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WSchentlich erschelnen drei Nummern. PränumeralionS.Pttit 22 e Silbrrgr. ss Thlr.) vimeljährtich, Z Mr. für Li>« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Prünumerailonen werden von feder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 74. Berlin, Donnerstag den 20. Juni 1844. Rußland. Neue Petersburger Skizzen von Treumund Welp.") Der Verfasser der „Petersburger Skizzen", die vor einigen Jahren in drei Bänden in Leipzig erschienen, hat sich veranlaßt gesehen, auS seine» Papieren nachträglich die Materialien zu einem vierten Bande zu sammeln, der unter obigem Titel das Licht der Welt erblickt hat. Daß Herr Treumund Welp seitdem nicht von neuem die russische Hauptstadt besucht habe, möchte wohl Jeder voraussetzen, der die drei ersten Bände gelesen, die dem Verfasser wohl schwerlich die schmeichelhafteste Aufnahme bei dem Herrn Oberpolizei meister und anderen hohen Gönnern der Skizzen.Literatur verschafft haben würden. In der That tragen auch fast sämmtliche neue Skizzen das Gepräge eines älteren Datums, und nur zn dem ersten Kapitel, das eine sehr glän- zende Apologie des Kaisers enthält, scheinen dem Verfasser neuere Mit- theilungcn zugegangen zu sepn, die — obwohl dies nicht ausgesprochen wird — augenscheinlich die Bestimmung haben, manche Urtheilc und Angaben des Marquis von Custinc zu widerlegen. Die übrigen Kapitel des neuen Buches sind hauptsächlich der Darstellung von Volksfesten und Lustbarkeiten der rusfi- schen Hauptstadt gewidmet, wie namentlich der Osterzeit in St. Petersburg, dem ersten Mai in Katharinenhof, der Brautschau im Sommergarten am Pfingstsonntag, der Herbstpromenade in St. Petersburg und der Newaweihc, also sämmtlichcn Jahreszeiten vom Eintritte des Frühjahrs bis zum Winter, und die launig und leicht, wenn auch mit einiger Nonchalance des StplS, hingeworfcnen Skizzen werden eben so gern gelesen werden wie die in den vielvcrbreiteten drei ersten Bänden. Etwas, daS vielleicht nicht in diesen Band gehört, da es nichts weniger als eine Petersburger Skizze ist, hat uns doch am meisten interessirt, nämlich eine Betrachtung über den Brand von Moskau, die ein Beitrag zur Aufhellung dieses vielbesprochenen historischen Geheimnisses ist. Der Verfasser sagt darüber S. 309 seines Werkes: „Durch genauen Umgang mit Zeitgenossen jener denkwürdigen Periode des Napoleonischen Unterganges, die schon damals in hohen Stellungen der Staatsverwaltung Rußlands sich befanden, ist es mir bis zur höchsten Evidenz klar geworden: daß keineSwegeS Rostopschin den alten Zarcnfitz Moskau an- zünden ließ, noch eine anderweite, vorbereitete Anzahl verschworener Patrioten» dies Weltereigniß vorsätzlich herbeigcführt, wie dies nachträglich russische Ruhmredncrei vielfältig behauptete. Personen, die in den allervertrautestcn und nächsten Stellungen zum Kaiser Alexander gestanden, versicherten mir: daß dieser Monarch nicht das Geringste von dem Brande im voraus gewußt, denselben aufrichtigst beklagt habe und unter keiner Bedingung seine Zu- stimmung zu solch einem Beginnen gegeben haben würde. In der That darf man nur oberflächlich den Charakter Alerander'S studiren, um sogleich daö Vage der Behauptung eines Einverständnisses dieser Art einzusehen. Rostop. schin selbst hat alle ihm gemachten Anniuthungen auf das klarste und bündigste widerlegt, obschon davon in Rußland, meines Wissens, wenig oder nichts ver- öffentlich! ist; denn anfänglich dachte Niemand daran, wegen zu großer Be. drängniß, und später ging cS viel zu sehr drüber und drunter, als daß der- gleichen hätte zur Sprache kommen können, bis man endlich darauf verfiel: daS Ercigniß als ein Produkt deS glänzendsten Patriotismus entweder gerade, zu hinzustellen, oder doch diesen Schein daraus ruhen zu lassen. Ich glaube fest überzeugt sepn zu dürfen, daß der Erfinder dieser Behauptung dem wahren Patriotismus entfernter als jeder Andere gestanden habe; denn dieser hat Thatcn anstatt der Ruhmrcdcn! „Als ich einst bei einem russischen Vornehmen, dessen seltene Geradheit ich bewundern gelernt, diesen Vorfall zur Sprache brachte, sagte er mir mit dürren Worten: „„Was man Ihnen auch hierüber berichten mag, man hat alle Ursache, zu vermuthen, baß der diebeslustige, moSkovische Pöbel eine zu- fällig ausgebrochene Feuersbrunst weiter verbreiten half! Sovielistsichcr: es war kein Gedanke daran, daß russischer Seits ein offizieller Plan zu Grunde gelegen, die Stadt zu verderben, oder daß irgend eine angesehene Person an der Spitze gestanden habe; Rostopschin war so erstaunt als wüthend über den Brand, dies darf ich Ihnen versichern, indem ich — wie Ihnen vielleicht be. kannt ist — wohl davon hätte unterrichtet sepn können, ja müssen, wäre so etwas im Werke gewesen."" ») Schweidnitz, 1841. In Kommission bei L. Heege. „Diese Erklärung gewann an Wahrscheinlichkeit, je länger ich mich in Rußland aufhielt und je genauer ich das russische Städtcwescn begreifen lernte. Wenn man betrachtet, welch große Menge Häuser noch jetzt in Moskau sich vorfinden; wenn man bedenkt, in welch höherem Grade dies 1812 der Fall war; wie Holzgebäude in allen Stadttheilcn und Straßen vorherrschten; wenn man gesehen: welche Verheerungen das Element, unter diesen Holzbauten, selbst in Petersburg schon anrichtete und noch anrichtet, obgleich dort die Lösch. Anstalten sehr prompt zu sepn pflegen, wenn der Kaiser bei dem Feuer erscheint, was stets der Fall zu sepn pflegt, sobald er sich in der Stadt oder in deren Nähe befindet; wenn man in Erfahrung gebracht: wie lau dagegen eben diese prompten Löscheinrichtungen gehandhabt werden, sofern der Monarch abwesend ist, und wenn man endlich den Fatalismus der Russen etwas näher kennen gelernt hat, so findet man gar nichts Ungewöhnliches oder HcrvorgesuchteS in dem welthistorischen Brande. „Moskau war 1816 von Allem verlassen, was zur anständigen Welt gezählt werden durfte; nur Pöbel, diese eigentliche Hauptbevölkerung russischer Städte, gegen welchen der anständige Theil jederzeit nur die Nolle des Appendix spielt ; nur Volk oder Hefe fand sich noch vor, als Lie Franzosen einrückten, und es ist in Friedenszeiten gar nichts Unerhörtes, von einem gelinden Brändchcn sprechen zu hören, das ein stehllustigcs Publikum veranstaltete, wenn gerade Stockung in den übrigen Theilen der Praxis herrscht. Nun sehen diese Lieblingskinder Merkur's die Lcbeluü kranruski das HauSrecht überall usurpiren; was sollten sie warten, bis nichts mehr übrig war? Dazu kam noch, daß fast alle Polizei verschwunden war, die man gewöhnt ist, bei Feuersbrünsten lärmen, schreien, anorbnen, fluchen, prügeln und stoßen zu sehen und zu hören, so daß ohne deren Spektakel man im tiefsten Frieden brennen lassen würde, was brennen wollte, vielleicht eben nur, weil ein Hauptingredienz aller Feuersbrünste fehlte und die Russen ohne dasselbe kaum recht an deren Existenz glauben würden. Fällt cS doch mir schwer: die einfachste Straßenprügelei zweier Menschen in Petersburg für möglich zu halten, ohne daß mindestens drei unisormirte Po» lizci-Offizierc, vier bis sechs sehr bekannte Mitglieder der geheimen Polizei und ein höchst unschuldiger LuäotLcbnik (Straßenwächtcr) als Intervenienten dabei floriren. „Ich bin fest überzeugt: trotz der vielen steinernen Häuser, gehörte — bei mangelndem Polizeispektakel — nur ein wenig günstiger Wind und die Ab wesenheit deS Kaisers dazu, um selbst das prächtige Petersburg in Asche zu legen ; geschweige also Moskau in Kricgeszeitcn, verlassen von der Polizei und von Allem, was zur vornehmen Welt gezählt werden konnte. Was in aller Welt könnte die niedere, meist auS Leibeigenen bestehende, Volksklaffe noch heute in Rußlands Hauptstädten an den Besitz fesseln, woran sic keinen Theil haben soll? Der Mensch aber, welcher sein Leben im Kampfe gegen die Elemente wagen soll, um Besitzthümcr zu beschützen oder zu retten, muß inniger ins Interesse gezogen sepn, als eS der arme, gemeine Russe ist und war. Engere Bande, als die zwischen Herren und Knechten bestehenden, müssen vorhanden sepn, um das Volk aufopfcrungsfähig zu machen oder zu erhalten; denn wer ist es, dem bei Bränden die meiste Gefahr zu bestehen zugemuthct wird? Ist es nicht derjenige Theil des Volkes, auf welchem eben auch alle andere Gefahr und schwere Arbeit lastet? Je gelockerter die Bande der Menschen nun sind; je mehr sic auf bloßes MiethlingSwesen ohne herzliche Anhänglichkeit oder auf Leibeigenschaft und Sklaverei basirt werden, um so weniger dürfen die Bevor zugten im Falle der Noth mit Gewißheit auf Hingebung und aufopfernden, guten Willen rechnen. Häufige Feuersbrünste sind überall stets sichere Zeichen gesunkener Moralität, erschlafften ChristenthumcS, zerfallenen oder nicht statt- findcnden GemeinewesenS! Die Beherrscher von Ländern, in denen Feuers- brünste an der Tagesordnung sind, mögen nicht allzu große politische Unter nehmungen auf den guten Willen ihrer Unterthancn basiren; denn die treue Taube fliegt in den Flammentod, ehe sie ihr Nest im Stiche läßt, während der freche Spatz das Weite sucht, wenn Gefahr nahet! Der Brand Hamburgs könnte uns viel lehren, wenn uns nicht die Ichsucht verblendete. „Der ärgste Unsinn nur konnte behaupten: „Napoleon habe die Stadt anzünden lassen." Der Brand hat dem Manne zu viel Kopfweh gemacht, als daß er sich dies hätte selbst hcrbeiziehcn sollen. Wohl möglich, daß die Fahr lässigkeit der Soldaten des französischen Heeres den ersten Ausbruch des Feuers verursachte, allein planmäßig geschah dies auf keinen Fall. „Aller Wahrscheinlichkeit nach machte sich der Brand in Moskau, wie sich so viele denkwürdige Ereignisse zu machen pflegen, „zufällig", wie man sich gern ausdrückt. Eigentlich aber und besser gesagt: „natürlich"; d. h. in Folge eines Zusammentreffens der Umstände, das den Ereignissen vollkommen angemessen -