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Wöchentlich erscheinen drei Numnmo. PrönumerallonS-Preis 22j Silbergr. sjTHIr.) vierteliShrlich, Z THIr. für das gnnze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Peeukischen Monarchie. Magazin für die PrSnumeraiionen werden ddn ich« Buchhandlung (in Berlin bei Veli u. Comp., Jägersteaße Nr. 25), so wie von allen König». Post-Äemtern. angenommen. Literatur des Auslandes. 129. Berlin, Freitag den 27. Oktober 1843. Frankreich. Aus K. E. Oelsner's Briefen an F. A. von Stägemann. Wir theilen hier aus der in der vorigen Nummer unseres Blattes erwähn ten Briessammlung einige Fragmente mit, welche einzelne nicht unwichtige Züge zur Geschichte der Restaurations-Periode liefern. Zunächst aus dem I. 1818 einige Anekdoten, welche beweisen, daß schon damals die Familie Orleans in der öffentlichen Meinung ein Uebergcwicht über den älteren Zweig der Bourbonen hatte: „Paris, 22. Dezember Idiü. .... „Seit einigen Tagen unterhält man sich viel von dem ältesten Sohne des Herzogs v. Orleans. Dieser Prinz ist zwischen 8 bis 9 Jahr. Er verspricht Geist. Neulich führte ihn die Herzogin zum Könige. Der König fand Vergnügen, ihn aus der französischen Geschichte zu eraminiren. Der Prinz wußte alle Könige nach der Schnur herzusagen, bis auf einen — da stockte eS, da wurde ihm das Gedächtniß ungetreu. Kein Zureden half, er konnte sich durchaus nicht besinnen. Zu Hause frug ihn die Mutter, wie das zugche, da er sonst die Reihe der Könige von Frankreich so gut und genau wisse. „Ich hätte ihn wohl nennen können, ich wußte ihn recht wohl, allein ich fürchtete, der König möchte es übel nehmen, „«'esc I.ouis le xron." Bei einer Soiree der Herzogin v- Orleans erschien ein fremder Offizier mit einer brocbette (Bratspießchen) im Knopfloch, an der eine Menge Ordens- krcuze hingen. Der junge Herzog v. Chartres kam zu dem Herrn Albert (Adjutant des Herzogs v. Orleans), um den sehr viele französische Mili- tairs standen, und sagte „ich habe sie gezählt die Kreuze, st en » flix sept mai, st n'« PS, I» banne." Und welches ist denn die s „Is legion il'konneur." Anderer Beschaffenheit ist folgende Anekdote, welche aber, ich muß eS bemer ken, von den Ultraropalisten ausgesprengt wird. Der Maire eines Orts hatte seine Gemeinde versammelt, um den Herzog v. Angouleme mit Jubel zu bewillkommnen. Alt und Jung weigerte sich, zu schreien; man schützte Heiser keit vor. Wie weder Bitten noch Drohungen helfen, ruft der Maire: „Lb bien, ine, »nÜ8, je vou, promet, gue c'est pour t» Sernieve koi,." — „Vivent >e, Laurbon.,!" ertönt es sogleich von einem Ende deS Orts zum anderen." Im Jahre 1819 hatte der Graf, nachmalige Herzog, de EazeS und mit ihm die gemäßigte Fortschritts-Partei in der Gesinnung Ludwig'S XVIII. entschieden gesiegt. Nachstehende Brieffragmente find aus dieser Zeit: „1S. Mai im». .... „Mögen parteiische Schreiber ins Ausland berichten, was sie wollen, meines Erachtens find die Actien der Ultraisten im Sinken. Hr. v. Tallep- rand hat sich bei de CazeS zu den dcmüthigsten Kriechereien herabgelaffen, aber eS ist ihm nicht gelungen, den gescheidten Mann zu übertölpeln, das heißt für Ernennung eines Ministeriums zu gewinnen, in welchem Hr. v. Talleprand ein Plätzchen bekommen hätte. Von den Talenten dieses alten Staatsmanns wird beinah mit eben der Geringschätzung gesprochen als wie von seiner Rechtlichkeit. Unbestritten bleiben ihm einige witzige Gedanken, deren unvorsichtige Aeußcrung aber seinen Absichten oft mehr schadet als nützt. Hr. de CazeS kann ihm unmögiich folgendes Wort vergessen: „cke üi« gue sslr. üe Osre, e,t »n poli„vn, «r st n'e,t pa, content." Zu den schlechten Rechnern, die sich aus Eitelkeit und in der Absicht, irgend ein Ministerium zu erschnappen, in die Partei der Ultraisten geworfen, wird Hr. Benoist ge zählt. Er ist achtzehn Jahre lang erster Ches des Ministeriums des Innern gewesen. Während dieser Zeit hing die Ernennung der Präfekten, Unter- Präfekten u. s. w., so wie ihre Sicherheit, von seinem Einflüsse ab. Da Mde. Benoist einen trefflichen Pinsel führt, so war cs Etikette geworden, daß jeder Präfekt sein Bildniß malen ließ bei Frau Benoist, oder es bestellte, und dafür hundert LouiSd'or bezahlte. Die sich noch besser setzen wollten, ver langten auch das Portrait von Buonaparte. So wurde die Stelle des Mannes für die Gemahlin ergiebig. Vcrinuthlich hat sie ihm noch andere Sporteln abgeworfcn. Als die Bourbons zurückkamen, suchte Hr. Benoist, er ist Sohn eines Advokaten von Agen oder aus der Gegend, aller Welt ein zureden, daß er ein alter Edelmann sey, der Revolution nie gedient, er, der achtzehn Jahr Chef au wimmere ile I'interieur, und sich ihren ersten Aus brüchen widersetzt habe. Er erzählte von einem Bauernaufstände, der durch seine Mitwirkung zerstreut wurde, und sagte: noux n'etionx gue soixsme xvntilsbonunes. Seine Lächerlichkeit hat ihre völlige Abrundung erhalten durch das Wort einer Dame von Stande: pour un bmmnc ä« neu, Vlr. II« nvist pen8e tre» bien. „Mit dem grotesken Jagdanzuge deS Comte d'ArtoiS werden allerlei Späße getrieben. Der Herzog von Orleans ist beliebter. Dieser Prinz be nimmt sich mit Klugheit. Er hat die ihm angcbotene Wache von königlichen Leibgarden ausgeschlagen und erklärt, daß ihm dir der Nationalgarde voll kommen genüge. Der die Wache kommandirende Offizier, wer er sey, Kauf- mann oder Professionist, wird jedesmal zu Tafel gezogen und kommt neben der Herzogin Königl. Hoheit zu sitzen. Dem 6orps> fle xsrä« bringt der Abend eine reichliche Schale Punsch. .... „Wie ich sehe, so habe ich hier noch Platz, Ihnen eine Anekdote zu erzählen, die aber authentischer ist als alle diejenigen, welche Sie in den Souvenirs von Lombard lesen. Sie gehört einer, glücklicherweise, ver blichenen Epoche an. Ich schöpfte sie vor kurzem aus einer guten Quelle, und sie war mir neu. Der 'Visite äu Xorck, den Buonaparte mit Dänemark abgeschlossen hatte, wurde den Engländern verkauft, und dieser Handel gab den Anlaß zu der berüchtigten Kopenhagncr Erpedition. Niemand als La- borie, Herrn v. Talleyrand'S Figaro, konnte der Verräther seyn. Aber man wünschte Gewißheit und die näheren Umstände. In Paris lebte ein Irländer, den man für den Unterhändler hielt. Dem verschlossenen Manne war nichts, weder durch Furcht noch Hoffnung, abzulocken. Nur wurde her- auSgebracht, daß er äußerst bigot sey. Plötzlich ward er krank, und zwar so, daß er der letzten Oelung bedurfte. Der Priester erscheint, ein strenger, gottesfürchtiger Mann, der durchwühlt ihm das Gewissen. Mein Irländer beichtet treulich und haarklein Alles, was die Polizei zu wissen wünscht. Wer war der Beichtvaters DemarcSt, Chef der eigentlich Buonaparte'schen Leibpolizei, hatte sich in einen Priesterrock geworfen und die geistliche Farce gespielt Die letzte Oelung gereichte dem Kranken, wie das bisweilen ge schieht, zur Genesung. Demarest lebt jetzt, wie der Erzspion Schul meister, der große Landgüter besitzt und noch neulich erst die von Boulay de la Meurthe gekauft hat, der schönen Natur. Der Uebergang aus einer Polizei-Anstalt in die schöne Natur muß, anfangs wenigstens, für den abge- dankten Inquisitor etwas recht Unheimliches haben. In Demarest hatte Buonaparte ein ganz für den scheußlichen Beruf geschaffenes Talent ge- funden. Man erzählt Wunderdinge von seiner Spürkraft. Er war im Stande, einen Monat lang über einer Brief-Aufschrift zu brüten, um die Hand, der sie angehörte, ausfindig zu machen. Sein Kabinct besaß eine Samm lung von vier Millionen verschiedener Handschriften, nach Ländern, Departe- menten, Distrikten, Städten u. s. w- sorgfältig geordnet und in Cartons ver- thcilt. Diesen Schatz hat, auf Befehl des Königs, das Mißgeschick der Alcran- drinischen Bibliothek betroffen. Welch ein Verlust! Man muß gestehen, daß Buonaparte ungeheure Anstalten und Bemühungen aufgeboten hat, um Frankreich in seine alten Gränzen zurück und sich selbst auf den Fels von Helena zu bringen. Die Titulaturen haben im vorigen Jahre 400,000 Fr. (Taschengelder für den Kanzler) eingetragen, ein Beweis, daß dergleichen noch ziemlich stark gesucht wird; indeß scheint es gar nicht guter Ton, sich derselben viel im Umgänge zu bedienen." DaS Jahr 1820 brachte die Unthat Louvel'S und in Folge derselben die Entlassung de CazeS' und die Rückkehr zu den konservativen Grundsätzen des Herzogs v. Richelieu. Wir lassen aus diesem Zeiträume zwei Briefe folgen: „M. Februar I82N. „Kennen Sie, mein Theurer, ein bejammernswertheres Geschlecht als das der Bourbonen? Wie dieses, hat noch keinS geblutet! Seit dreißig Jahren umschleicht ein höllischer Würgengel das königl. HauS. Er scheint des Mordens nicht müde zu werden. Welches menschliche Gcmüth, in dem noch einige Empfindung, bebt nicht vor Wehmuth und Entsetzen bei dem Anblick eines so schauderhaften, unversöhnlichen Schicksals, das, je grausamer cs fich zeigt, desto mehr die Lage derer verschlimmert, welche es zur Rache aufzufordcrn scheint. Abgesehen von dem beweinten Opfer der unseligen Nacht und der dem Vater, der Gemahlin, dem Stamme geschlagenen Wunde, ist die gräß liche That auch in ihren möglichen politischen Folgen ein furchtbares Ercigniß. Sie erinnern sich, daß ich den Angriff auf das Wahlgesetz gleich anfangs für ein äußerst mißliches Wagstück hielt. Durch das Zaudern des Ministe riums mußte die Gefahr nur höher steigen. Meines Theils begreife ich nicht, wie eS fich vor dem Tribunale des gesunden Menschenverstandes rechtfertigt. Harrte man cincr Gelegenheit, die Begriffe zu verwirren? Hätte man den verhaßten Abänderungsplan jetzt nicht wenigstens noch ferner verschieben sollen,