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Wöchentlich erscheine» drei Nummer». Pränumerations-PreiS 22! Silbergr. (^ Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ahne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstraße Nr. 23), so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 128. Berlin, Dienstag den 20- Oktober 1847. England. George Hudson, der Eisenbahn-König. Einer der merkwürdigsten Charakterzüge unseres Zeitalters ist die Schnei- ligkcit und Gewißheit, mit der sich praktische Männer — gewandte Geschäfts, leute und glückliche Spekulanten — zu der socialen Stellung und dem poli tischen Einfluß erheben, die in früheren Jahrhunderten den Mitgliedern der militairischcn und administrativen Hierarchie Vorbehalten waren. Die Helden unserer Tage find nicht auf dem Schlachtfelde, sondern in den Börsensälen, nicht in den Kabinetten der Staatsmänner, sondern in den Versammlungen der Eisenbahn-Actionairc zu suchen, und das Fallen und Steigen der Papiere ist das Barometer, an dem wir den Gang der Weltgeschichte erkennen. Das güldene Kalb ist noch einmal das Idol geworden, vor dem sich alles Volk nicdcrwirft, und ein Günstling des Mammon nimmt jetzt die Verehrung in Empfang, die man sonst den Fürstengünstlingen zu zollen pflegte. George Hudson, Parlaments-Mitglied für Sunderland und Diktator de» Eisenbahnwesens, gehört zu den hervorragendsten und einflußreichsten publio clmracter« im britischen Reiche. Obgleich erst seit zwei Jahren im Parlament, behauptet er doch schon einen Platz neben Lord George Bentinck, Lord John MannerS, Herrn Disraeli u. A. auf den Borderbänkcn der Oppo sition, die gewöhnlich von den Parteiführern eingenommen werden. Er wird auch in der That als eines der Häupter jener Konservativen betrachtet, die sich nach dem Uebcrgang Sir Robert Pecl'S zur Freihandels-Partei von diesem trennten, und alle Fraktionen des Unterhauses scheinen cs willig anzuerkennen, daß ihm eine so hohe Stellung von Rechts wegen zukomme. Außer den äußeren Zeichen der Achtung genießt er aber auch solcher Ehren, die einen solideren Werth haben und mehr nach seinem Geschmack sind-, er hat eine Macht in Händen, die unter anderen Umstünden unerklärlich seyn würde und in den Annalen des Parlaments ohne Beispiel ist. Wenn er nur in Eisen bahn-Angelegenheiten oder damit verbundenen industriellen Fragen als Auto rität betrachtet würde, so ließe sich dieses durch seine glänzenden Erfolge rechtfertigen, da ihn seine ganze Laufbahn als einen Mann bezeichnet, der Alles, was er an Energie und Geisteskraft besitzt, jenem Fache zugewendet hat, welches er mit fast instinktmäßigem Scharfsinn zu bcurthcilen weiß; allein die parlamentarische Thätigkcit dcö Herrn Hudson ist weit entfernt, sich auf ihre angemessene Sphäre zu beschränken — ne geht auch auf Gegenstände über, die ganz außer seinem Bereiche liegen, was aber durchaus nicht vcr- hindert, daß die ältesten Mitglieder des Hauses und die leitenden Staats männer des Tages seine Reden mit bewundernswürdiger Geduld anhören, während man jeden Anderen, der in ähnlicher Weise aufträte, durch schallen des Gelächter oder mißbilligendes Husten unterbrechen würde. Es zeigt sich hieraus deutlich, daß der Erfolg sich nirgends einer größeren Verehrung zu erfreuen hat, als im britischen Unterhause. Vielleicht wird cs unseren Lesern nicht uninteressant sehn, etwas Näheres über den Lebenslauf dieses neuen Krösus zu erfahren. Siebenundvicrzig Jahre sind verflossen, seitdem George Hudson im Dörfchen Howsham bei Jork das Licht der Welt erblickte. Sein Vater war ein kleiner Pächter, der auch ein öffentliches Amt, nämlich das eines liesst Oonmulüe (Schulzen) des Ortes, verwaltete, aber nur wenig Vermögen besaß. Hudson's Bestimmung schien ihn (wie Cobden) an den Pflug zu fesseln; als er jedoch sein sechstes Jahr erreicht hatte, gab der Tod seines Vaters seinem Schicksal eine andere Wendung. Nachdem er die gewöhnliche, ziemlich mangelhafte Erziehung er halten, die seinen StandcSgcnoffen in Iorkshire zu Theil wird, gaben ihn seine Verwandten, vierzehn Jahr alt, zu einem Schnittwaarenhändler in die Lehre, und durch Fleiß, Tüchtigkeit und gute Aufführung erwarb er sich bald das ganze Vertrauen seines Prinzipals. Schon damals zeichnete er sich durch die brüske, herrische Manier aus, die den Eisenbahn-Diktator noch immer charaktcrisirt und selbst in Iorkihirc, dem Vaterlande der Originale, auffiel; ja, er bediente seine Kunden mit derselben unbeholfenen Höflichkeit, die er jetzt im Umgang mit Pairs und Staatsministern an den Tag legt. In seiner Jugend war er auch sehr religiös und gehörte zur Sekte der Methodisten; heutzutage ist er dagegen ein Mitglied der herrschenden Kirche. Nach Ablauf seiner Lehrzeit war Hudson bereits entschlossen, seiner Hei mat den Rücken zu kehren und sein Glück in London zu versuchen, als seine Vorgesetzten, denen er sich unentbehrlich gemacht hatte, ihm einen Antheil an ihrem Geschäft anboten und ihn hierdurch bestimmten, in Jork zu bleiben. ES ist dieses ein Beweis, daß unser Held seine jetzige Stellung nicht dem Glück allein zu verdanken hat, da die ersten Stufen auf der schwankenden Leiter der Fortuna bekanntlich die schwersten zu ersteigen sind; indessen kam ihm der Zufall bald zu Hülfe, um das zu vollenden, was seine lobenswerthen Anstrengungen begonnen hatten. Der Chef des Hauses, bei welchem er in- teressirt war, zog sich von dem Geschäfte zurück, und dieses wurde von nun an unter der Firma Nicholson und Hudson fortgesührt, so daß Letzterer, ob. wohl erst siebcnundzwanzig Jahr alt, bereits zu den angesehensten Kaufleuten des Ortes gehörte und für einen Mann von nicht unbedeutendem Vermögen galt. Um diese Zeit starb ein gewisser Matthew Bottrill, ein entfernter Verwandter Hudson's, und hinterließ ihm ganz unverhofft ein Kapital von 30,Ollst Pfd. Sterl. (200,000 Thlr. Preuß.). Auf diese Art war er jetzt theils durch seine eigene Betriebsamkeit, theils durch die Laune eines Mannes, der ihm zu Liebe seine nächsten Verwandten unversorgt ließ, mit den Mitteln versehen, fortan ein behagliches Leben zu führen und sich aller GlückSgütcr dieser Welt zn erfreuen. Aber eine solche Aussicht, die Manchem so benei- denswerth erscheinen würde, hatte für den an rastlose Thätigkcit Gewöhnten keinen Reiz; dieselben Eigenschaften, die ihn in wenigen Jahren von dem Stande eines armen, verwaisten Baucrknaben zu einem ehrenvollen Rang unter seinen Mitbürgern erhoben hatten, sollten ihn zu noch weiteren Er folgen ansporncn. Wenn schon die ersten Phasen seiner Laufbahn die Spuren von jener Energie und jenem Geschäftssinn darbietcn, die ihn später in den Stand setzten, die kolossalsten Unternehmungen im Eisenbahnwesen durchzusührcn, so dienen die nachfolgenden Ereignisse einigermaßen zur Erklärung der politischen Rolle, die er gegenwärtig im Unterhaus« spielt, und namentlich des leiden schaftlichen Ultra-Torpismus, der sich in ihm so bemerkbar macht. In pro vinziellen Parteikämpfen gelingt es oft einem zudringlichen, geschäftigen, dreisten, redseligen Individuum, sich den Einfluß zu verschaffen, der befähig teren Männern versagt wird: Herr Hudson liefert hiervon ein glänzendes Beispiel. Als reicher Bürger und Eigenthümer zur Theilnahme an dem po- litischcn Leben der Stadt Jork berechtigt, dauerte cS nicht lange, bis seine außer ordentliche Thätigkcit und seltene Charalterstärke ihm eine Stelle unter den lo kalen Partcihäuptern erwarben. Es fehlte den Konservativen damals gerade an einem furchtlosen, entschlossenen Manne, um die in der Resormbill erlittene Scharte auözuwetzen und die drohenden Fortschritte der Liberalen aufzuhalten; drei Jahre nach seiner glücklichen Erbschaft war Hudson, ohne daß man recht wußte, warum und wie, an die Spitze ihrer Partei getreten. Er erlangte aber bald so gültige Ansprüche auf ihre Erkenntlichkeit, daß eS Niemanden einsiel, ihm das Sceptcr streitig zu machen; wie Napoleon, befestigte er seine Herrschaft durch Siege — die Dankbarkeit seiner Freunde hielt mit seinen Er folgen Schritt, und im November 1837 ward er zum Lord-Mapor von Jork erwählt, welches Amt er später noch ein zweites und drittes Mal bekleidete. °) Derselbe Ehrgeiz, der ihn nach dem Vorrang in einer Provinzialstadt streben ließ, begleitete ihn späterhin nach dcr höheren Sphäre des Unterhauses, wo er der auSerwählte Rathgeber der Protectionistenführer wurde. Kehren wir jedoch zu seiner Wirksamkeit als praktischer Geschäftsmann zu rück. Im Jahr 1833 gründete er die Iorker Bank-Compagnie, eine Actien- Gesellschaft, die nicht, wie so viele andere Institute dieser Art, ihre Theilnchmer zu Grunde richtete, sondern die viclmehr unter der trefflichen Leitung Hudson's alle Finanzkrisen des Landes überstand und noch immer gut rentirt. Diese erste glückliche Speculation führte zu neuen ausgedehnteren und gewagteren Unternehmungen, von denen sein jetziger enormer Reichthum das Resultat ist. Zunächst verdankte ihm die Vorle »uü ^orrK-3U<llamI. Eisenbahn ihre Ent stehung, indem er seine ganze Energie darauf wandte, sie in Gang zu bringen; er bethciligte sich stark bei den Actien und ward zum Vorsitzer der Dircction ernannt. Hier, wie überall, erwarb er sich binnen kurzem den unbeschränk testen Einfluß; er that, was er wollte, und was er that, hatte immer Erfolg. Obgleich die Actien im Anfang mit furchtbarer Schnelligkeit fielen, verlor er den Muth nicht; er kaufte sie den von panischem Schrecken ergriffenen In habern ab, und zum Lohn seiner Unerschrockenheit und seines Fernblicks stiegen sie später bis zu einem nie geahnten Werth. Wie man sagt, handelte er in diesem Falle gegen die Ueberzeugung fast aller Actionairc und selbst dcr Dirck- torcu; aber Entschlossenheit und Ausdauer erringen ja stets den Sieg über Schwäche und Verzagtheit. ') Außer London ist Jork die einzige Stadt in England, deren HI,vor (Bürger meister) während seiner einjährigen Amtszeit den Titel Lord führt, verbunden mit dem Prädikat: Mgtu gonourablv, welches sonst nur den PairS und den Mitgliedern de» Geh. RatHS ertheist wird.