Volltext Seite (XML)
330 bund in dem Bau herum und zeigte uns alle Sehenswürdigkeiten, unter denen das ungemein große Refektorium, dessen Wände ganz mit Holz überklcidet und mit bewundernswürdigen Schnitzarbeiten von den Händen der Mönche geschmückt sind, die Kapelle, das physikalische und das naturhistorische Kabinet und das chemische Laboratorium besondere Aufmerksamkeit verdienen. Die sehr freundlichen Hörsäle sind alle mit großen, zum Theil sehr zierlich auf die nackte Wand gemalten Karten geziert, als wollte man die Jugend in allen Ecken daran erinnern, daß sie den Vorwurf geographischer Unwissenheit von der Nation abwälzc. In den Gemächern der Zöglinge, den Zellen für die Erkrankten, den Speise- und Wäsche-Kammern u. s. w. herrscht musterhafte Ordnung und Reinlichkeit. Zwei vorzügliche WohlthätigkcitS-Anstalten sind: das große zur Abtei Trinite gehörende Hospital Hotel-Dieu und der Bon-Sauveur, in wel chem letzteren eine sehr bedeutende Anzahl von Irren (alienes) und Taubstum- men verschiedener Nationen Aufnahme findet. Die Pflege der Hülfsbedürftigcn in beiden Etablissements liegt barmherzigen Schwestern ob, unter denen viele aus vornehme» Familien, einige sogar aus fürstlichem Geblüte sepn sollen. Alle tragen dasselbe geistliche Gewand und sind der Superiorin, die ihnen mit Anfang jedes Jahres ihre Beschäftigungen zuthcilt, gleichen Gehorsam schul dig. Sämmtliche Schwestern werden „Madame" angercdet, nur der Supe riorin kommt seltsamer Weise der Titel „Mademoiselle" zu. Die Novizen und jüngeren Schwestern in Bon-Sauveur blickten entweder gen Himmel oder an die Erde, so oft sie an uns vorüberkamen; mehrere hatten eine fehl edle regelmäßige Physiognomie und nicht wenige, trotz ihrer harten Berufs pflichten, ein gesundes Ansehen. Doch war auch manches interessante Gesicht mii einer fast schreckbaren Blässe bedeckt, und man versicherte uns, daß die häufigen Nachtwachen, noch mehr aber die Mißhandlungen, denen sie von Seiten der Wahnsinnigen oft ausgesetzt sind, den frühen Tod mancher zart organifirten Schwester zur Folge haben. Eine bejahrte „Madame" von impo- nircnder Gestalt und sehr einnehmender Feinheit des Benehmens führte uns in allen Theilen des ansehnlichen schönen Gebäudes herum, deren Zutritt gestattet ist. Auf dem kolossalen glühenden Heerd einer äußerst eleganten Küche, in dessen Eingcwciden eine Hölle loderte, standen große Kessel mit dampfendem Milchreis und anderen Speisen. Zu dem Hospitale selbst gelangten wir durch einen hübschen Garten, der sich mit seinem sehr hohen Crucifir und zwei ge schmackvollen Denkmälern aus Marmor, die einem Superior und einer Supe- rioriii von ausgezeichnetem Verdienste errichtet sind, aus der Ferne wie ein Gottesacker auSnimmt. Drei höchst elegante, kokett ausgcschmückte Kapellen find für die Nonnen, die Taubstummen und die genesenden sliene» bestimmt. Von einer inneren Gallerte der Kapelle der Letztgenannten ließ man uns in einen anderen ganz ummauerten Garten blicken, in welchem ein Theil der Irren sich sonnte. Einige lagen auf dem Nasen ausgestreckt, andere schlichen wie Phantome an der Mauer vorwärts und rückwärts. Ein wahnsinniger Priester in seiner schwarzen Robe saß im Vordergrund auf einer Bank und studirte emsig in etwas Gedrucktem, während ein hochgcbautcr rothhaariger Engländer mit stolzer Miene auf ihn zuschritt, beide Hände in den Sciten- taschen seines hellfarbigen Obcrrocks bergend. Als der Priester den Sohn Albion's vor sich stehen sah, steckte er ihm das Blatt oder die Broschüre hastig zu: dabei schnitt er unerhörte Grimassen, in denen man lesen konnte, daß er auf den Inhalt einen erstaunlichen Werth legte. Der Engländer nahm das Geschenk gleichgültig in Empfang und stapfte weiter. Wir konnten uns von dem traurig-interessanten Schauspiel mit Mühe trennen; aber unsere Führerin bedeutete uns bald, daß es hohe Zeit sey, weiter zu gehen, indem einige der Irren uns schon bemerkt hätten und ein dumpfes Gefühl ihres Zu standes es ihnen unerträglich mache, beobachtet zu werden. Wir verließen die Kapelle und gingen an einer Abtheilung des Gebäudes, aus deren mit Eisenstäbc» verwahrten Fenstern man uns mit Verwünschungen und thieri- schcm Gebrüll begrüßte, vorüber in einen allerliebsten Blumengarten, in dessen Mitte ein kleines isolirteS HauS mit wenigen, aber komfortabel ein gerichteten Wohnungen sich erhob. Dieses ist das unfreiwillige Asyl der rci- chcn Wahnsinnigen. Damals war nur ein junger Engländer hier in Pflege; man hatte ihm aber kurz vor unserem Besuche wegen eines Anfalls von Raserei die Zwangsjacke angelegt und ihn in einem der obersten Gemächer abgespcrrt. In der Nachbarschaft des erwähnten Gartens befindet sich ein neu angelegtes Vorrathshaus, an dessen Vollendung noch gearbeitet ward. Von einem inneren Gerüste, das wir bestiegen hatten, zeigte uns ein sehr gedrungener und blühender junger Maurer voll Freude den mit Quadern ausgcmauerten unterirdischen Raum oder Keller, in welchen ein ungeheuerer Eider-Vorrath wie in eine kolossale Zisterne gegossen wird, und fügte allerlei unerbetene Er läuterungen hinzu. Beim Hinabsteigen sagte man uns, zum Entsetzen unserer Damen, daß jener frische Bursche, der, beiläufig bemerkt, als er »nS scheiden sah, in kindisch-weinerlichem Ton um ein Almosen anhielt, ein Rekonvaleszent und erst kürzlich von der Zwangsjacke emanzipirt sey. Solche genesende Ir ren waren überhaupt sämmtliche Arbeiter, die uns in der Anstalt begegneten, von denen aber die Meisten der Gesellschaft scheu aus dem Wege gingen. Unser letzter Besuch war den Taubstummen gewidmet, die zum großen Theil in einer offenen Halle versammelt saßen. MS wir den Wunsch äußerten, einige Proben ihres Talentes zu sehen, rief eine bejahrte Lehrerin drei er wachsene Mädchen auf, die sogleich an drei große Schreibtafeln eilten und verschiedene Fragen eben so rasch als befriedigend beantworteten. Nur bei der geographischen Frage entstand eine Consultation, indem eine der Taub stummen, die ein auffallend geistreiches Auge hatte, eine deutsche Stadt, ver möge kühneren Fluges der Phantasie, nach Italien versetzen wollte. Das wirklich edle Gcberdenspiel, womit diese anfänglich ihre Meinung in Schutz nahm, die anderen aber sie über ihren Jrrthum belehrten, machte einen um so angenehmeren Eindruck, als die Lippen dabei immer geschloffen blieben und kein Laut auSgestoßen ward, der im Munde eines Taubstummen fast immer wider lich klingt. Wir verließen erst spät diese Anstalt, in der so manches Grausige, Rührende und zum Theil auch Erfreuliche an uns vorübergegangen war. Ganz Frankreich soll kein besser eingerichtetes Institut dieser Art aufweisen, und wirklich scheint hier nichts, was zum Zwecke führt, vernachlässigt zu sepn. England. Englische Dichterinnen. Von Louise v. Ploennies. (Fortsetzung.) Auch Miß Landon liebte eS, den Orient zu besingen, und es stand ihr eine Fülle von Pracht unv Bilderschmuck zu Gebot, welche ihre Schilderungen ost sehr glänzend macht. Doch bleibt sie hier an Gluth und Kraft der Ima gination weit hinter Thomas Moore zurück, dessen orientalische Schilderungen von einem unerreichbaren Schimmer übergossen sind. Am anziehendsten er scheint sie mir, wenn sie sich in ihrem eigensten Element, der Liebe, bewegt. Das folgende LiebcSgedichtchen erinnert an Heine: Der Schwan. Des AbendS Schleier weben Sich um die dunkle Fluch, Auf der ein finsterer Schatten Von schwarzen Wolke» richt. Die Lust ist schwer und drückend, Der Nebel gcisterblcich; Ein düstrer Trauermantel Schmiege sich um daS Gesträuch. Doch mitten auf der nächtlich Umhütlten Wasierbadn, Mir schneeweißem Gefieder Segelt ein weißer Schwan. DaS cinz'ge Rosenwölkchen, Das an dem Himmel glüht, Umglänzet sein Gefieder, Die Welle, wo er zieht. Da, o Geliebte! dachte Die stille Seele dein; So strahlt durch Erdendunkcl Mir deine Schönheit rein. Mein Schwa»! holdselig einsam, Der meine Nacht erhellt, Mein einzig Lieben, Hoffen, Bist du auf dieser Welt! Eine Dichterin, welche in dem Ausdruck der Liebe ebenfalls sehr glücklich ist, ist Mrs. Norton, die schöne und geistreiche Enkelin Sheridan'S. Ihre ersten Liebesgedichte, welche ohne ihren Namen unter dem Titel „Rosalien s Kummer" erschienen, machten viel Aufsehen. Später gab sie unter ihrem eigenen Namen mehrere größere Dichtungen, unter anderen den „ewigen Inden", heraus. Doch scheint sic diesem großartigen Stoff nicht ganz gc- wachsen zu scyn. Der zarte Ausdruck der Liebe gelingt ihr am besten. Dies zum Beweis: Aus Rosaliens Kummer. Ich lieb' dich nicht! ach nein, ich lieb' dich nicht, Doch warum macht so traurig mich dein Scheiden? Den Himmel neid' ich und die Sterne licht, Die auf dich still herniedcrsehn voll Freuden. Ich lieb' dich nicht — allein ein Zauber tagt Um dich, sein Schimmer will von dir nicht weichen, Und in der Einsamkeit mein Herz beklagt, Daß, die ich wirklich liebe, dir nicht gleiche». Ich lieb' dich nicht — und doch, bist du entfloh'» — Haß ich den Klang (ob auch aus theurem Munde), Der mir zerstört das Echo von dem Ton, Das deine Stimme weckt im Herzensgründe. Ich lieb' dich nicht — doch deines Auge« Mach«, Mit seinem blauen seelcnvollcn Schimmer, Tritt zwischen mich und daS Gewölk der Nacht, So oft wie and'rer Augen Strahlen nimmer. Ich lieb' di» nicht — hoch ist-s ein Mißgeschick, Daß meine Augen immer dich ersehnen, Mi» Lächeln solgt mir still der Mutter Blick, Ich lieb' ihn nicht — und doch warum die Thränen? — Aus dem „ewigen Juden" theile ich hier einige Stellen mit, in welchen der Ausdruck eines tiefen Gefühls sehr gelungen ist: Isabel an Miriam'S Grab. Mit all' deiner Lieblichkeit entfloh'» Bist du in di- stille Gruft, Wohin der Freude Segen«,on Nicht dringt und die FrühlingSluft. Tief, tief unter all' die Blumen hold, Tief unter d-S Himmel« Pracht, Der nimmer sendet sein Strahlengold Hinab in der Todten Nacht. Diese Welt, ach sie war ja für dich noch schön, Warum, du Holdselige, mußtest du geh'»?