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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PriinumeraüonS-Preis 22j Silbergr. (j Tdlr.) vierteljährlich, Z Lhlr. für di>S ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Ldeilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Camp., Jägerstraße Nr. 25), so wie von allen Königl. Post >>Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 147. Berlin, Freitag den 8 Dezember 1843. Mejiko. Prescott's Geschichte der Eroberung von Mejiko. *) Der Grund, der Herrn Prescott veranlaßte, ein Thema von neuem zu bearbeiten, welches schon der klassischen Feder Robertson's zum Gegenstände gedient hatte, ist die Auffindung einer großen Masse Originalstoffs, die jenem Historiker unbekannt war. Die spanischen Alterthumsforscher haben sich mit lobenswcrther Thätigkeit bestrebt, alle Dokumente zu sammeln, die sich auf die Entdeckung und Unterwerfung Amerika's beziehen, und die wachsende Libe ralität der Regierung hat Herrn Prescott den Zutritt zu denselben gestattet. Außerdem ist er durch mehrere Privatpersonen in seinen Nachsuchungen unter stützt worden, von denen wir nur den sicilianischcn Herzog von Monteleone, den eifrigsten Sachwalter des Cortes, erwähnen. Der Umfang dieser Sammlungen läßt sich nach der Thatsache ermessen, daß die aus Spanien er haltenen Urkunden, die auf die Eroberung von Mejiko und Peru Bezug haben, allein achttausend Folioseitcn einnehmen. Sie bestehen aus den Instructionen der Negierung, aus militairischen und Privat-Tagebüchern, der Korrespondenz der vornehmsten handelnden Personen jener Epoche, gerichtlichen Akten, gleich zeitigen Chroniken u. s. w-, die in den Hauptstädten des ausgedehnten spanischen Kolonialreichs, so wie in den Staats-Archiven der Halbinsel, niedergelegt waren. Aus solchen Materialien ist das vorliegende Werk entstanden, welches die Eroberung von Mejiko und das nachherige Leben des CortcS begreift; als Einleitung dient eine Uebersicht der aztekischen oder mcjikanischen Geschichte vor Ankunft der Spanier, welche durch die in einem Anhang enthaltene Ab handlung über den wahrscheinlichen Ursprung der aztekischen Kultur ergänzt wird. Herr Prescott hat denselben Plan befolgt, den er seiner „Geschichte Ferdinand's und Isabellens" zum Grunde gelegt, indem er als Zugabe zu jedem Hauptstücke des Werks eine Notiz über das Leben und die Schriften seiner vorzüglichsten Autoritäten beifügt — eine treffliche, von Gibbon ent lehnte Idee, welche dieser nach Beendigung seines „verline snü k°»II of Ge Koman Lmpire" auszuführen gedachte und zum Theil auch ausführte. Bei aller Ergiebigkeit der neuentdcckten Quellen find es doch nicht gerade neue Thatsachen, die wir aus dieser Arbeit erfahren; in ihren Hauptzügen finden wir dieselben Ereignisse schon bei Robertson, und das Verdienst des Verfassers beschränkt sich im Ganzen daraus, die schon vorhandenen Umrisse durch eine dctaillirtere Zeichnung ausgefüllt zu haben. Dieses ist auf eine Weise geschehen, die ihm den Dank aller Leser sichern muß, welche, ohne im Staube der Bibliotheken zu wühlen, sich genau über eine der interessantesten Episoden der neueren Geschichte zu unterrichten wünschen; er hat ein klares, anziehendes und lebenvolles Gemälde entworfen, in welchem er die ritterlich- kühnen Thaten der ConquistadorcS in ihrem vollen, pittoresken Glanze er scheinen läßt, ohne ihre Grausamkeit und ihr Verbrechen zu beschönigen. Aller dings werden diese Vorzüge durch einige Mängel ausgewogen — er ist etwas zu freigebig mit seinen Betrachtungen, die oft von unmäßiger Länge sind; sein Styl ist zwar gefällig und nicht selten von treffender Wirkung, aber mitunter zu emphatisch, während er andererseits, um die geringeren Details seiner Er zählung hervorzuheben, in einen familiären Ton verfällt, der uns kaum mit dem Ernste der Geschichte zu Harmoniken scheint. Andere, weniger bedeutende Fehler sind höchst wahrscheinlich dem körperlichen Leiden des Verfassers zuzu schreiben, da ihn sein schwaches Gesicht außer Stande setzt, nicht nur das Manuskript, sondern auch die Probebogen seines Werks durchzusehen. Die Uebersicht der aztekischen Civilisation, die einen allgemeinen Umriß der Geschichte jencü Volkes, eine Schilderung der Regierung und des Charak ters der beiden großen Monarchen, die unmittelbar vor Ankunft der Spanier herrschten, so wie eine gründliche Darstellung ver Künste, der Institutionen und des riligiösen Glaubens der Mejikancr enthält, zeichnet sich durch die faßliche Weise ans, in der sie die Resultate gelehrter archäologischer Unter suchungen wiedergiebt. Die gleichzeitigen Schriftsteller (vorzugsweise Priester) — die gebildeten Eingeborenen, die nach der Eroberung ihren Stolz darein setzten, die Reliquien ihrer ehemaligen Herrlichkeit aufzubcwahren — die Alterthumsforscher, die sich mit diesem dunklen Gegenstände beschäftigt haben, find alle zu Rathe gezogen worden, und das Wesentliche ihrer Aussagen ist nach Beseitigung der Widersprüche in einem lichtvollen Gemälde veranschaulicht. Doch muß sich der Leser hüten, aus jenen Berichten eine zu günstige Meinung von der aztekischen Kultur zu fassen. Die einzige, im strengen Sinne des Worts gleichzeitige Autorität von irgend einem Werthe, die wir besitzen, ist Cortes selbst"); denn sein Anhänger, Capitain Bernal Diaz, war ein bloßer Soldat, zu unwissend und leichtgläubig, um als Zeuge über Fragen zu gelten, die in das Gebiet der Civilisation gehören. Seines durchdringenden Verstandes ungeachtet, erstreckt sich diese Bemerkung zum Theil auch auf Cor- teS; er verließ Spanien noch als Knabe, und zum Maßstabe eines kultivirten Lebens konnten ihm nur die spanischen Kolonicen dienen — außerdem lag e« in seinem Interesse, die Wichtigkeit des von ihm entdeckten Landes und die Kulturstufe seiner Einwohner möglichst zu vergrößern, um seine eigenen Ver dienste in ein desto helleres Licht zu stellen. Die Autoren, die unmittelbar auf ihn folgten, lernten Mejiko erst nach einer politischen Konvulsion kennen, wo es seinem ehemaligen Zustande eben so wenig gleichen mochte, wie das Frank reich der Schreckensherrschaft dem Frankreich der alten Monarchie glich. Auch waren es keine Männer, auf deren philosophisches Urtheil man sich verlassen konnte, sondern Mönche, in welchen Fanatismus und Leichtgläubigkeit die Wirkungen einer ungeregelten Einbildungskraft vertraten. Fügt man zu diesen Umständen den natürlichen Argwohn der Mejikaner, ihren Hang zur Uebertreibung, den sie mit allen ungebildeten Völkern gemein haben, die Schwierigkeit, jene hicroglpphischcn Figuren zu enträthseln, die ihre einzigen Annalen bildeten, die noch größere Schwierigkeit, in den Gemüthern der Ab- origincr ihre eigentlichen Nationalkenntniffe von den Begriffen zu sondern, die ihnen durch ihre christlichen Lehrer eingeflößt wurden — so wird man sich überzeugen, daß man aus solchen Quellen nur mit der äußersten Vorsicht Schlüffe ziehen oder auf die angegebene Thatsache eine Folgerung gründen darf. Wenn z. B. die religiösen Begriffe der Mejikaner auf nachstehende Weise geschildert werden, so ist cs schwer zu glauben, daß sie nicht zum Theil von den Eroberern entlehnt oder durch einen frommen Betrug eingeschwärzt wurden. „In den Ccremonien, die bei der Benennung ihrer Kinder stattfan den", heißt es, „ist noch eine schlagendere Aehnlichkeit mit dem christlichen Ritus wahrzunehmen. Man besprengte die Lippen und die Brust des Säug lings mit Wasser und flehte zum Herrn, daß Liese heiligen Tropfen die dem Kinde schon vor Anfang mitgethcilte Sünde verwischen möchten, damit e- neu geboren werde. Mehr als eines ihrer Gebete, die nach regelmäßigen Formen verrichtet wurden, erinnern uns an die Moral. „„Willst du uns, o Herr! auf ewig auslöschen? Soll deine Strafe uns nicht bessern, sondern vernichten?"" „„Verleihe uns Deiner großen Gnade halber die Gaben, deren wir durch unser eigenes Verdienst nicht würdig sind."" „„Halte Frie den mit Allen"" — so lautet das Gebot — „„ertrage das Unrecht mit Demuth; Gott sicht es und wird Dich rächen."" Die merkwürdigste Parallele zur heiligen Schrift bildet aber der Ausspruch, daß Jeder, der ein Weib zu neugierig anblickt, sich des Ehebruchs mit den Augen schuldig mache." Aus mehreren Stellen geht hervor, daß der Verfasser selbst über Manches zweifelhaft ist, was er seinen Gewährsmännern nacherzählt; gewöhnlich begnügt er sich jedoch mit einem Winke, der sich auch meistens unter den Anmerkungen verbirgt. Er glaubte vielleicht, daß, wenn er seine Zweifel dem Werke cin- verlcibte, er demselben eher die Form einer kritischen Analyse als die einer historischen Darstellung geben werde. Auch hat er folgende Thatsachen zwar wahrgenommcn, aber nicht mit genügender Deutlichkeit hervorgehoben, daß nämlich erstens die mejikanische Kultur als eine nachgeahmte erscheint, die vielleicht schon im Verfall begriffen und einer Nation von weit höherem Alterthum entlehnt war, und zweitens, daß, allen Berichten über die Größe und die Civilisation Mejiko'S zum Trotz, das eigentliche mejikanische Gebiet von sehr geringem Umfang und das Land in mehrere Fürstenthümer zerstückelt war, daß ost ganze Stämme auf einmal auswanderten, und daß die mcjika- nische Oberherrschaft einen neueren Ursprung hatte und von dem persönlichen Charakter des jedesmaligen Regenten ahhing. Uebcr die Entstehung jener Kultur zieht der Verfasser als Resultat seiner Untersuchungen folgenden Schluß, der sich zwar nicht durch seine Neuheit auSzeichnet, dem wir aber unsere Beistimmung nicht versagen können: Erstens sind die Analogieen stark genug, um uns zu berechtigen, die Civilisation Anahuac's bis zu einem ge wissen Grade der Einwirkung des östlichen Asiens zuzuschreiben, und zweitens find die Abweichungen so bedeutend, daß wir jene Einwirkung in eine äußerst entlegene Periode zurück versetzen müssen — so entlegen in der That, daß der ») Wir «heilen hier einstweilen eine kurze Charakteristik dieses Werket mit, aus dem ') Man vergl. den Artikel über die Berichte de« CerteS an Karl V. in Nr. 140 dcS wir nächsten« einige Auszüge verlegen werden. Magazins.