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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrönmneralionS-Preis 22i Silberqr. (r THIr.) ricrtttjödrtich, 3 Lblr. für dns ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die PrZnumeralionen werden von jeder Buevhandlnng (in Berlin bei Beir u. Comr., Iilgerstraße Nr. 28), so wie non allen Köuigl. Post Remter», angenommen. Literatur des Auslandes. 111 Berlin, Donnerstag den IV. September 184?. Frankreich. Das Triumvirat der französischen Revolutions-Geschichtsschreiber Louis Blaue, Michelet und Lamartine vor dem Forum der franzö sischen Kritik. Die Leser werden sich unseres Urtheils über die beiden Ersteren der oben erwähnten Historiographen noch cntstnncn. °) Was den Letzten betrifft, so haben wir wenigstens Proben seines Werkes mitgctheilt. Es dürfte daher nunmehr von Interesse seyn, zu erfahren, was die französische Kritik zu jenen Werken sagt. Was uns selbst betrifft, so können wir nicht leugnen, daß wir lange schon auf ein gediegenes Urtheil seitens derselben gewartet haben. Denn die kleinen hier und da auftauchenden Ausfälle gegen die von uns besprochenen Werke, besonders aber gegen die Geschichte der Girondisten, zeigten sich zu deutlich als vom Partcigeist oder Privat-Interesse eingcgeben, als daß sie einer besonderen Aufmerksamkeit Werth gewesen wären. Selbst ein größerer und von geschickter Hand geschriebener Artikel der legitimistischcn „Mode" erschien uns weit mehr als eine Charakteristik der Tendenz dieses Journals, das alles Heil für Frankreich nur von dem Messias in Frohs. dorf erwartet, denn als eine Charakteristik der zu beurtheilenden Werke. In ihrem ersten Julihcftc hat sich nun auch die Uvvue lnäepeuäaur« ausge sprochen, und zwar in einem ausführlichen Artikel, der alle drei berühmten Werke in eine vergleichende Betrachtung zusammenfaßt. Was Her Pascal Duprat — der Referent der erwähnten U«vue — über Michelet und Blanc sagt, stimmt in manchen Punkten so sehr mit unserem eigenen Urtheil über sie zusammen, daß wir uns nicht die Genugthuung versagen können, die Haupt punkte seines Urtheils in gedrängter Kürze zusammenzufassen, wobei wir in Betreff der aus jenen Werken zitirten Stellen auf die in unserer Kritik ent haltenen Auszüge verweisen können. I. Louis Blanc. Der französische Kritiker bespricht zuerst LouiSBlanc'S Geschichte der französischen Revolution. „Louis Blanc" — so beginnt er seine Kritik — „ist in dem bisher veröffentlichten Bande, in dem er nur bis an die Schwelle der Revolution gekommen ist, nicht eigentlich als Historiker, sondern als Phi losoph ausgetreten. Der Verfasser wollte, ehe er auf die Betrachtung der Thatsachcn einging, den Ursprung dieser socialen Bewegung auf bestimmte Prinzipien zurückführen. Diese Methode hat ihre Gefahren, deren hauptsäch- lichstc darin besteht, daß man den Ursprung entweder zu weit zurück verlegt, oder ihn zu nahe der Gegenwart sucht, wodurch in beiden Fällen die Frucht der ganzen Untersuchung verloren geht. Der Vers- steigt nun bis zu dem Kostnitzer Kon- zil und Johann Huß hinauf. Aber ist dies der wahre Ausgangspunkt der Revolutionsgeschichte? Wo liegt der Grund und die Nothwendigkeit, daß man nicht noch weiter zurllckgehen kann? Louis Blanc sicht in dem böhmischen Apostel den crstcn Repräsentanten des Prinzips der Verbrüderung, das auf dem Panicr der Revolution stand. Wahrlich, die Helden der Revolution würden sehr erstaunt sepn, wenn sie jetzt die Erfahrung machen sollten, daß sie nur Erben von Johann Huß gewesen seyen. Ohne Zweifel ist eck leicht, für die gegenwärtigen Zustande Aehnlichkeiten in früheren Perioden zu finden. Aber dann irrt man sich gerade über das, was den speziellen Charakter und die unterschiedliche Natur derselben ausmacht, indem man auf eine neuere hi storische Verbindung (lUwlion) schließt, wo nur eine Analogie stattfindct. Die Folge davon ist, daß selbst die uns nahe berührenden Thatsachcn ihre cigcnthüm- liche Physiognomie verlieren, um eine fremde Maske vorzunchmcn. „Der Verfasser, welcher sich durch seine Theorie" — siche unsere Kritik a. a. O. — „für ermächtigt hielt, bis zum 18. Jahrhundert und seinen Be wegungen herabzustcigen, hat so ebenfalls die Revolution an ein Prinzip ge- knüpft, das nicht das ihrige war. Wie alle Schismatiker innerhalb der christ lichen Kirche haben sich auch die Hussiten auf die Autorität der Bibel gestützt, während die Revolution, obne mit dem Prinzip dcS Christcnthums in Wider spruch zu gerathen, jede geschriebene Autorität, alle Traditionen und positive» Gesetze verwarf, und sich nur auf die Vernunft und die in dieser begründete Idee des Rechts stützte." Der Referent geht nun auf die in unserer Kritik ebenfalls besprochenen Grundsätze der Blancschen Theorie ein, nämlich auf den Unterschied und die historische Entwickelung der drei Prinzipien der Autori. tat, des Individualismus und der Verbrüderung, welche nach Blanc '> In No. Sst, 27 und »8 des Magostn«. „sich in die Welt gctheilt haben" sollen, worüber er sich folgendermaßen äußert: „Man konnte diesen drei Prinzipien mancherlei entgcgenhalten. Kann man zum Beispiel behaupten, daß der Individualismus den anderen beiden, der Autorität unv der Verbrüderung, entgegengesetzt scy? Muß der Individualismus in einem Staate, dessen Besitz die Verbrüderung ist, unterdrückt werden? Und was ist überhaupt die Verbrüderung mehr als ein leerer Schall, sobald man ihren Begriff und ihr Wesen nicht bestimmt? Die oft sehr philosophische Sprache der Revolution hatte die drei Worte vereinigt: Freiheit, Gleichheit, Verbrüderung. Und in der That setzen sie für die Gestaltung, nach der der moderne Geist in seinen socialen Bestrebungen ringt, einander als noth wendig voraus. Die Verbrüderung allein entspricht in keiner Weise dem gan zen Begriff des Gesetzes und der Idee dieser socialen Gestaltung. Es ist zu bedauern, daß LouiS Blanc, dessen Sprache gewöhnlich so bestimmt und klar und dessen Verstand so scharf ist, in diesen wichtigen Prämissen nicht genauer zu Werke gegangen ist, besonders weil er sie als drei feste Formen betrachtet, in die er alle verschiedensten und vcrwickcltsten Thatsachcn der modernen Geschichte hinein zwängt. — (Vielleicht würde eine Vergleichung mit den Bettstellen des Prokrustes nicht unpassend sepn. Der einzige Unterschied würde etwa darin bestehen, daß der Letztere sich blos zwei eiserner Bettstellen bediente, um die Glieder der Fremdlinge durch Abschneidcn oder AuSrcißen zu verkürzen oder zu verlängern, während Louis Blanc über drei logische Bettstellen zu disponiren hat, auf denen er die geschichtlichen Thatsachen derselben Prozedur unterwirft. —j „Man kann sagen, daß dieses Verfahren sowohl den Personen wie den Dingen eine gewisse Gewalt anthut." — (Prokrustes begnügte sich doch wenigstens mit den Ersteren.) „Der Geschichtsschreiber, der Alles in die selbstkonstruirten Reformen hineiuzwängen will, kehrt sich oft nicht an die Hindernisse, denen er begegnet." (In der That, die Aehnlichkeit mit dem altgriechischen Räubcrhauptmann wird immer schlagender. Sollte unser französischer Kritiker vielleicht auch in dem Gedanken an diese Analogie mit uns spmpathisirt und sich nur geschämt haben, ihn so ohne Weiteres auszuspre chen? —) Nachdem dcr Referent noch einige Belege für seine Behauptungen angeführt, z. B. die Zusammenstellung von Heinrich IV. und Richelieu als Apostel des Individualismus, faßt er diese ganze Manier in die sehr bezeichnen den Schlußworte zusammen: „Andere Thatsachen sind in ganz ähnlicher Weise mit mathematischer Strenge nach dem Muster der Ideen zugeschnitzt, die das ganze Werk beherrschen" (. . . sone plio» ck'uns maniorc snnloguo a la ri- guour matkematigue des idees gui dominvne I'ouvrage), und giebt zu letzt noch dem Leser den wohlgemeinten Rath, vor der Lektüre desselben die glänzende, aber verfehlte (erronöe) Einleitung in das revolutionaire Drama auf ihre „wahren Verhältnisse" zurückzuführen. — Was sagt jetzt Herr Viar- dot zu diesem französischen Urtheil? 2. Michelet. „Das Buch Michclet'S beginnt, wie das von LouiS Blanc, mit einer, aber in ganz verschiedenem Sinne verfaßten Einleitung" — sagt unser Kritiker, in- dem er sofort auf die Prinzipien, in denen Michelet die objektiven Motive der Revolution sieht, die aber bei ihm einen rein negativen Charakter haben, nämlich das Christenthum und die königliche Macht, übergeht und die daraus gezogenen Folgerungen zu widerlegen sucht. „ES ist nicht richtig" — schließt er diese Widerlegung — „zu sagen, daß die Idee der Revolution der Idee des Christen thums entgegengesetzt war: eine solche Behauptung beruht auf deni doppelten Mißverständniß der Revolution wie des Christcnthums. Wir gehören gleich, wohl keineüwcges zu Denjenigen, die da behaupten, das Christcnthum oder gar der Katholizismus habe die Revolution gemacht. Man kennt ja die An. sicht Roms hierüber, und diese Ansicht genügt. Die Revolution war die Frucht der modernen Entwickelung rein menschlicher Vernunft, einer Entwickelung, die aber dem Christcnthum ihren Ursprung verdankt. Dies ist die Wahrheit." — Allerdings, dies ist die Wahrheit, aber etwas allgemein ausgedrückt. Ist es wirklich das Christenthum, d. h. die damals in Frankreich bestehende Forni des Christcnthums, der Katholizismus, gewesen, woraus sich die Idee dcr Revolu tion entwickelt hat? Oder ist dieselbe nicht vielmehr rein protestantischer Na. tur? Wir möchten das Letztere behaupten, und das hat auch Louis Blanc be- wogcn, bis zu Huß hinauf zu gehen. Aber unser Kritiker ist Katholik. Kön nen wir von ihm verlangcn, daß cr dem Protestantismus diese Macht zuschreibt, da cr als Katholik in ihm unmöglich das Strcbcn erkennen konnte, die reine Idee des Christenthums wiederherzustellcn? Und liegt darin, daß cr nicht den Katholizismus, sondern das „Christcnthum" nennt, nicht Beweises zemp-, daß cr diese reine Idee des Christcnthums meint, deren Verwirklichung