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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Preis 22j Sildergr. ss Tblr.) vierteljährlich, 3 Tblr. Mr das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußische» Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 28), so wie von allen König!. Post-Acmtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. Berlin, Dienstag den 13. Februar 1844. Frankreich. Lucilio Vanini und der Atheismus. Von Victor Cousin. Das sechzehnte Jahrhundert ist ein Jahrhundert der Revolutionen: eS sagt sich vom Mittelalter los und zieht aus, das gelobte Land der neueren Zeiten zu suchen-, eS gelangt nicht in dasselbe und erschöpft seine Kraft in der Be- gründung einer Welt, die es selbst nicht kennt und deren Beginn eS leugnet. DaS siebzehnte hat nichts mehr mit dem Mittelalter gemein; doch je weiter es sich von demselben entfernt, um so entschiedener verläßt es auch die Bahnen des vorhergehenden Jahrhunderts. Es verschwendet seine Kräfte nicht mehr, indem eS abenteuerlich die verschiedenartigsten Versuche macht, um seine eigene Bestimmung zu entdecken; sondern es kennt sein Ziel und strebt ihm mit ge ordneter Thätigkeit zu. Die scholastische Philosophie, welche im dreizehnten Jahrhundert ihren Gipfelpunkt erreichte, ist zu Anfang des sechzehnten abge- storbcn, doch die Philosophie der neueren Zeit beginnt erst 1637; dazwischen liegt eine Philosophie, welche man die der Wiedergeburt nennen könnte. Ihr Charakter ist völlig negativ; sie verwirft den Scholastizismus, sic wendet sich wieder an das Alterthum, doch nicht, nm dasselbe zu erheben, sondern um es als Grundlage zu eigenen Bauten zu benutzen. In Florenz übersetzt man den Plato und die Alexandriner; man gründet eine Akademie, in der viel Enthusiasmus, doch wenig Kritik herrscht, und in der man, wie einst zu Alexandrien, Zoroaster, Orpheus, Plato, Plotin und Proklus, den Idealis mus uno Mystizismus, wenig Wahrheit und viel Thorheit unter einander mischt. Hier nimmt man die epikurische, dort die stoische und selbst die Pyrrhonische Philosophie wieder auf. Gegen Aristoteles zwar kämpft man fast allgemein, doch nur gegen den Aristoteles Albert's des Großen und des heiligen Thomas, den man mit dem Christcnthum verschmolzen hatte; dagegen sucht man hin und wieder auf den wirklichen Aristoteles zurückzugchcn, und in Bologna greift man durch ihn das Christenthum an. Diese Zeit der Wieder- gebürt zeigt uns keinen Denker, welcher sich mit den großen Philosophen des Alterthums, des Mittelalters und der neueren Zeit vergleichen könnte; sie hat kein Werk erzeugt, das einen bleibenden wissenschaftlichen Werth hätte; doch der revolutionaire Geist, welcher die Denker dieses Jahrhunderts beherrscht, ist an sich selbst von der größten Wichtigkeit, weil er die alte Knechtschaft durchbrochen und der modernen Philosophie den Weg gebahnt hat. DeScartcS und Leibnitz sprechen von der Philosophie des sechzehnten Jahrhunderts sehr verächtlich, weil sic bei ihrem tiefen, gemessenen Ernst nicht mit jenen unge stümen Glücksrittern des Gedankens verwechselt scyn wollen; doch sie vergessen dabei, daß sie ohne diese Vorgänger ihre eigene Mission kaum so vollständig erfüllt hätten. Die Philosophen des sechzehnten Jahrhunderts haben nicht sowohl durch ihre Schriften, als durch ihre Tendenz überhaupt, durch ihr Leben und ihren Tod die Philosophie gefördert. Die bemerkenswerthesten aus der Zwischenzeit von Gerson bis Descartes sind Petrus RamuS, Giordano Bruno, Thomas Campanella und Lucilio Vanini. Petrus Ramus oder Pierre de la Ramöe war der Sohn eines Köhlers; er diente im College zu Navarra und wurde auf seine Bitten von den Pro fessoren aus Mitleid zu den Vorlesungen zugelaffcn; später wurde er selbst Professor, wurde entsetzt und wieder zurückbcrufen, von seinen Feinden uner müdlich verfolgt und zuletzt in der Bartholomäus-Nacht als Protestant und als Platoniker ermordet. Sein Gegner, der Katholik und Peripatetikcr Car- pentarius, sandte nach Thuar'S ausdrücklichem Zeugnisse die Mörder nach ihm auS; sie rissen ihn aus seinem Zimmer, stürzten ihn, nachdem sie sein Geld genommen hatten, mit mehreren Wunden zum Fenster hinab auf die Straße; hier rissen Schüler auf den Antrieb ihrer rachedurstigcn Lehrer ihm die Eingeweide auS dem Leibe, peitschten den Leichnam, um Ramus noch im Tode zu schänden, mit Ruthen und schleiften ihn durch die Straßen. Dies war das Schicksal eines Mannes, der zwar nicht eine hohe Originalität, doch ausgezeichnete Kenntnisse und eine sehr edle Gesinnung hatte: der die sokra- tische Weisheit bei uns einführte und der Erste war, welcher in französischer Sprache eine Abhandlung über Dialektik schrieb. Giordano Bruno hielt sich an Pythagoras und Plato, und vorzüglich an den Pythagoras und Plato der Alexandriner. Gleichsam berauscht von dem Gedanken pxr All-Einheit, erhebt er sich Zu den kühnsten Spcculationen, ohne durch eine Analyse zu ihnen geführt zu sepn und ohne sie durch Gründe auch nur stützen zu können. Er führt auf nicht hinreichend geprüften Prinzipien ein schwankendes Gebäude auf, geht yon Platö auf die Eleatcn zurück, antizipirt Spinoza und giebt gewissermaßen schon als Dichter, was Spinoza als Mathematiker durchgeführt hat. Er hat das Verdienst, schon vor Galilei auf Kopernikus hingewiescn zu haben; seine Schriften find, obwohl oft phan tastisch, doch stets genial, und die Gründe seines schrecklichen Todes find nie genau bekannt geworden. Machte man es ihm zum Verbrechen, daß er, noch ziemlich jnng, aus dem Dominikaner-Kloster geflohen, in das er ausgenommen warf Wurde er als Protestant so streng gerichtet, oder als Verfasser der kleinen Schrift „Is desti» txionkimre", in welcher er das Papstthum direkt an- zugreifen schient Oder wurde er nur allgemein deö Atheismus angeklagt, da die jetzt so geläufige Beschuldigung des Pantheismus damals noch nicht erfunden war? Diese letztere Vermuthung scheint gegenwärtig so gut wie erwiesen. Ein deutscher Gelehrter und eifriger Anhänger des Papstthums nämlich, der sich in jenen Tagen zu Rom aufhielt, machte sich eine Freude daraus, dem Prozeß und der Verbrennung Bruno's bcizuwohnen, und er erzählt, was er hierbei gehört und gesehen, cinem seiner protestantischen Lands leute in cinem Briefe, den wir hier im Auszuge mittheilen, da er wenig be kannt ist. Caspar Scioppius an seinen Freund Conradus RitterShusius. „Es bietet sich mir eine neue Gelegenheit, an Dich zu schreiben. Heute ist Giordano Bruno als Ketzer hier vor dem Theater des Pompejus öffentlich verbrannt worden. Wenn Du es mit angesehen hättest, so würden die um stehenden Jtaliäner Dir gesagt haben, er werde als Lutheraner verbrannt, und dies würde Dich ohne Zweifel in der Vorstellung, welche Du von unserer Grausamkeit hast, bestärkt haben; doch unsere Jtaliäner können die verschie denen Gattungen der Ketzerei nicht unterscheiden; wer nicht päpstlich gesinnt ist, der heißt ihnen ein Lutheraner, und ich bitte Gott, daß sie mit den Meinungen der Ketzer nie so genau bekannt werden mögen, um sie richtiger zu beurthcilen. Ich selbst würde vielleicht dem allgemeinen Gerüchte geglaubt haben, daß Bruno als ein Opfer des Protestantismus sterbe, wenn ich nicht in der Sitzung zugegen gewesen wäre, in welcher sein Todesurtheil ausge sprochen wurde, und wenn ich nicht dadurch die Art seiner Ketzerei kennen ge lernt hätte... (Hier folgt eine Uebcrsicht der Erlebnisse und Lehren Bruno's.) Es ist unmöglich, all' die furchtbaren Ansichten zusammenznstellcn, welche er theils in seinen Schriften nicdergelegt, theils in seinen Vorlesungen öffentlich ausgesprochen hat. Mit einem Worte, es giebt keinen Jrrthum der heidnischen, keine Ketzerei der älteren christlichen Philosophen, die wir nicht bei ihm wieder- fändcn. — In Venedig fiel er in die Hände der Inquisition, und nachdem man ihn dort ziemlich lange aufgchaltcn hatte, wurde er nach Rom gesandt, zu wiederholten Malen vor dem Jnquisitionsgerichte verhört und von den an gesehensten Theologen seines Verbrechens überführt. Man gab ihm vierzig Tage Bedenkzeit, ob er seine Ketzerei abschwören wolle; anfänglich stellte er sich hierzu geneigt, doch zuletzt vcrthcidigte er seine Thorheiten von neuem, forderte noch einmal vierzig Tage Aufschub und trieb mit dem Papst und der Inquisition sein Spiel. Am 9. Februar wurde er daher vor den Groß- Inquisitor geführt, und in Gegenwart dreier Kardinäle der Inquisition, welche durch ihr Alter, durch ihre Kcnntniß des Rechts und der Theologie und ihre Vertrautheit mit dem Geschäftsgänge die angesehensten sind, so wie in Gegenwart des theologischen Nathcs, der weltlichen Richter und des Gouverneurs der Stadt, mußte er kuieend sein Urthcil anhören. Man legte in demselben sein Leben, seine Studien und seine Ansichten dar; man hob den Eifer hervor, mit welchem die Inquisition ihn zu bekehren gesucht hatte, so wie die Hartnäckigkeit, mit welcher er aller christlichen Liebe seiner Richter entgegengetreten war. Daraus wurde er erkommunizirt und der weltlichen Gerichtsbarkeit übergeben, welche man jedoch bat, ihn mild zu strafen und kein Blut zu vergießen. Bruno erwiedcrte hierauf nichts als die Worte: „„Das Urtheil, welches ihr gegen mich aussprecht, beunruhigt euch in diesem Augenblicke vielleicht mehr als mich."" Die Wache des Gouverneurs führte ibn in das Gcfängniß zurück, und man versuchte nochmals, ihn zur Ab schwörung seiner Jrrthümer zu bewegen. Da dies vergeblich war, hat man ihn heute dem Scheiterhaufen übergeben. Als man ibm das Bild deö ge kreuzigten Erlösers zeigte, stieß er es mit Abscheu und Wuth von sich. So, mein Geliebter, verfährt man bei unö mit Menschen oder vielmehr mit Unge heuern dieser Art. — Rom, den 17. Februar 1600." Thomas Campanella war, wie Bruno, Dominikaner; er kämpfte mit gleichem Eifer gegen Aristoteles, doch sein Platonismus ist schon besonnener; seine eigenen Zwecke stehen ihm klarer vor Augen, und gleichwohl ist die Reform, welche er heabsichtigt, noch umfassender. Boll Begeisterung für dqs Gute,