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Wöchentlich «scheinen drei Nummern. PrSnumerationS-Preis 22H Silbergr. (4 Thlr.) niertcijShrlich, 3 THIr. sür dos ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstraße Nr. 23), so wie von allen Königi. Post-Aemtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 138. Berlin, Donnerstag den 18. November 1847. Polen. Trentowski'S System, dargestellt und beurtheilt von I. I. Kraszewski. *) Den Namen Trentowski'S kennen die Leser des Magazins bereits ans früheren Berichten über einen Theil der philosophischen Arbeiten, mit welchen dieser regsame Gelehrte seine Nation in kurzer Zeit bereichert Hal. Am nach, sten wurde damals auf das von ihm aufgestellte System nationaler Erziehung ringegangen, das bei allen Mängeln sich inzwischen bei seinen Landsleuten doch immer weitere Bahn gebrochen hat und schon deshalb nicht ohne großen Einfluß geblieben ist, da es den ersten Versuch bildet, die Resultate der deutschen Philosophie auch bei unseren Nachbarn ins praktische Leben einzu führen. Zu einem neuen System hatte es Trentowski, so sehr auch sein Streben dahin ging, so sehr er, wie auch Andere seiner Landsleute, nament lich Libelt (in seiner Schrift: üloroüs i kr^tzks, Posen 1843), das Bedürf, niß, über den Standpunkt der Hegelschen Philosophie hinauszugehen, fühlte, damals doch noch nicht gebracht, und was er für neu und eigcnthümlich an sah und ausgab, war nichts als ein unruhiges Umherschweifeu zwischen den in Deutschland herrschenden und kämpfenden Systemen. In seiner Logik oder, wie er sie etwas weitschichtiger nennt: iAxsIiui er^li Latoksratc l-oiki ünwej (Dcnklchre oder Inbegriff der nationalen (!) Logik) ist Trentowski nun einen Schritt weiter vorgedrungcn, und man kann nun wenigstens genau den Weg bezeichnen, den seine Speculation festhalten zu wollen scheint. Er selbst besitzt im Uebrigcn Bereitwilligkeit genug, sein System zu kommentiren und seine Richtung vorweg anzugcben, so daß man ihn nicht lange auf falscher Fährte zu suchen hat; nur schwächt er das Verdienst dieser Offenheit allzu sehr durch daS Pathos der übergroßen Verheißungen, welche darin auf eine von ihm erfundene Philosophie, und als ob diese die absolute und letzte seyn werde, zugleich immer liegen. Wir haben schon früher Veranlassung ge- nommen, diesen Ton der polnischen Philosophen zu rügen, und ihnen nahe gelegt, daß cS leichter ist, eine neue Philosophie zu versprechen, als zu er- zeugen. Denn wir haben ja die Erfahrung hier ganz in der Nähe gemacht. Der oben genannte Kritiker Kraszewski muß hierin ganz gleich mit uns denken, wenn er Trentowski gleich im Eingänge das Wort von Rosenkranz: „ES kann niemals ein letztes System der Philosophie geben" — vorhält. Kraszewski, dem wir hier zum ersten male auf diesem Felde begegnen, der- dient als der Mann, der gegenwärtig, was ohne Ucbcrtreibung gesagt werden kann, die ganze polnische Literatur beherrscht, wohl, daß wir hier auch von seiner früheren schriftstellerischen Wirksamkeit ein paar Worte sagen. Schon seit mehreren Jahren bildet er das Centruin der literärischen Welt Litthauens. Seine Feder ist unaufhörlich thätig, und seine vielgelcsenen Produkte würden dem Publikum unzweifelhaft von noch nachhaltigerem Nutzen seyn, wenn er mit weniger Hast und etwas mehr Gewissenhaftigkeit arbeitete. Es ist ihm leicht, in wenigen Wochen einen voluminösen Roman ins Volk zu schleudern. Lange schien er bei der Belletristik stehen bleiben zu wollen; seine kritischen Versuche in der „Warschauer Bibliothek" zeugten, wenn auch von Talent, doch nicht von besonderer Vorliebe für die mühsamere Schriftstcllerei. Und gerade an einer tüchtigen Kritik fehlte es in Polen zu jeder Zeit; abgesehen von Grabowski, hatte sich keine kritische Autorität aufgeschwungen. Auch er gehörte Litthauen an, so daß man also genöthigt ist, die ersten Anfänge polnischer Kritik dorthin zu verlegen, wo der ehemalige Wirkungskreis der Lelewel, Mickiewicz und Onacewicz war. Es hätten die hier angelegten Keime sehr fruchtbar werden können, wenn inzwischen nicht eine Zeit ge kommen wäre, in der das litthauische Schriftstellerthum seinen nationalen Charakter zu verlieren schien und von der übrigen gelehrten Welt mit Miß trauen beobachtet wurde. Auch Kraszewski wurde von dem Vorwurfe des AristokratiSmus und der Indolenz in Sachen der Nationalität getroffen, und das Vertrauen gegen ihn begann allgemein zu wanken. Man kann nun wohl einräumen, daß der Argwohn in Polen ein böses und leicht reizbares Gespenst seyn muß, wenn Kraszcwski's Verhalten schon einen hinreichenden Stoff zu Verdächtigungen gab. Freilich ist in einem unterdrückten Volke der Argwohn immer eine sehr gedeihliche Pflanze. Kraszewski erkannte den Mißmuth, wel chen sein vermeintlicher Anschluß an die unpatriotische Partei der Rzewuski und Genossen erregt hatte, und er suchte seinen Ruf durch eine öffentliche und »1 Leipjig, 1817. offene Erklärung zu Gunsten der Nationalen wieder herzustellen. Dies scheint ihm durchaus gelungen zu seyn, denn es haben seither unseres Wissens sich laute Zweifel gegen seinen Charakter mindestens nicht vernehmen lassen. Nicht wenig mag das Verdienst, welches er durch seine neuesten Publicationen, zu welchen wir leine „Geschichte Litthauens", über die wir uns hier Näheres zu berichten Vorbehalten müssen, rechnen, um die nationalen Interessen sich erworben, beigctragen haben, die letzten Zweifel zu ersticken. Wir sehen Kraszewski nun als Kritiker vor unS, der über seinen Philo- sophischen Landsmann mit Strenge zu Gericht sitzt. Sein Urtdeil ist ohne Be stechung und ohne Rückhalt, auch ohne Kraszewski s Versicherung erkennt man ihm das Bestreben an, sich fest an der objektiven Wahrheit zu halten. Wollten wir ausführlich seyn, so müßten wir mit dem Kritiker den Weg durch die ganze Trentowskische Logik machen und das doppelte Amt übernehmen, die eine wie die andere Ansicht zu erörtern. Das würve hier aber zu weit führen, und wir beschränken uns daraus, im Allgemeinen die Standpunkte des Frei burger Philosophen, so weit wir sonst darüber noch nichts gesagt haben, und des Kritikers mit den eigenen Worten derselben zu bezeichnen. Von früherher wissen wir schon, daß Trentowski die Intention hat, die Gegensätze des Be griffs zur Einheit zu erheben und sich sowohl vom absoluten Idealismus wie vom Materialismus frei zu halten. Die höhere Einheit wird ihm dargcstellt in dem Ich, das in Gott und im Menschen Materie und Geist verbindet, aber weder ausschließlich Materie, noch ausschließlich Geist ist, sondern beides zugleich, indem es die Einheit nicht nur darstellt, sondern auch dieselbe schafft m.d im Menschen das Zeichen seiner Göttlichkeit ist. Der relative Unter- schied und die absolute Einheit sollen die Eigentümlichkeit der Methode Trentowski'S bilden, obgleich sie, wie Kraszewski richtig bemerkt, im Grunde nichts Anderes find, als die umstellte Synthese Hegel's, die Negation der Ne gation, welche zum Erfassen der Thesis und Antithesis zurückkehrt. Er räumt relative Unterschiede ein, sieht jedoch absolut Alles in der Einheit; so nimmt er die einseitigen Ansichten der Materialisten und Idealisten in sich auf und sucht sie zu vermitteln. Die empirischen und metaphysischen Elemente als stückweise, einseitige Wahrheiten erfassend, sucht er aus ihrer Vermittelung die ganze Wahrheit. Das ist der allgemeine, mit logischer Bündigkeit sich ent wickelnde Gedanke dieses Systems. Auf ihn — fährt Kraszewski fort — gründet sich diese neue Philosophie, welche sehr heftig gegen den Vorwurf des Synkretismus, Eklektizismus und der Mittelmäßigkeit auftritt und durchaus auf eine organische Totalität besteht. Trentowski betrachtet sein System nicht blos als ein ihm individuell eigenthümliches, sondern, was er hier das erste Mal offen ausspricht, als das System des slawischen Geistes. In der Vorrede zu seiner Logik heißt eS daher: „Der Franzose sieht die Wahrheit in der Em- Pirie, der Deutsche in der Speculation, der Eine wie der Andere steht auf aus schließendem, einseitigem Standpunkte; wir enthüllen eine unbekannte, neue Welt." Von dieser vermeintlich neuen Entdeckung ausgehend, daß die Ertrcme nur Bruchstücke der Wahrheit sind und die ganze Wahrheit in der Synthese der Gegensätze liegt, sucht nun Trentowski fortwährend die Gegensätze aufzuheben und auf dieser Operation sein System zu erbauen Das alte , priori und « posteriori verwandelt sich bei ihm in ein » totali. Die neue Welt, welche die ideale mit der realen verbinden soll, heißt die wirkliche. Es ist dies nicht mehr die Philosophie des Seyns, sondern des Daseyns, auf das letztere stützt sie sich durchaus. Ein numenales Seyn zulassend, schreitet sie so gleich darüber weg zum phänomenalen Seyn und sucht sich im Phönomen einzunisten. Selbst über die Zeitlichkeit hinaus scheint sie hinter dem Phänomen zu jagen, und indem Trentowski dem Hegelschen System das Verharren in der Endlichkeit vorwirft, sieht er nicht ein, wie sehr er selbst in den Gränzen einer engen Endlichkeit gefangen ist. Die empirische Allheit und die spekulative Einheit verbinden in seinem Systeme sich zur Totalität, welche jedoch die Einzelnheit bildet. Totalität und Einzelnheit werden der Ausdruck des Systems. Von diesem Standpunkte ausgehend, unterscheidet im Hinblick aus die Totalität der Wirklichkeit Trentowski vom Schöpfer — die Schöpfung. Hier trennt er sich gewissermaßen von denen, die er an vielen Stellen für seine Meister erklärt, vom Vater des Pantheismus, Spinoza, und vom Gesetzgeber desselben, Hegel; er verkündigt einen abgesonderten Gott hinter der eristirenden Welt, jedoch nicht so, daß er mit ihr überhaupt in keiner Verbindung mehr stände. Im Gegentheil, das Verhältniß Gottes zur Welt giebt Trentowski an als das Verhältniß des Autors zu seinem Werke. „Die allmächtige To- talität umgab sich als Sonne der Sonnen mit der unendlichen Strahlenglorie,