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386 fremdartige Einfluß außer Stande war, die Entwickelung einer nationalen und eigentümlichen Civilisation zu verhindern. Frankreich. Ueber Entstehung der Geisteskrankheiten. (Fortsetzung.) In den Jahren 1827 und 1828 fand man in den Irrenhäusern zu Paris Viele, deren Geist durch die fire Idee zerrüttet war, daß sie von den Jesuiten ver folgt würden. Bekanntlich standen die ehrwürdigen Väter der Gesellschaft Jesu damals in dem Gerüche, daß sie die feinsten Fäden der geheimen Polizei in Händen hielten. Jean Jacques Rousseau selbst ist ein lebendiger Beweis, wie leicht die ausgezeichnetsten Geister durch allzu großen Argwohn gestört werden können, indem sie überall nur Haß und Verfolgung sehen. Ein erreglicheS Gemüth, welches vom Unglück heimgesucht und vielleicht noch von geliebten Personen verkannt wird, führt leicht zu einer fixen Idee, besonders wenn der Kranke von Natur einen gewissen Hang zum Bizarren hat; oft bleiben die übrigen Geisteskräfte dabei unversehrt, oft werden auch sie in den Strudel hineingerissen. Selbst die gewaltsame Bekämpfung eines Gefühls kann den Geist zerrütte». So befand sich vor einiger Zeit zu Marseille ein Geistes kranker, der sehr still, schüchtern und so erreglich war, daß man ihm auch die geringsten Vorwürfe sparte. Seine Neben wurden immer dunkler, schwere Seufzer bekundeten die Bewegung in seinem Innern; man glaubte, daß das Bewußtsepn einer Schuld, die er zu verbergen sich anstrenge, seine Seele foltere, bis er sich eines Tages eine Pulsader öffnete und sterbend bekannte, er sey während der Revolution Scharfrichter gewesen, und die Erinnerung an die grauenhaften Dienste, welche er den Häuptern der Revolution geleistet, habe ihn nicht ruhen lassen. Eine Frau, welche sich gegenwärtig in der Sal- petriere befindet, ist wahnsinnig geworden, weil sie ihr ncugcbornes Kind einer reichen Familie verkauft hatte; obgleich sie nur durch die höchste Armuth dazu war gedrängt worden, in der sie kein anderes Mittel wußte, ihre übrigen Kinder zu erhalten, so ließ die Mutterliebe sich doch nicht durch Verstandcs- gründe unterdrücken, und sie quälte die Frau mit Gewissensbissen, bis ihr Geist sich in die ewige Nacht rettete. Bisher haben wir von den Ursachen des Wahnsinns gesprochen, welche aus dem Innern des Menschen selbst entspringen. Von ihnen völlig unab hängig oder im Verein mit ihnen zerrütten oft äußere Einflüsse den Geist. Hierbei find besonders die politischen Ereignisse und die bürgerlichen und reli giösen Einrichtungen des Staates zu berücksichtigen. Die große Menge ist unselbständig, sie wird von den einzelnen Männern geleitet, die entweder durch eigene Kraft zu ihren Führern sich erheben oder von Geburt dazu bestimmt find; sie hat keine Kraft, der Strömung, welche auf sie eindringt, sich zu wider setzen, und auf sie werben politische Ereignisse daher selten einen so gewaltigen Eindruck machen. Um so gefährlicher sind sie für die, welche die Menge zu lenken suchen und in ihr nur einen Stoff sehen, an dem ihre Eitelkeit sich nähren kann. Ihnen bieten die Republiken und die konstitutionellen Monar ch ieen den meisten Spielraum, da hier ein offener Wettkampf der Kräfte und der glühendsten Leidenschaften stattfindet, und da auch die Menge hier größe ren Antheil an den öffentlichen Bewegungen nimmt und darum schwerer zu leiten ist. In absoluten Monarchieen dagegen ist der Fall selten, daß die geistige Gesundheit einzelner Bürger des Staates durch politische Begeben heiten gefährdet wird, weil die Entwickeluug der politischen Ideen hier meist nach Kräften unterdrückt wird. Dasselbe Verhältniß findet in der Religion statt. Wo das Dogma noch in unbestrittenem Ansehen steht und gleichsam eine unüberstcigliche Gränze für unser Wissen und Forschen bildet, da kommen fast nie Geisteskrankheiten vor, welche in religiösen Bedenken ihren Grund haben. Doch wo der Glaube erschüttert ist, wo die Dämmerung des Zweifels den Hellen Tag der Offenbarung verdrängt hat, da folgen auf den Stolz, mit dem man sich von dem Glauben lossagt, oft Gewissensängste, welche den Geist in unheilbare Schwermuth stürzen. Je kühner die Kritik eines Zeital ters ist, um so häufiger werden diese Fälle eintreten; und wir haben in unse ren Tagen oft genug Gelegenheit, sie zu beobachten. Wie wir oben gesehen haben, daß die höchsten Geister am leichtesten dem Wahnsinn verfallen, so scheint das Steigen der Bildung auch oft ein Grund, daß einzelne Geister um fo tiefer sinken, vorzüglich die minder Befähigten können, wenn sie eine höhere Stufe erschwingen wollen, als ihre Kräfte ihnen gestatten, leicht sich selbst aufreiben. Dies ist freilich kein Grund, den Fortschritt der Zeit fürchten zu müssen; wir müssen die Freiheit und die Aufklärung mit allen ihren Gefahren lieben; doch mögen sich die, welche das Steuer nicht führen können, von der Brandung fern halten. In den Jahren 1789 und 1830 ist die Zahl der Wahnsinnigen weit größer gewesen als gewöhnlich, und der Grund hiervon hat ohne Zweisel in den Revolutionen gelegen. Auffallend aber ist es, daß in dem Jahre von 1793 zu 1794 viel weniger Wahnsinnsfälle vorgekommcn sind als sonst; es scheint, daß der Schrecken, der von allen Seiten auf die Geister eindrang, sie gleichsam gezwungen habe, sich selbst sorgfältiger zu überwachen. Nach dem Sturze Robespicrre'S füllten sich die Irrenhäuser wieder, und man könnte eine Geschichte der Revolution von der Einnahme der Bastille bis zum letzten Auftreten Bonaparte's schreiben, indem man nur die Geschichte einzelner Geisteskranken schriebe, deren Wahnsinn sich an die charak teristischen Ereignisse jener Zeit des Unheils und des Ruhmes knüpfte. Im Jahre 1830 waren die Irrenhäuser und Hospitäler voll von Kranken, welche ConstitutionS-Entwürse für alle Völker der Erde mit sich herumtrugen. 1840, als Napolcon'S Leiche nach Paris gebracht wurde, behandelte der Doktor Voisin zu Bicetre dreizehn oder vierzehn Kaiser. Der Pomp des Leichenzuges, der vielmehr ein Triumphzug schien, und die großartige Aufregung, welche er im Volke hervorrief, versetzte ganz wieder in den alten Glanz der Kaiscrzeit. Das Volk rief: »Hoch lebe der Kaiser!" und es konnte sich nicht denken, daß er je gestorben seh. So mögen jene dreizehn oder vierzehn, indem sie sich umsahen, wo der Kaiser sey, plötzlich gesühlt haben, daß sie selbst es seyen. Eben so fallen die, welche sich für Christus halten, gewöhnlich in der Char- woche in diesen Wahnsinn, und zwar besonders in Spanien und Italien, wo die Passion noch dramatisch dargestellt wird. Auch die Lektüre kann oft den Geist verrücken. Einem Handwerker fielen vor kurzem die Werke Kant's und Swedenborg's in die Hände. Er las darin, anfangs nur aus Langeweile; doch bald erkannte er, daß er keinen Körper habe, daß er nur ein zarter Hauch sey, der von den Lüften getragen werde. Von diesem Augenblick an begann für ihn ein neues Leben. Er schlief nicht, sprach nicht; den» er wußte, daß ein Hauch keines Schlafes bedürfe, und daß die höchste Vernunft, die das All durchbringt, seine Gedanken durch schaue und sie den übrigen Menschen, die ätherische Wesen wie er seyen, mittheile. Da ein Geist auch nicht ißt, so wies er alle Speise von sich, und nach zwölf Tagen war er todt. Je weniger gebildet Jemand ist, um so mehr ist ein nachtheiliger Einfluß der Lektüre zu fürchten; er pflegt dann die Bücher nur mit Neugier zu verschlingen, ohne ihren Inhalt zu verarbeiten, und so werden leicht phantastische Träumereien in ihm geweckt, die mit der Zeit zu fixen Ideen werben. Die Romane der George Sand sollen schon mancher Frau, die voll Selbstgefühl die Schranken ihres Geschlechtes über schreiten wollte, den Geist zerrüttet haben. Doch man wird der Schriftstellerin daraus keinen Vorwurf machen, wenn man hört, daß ein junger Mann, den man neulich nach Bicetre gebracht hat, durch die Bibel verrückt geworden ist, indem er sich für einen Liebling Gottes hielt, den Gott persönlich von früheren Irrwegen zurückgcsührt habe, und der die Welt zu bessern berufen sey. Ja selbst der kühlen klassischen Poesie des vorigen Jahrhunderts sind noch Opfer gefallen; ein Wahnsinniger, der den „Tempel von Knidus" zu eifrig studirt hatte, schilderte die Freuden, die er mit den Himmlischen genoß, wollte dem Liebesgotte einen Tempel bauen lassen und glaubte, selbst in die Reihe der Götter erhoben zu seyn. Ein Anderer, der auf halbem Wege zum Wahnsinn noch kurirt wurde, glaubte in dem Benehmen der Frau eines Freundes, die weder jung noch schön war, große Zärtlichkeit zu entdecken. Er hatte kürzlich die Phädra von Racine gelesen und erkannte sich im Hippolyt, seinen Freund im Theseus und dessen Frau in der Phädra wieder. Er fühlt die Nothwendig keit, sich seinem Freunde zu Füßen zu werfen und ihm zu gestehen, waö in seinem Herzen vorgehc; er thut cs mit allem Pathos, dessen er fähig ist; „Theseus", ruft er knicend, „noch ist das Verbrechen nicht geschehen, noch ist dein Weib nicht schuldig; ich habe ihren Bitten, ihren Thränen noch zu widerstehen gewußt; aber — (Phädra stürzt herbei, um gegen eine solche Deutung ihres Benehmens Einspruch zu thun) aber ich kann für mich selbst nicht mehr bürgen; entferne mich aus ihrer Gegenwart; mein Gott, ich fürchte, daß ich unter- liege." Natürlich wies der erschrockene Ehemann Hippolyt aus dem Hause, doch dieser fiel nicht auf dem Wege einem Ungeheuer zum Raube, sondern kam nach einigen Monaten von seiner fixen Idee zurück. (Schluß folgt.) England. Ein neuer Frauenlob. Archer Gurney, der in diesen Blättern schon mehrfach mit Aner- kennung als Uebersetzer und Kenner der deutschen Literatur genannt worden, ist in seiner Muttersprache mit einigen dichterischen Versuchen aufgetreten, in denen er sich als ein so entschiedener Verehrer der Frauen kundgicbt, daß wir eS für eine Pflicht der Artigkeit halten, dieselben darauf aufmerksam zu machen. Die Huldigung der Frauen haben unsere Jünglinge und unsere Dichter seit langer Zeit verlernt; in besonderem Falle wird Eine auf Kosten Aller gelobt und besungen, aber alle Uebrigen werden getadelt und verspottet. Dieser Einen soll nun zwar der letztgedachte Umstand der lieblichste Weihrauch seyn, indessen können wir den Frauen unmöglich so wenig ssprit üe corps zutrauen, und wir schmeicheln uns, die hier mitgetheilte Probe einer ihrer Gesammtheit dargebrachten Verehrung werde uns ihren Dank verdienen; vielleicht erhöht eS den poetischen Werth derselben, wenn wir vorauSbcmerkcn, daß der neue Frauenlob jung, reich, hübsch und — unverheiratet ist. DaS Weib. Was so süß, so rar und eigen: Wachen, Westwind, Stern' und Rosen, Ist nur da, um uni zu zeigen, Weiche Reize Frau'n umkosen; Denn mit diesen zaubcrreichen Kennen sie sich nicht vergleichen. Hast du Veilchen weiten sehen Bon dem ersten Frühlingshauch? Oder sollst du huld'gend stehen, Spendend ihren Weiherauch, Blumen im bcscheid'nen Kreis Um die JriS, stolz und weiß? Lieblich wie des Veilchens Dlüche, Wie di« Iris hold und schön,