Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumrrsliou» Preis 22) Sitbcrar. jj Tdtr.) vicrteliädrlich, Z Tdlr. für das amizeIahr, ohne Eidöbung, in nlicn TbcUen der Preußischen Monarchie. MKgLszi ^4 für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Bei« n. Comr., Iägwßraße Nr. 25), so wie non allen Königs. Post - Aemtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 130. Berlin, Montag den 30 Oktober 1843. England. Die neue Biographie Shakspeare's von Charles Knight.") Dieses mehrfach von uns erwähnte Werk, das von dem Verfasser heflweise ausgcgeben wurde, ist jetzt vollendet, und es läßt sich daher nun ein genaueres Urtheil über die Tendenz desselben fällen, als eS bei dem fragmentarischen Ueberblick der einzelnen Nummern möglich war. Es erhellte jedoch schon aus dem ersten Theil, daß Herr Knight die auf Tradition und Hypothese gegrün deten Ansichten zu widerlegen suchte, die den Vater Shakspeare's als einen un bemittelten Spießbürger und den Dichter selbst als einen Menschen ohne ge lehrte Bildung darstellt, der durch jugendliche Verirrungen oder bedrängte Vermögens-Umstände gezwungen wurde, nach London zu flüchten und dort sein Leben durch niederen Knechtsdienst zu fristen. Es war deutlich zu er kennen, daß der Verfasser das Phantastische mit dem Wirklichen verbinden wollte — er schilderte uns das Leben und die Erziehung deS großen Dichters, nicht wie sie wirklich (weil hierzu die Quellen fehlen), sondern wie sie wahr scheinlich waren. Bei der Lektüre des ganzen Werks ergiebt sich indessen, daß er sich eine noch viel größere Aufgabe gestellt, deren Ausführung ihm auch vollständig gelungen. Er beabsichtigte ein Gemälde, nicht nur des Lebens, sondern auch der Zeit Shakspeare's zu entwerfen und ihren Einfluß auf seinen Genins hervorzuhcbcn; er charakterisirt die damalige Gesellschaft als in einem Uebergangs-Zustande begriffen, in welchem die alten katholischen Gebräuche mit den Lehren der Reformation im Kampfe lagen; er beschreibt die populaircn Spiele und Vergnügungen, die Lustbarkeiten der Großen und die Anfänge deS neueren Drama'S, welches die alten „Mysterien" ersetzte und mit Shakspeare selbst aufwuchs. In diese Epoche fallen die Jugendjahre deS Dichters; mit der Ankunft desselben in London eröffnet sich seinem Biograhen ein noch weite res Feld. Er beleuchtet den Zustand und die Einrichtung des damaligen Theaters, dessen volksthümliche Bedeutung, den moralischen und poetischen Charakter der Zeitgenossen und Nebenbuhler Shakspeare's und die chronologische Reihefolge seiner Schauspiele, und weist den Einfluß nach, den die politischen Ereignisse jener Periode auf einzelne Stellen ansgeübt haben mögen — wie z. B. die spanische Armada, die zu den anlipäpstlichcn und patriotischen Tiraden im „König Johann" Veranlassung geben konnte. Ans derselben Quelle wer den Schlüsse über den Aufenthaltsort des Dichters zu bestimmten Epoche» ge zogen — so ist nicht anzunehmen, daß er während der Pest in London geblieben, wo die Stadt von den Einwohnern verlassen und die Theater ans höheren Befehl geschlossen waren. Gerichtliche Aktenstücke und Notizen ans den Kirchenbüchern, die zum Theil schon bekannt waren, zum Theil aber hier zum erstenmal ans Licht treten, setzen uns in den Stand, die allmälige Verbesse rung seiner Glücksumstände genau zu verfolgen, während sie ihn zugleich in dem Charakter eines GeschäfSmannS zeigen. Diese Materialien werden uns zuweilen, wo es die Quellen zulassen, in einer fortlaufenden Erzählung vor gelegt; zuweilen erhalten sie die Form einer kritischen Untersuchung, um zweifelhafte Punkte zu widerlegen oder zu bestätigen; noch öfter aber bilden sie den Grundstoff zu einem Phantasiegemälde, bei welchem es dem Verfasser nicht immer gelingt, sich vor Uebertreibungen und willkürlichen Folgerungen zu hüten. Im Ganzen kennen wir jedoch kein anderes Werk, das uns so voll ständige Auskunft über Alles gäbe, was sich auf das Leben und die Zeiten des großen Dichters bezieht. Nächst den Knabenjahren und der Erziehung Shakspeare's, die ein leeres Blatt in seiner Geschichte bilden, welches Jeder nach Belieben ausfüllen kann, beschäftigen sich die Untersuchungen des Herrn Knight vorzugsweise mit den drei folgenden Punkten. D Der Trauschein (mitrriaxs lleenoe °°) Shak speare's ist vom 18. November lb82 datirt; seine Tochter wurde am 26sten Mai I58Z getauft. Ueber diese Thatsachen haben neuere Schriftsteller Bemer kungen angestcllt, die eine mangelhafte Kenntniß der Provinzial-Gebräuche und des damaligen ungeordneten Zustandes der Ehegesetze verrathen, und woraus sie Folgerungen gezogen haben, die jeder faktischen Grundlage entbehren. -) ViMsm KIu,kapere (so muß nacd der Meinung dt» Verl, der Name geschrieben werden) Niogrun»)', Ny kNürte« Kuixbt. London 1813. — Es bildet diese Biozra- rbie neun piestrungen der großen Motor»,I Lditiou vt 8bol"i>-ro, die bei Charit» Kriaht u. Co. seit dem Jahre Eg ersaeint und die al» ein würdiges inpographisch. literarische» Denkmal angesehen werden kann, da» Cngland seinem großen Dichter gesetzt. Von der mit unzähligen Illustrationen außgestatteten Motorial klültlou sind im Ganzen 55 Liefe rungen L 2j Sbill. erschienen; da» Werk kostet also bi» jetzt 16 Thater. ") Eine slarrlago lieeno« ist die Erlaubniß, ohne »orhergcgangcneni kirchlichem Aufge bot getraut zu werden. Letztere werden nicht allein von Hrn. Knight bestritten, sondern er schaltet auch, um seinen Helden zu reinigen, eine Bcrlobungs-Scene ein, die, wie er sagt, etwa ein Jahr vor Shakspeare's Hochzeit stattsindcn mochte, für welche er in dessen weder direkte noch indirekte Beweise anführt. 2) Auf gleiche Weise leugnet Herr Knight die Wilddiebs-Geschichte und verwirft die Sage, daß Shakspeare seinen Unterhalt in London durch knechtischen Dienst — durch Halten der Pferde am Theater — erworben habe. ES ist höchst wahrscheinlich, daß man Thatsachen dieser Art im Laufe der Zeit entstellt und übertrieben hat; doch ist es schwer, d e Ansichten deS Verfassers über Shakspeare's Familie mit dem von ihm gewählte» Beruf zu vereinigen, wenn mau nicht einen Jugendstreich voraussctzt. Ei» wohlhabender Pächter damaliger Zeit, der den Rang eines Land-EvelmannS zu erreichen strebte und ihn wirklich erreichte, hätte gewiß nicht eingewilligt, seinen einzigen Sohn als Komödianten und Komödienschrciber auftreten zu lassen. 3) Die Vcrmuthung, daß Shakspeare in Schottland gewesen sey, wurde schon im Jahr 1767 aufgestellt, aber bis vor kurzem als unhaltbar verworfen. Aus der Zusammenstellung alles dessen, was über diesen Punkt geschrieben worden, mit einigen neulich zu Tage ge förderten Dokumenten und dem Register des Stadtraths zu Aberdeen zieht Herr Knight nicht nur den Schluß, daß Shakspeare mit seiner Truppe im Jahr 1601 Schottland besucht habe, sondern auch, daß es in Folge einer königlichen Einladung geschehe» scp, und zeigt, daß Lorenz Fletcher, der Vorsteher oder Regisseur, die Ehre hatte, zum Burger der Stadt Aberdeen (kurxens ok xu'üü os tbe bornuxli of^berüoen) ernannt zu werden. Die Vergleichung der damaligen Geschichte Schottlands mit einigen Stellen im „Macbeth" gicbt zu der Vcrmuthung Anlaß, daß der Prozeß der Aberdeener Heren und die Verschwörung Gowrie's nicht ohne Einfluß auf manche Details jener wunder baren Schöpfung geblieben sind. Obgleich auch hier die Hypothesen deS Herrn Knight nicht selten als zu gewagt erscheinen, halten wir ihn dennoch zu dem Schlüsse berechtigt, daß Shakspeare im Jahr 1601 nach Schottland reiste, daß er dort den Schutz Jakob'S VI. erwarb und, was das Wichtigste ist, daß er während seines dortigen Aufenthalts das Material zu seiner großen schottischen Tragödie sammelte. Streng geuommcn, ist der Stoff zu Knight'S Biographie Shakspeare's von dreierlei Art; zu der ersten gehören die aus Aktenstücken und anderen Dokumenten gezogenen Nachrichten über den Dichter, die zum Theil neu, größtcnthcils aber schon aus den Untersuchungen früherer Kritiker bekannt sind; die zweite ist aus archäologischen und literarischen Notizen zusammen- gesetzt, deren Quellen auch dcm größeren Publikum offen stehen, wenn cs sie nur zu benutzen verstände; die dritte und frischeste Art ist endlich das Ergebniß der persönlichen Beobachtungen, die der Verfasser auf seinen vielen, cigcns zu diesem Zweck unternommenen Wallfahrten angestcllt hat. Der Hauptwerth des Buches entspringt in der That aus dem Enthusiasmus, den er auf den Gegenstand desselben verwendet, und aus dem unermüdlichen Fleiß, mit dem er jeden darauf bezüglichen Punkt untersucht und jeden Umstand ergründet hat, der ihm einiges Licht darüber verschaffen und ihn in den Stand setzen konnte, ein genügendes Ganze z» liefern. ES ist nicht leicht, das Charakteri stische dieses Werks zu schildern oder auch nur durch Auszüge anschaulich zu machen; doch wollen wir versuchen, die darin stattsindende Verbindung deS Faktischen mit dcm Phantastischen durch einige Citate zu belegen. Die reiiziö» < poputaire» FesUichkeNen der katholischen Zeit al» der Keim de» Shakspeareschen Drama's bewachtet. „Der 23. April, der Geburtstag William Shakspeare's, ist ein allgemci- ner Feiertag — es ist der Tag des heil. Georg. In Westminster, in Windsor, werden festliche Gelage veranstaltet. Die Schloßhöfe werden mit grünen Binse» bestreut; eine Prozession bewegt sich aus dcm Gemache der Königin nach ihrer Kapelle, während der Chor den Litancigcsang anstimmt. Die Herolde schrei- tcn stolz in ihren Waffenröcken einher; die Ritter des Hoscnband-Ordens und die Monarchen selbst erscheinen in kostbarsten Sammet gekleidet, und die Leibwache (veomen ak rste guarü) schließt mit ihren glänzenden Livreen den Zug. Auch in Stratford wird der Tag, obwohl mit anspruchsloserem Gepränge, begangen. An den Wänden der Kapelle zum heil. Kreuz befand sich ein wundervolles Gemälde, welches einen fürchterlichen Drachen darstcllte, dessen Nacken von einem Sperre durchbohrt ist, er hat mit seinen mächtige» Klauen den Speer zerknickt, während ein tapferer Paladin in voller Rüstung das Schwert erhebt und sein kühnes Noß sich mit scharfem Gebiß auf das Ungethüm stürzt; im Hintergründe steht ein gekröntes Weib mit einem Lamm, und von fernen Thürmen betrachten ein König und eine Königin den Kampf.