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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerationS-PreiS 22^ Silbergr. (t TKIr.) vierteljährlich, Z Thlr. für LaS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von «eher Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iägerstraße Nr. 28), so wie von allen Königs. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 21 Berlin, Sonnabend den 17. Februar 1844. China. Die Staats-Einrichtungen China's und der Charakter seiner Regierung. Von jeher war die chinesische Staatsverwaltung ein Gegenstand der Ver wunderung für die Europäer, und Mancher, der ihr innerstes Wesen nicht kannte und den blinden Gehorsam sah, den die Chinesen ihrer Regierung zollen, suchte denselben aus einer ihnen ganz eigenthümlichen Naturanlage zu erklären. Bei näherer Betrachtung aber ergiebt sich, daß die Allmacht der chinesischen Beamten in zwei Einrichtungen ihre Quellen hat. Einmal nämlich wird über jeden Unterthan die strengste Kontrole geführt, und zweitens find alle diejenigen, welche durch Verwandtschaft, Freundschaft oder Nachbarschaft mit einander verbunden find, solidarisch zur Befolgung der Gesetze verpflichtet. Die Beaufsichtigung wird erleichtert durch eine bis in die kleinsten Abstufungen verfolgte Rangordnung und eine Art von Einschachtelungsspstem. Denn ein Jeder, so wie er der Diener eines Vornehmeren ist, ist der Herr derjenigen, die an Range unter ihm stehen, so daß die chinesische Staatsverfaffung einen militairischen Despotismus zeigt, wie er vielleicht nur noch in Einem Reiche der Erde eristirt. Wer da weiß, daß er sich nur durch eine völlige Jsolirung der Wachsam keit der geheimen oder öffentlichen Emiffairc der Regierung entziehen kann, wird sich wohl hüten, die Landesgesetze zu übertreten oder den Befehlen seiner Obrigkeit, sepen sie auch noch so drückend, ungehorsam zu seyn. Er ist ge wärtig, daß, wenn er auch persönlich entkommt, seine Verwandten und Freunde für sein Vergehen bestraft werden. Aber auch dann, wenn dieselben die ihm zugedachte Strafe erlitten haben und er sie entschädigen wollte, würde er nicht ohne Gefahr in sein Haus zurückkehren, und gesetzt auch, es scy ihm gestattet, so findet er höchst wahrscheinlich seine Befitzthümer in den Händen der Regierungs-Agenten oder seiner Nachbarn, die sich kein Gewissen daraus machen, Jemanden zu berauben, der dem Gesetze verfallen ist. Die Chinesen, als Nation betrachtet, können mit einer großen Armee ver glichen werden, die unter den Besetzten des Kaisers, als itzres Generalissimus, steht. Diese Armee ist in Regimenter, Bataillone und Compagnieen getheilt, die ihren speziellen Führern und subalternen Offizieren gehorchen. Die Offiziere jeden Ranges und die gemeinen Soldaten sind zu einem passiven und unbe dingten Gehorsam gegen ihre Oberen vcrurtheilt. Sie dürfen schlechterdings nicht an der Zweckmäßigkeit der Befehle zweifeln, die ihnen gegeben werden, und müssen sie mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln ausführen. Drei hundertsechzig Millionen Menschen stehen unter dieser militairischen Zucht, deren Anfänge wir in der Organisation der tatarischen Stämme erblicken mögen, die noch heute in einen rechten und linken Flügel getheilt sind. Der Kaiser ist alleiniges Oberhaupt der Verwaltung und Ordner der Verfassung. Er wird für den Stellvertreter gehalten, den sich der Himmel ausdrücklich gewählt hat, um die Völker der Erde zu regieren, und vereinigt in seiner Person die beiden höchsten Gewalten, die legislative und die exekutive, ohne Beschränkung oder Kontrole. Man nennt ihn Thien-tseu, den Sohn des Himmels, und, in der That, er ist mit den Vorrechten der Gottheit bekleidet, denn alle Macht ist Ausfluß der scinigen. Die unwissende Menge glaubt, daß die ganze Welt, „was unter dem Himmel ist" (Thicn-hia), wie die Chinesen sagen, seiner Herrschaft gehorcht, und die Aufgeklärteren suchen aus Politik, diesen Jrrthum zu erhalten, der den Regierenden gar sehr zu Statten kommt. Alle Könige der Erde haben dem Kaiser ihre Macht zu danken, und dies ist der Grund der Geringschätzung, mit welcher die chinesische Re gierung die auswärtigen Mächte behandelt. Hieraus entspringt auch ihre völlige Weigerung, mit ihnen zu unterhandeln, wenn sie nicht durch Waffen- gemalt dazu gezwungen wird, und selbst dann noch nimmt sie, besonders ihren Untcrthanen gegenüber, den Ton eines Vornehmen an, der sich zu einem Niedriggeborcnen herabläßt. Man lese nur in den offiziellen Geschichtsbüchern der chinesischen Dpnastieen die Verträge, die zwischen China und seinen Feinden geschloffen wurden. Sie klingen stets wie großmüthige Zugeständnisse von dein „Sohne des Himmels", ber fo gnädig ist, mit seinen verirrten Vasallen Mitleid zu haben. — Die Chinesen nennen die unumschränkte Macht ihres Herrschers die Gewalt eines Vaters über seine Kinder. In der Theorie ist der Kaiser den Befehlen des Himmels unterworfen, die freilich vielfacher Auslegungen fähig sind; in der That aber steht er unter dem Einflüsse der öffentlichen Meinung, der bestehenden Sitten und der Gesetze, die von seinen unmittelbaren Vorgängern erlassen worden find. Er belehnt seine Diener mit eben der unumschränkten Gewalt, die ihm über das ganze Reich zusteht, da mit sie dieselbe in ihren respektivcn Verwaltungszweigen ebenfalls üben: nur ist jeder von ihnen seinem nächsten Vordermann verantwortlich. ES würde schwer sepn, alle Prärogative des Kaisers aufzuzählen, da sein bloßer Wille Gesetz ist. Daher werden wir uns darauf beschränken, eine kleine Anzahl der besonderen Rechte der chinesischen Krone zu nennen. Der Kaiser ist Oberhaupt jeder Religion. Er allein hat das Recht, den Himmel oder den höchsten Ordner des Universums (Schang-ti) mit den heiligen Cercmonien anzubeten. Er ist die Quelle des Gesetzes und der Gerechtigkeit, von seinem Ausspruch aus giebt es keine Appellation, ihm allein gehört das Recht der Begnadigung, kein Gesetz darf seiner Entscheidung gegenüber gel- tend gemacht, kein Prozeß gegen ihn eingeleitet werden, und kein Privilegium schützt vor seinem Zorn, wenn «S ihm beliebt, auf Augenblicke die eingeführte Ordnung und Sitte zu vergessen. Er ist die Triebfeder der Verwaltung, nur in seinem Auftrage und seinem Namen darf eine Behörde handeln. Alle Hülfs- quellen und Einkünfte des Kaiserreichs gehören ihm und er darf nach seinem Gutdünken über sic verfügen. Alle Chinesen, vornehmlich von ihrem sechzehn, ten bis sechzigsten Jahre, sind ihm zu persönlichem Dienste verpflichtet; kurz, das ganze Land ist seine Domaine. Der Thron ist in männlicher Linie erblich, wenn keine besonderen Bestim- mungcn getroffen werden; denn eS steht dem Kaiser das Recht zu, sich aus seinen Kindern oder Untcrthanen einen Nachfolger zu wählen. Seit langer Zeit aber ist die Thronfolge bei der kaiserlichen Familie verblieben. Oft wird der präsumtive Thronerbe bei Lebzeiten des Vaters noch besonders zum Kron prinzen ernannt und genießt dann gewisse Vorrechte. Bemerkenswert- ist es, daß unter der gegenwärtigen Dynastie diejenigen Kinder, welche im Harem geboren werden, für illegitim gelten und zur Thronfolge unfähig find. Die Pflichten, welche dem Souvcrain obliegen, beruhen lediglich auf der Achtung, die derselbe vor den Grundsätzen der Moral und Politik hegt, wie fie von den alten Philosophen Konfuzius und Mengius und ihren berühmten Schülern ausgesprochen und in den heiligen Büchern, den fünf King'S und den Sse-schu'S niedergelegt find. Die Bewohner China'S find wie die Glieder einer großen Familie zu be- trachten, die dem Willen ihres Patriarchen unterworfen find, und nichts be- fitzen, was fie nicht von ihm erhalten haben und was er ihnen nicht wieder nehmen könnte. Die Freiheit, im wahren Sinne des Wortes, kennen fie nicht, ja selbst diejenige der OrtSbewegung besteht nur theilweise. Auswan derungen in ein fremdes Land find verboten und einfache Reisen im Innern des Reichs vielen Hindernissen unterworfen. Die Erfindung der Pässe da« tirt in China aus dem zehnten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Ungleichheit der Rechte, Ungleichheit der Privilegien find im Gesetze und in jedem Zweige der Verwaltung zum Prinzip geworden. In allen Bezügen des öffentlichen und Privatlebens begegnet man Verschiedenheiten in der kürzer- lichen Stellung und dem Verhältnisse des Siegers zum Besiegten, des Herrn zum Sklaven, des Greises zum Jünglinge, des Vornehmen zum Geringen, des Würdenträgers zum gemeinen Manne. Nur vor dem Kaiser hört aller Standesunterschied auf. Diese Rückficht wäre eines Mannes unwürdig, der Niemanden über sich erkennt, als den Himmel und seine gottgewordenen Vor. gänger. Dagegen versäumen es die StaatSdiener nie, sich in seiner Abwcsen- heit al» die Stellvertreter seiner Allmacht zu zeigen und ihre Untergeordneten pflichtgemäß zu tyrannisiren. Das Gesetz schützt zwar dem Namen nach das Volk vor Bedrückung und erlaubt ihm die Appellation, wenn cS sich ungerecht behandelt glaubt; aber diese Appellation hat selten einen Erfolg. Ist der Kläger von geringem Stande und ohne Geld, so giebt sich die höhere Behörde selten die Mühe, das Ber. fahren des verklagten Beamten zu untersuchen. Allgemein gilt der Grundsatz, daß man das Volk durch Furcht in Zaum halten müsse. Wo aber dieser Grundsatz in Anwendung kommen soll, da ist auch alles geistige Uebergewicht zu vernichten, alle Forschung nach Wahrheit, alle Spur einer philosophischen Betrachtungsweise der Dinge zu unterdrücken. Dagegen duldete man jenen ausdauernden und emsigen Kunstfleiß, der die Chinesen und ihre Wahrschein, lichen Stammgenoffen, die Japanesen, vor allen astatischen Völkern auszeichnet. Dieser allgemein verbreiteten Liebe zur Arbeit und vorzüglich zum Landbau ist cs zuzuschrciben, daß sich selten große Strecke» Landes in dem Besitze Ein zelner befinden, sondern vielmehr der Grundbesitz in viele Tausend kleine Par. zellen zerstückelt ist. Wenn nun auch das ganze Reich unleugbar Eigenthum veS Kaisers ist und derselbe nach Belieben einem Jeden seinen Besitz nehmen darf, so macht er doch selten von diesem Rechte Gebrauch und in der Praxis ist der Grundbesitz als völlig gesichert anzusehen, obgleich er unter alle Klaffen der Gesellschaft vertheilt ist.