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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration-- Preis 22 j Silbergr. (1 Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für daS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf diese- Literatur- Blatt in Berlin in der Erpeditivn der Allg. Pr. Staats-Zeitung (Friedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz so >vie im Auslände bei den Wohllöbl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. - « » ' . - >—» ! 60. Berlin, Freitag den 19. Mai 1843. Schweiz. Das Amerikanische Gefängniß zu Lausanne. °) Während der Kampf der verschiedenen Theorieen über die zweckmäßigste Einrichtung der Straf- und Besserungs-Anstalten noch ungeschlichtct ist, bietet uns die Erfahrung täglich neue Thatsachen dar, welche eine schärfere Fassung des Problems möglich machen und uns dadurch der Lösung desselben näher bringen. Bis vor einiger Zeit waren wir fast allein auf die sich oft wider sprechenden und überhaupt wohl nicht ganz unparteiischen Berichte über die Amerikanischen Gefängnisse angewiesen; die Beobachtungen, welche man in Europa angcstellt hatte, waren noch zu unvollkommcii, als daß sie zu allgemeineren Schlüssen berechtigt hätten. Gegenwärtig verhält es sich anders. Mehrere Europäische Gefängnisse find entweder nach einem der entgegengesetzten Systeme oder nach eigenem wohlüberlegtem Plane eingerichtet, und fie werden von Männern geleitet, welche den Muth haben, ihre Vorurtheile der Wahr heit zum Opfer zu bringen, und fich nicht scheuen, die Mängel der abstrakten Theorie, welche erst durch ihre Verwirklichung heraustreten, offen cinzu- gestehen. Zu den Schriften, welche vollkommen parteilos, allein im Interesse der Wahrheit, diesen Gegenstand behandeln, rechnen wir die kürzlich erschienene vom l)r. A. Verdeil: Ile I» lleciusiou «Isnij I« esnton äe Vami et Su ?eni- tencier äe l.zunanns (Lausanne 1842). Als Mitglied des großen Nathes, Bice-Präfidcnt des Medizinal-Kollegiums und Mitglied drr Kommission für Beaufsichtigung der Hospitäler und Gefängnisse, war er vor Allen berufen und hatte die Verpflichtung, aus offiziellen Quellen eine Schilderung der Gefängnisse mitzutheilen. Wir erhalten in seiner Schrift zunächst eine Geschichte des Gesängniß- wesens im Waadtlande, welche der Verfasser in drei Epochen theilt. In der ersten Epoche, welche die Jahre 1803 bis I82K umfaßt und die durch die Ein führung gemeinsamer Schlaf- und Arbeitszimmer bezeichnet wird, fing man an, eine geregelte Disziplin unter den Gefangenen einzuführen. Noch blieb viel zu wünschen übrig, doch man sah den Ernst, mit welchem man auf die Besserung der Sträflinge bedacht war und dabei doch Alles fern zu halten suchte, wodurch ihre körperliche Gesundheit während der Gefangenschaft hätte leiben können. In der zweiten Epoche, von 1826 bis zum I. November 1834, fuhr man fort, sie gemeinsam arbeiten zu lassen, doch trennte man sie in der Nacht und schloß jeden in eine besondere Zelle ein, zugleich hob man die körperlichen Strafen auf. Schon 1829 bemerkte man, daß diese Veränderung nicht den gehofften Erfolg hatte; man schärfte die disziplinarischen Gesetze und führte vorzüglich in dem Arbeitszimmer ein unbedingtes Schweigen ein, während das Sprechen früher gestattet war. Unterdessen beschäftigte das Amerikanische System die Gemüther mehr und mehr; das Prinzip der voll kommenen Jsolirung bei Tag und Nacht fand bei Einzelnen Gefallen, und seit dem Jahre 1833 fing man an, einzelne Verbrecher, die nach wiederholter Freilassung wieder hatten verhaftet werden müssen, von den Uebrigen ganz zu trennen und das Sprechen selbst während der Promenade zu untersagen. In der dritten Epoche endlich, von >834 bis 1842, ließ man die Mehrzahl der Gefangenen zwar in dem gemeinschaftlichen Zimmer fortarbeiten, doch das Schweigen wurde mit größter Strenge durchgcführt, und die geistige Ver dumpfung und moralische Einschüchterung wurde fast zum Prinzip; die Ab schließung Einzelner in besonderen Zellen wurde sehr häufig als Strafe für leichte Disziplinar-Vergehungen angewandt und die Sorge für das körper liche Wohl der Verhafteten ziemlich vernachlässigt; endlich wurde die voll kommene Jsolirung zum unwandelbaren Gesetz für alle Gefangenen, welche zum zweiten Male bestraft wurden, und für einzelne größere Verbrechen. Diese standen unter der besonderen Aufsicht dreier Männer von anerkanntem Verdienst, dem Direktor Denis, dem Prediger Roud und dem Controlleur Clavel, und man versuchte auf diese Weise das Pennsylvanische System neben dem Auburnischen bei einer großen Anzahl von Sträflingen. ') Wir «heilen diesen in der kidUotdöquo Universelle üo Keneve enthaltenen Artikel de- vr. Geste als einen Beitrag zur Erörterung der Frage über die Zweckmäßigkeit ein samer Haft mit, ohne jedoch besten Folgerungen, über welche wir uns in einer Nachschrift .aussprechen, sanmulich zu unterschreiben. Der Gegenstand selbst ist namentlich für Deutsch land noch zu neu, al» daß er nicht von allen Seiten beleuchtet zu werden verdiente. AUS der Menge gesammelter Beobachtungen und Resultat« dürste sich von selbst, aber erst in einigen Jahren, eine befriedigende Lösung der allen Menschenfreunden so überaus interessanten Frage ergeben. Nach dieser Exposition schildert Verdeil mit den lebhaftesten Farben die entsetzlichen moralischen und physischen Wirkungen dieses letzteren Verfahrens, die Versuche, der Hast zu entspringen, den vergeblichen Trotz, die inneren Kämpfe, das Wilthen der Gefangenen gegen sich selbst und endlich den Wahnsinn. Man mußte fast täglich zu den härtesten außerordentlichen Strafen greifen; man konnte nicht anders, der Uebergang von dem einen zum anderen Systeme forderte diese Härte und Grausamkeit, und doch erreichte man bei ihr die gewünschten Resultate nicht. Folgende synoptische Tafel soll die Folgen dieser drei verschiedenen Behandlungsweisen veranschaulichen. Epochen. Kosten. Rappen.") Ertrag ter Arbeiten. Rappen. Verdienst- Antheil der Gefan genen. Rappen. Todesfälle bei 1V0 Gefangenen. Rückfälle bei 100 Freigelassenen. Wahnsinn. 1803 —I82V. Gemeinschaftliche Schlaf- und Arbeitszimmer. 59rVo 231 9^vv 14 i 1820—1834. Gemeinschaftliches Ar beitszimmer, Jsolirung bei Nacht. 85-? 21 van 12rVv 4^> 1Ü 2 1834 — 1841. Jsolirung bei Nacht, mo ralische Einschüchterung, Schweigen; — Jsolirung bei Nacht und Tag für größere Verbrecher und alle wiederholt Verhaf teten. 4ron 21 31 Unter den Krankheiten, welche bis 1829 in den Gesängniffen herrschten, waren die meisten chronische, wie Skropheln, Brust-, Magen- und Unter- leibsbeschwerden, Rheumatismen; als Grund derselben wird die verderbte Luft, die meist vegetabilische Nahrung und die ununterbrochene Beschäftigung mit Weben angegeben. Einige der Gefangenen zwar werden durch ihre Leidenschaftlichkeit gleichsam von innen verzehrt, doch auch diese wächst durch die Jsolirung und das Schweigen, dem die Gefangenen unterworfen sind. In der dritten Epoche haben die chronischen Uebel noch weiter um fich ge griffen, und gegenwärtig ist der Gesundheitszustand der Gefangenen mehr zerrüttet, als er eS in den letzten zehn Jahren je war. Hierauf handelt Herr Verdeil von der Besserung der Gefangenen und den Rückfällen. Er zeigt, daß man ursprünglich den Grund der zahlreichen Rück- fälle in der Nachsicht sah, mit welcher man die Disziplinar-Gesetze hand habte; allein je mehr Strenge man bei denselben anwandte, je mehr man offen das Prinzip der moralischen Einschüchterung befolgte, desto mehr stieg die Zahl der Rückfälle. Er hat hier leider die Sträflinge, welche in dem ge- meinschastlichen Zimmer gearbeitet hatten, und die, welche in besondere Ge- mächcr eingeschloffen waren, nicht geschieden, so daß von dieser Seite die Mängel des Pennsylvanischen Systems aus seinem Aufsatze nicht hcrvortreten. Wir wollen später hierzu die nöthigen Data beibringen. Endlich widmet der Verfasser ein besonderes Kapitel der Darstellung der verschiedenen WahnsinnS-Ausbrüche, die sich während dieser Zeit im Kerker gezeigt haben. Er beweist, daß die Einsamkeit und das Schweigen ein Stocken und eine Zerrüttung der geistigen Thätigkeiten schon allein fast noth- wendig zur Folge hat; wenn nun eine verhaltene Wuth der Gefangenen oder ihre Gewissensbisse hinzutreten, so ist der Wahnsinn unvermeidlich. Ja selbst die zu häufigen AndachtS-Uebungcn haben, wie Herr Verdeil versichert, den ") Zehn Rappen machen einen Batzen, zehn Batzen ein Livre in der Schweiz, b. i. etwa i,«° Franc- (Uj Sgr.j.