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Wöchentlich »scheinen drei Nummern. Pränumeration«-Prei« 22j Silbergr. (t Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Deit u. Comp., Iägerstraße Nr. 28), so wie von allen König!. Post-Aemiern, angenommen. Literatur des Auslandes. 20. Berlin, Donnerstag den 15. Februar 1844. Ostindien. Reise-Abenteuer im oberen Indien.") Unter dem Namen Ostindien wird ein Land verstanden, das sich über einen so unermeßlichen Flächenraum erstreckt, dessen zahlreiche Bewohner so schla gende Kontraste und so merkwürdige Eigenthümlichkeiten darbieten und dessen politische Wichtigkeit sich durch die neuesten Ereignisse auch für uns so sehr vergrößert hat, daß wir jeden neuen Beitrag zur Kenntniß desselben mit Dank aufnehmen. Jki dieser Hinsicht ist uns das vor kurzem durch den britischen Oberst-Lieutenant Davidson herausgegebene Buch willkommen, da eS uns noch dazu in eine Gegend versetzt, welche bisher nur selten von Reisenden betreten oder wenigstens geschildert wurde. Der Verfasser entwirft ein gra phisches Bild der äußeren Physiognomie, so wie der Sitten und Gebräuche Ober-Indiens; die Rajahs und ihr orientalischer Pomp, die Nautsch-Mädchen oder Bajaderen, der große Jahrmarkt zu Hurdwar u. s. w. werden uns mit lebhaften Zügen vorgeführt. Seine Beschreibungen sind oft in einem beißen den, satirischen Tone gehalten, wobei jedoch zu erinnern, daß er mit seiner Regierung zerfallen ist, von der er sich mißhandelt glaubt und gegen welche er deshalb die Pfeile seines Witzes und seiner Bosheit zu richten liebt. In den asiatischen Feldzügen ergraut, hat er, wie eS scheint, eine etwas streit süchtige Laune nach Europa zurückgebracht, und die Händel, in welche er mit seinem Verleger, dem Londoner Buchhändler Colburn, gcrathen ist, haben ihm in der lütersr;- Karette eine derbe, obwohl zum Theil unverdiente Zu rechtweisung zugezogen. Die Ansichten, die er uns von den ostindischen Zuständen mittheilt, sind in der That durchaus nicht erfreulich. „Ich habe", schreibt er, „fünfund- zwanzig Jahre in diesem Lande zugebracht und eS von den Schneegcbirgen bis nach Bombay durchstreift; ich darf mich also rühmen, cs einigermaßen zu kennen und dem Charakter der Eingebornen nicht ganz fremd zu seyn." Diesen Charakter malt nun der Verfasser mit den schwärzesten Farben, und die armen Hindus können wohl von seinem Richterstuhl appcllircn, da er ihnen auch kein gutes Haar läßt. Seinen Behauptungen zufolge erscheinen sie als eine ent artete, ruchlose, durch und durch verderbte Mcnschenklaffe. Ist seine Dar stellung gegründet, so fällt die Schuld davon hauptsächlich auf die Machthaber der ostindischen Compagnie, deren Vernachlässigung, Willkür und fehlerhafte Politik den Ruin der eingebornen Bevölkerung herbeigeführt haben. „Alle Städte in Indien", versichert er, „liegen, mit wenigen Ausnahmen, in Trüm mern. Agra, Burampore, Aurungabad haben wcitläuftigc Vorstädte, die in Trümmern liegen. Der Dekkan ist ein Schutthaufc. Viele Städte in Mittel- indicn, die ehemals Hunderttausende von Einwohnern in sich schloffen, haben heutzutage im buchstäblichen Sinne keinen einzigen Bewohner und dienen nur den Leoparden, Tigern, Elenthieren und Büffeln zum Lagerplatz. In dichten Wäldern trifft man auf Tempel, Thorwege, steinerne über 1000 Quadrat- Ellen große Cisternen, backsteinerne Mauern von bedeutender Ausdehnung, un ermeßliche Begräbnißplätze und andere Merkmale einer jetzt dahingeschwun denen reichen und überfließenden Bevölkerung. Wären MalthuS und Godwin je in Indien gewesen, so hätte jener nie seine berühmten Populations-Theorieen ausgedacht, noch dieser seine zu wenig beachtete Widerlegung derselben ge schrieben. Ostindien ist ein großer Wald mit vielen angebauten Stellen; es könnte mit Leichtigkeit eine Volksmenge ernähren, die die jetzige um das Fünffache überstiege — dessenungeachtet ist es ohne Widerrede das ärmste Land in der bekannten Welt." Wie wir schon oben angedeutet, spricht Herr Davidson herben Tadel gegen die Verwaltung der ostindischcn Compagnie und das Betragen der von ihr angestellten Civil-Beamten aus. Von einem Dienerschwarm umgeben, ahmen Letztere die Unzugänglichkeit der orientalischen Despoten nach, und ohne ihre eingebornen Geschäftsträger zu bestechen, ist cs fast unmöglich, Gchör bei ihnen zu erlangen. Ein Fall dieser Art begegnete unserem Autor selbst und wird von ihm als Beleg angeführt. „Ein äußerst wohlhabender und geachteter Land-Eigenthümcr, der früher in einem bedeutenden Orte die Stelle eines Kotwal bekleidet hatte, bat mich, ihm die Ehre einer Audienz bei der Frau eines hochstehenden Civil-Beamten zu verschaffen, die er ost als Kind auf seinem Knie gewiegt hatte. „Wozu soll ich Sie einführens" fragte ich. „Warum gehen Sie nicht felbsts" — „Daran ist nicht zu denken", war die Antwort. ) Ovirv yL Dravele »«<1 ^.üveuture- in iipper Inül», b)' 0. 3, vLvlüsou. „Ich darf es nicht einmal wagen, mich der Umzäunung ihres Hauses zu nähern." — „Und warum nichts" — „Ich will eS Ihnen sagen. Wenn sein Haupt-Commis erfahren sollte, daß ich mich seinem Herrn vorgestellt hätte, ohne von ihm die Erlaubniß zu erhalten, so würde er mich sogleich durch irgend eine falsche Anklage beunruhigen oder mir das Befitzthum meines Guts streitig machen und einen Prozeß einleitcn, der mich in jedem Fall zu Grunde richten würde. Es ist nicht lange her, daß ich dem Mhundert Rupien gezahlt habe, um falsche Ansprüche zu unterdrücken, die mir, wenn sic vor Gericht gekommen wären, zehnmal so viel gekostet hätten."" Die Justiz-Verwaltung wird als äußerst mangelhaft geschildert; die Gc- setze werden oft umgangen oder ganz vernachlässigt. Die größten Verbrecher, wie z. B. der berüchtigte Raubmörder Gopal, der unserem Verfasser in Calpi begegnete, werden von den Gerichten verschont und können der Regierung un gestraft Trotz bieten. „Gopal, der jetzt zwciundvierzig Jahre zählen mag, ist ein aroker. athletischer Mensch, mit einem abschreckenden, schlammigen Auge, in"dem sich die Gluth der Holle spiegelt. Man sagt, daß er fünfzehn DiMr beständig in Sold habe, und daß ihm in wenigen Stunden dreihundert wohl- bewaffnete und entschlossene Männer zu Gebote stehen. Sein Geschäft ist das eines Salz-Schmugglers, und obgleich ärmlich gekleidet, behauptet er, daß seine täglichen Ausgaben mindestens sechs Rupien betragen, die er entweder durch Raub oder Schleichhandel anschaffcn müsse. Die Strenge und Wach samkeit der Calpicr Polizei lassen sich nach der Thatsache ermessen, daß Gopal plötzlich in dem Hause eines reichen Kaufmanns erschienen ist, der im Mittel- punkt der Stadt und in dem am dichtesten bevölkerten Theile desselben wohnt — dort nimmt er ganz ruhig, in Gegenwart der zitternden Familie und Dienerschaft, den Kindern ihre goldenen Zierrathen ad und bringt den geäng stigten Msssjun durch seine Drohungen zum Schweigen. Dieses ist kein ein zelner Fall; er handelt vielmehr stets mit so vieler Besonnenheit und einem solchen Takte, daß er sich cincn großen Ruf erworben hat und in ganz Calpi. in hoher Achtung steht. — Bei seinen Mordthaten geht unser Held mit gleicher Offenheit zu Werke. Bor kurzem wurde ein Sipahi, der mit seinen Erspar nissen nach Hause kehrte, unterweges am Hellen Tage von ihm angefallen und ermordet. Nachdem er seine Beute in Sicherheit gebracht, überlieferte er sich ganz ruhig den Händen der Justiz, indem er mit scheinbarer Aufrichtigkeit gestand, daß er den Sipahi gctödtet, weil ihn dieser zuerst angegriffen habe. Es wurde vor Gericht bewiesen, daß der Sipahi völlig unbewaffnet war. Gopal wurde in Folge seines eigenen Bekenntnisses von dem Kriminalgericht in Hamieporc zum Strange vcrurtheilt; aber ein so zartes Gewissen haben die IHngee-i (so nennt man in Indien die Engländer), daß er von dem ober sten Tribunal in Kalkutta aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde! Wenn man das Gcständniß des Verbrechers gelten ließe, meinten die Richter, müsse man es ganz annehmcn, und nicht nur den Theil, der zu seiner Ver- urtheilung führe. °) Gopal wurde auf freien Fuß gestellt und stolzirt jetzt in seinen FeiertagSkleidern umher und raucht seine Pfeife in der Verandah des seinem Bruder gehörigen Hauses. Er ist ein lebendes Denkmal britischer Menschlichkeit." Eine andere merkwürdige Person, mit der unser Verfasser auf seinen Reisen zusammentraf, war die einst berühmte indische Fürstin Begum Sombre. „Der nördliche Theil des niedrigen Eilands im Bette der Gunga war mit einer endlosen Reihe von Zelten bedeckt, in welchen sich die Suite Ihrer Hoheit, der Begum Sombre, aufhielt. Die Fürstin ist seit mehreren Jahren zum Christenthum übergctretcn, nachdem sie den deutschen Abenteurer Sombre geheiratet, der als Oberbefehlshaber der Truppen im Dienste eines indischen Nabobs gestanden hatte °°); sie wurde aber als eine Spud geboren, die in gerader Linie von Muhammed abstammen sollen. Wie man mir erzählt, hat sie in ihrer Residenzstadt Surdhunna eine prächtige Kathedrale erbaut, und auch hier befindet sich in ihrem Gefolge ein katholischer Priester. Sie wird als äußerst andächtig bezeichnet, und wenn dem Gerüchte zu trauen ist, gedenkt sie, ein kostbares Geschenk nach Europa an Se. Heiligkeit den Papst zu schicken. Sie spricht ost von dem Herzoge von Wellington und behauptet, daß er im Herzen katholisch seyn müsse, weil er die Katholiken cmanzipirt hat. In ihrer Physiognomie hat sie viele Aehnlichkeit mit einem alten schottischen -) Nach englischem Rechte wird bekanntlich der Angeklagte nicht zum Geständniß auf gefordert; diese« ist vielmehr ganz ungültig, und muß ihm sein Verbrechen durch glaub würdige Zeugen nachgewicsen werden. ") Anderen Nachrichten jufolge war Sombre Franzose von Geburt. Die Begum ge bar ihm einen Sohn, der unlängst englische« Parlament«glied für Sudburr war und sich durch sein exzentrische« Benehmen auSzeichncte.