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Wöchentlich erscheinen drei Nummer». Pränumeration» Preis 22j Silbcrgr. tj Ldlr.) vierteljährlich. Z jhlr. iur du» ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin sür dir Pränumerationen iverden von jeder Buchhandlung (in Berlin dci Beil u. Eomp., Jägerfiraße Nr. 25), so wie von allen Königl. Pofi Acnitern. angenommen. Literatur dcs Auslandes. 1/ 98. 1843. Berlin, Mittwoch den 16. August Frankreich. , Friedrich der Große und seine Freunde, nach George Sand. Eine Episode aus dem Neman „Die Gräfin von Rudolstadt". Die Verfasserin von Consuelo, dem letzten Romane George Tands, hat jetzt angesangen, die Fortsetzung zu diesem Werke unter dem Titel, „Die Gräfin von Rudolstadt" zu veröffentlichen. Diese Fortsetzung hat sür uns um so mehr Interesse, als sie vorzüglich in Deutschland, und zwar in den ersten Theilen in Berlin, zu Anfang der Regierung Friedrich s des Großen spielt. Friedrich der Große selbst, seine Freunde und sein ganzer Hof werden darin mit zwar mitunter etwas kühnen, aber doch genialen und überraschenden Pinselstrichen gezeichnet. Die Veranlassung, wodurch der große König in die Erzählung mit hineingezogen wird, bietet die Heldin des Romans selbst, die Porporina — so nennt sich Consuelo nach ihrem Lehrer Porpora — die als eine der ausgezeichnetsten Künstlerinnen ihrer Zeit bei der Jtallänischcn Oper in Berlin engagirt ist. Das Portrait und den Charakter der „Zingarclla" Consuelo-Porporina, einer in Spanien geborenen, in Frankreich und Italien aber gebildeten Sängerin, soll die Verfasserin nach dem Modell einer Freundin, nämlich nach der jetzt in Deutschland befindlichen Madame Biardot-Garcia, Schwester der Madame de Benot-Malibran, gezeichnet haben. Die Erzäh lung beginnt mit einer Vorstellung der Oper TituS von Mctastafio und Haffe , der König selbst ist mit seinen Freunden zugegen und verfolgt aufmerksam die Leistungen der Sängerin Porporina, als diese auf einmal mitten in einer glänzenden Roulade stecken bleibt, die Augen stier nach einem Winkel dcs Saals richtet und unter dem Ausruf: „O, mein Gott!" zu Boden finkt. Die Vorstellung hat hiermit für diesen Abend ei» Ende: der König selbst eilt auf das Theater und erkundigt sich thcilncbmcnd nach dem Befinden der Sän gerin, die sich noch nicht von ihrer Ohnmacht erholt hat. Hieraus begiebt sich der König nach Hause, um mit Voltaire, La Mcttrie, d'ArgcuS, Algarotti und Quintus Jcilius zu speisen. Wir lassen jetzt die Verfasserin weiter er zählen. °) „Mitten im Essen, mitten in einer Unterhaltung voll Spott und Grazie, mitten unter diesen Freunden, die er nicht liebte, und unter kiese» Schön geistern, die er durchaus nicht bewunderte, wurde Friedrich aus einmal nach- dcnkenv, und nach wenigen Minuten stand er auf, indem er zu seinen Gästen sagte: „Plaudert nur, ich höre euch." Er geht in das anstoßende Zimmer, nimmt Hut und Degen, winkt einem Pagen, ihm zu folgen, und verliert sich in die tiefen Gänge und gcheimnißvollcn Treppen seines alten Schlosses, während seine Gäste, ihn in der Nähe glaubend, ihre Worte abwägen und sich nichts zu sagen wagen, waö er nicht hören kann. Nur La Mettrie, ein wenig beschäftigter Arzt und Vorleser des Königs, kannte keine Furcht. Er hatte das Mittel gefunden, cs dahin zu bringen, daß ihm Niemand schaden konnte, und dies bestand darin, sich so viele Impertinenzen und Thorhciten in Gegenwart des Königs zu erlauben, daß man unmöglich mehr von ihm erzählen konnte, und daß kein Feind oder Angeber im Stande war, ihm etwas zur Last zu legen, was er nicht selbst offen vor den Augen des Königs gethan hätte. Er schien die Philosophie der Gleichheit, die der König gern zur Schau trug bei seinem Umgang mit den sieben oder acht Personen, die er mit seiner Vertraulichkeit beehrte, buchstäblich zu nehmen. Er legte Kravatte, Pcrrücke, ja selbst die Schuhe in den Zimmern des Königs ab, machte sich's ans den Sophas bequem, widersprach dem König offen, äußerte sich ohne Zwang über den geringen Werth, den man den Göttern dieser Welt, dem Königthum wie der Religion und allen anderen von der Vernunft des Tages aus dem Felde geschlagenen Borurtheilcn bcizulegen habe-, mit einem Wort, er betrug sich als wahrer Cyniker und gab io viele Motive zu einer Ungnade und Ent lassung, daß man ihn mit Verwunderung seinen Platz behaupten sah, wäh rend so viele Andere um kleiner Sünden willen gestürzt worden waren. Aber gerade dieses verstellungslosc Benehmen gefiel dem König. Er hielt seinen ') Um Mißverfiank niste» vorzubeugen, mache» nur »oll tiumal darauf autmerksam, daß wir hier keine ernfic Geschichte, sondern einen Romän vor un« hoben; kie ans- tretenden Personen find zwar historisch, aber wo» die Bersasieri» sie reden nnd Ihn» läßt, gehört ihr, odwcht sic dazn mannigfache Quellen ..nd nämcnüich auch da? Werk unsere? wacheren Preuß benutzt ha,, allein a» und macht nur den Ampruch aus poetische, nicht aus historische Glaubwürdigkeit. Daß er namentlich an Anachronismen nicht sehlt. wird der pur einigermaßen mit der Geschichte Friedrich'» vertraute Leser in dieser Episode, die. uuc gesagt, zu An sang der Regierung de» König» spielt, sedr dald wabr- nehmcn, doch nur hin und wieder haben wir t» sür npthig gehalten, eine kleine berich tigende Note hinzuznsügen. D- A. La Mettrie sür wahnsinnig, und ost blieb er, wie versteinert vor Erstaunen, vor ihm stehen und sagte: „Diese Bestie ist von einer skandalösen Unver schämtheit." Dann fügte er für sich hinzu: „Aber er ist ein ehrlicher Kerl, ter nicht zweierlei Reden über mich im Munde führt, der mich hintcrm Rücken nicht mehr mißhandeln kann, als in meiner Gegenwart, während alle Anderen, die mir zu Füßen liegen, wer weiß was sagen und denken, wenn ich den Rücken kehre. Also ist La Mettrie der rechtschaffenste Mensch, den ich besitze, und ich muß ihn um so mehr ertragen, je unerträglicher er ist." So hatte La Mettrie eine sehr angenehme Stellung, und während Voltaire sich von Anfang an in ein System von Schmeicheleien eingelassen hatte, dessen er mit der Zeit überdrüssig zu werden anfing, blieb La Mettrie seiner Gewohnheit treu, fühlte sich dabei ganz behaglich und sah sich nicht gezwungen, wie später Voltaire, ein Idol zu schmähen und umzustürzen, dem er nichts geopfert und nichts versprochen hatte. Der Marquis d'ArgenS, Kammcrherr mit 6W0 Livres Gehalt, war jener leichtsinnige Philosoph, jener oberflächliche Schriftsteller, der den wahren Franzosen seiner Zeit repräsrntirt, gutmüthig, unbesonnen, sentimental, zu gleich tapfer und verweichlicht, ein Mann zwischen zwei Altern, romantisch wie ein Jüngling und skeptisch wie ein Greis. Nachdem er seine Jugend mit Schauspielerinnen verbracht, bald Betrüger und bald betrogen und immer in die letzte sterbens verliebt, hatte er zuletzt im Geheimen die Mademoiselle CochoiS geheiratet, die erste Schauspielerin am Französischen Theater in Ber lin, eine sehr häßliche, aber sehr geistreiche Person, die er unterrichtet hatte. Friedrich wußte noch nichts von dieser gcheimnißvollcn Verbindung, und d'ArgenS hütete sich, eS denen miizuthcilcu, die ihn verrathcn konnten. Nur Voltaire war sein Vertrauter. D'ArgenS liebte den König aufrichtig, wurde aber nicht mehr von ihm geliebt als die Anderen. Friedrich glaubte an Nie mandes Liebe, und der arme d'ArgenS war bald der Mitschuldige, bald die Zielscheibe seiner Scherze. °) ES ist bekannt, daß der von Friedrich mit dem hochklingenden Namen Quintus IciliuS auSgestattete Oberst ein Franzose der Abstammung nach war, Namens Guichard, ein energischer Militair und gelehrter Taktiker, übrigens ein großer Plünderer, wie alle Leute seines Schlages, und Höfling im vollen Sinne des Wortes. Wir sprechen nicht von Algarotti, nm nicht den Leser mit einer Galerie historischer Personen zu ermüden. ES war nur unsere Absicht, die Stimmung der Gäste Friedrich s während seiner Abwesenheit anzudcuten, und wir haben schon gesagt, daß dieselben, statt sich von dem geheimen Zwang, der sie drückte, erleichtert zu fühlen, vielmehr noch unbehaglicher befanden und sich kein Wort sagen konnten, ohne auf jene halb offene Thür hinzuschcn, durch welche der König verschwunden war und hinter welcher er sich vielleicht den Spaß machte, sie zu beobachten. Nur La Mettrie machte eine Ausnahme, und als er bemerkte, daß der Tafeldienst in Abwesenheit des Königs sehr ver nachlässigt ward, rief er: „Parbleu! ich finde eö von dem Hausherrn sehr ungesittet, daß er uns so ohne Diener und Champagner läßt, und ich will einmal sehen, ob er da drin ist, um bei ihm Klage zu führen." Er stand aus und ging, ohne Furcht, indiskret zu sey», bis in das Zimmer dcs Königs. „Keiner da!" ricf er, zurückkehrcnd: „das ist lustig. Er ist im Stande, zu Pferde zu steigen und ein Manöver beim Fackelschein zu halten, um seine Verdauung zu befördern. Der wunderliche Kauz!" — „Ein wunderlicher Kauz scyd ihr", meinte Quintus IciliuS, der sich an La Mcttrie'S seltsames Bcnehmen nicht gewöhnen konnte. — „So ist also der König wcggegangenk" fragte Voltaire und begann etwas freier zu athmen. — „Ja, der König ist fort", sagte der Baron Pölnitz, cintretcnd. „Ich habe ihn eben in einem Hofe mit einem Pagen als einzigen Begleiter getroffen: auch hatte er sein großes Inkognito angelegt, so daß ich ihn kaum erkannte." Pölnitz, dessen Alter eben so problematisch war als sein Gehalt und seine Functionen, war jener Preußische Baron, jencr Nour der Regentschaft, der in seiner Jugend am Hofe der Mutter des Herzogs von Orleans glänzte, jener ausgelassene Spieler, dessen Schulden der König von Preußen nicht mehr bezahlen wollte, ein Abenteurer und Spion, ei» wenig spitzbübisch, cm schamloser Höfling, genährt, verachtet, gehudelt und sehr schlecht bezahlt von seinem Herrn, der ihn jedoch nicht entbehren konnte. Pölnitz war über dies damals der Theater-Direktor Seiner Majestät, eine Art Ober-Jntcndant ') Da» VkphäNniß zwischen Friedlich n„d d'ArgenS ifi hier »ich« richtig dargestcllt. Letzterer er,reute sich pietmchr zu jener Zeit de» rolle» kömgliche» Vertraue«» und crfi »ach dem stebciljährigen Kriege trat einige Kalte zwischen den beiden Freunden ein. D. R.