arbeit in den Werkstätten von ihnen erhoben, lieferte der Verachtung nur neue Waffen, und die schmachvolle Bezeichnung „Canuts" schloß alle Formen ihres Elends i» sich. Welche Gedanken mußten die Nächte dieser Parias der modernen Civilisation auösüllen, wen» sie beim Scheine der Lampe, die in einem schmutzigen Loche brannte, ihre Wcbstühle für die friedlich schlafenden Reichen in Bewegung setzten? Und dennoch ging ihre Empörung nicht aus ihrem Willen, sondern aus dem Verhängnisse der Umstände hervor, als ob das Elend seine Nahrung und das Prinzip seine Dauer in sich selbst fände! Um sich eine richtige Vorstellung von dem blutigen Drama zu machen, das wir beschreiben wollen, ist es nöthig, die Organisation der Lyoner Fa- briken zu kennen. Sie waren 1831, was sie noch jetzt sind. Die Seiden- Industrie beschäftigte 30—40,000 Arbeiter. Ucber dieser Klasse, welche von einem Tage zum anderen Tage lebte, stand die der WcrkstattSführcr, die 8—10,000 Mann stark seyn mochte; von diesen war Jeder Besitzer von vier oder fünf Webstühlen und beschäftigte die Arbeiter, denen er die Arbeils- Werkzeuge lieferte, gegen Zurückbehaltung des halben, vöm Fabrikanten gc- zahlten Lohns. Die Fabrikanten, die etwa 8üt) Mann stark scpn mochten, bildeten eine dritte Klaffe zwischen den WcrkstattSführern und denjenigen, die unter dem Namen der LommisfionairS ihnen den rohen Stoff lieferten; dies waren wahre Parasite und recht eigentlich die Blutegel der Lyoner Industrie. So lasteten die Commissionairs auf den Fabrikanten, welche wieder die Werk- stattsführer drückten; und diese waren gcnöthigt, das Joch, das sie selbst trugen, in aller Schwere auf die Arbeiter niederfallen zu lassen. Daher ein ununterbrochener Druck;'daher im Schoße dieser Klasse, welche di« Last aller dieser übercinandergeschichteten Tyranneien trug, ein geheimer Haß, der in den Herzen gährte und sich endlich in zornigem Geschrei Luft machte. Dennoch hatte die Blüthe der Lyoner Fabriken die Gefahr für lange Zeit beschworen. So lange ihnen die Arbeit nicht unter menschenmörderischen Bc- dingungen auferlegt worden war, hatten sich die Arbeiter mit dem bescheidenen Lohne begnügt, der ihnen das Leben fristete. Aber Umstände, welche der Juli-Revolution vorausgingen und ihr fremd waren, hatten den Lyoner Fabrikaten geschadet. Zahlreiche Scidenstühle waren in Zürich, Basel, Bern, Köln entstanden; und auch England befreite sich allmälig von dem Tribute, den es der Stadt Lyon so lange bezahlt hatte. Zu dieser Ursache des Unter- ganges für die Arbeiter kam noch eine zweite und wirksamere. Seit 1824 hatte sich die Zahl der Lyoner Fabrikanten in starkem Verhältnisse vermehrt, und zu den Wirkungen der fremden Konkurrenz, welche doch nur die einfachen Stoffe traf, war das Unheil einer inneren Konkurrenz gekommen, welche die äußerste Gränze erreichte. Einige Fabrikanten fuhren fort, sich zu bereichern; aber die meisten, die ihren Gewinn schwinden sahen, ließen ihren Verlust auf die WcrkstattSführer fallen, welche wiederum einen Theil der sie drückenden Last den Arbeitern aufluden. Von 4 bis 6 Fr. fiel daS Lohn des verständigen und fleißigen Arbeiters allmälig auf 40, 3S, 2Ü SouS; im November 1831 verdiente der Arbeiter, der bei der Fabrikation der einfachen Stoffe beschäftigt war, nur noch 18 Sous bei einer Arbeit von 18 Stunden täglich. So war also der Druck durch alle Stufen der invustriellcn Stufenleiter hindurchgegan gen. Als die unglückliche» Arbeiter sich selbst das Brod für ihre Frauen und Kinder streitig machen sahen, stießen sie einen Nothschret aus. Selbst die Lage der WerkstattSführer wurde hart; die Herabsetzung der Preise für die -) Eine Ulblrsttznng des ersten Bande«, von L. Buhl, ist so eben hier in der W. Hcrm-s'schen Buchhandlung erschienen. Fayons erlaubte ihnen nicht mehr, die Last hoher Micthen und die Ver luste zu tragen, welche sich aus den häufigen Arbeitsferien ergaben. Die Klage wurde allgemein; WerkstattSführer und -Arbeiter vereinigten ihre Leiden; und aus diesem Viertel des Elends, welches die Croir-Rouffe hieß, hörte man ein zunächst wirres, sodann aber furchtbares und ungeheures Geschwirr ertönen. Lyon hatte seit einiger Zeit einen Präfekten, der es gut verstand, den Volkölcidenschaften zu schmeicheln und sie zu leiten. Herr Bouvier-Dumou- lard sah bald ein, daß man in dem Zustande, worin sich die Dinge be fanden, entweder die arbeitende Bevölkerung ausrotte» oder ihre Forderungen befriedigen müsse. Er entschied sich für das Letztere. Unglücklicherweise war sein Ansehen in Lyon nicht fest begründet. Er wurde von der Munizipal. Verwaltung, einer mißtrauischen Gewalt, unter deren Streichen schon sein Vorgänger Paulze d'Jvoy erlegen war, nicht nachdrücklich unterstützt: noch bedenklicher war, daß er im General-Lieutenant Roguct einen Feind hatte. Der Graf Nognet war ein tüchtiger Solvat, aber er war auch nur daS. Die Klagen der arbeitenden Bevölkerung waren nach seiner Ansicht nur der Aus bruch einer meuterischen Unzufriedenheit, und diese Stimmung, verbunden mit seinen persönlichen Autipathieen, machte ihn nicht sehr geeignet, die Pläne der Munizipal-Verwaltung zu unterstützen. Trotz aller dieser Schwierigkeiten machte sich Bouvier-Dumoulard ans Werk. Zunächst suchte er das Vertrauen der Arbeiter zu gewinnen, indem er sich als den Verfechter ihrer Interessen darstelltc. Sie forderten die Festsetzung eines Tarifs mit einem Minimum; diese Forderung war gerecht; er traf seine Maßregeln, um sie durchzusctzen. Am II. Oktober 1831 hatte der Rath der Werkverständigen folgende Er- klärung entworfen: „In Betracht, daß eS allgemein bekannt ist, daß viele Fabrikanten ein zu geringes Lohn für die Fayon bezahlen, ist es nützlich, daß ein Tarif das Minimum für den Preis der Fapon festsetze." Obgleich dieser Rath der Werkvcrständigen sich durch ein sonderbares Zusammentreffen auf Veranlassung deS General-Lieutenants Roguct vcrsam- melt hatte, so beschloß doch Herr Bouvier-Dumoulard, jener Erklärung, die vollkommen mit seinem Plane zusammenficl, Folge zu geben, und ain Ibtcn versammelte cr unter seine», Borfftze die Handels-Kammern, die MaireS von Lyon und der drei Vorstädte. Es wurde beschlossen, daß die Grundlagen eines Tarifs zwischen 22 Arbeitern, von denen 12 schon von ihren Kameraden abgeord»et warcn, und 22 Fabrikanten, welche die Handels-Kammer bezeich nete, festgestellt werden sollten. Gewiß entsprach nichts so sehr den Gesetzen der Gerechtigkeit und Mensch, lichkeit. Vorausgesetzt selbst, daß diese Maßregel nicht gesetzlich gewesen wäre, vorausgesetzt, daß sie nicht 1789 durch die konstituircnde Versammlung, 1793 durch den Konvent und 1811 durch daS Kaiserthum genehmigt worden wäre, so wurde sie doch durch den Stand der Dinge gebieterisch verlangt. Tausende von Arbeitern bewiesen durch das Uebcrmaß ihrcs Elends die Tyrannei der vermeintlichen Freiheit der Verträge, welche die Fabrikanten für sich in An- spruch nahmen. Mehrere Tausend Arbeiter drohten Lyon mit ihrer Ver- zweiflung. Sollte man zwischen den Gesetzen der verletzten Menschlichkeit und dem unvermeidlich gewordenen Bürgerkriege unthätig schwanken? Die Macht, welche unter solchen Umständen nicht willkürlich zu seyn versteht, muß abdanken. Man ist unwürdig, Menschen zu befehlen, wenn man, um sie zu retten, nicht viel zu wagen und selbst seinen Kopf aufs Spiel zu setzcn fähig ist. Bouvier-Dumoulard hätte also den Tarif selbst festsetzcn können und müssen; er war nicht so kühn und begnügte sich, die beiden Parteien einander gegenüberzustcllcn. Aber die Unrichtigkeit der Begriffe, welche sich im Publikum über die Rechte des Handels und über die Freiheit der Verträge verbreitet hatte, war so groß, daß das Benehmen des Präfekten, wie furchtsam und ge setzlich cs auch gewesen, dennoch von den Fabrikanten aufs lebhafteste getadelt und als ein Mißbrauch der Gewalt erachtet wurde. Die Arbeiter sahen da gegen fast eine Wohlthat in dem, was nur eine strenge und nothwcndige Aus führung der Gesetze der Gerechtigkeit war. Am 21. Oktober wurde eine neue Versammlung im Hotel der Präfektur zusammenberusen. Die 22 Fabrikanten, welche die Handels-Kammer auScrwählt hatte, standen hier den 12 Abgesandten der arbeitenden Klaffe gegenüber. Aber die Fabrikanten machten bemerklich, daß sie, als von Amts wegen ernannt, ihre Kollegen nicht vertreten könnten. Die Abgesandten der Arbeiter dagegen sollten ihre Zahl auf 22 bringen. Eine dritte Versammlung wurde nun ausgeschrieben, damit die Fabrikanten Zeit hätten, Bevollmächtigte zu ernennen. Jndeß wurde die Krisis immer drohender.