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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration« - Preis 22 z Silbergr. Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. sür das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen ter Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerir« aus diese« Literatur- Blatt in Berlin i» ter Erpcdition der Mg. Pr. Staat«-Zeitung (Zriedriä-s- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande dei den Wohllödl. Poft - Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Mittwoch den 19. April 1843 Polen. Polens Fürstensitze. Willanow. — Lazienki. — Jaölowna. Von L. Marmicr. An einem schönen Sommertage machte ich mich von St. Petersburg nach Polen auf. Ein eigenthümlicher, ein anziehender und trüber Reiz liegt in Entfaltung der Jahrbücher eines großen Volkes, in Verfolgung der Lebens spur eines Heros, an denjenigen Stellen selbst, wo des Volkes Größe, wo des Heros Leben geendet. Ucberall auf meinen Wegen durch Polen habe ich das zwar verschleierte, aber innige Andenken an die hehren Ueberliefcrungen dieses Landes und seiner großen Menschen, überall das Gedächtniß Sobieski's wahrgknominen, und so oft ich nach meiner Ankunft zu Warschau den Wunsch geäußert, Willanow, die Residenz desselben, zu besuchen, sah ich, daß dieses Verlangen stets eine freundliche Neigung für mich erweckte. Schloß Willanow liegt etwa drei Viertelstunden von Warschau. Durch die schöne Hauptstraße „die neue Welt", beim KopernikuS-Stand- bilde vorüber, an dem PalaiS vorbei, welches vor 1830 die Akademie der schönen Wissenschaften innegehabt und seit der letzten StaatS- Umwälzung, vermöge eines bitteren Schicksal-SpotteS, zum Lotteric- Büreau umgestaltet worden ist — jenseits des am dortigen Stadt-Ende gelegenen prachtvollen Gebäudes, in welchem der Großfürst Konstantin, dieser aus einander völlig widerstrebenden Grundstoffen zusammengesetzte Mann, residirte — jenseits dieser Gebäude gelangte ich ins Freie und fand mich nun inmitten grüner Bäume, zwischen goldigwogenden Aehrcnfluthcn, diesen Zeugen von des Himmels Güte, deren Anblick allein schon genügt, den Geist zu er frischen und seinen Aufschwung zu erneuen, wenn Menschenbosheit ihn nieder- gehalten. Rechts- und linksher winken mir Sommerhäuschen, freundliche Schöpfungen der Lust und Laune der ehemals reichsten, mächtigsten Geschlechter — während gerade vor mir eine Gothische Kirche, von einem Friedhöfe voll der seltsamsten Denkmäler umgürtct, sich erhebt und neben dieser ein WirthS- haus sich bemerklich macht, welches nicht allein die fremden Besucher der ge schichtlich so denkwürdigen Stelle, sondern auch das Warschauer Volk belebt, das an Feier- oder Sonntagen gern im Schatten und im Grünen um Bier krug und Branntweinflasche lagert. Vor dem WirthShause musiziren ein Paar umhcrziehende Bänkelsänger in ihren heimatlichen brcitkrämpigen Hüten, braunen Tartankitteln, Hosen, mit thalergroßen Metallknöpfcn verziert, und eisenbeschlagcnen Schuhen: der Eine wirthschaftet mit verschrumpftem Fiedel bogen auf einem rauchgeschwärzten Geigenwrack umher, wozu der Andere den altkhrenwcrthen Dudelsack handhabt, dessen eine Pfeife unterhalb des gewal tigen Balges hinabfällt, während die zweite wie eine Wanderkrücke über der Schulter liegt, die dritte aber, flötcnartig mit Löchern versehen, zwischen den Lippen des Künstlers ruht, der mit einer Hand sie hält und mit der anderen in gemessenen Zeiträumen die Saiten des goldtragenden Vließes zärtlich drückt, um nach Geschmack mehr oder minder schwingende Töne ihm zu entlocken. Den Krakauer spielt daS Pärchen, den Takt mit den Füßen stampfend und die Läufe mit Sprüngen begleitend. Etliche Kinder umstehen sie, der Väter LieblingSweise gespannt zuhörend, und unser Hinzukommcn scheint den Eifer der Autodidakten zu steigern. Auch der Wirth, welcher bisher, unter seiner Thür lehnend, wie ein an dergleichen Gewöhnter nach ihnen hingesehen, nimmt, sobald er unserer ansichtig geworden, eine strammere Haltung an und sein Käppchen ab, indem er sogar einige Schritte uns entgegenkommt; so wie er uns aber näher gemustert, schiebt er gelassen beide Hände wieder in seine Tasche» und die kaum gespannten Züge seines Gesichtes in die gewohnten alten Falten. Indessen währt daS Spiel mit allen Schikanen von Drucken, Rucken und Zucken ununterbrochen fort, bis unsere paar Dreier, in die Hüte des Sackpfeifers und Geigers geworfen, Beide augenblicklich von ihren Instru menten ab- und mit den Angesichtern bis zur Erde niederziehen, indem sie, morgenländischen Sklaven gleich, unsere Kniee zu umfassen suchen. — Manch mal gewiß hat Sobieski von seinen Schloßfenstern aus solchem Auftritte zu gesehen, denn schon geraume Zeit her übt der Krakauer seinen Zauber auf des Polnischen Volkes Augen, Ohren und Füße. Von diesem Gcnrcbildchen wenden wir uns dem historischen Gemälde zu, welches daS Königliche Schloß jetzt vor uns aufrollt. DaS Gebäude bildet den Mittelpunkt einer umfangreichen, von einem der Weichsel-Arme durch schnittenen Ebene. Jenseits des Flusses zeigen sich die langen Baumgänge eines Parks von mehreren Stunden Flächenraum, dessen geheinmißvoües An sehen, nebst dem frischumgrünten blauen Strome und der schweigsamen, nur durch etliche bäuerliche Pachthöfe belebten Einsamkeit, Sobieski's altem Wohn sitze einen eben sowohl anziehenden als ernsten, einen eben so feierlichen als anmuthigen Reiz verleiht. Ein wenige Fuß breiter Graben und ein eisernes Gitter umschließen den Palast; den Eingang bildet ein ehrfurchtgebietendes Thor, von welchem zwei Steinbilder, ein vollständig gewappneter Krieger und eine weibliche Gestalt mit der Friedenspalme, hcrabschauen. Auf dem grünbcwachscnen Vorplatze erhebt sich ein Gothisches Grabmal, zum Andenken an den Grafen Stanislaus Potocki und dessen Gemahlin, geborene Lubomirska — zwei Namen des Polenlandes, beide edel und berühmt genug, um in solcher Umfriedigung nicht am unrechten Orte zu erscheinen — auch wenn sic nicht des Schlosses rechtmäßige Erben gewesen wären. °) Doch, wie viele adelige Wappen und Besitztitel, vor kurzem noch in glänzenden Urkunden verbrieft und besiegelt, finden wir gegenwärtig nur noch.... aus Grabmäiern! — Das Schloß nun, in zierlichen Verhältnissen erbaut, besteht, wie die Land häuser Italiens, aus einer Vorderseite mit plattem biidsäulengcschmückten Dache und aus zwei gleichlaufenden, ihrer ganzen Länge nach mit geschicht lichen Darstellungen in halberhabcner Arbeit verzierten Flügeln, von denen jeder ein Thürmchen mit vergoldeter Kuppel trägt. Einen Theil des Baues hat Sobieski durch Türken aufführcn lassen, welche er ans seinen siegreichen Feldzügen als Kriegsgefangene mit nach Hause gebracht; vollendet wurde das Gebäude, nach demselben Plane, durch Stanislaus August. Doch will ich hier kcineswegeS der Versuchung nachgcbcn, den äußeren Anblick dieses Wohn sitzes in allen seinen Einzelheiten zu beschreiben. Darum treten wir lieber sogleich in das Innere desselben ein : Sobieski's Gemächer hat ehrsurchtvolle Sorgfalt in ihrem ursprünglichen Zustande erhalten. Sie sind weder beson ders geräumig, noch besonders reich ausgestattet, indeß doch immer mit einer gewissen Auswahl, im Geschmacke von Ludwig'S XIV. Jahrhundert, ge schmückt-, daher die seidenen Tapetenbehänge, das vergoldete Getäfel, die Tapisserie der Armsessel, die mit Blumengewinden und Sinnbildern der Götter welt überladenen Deckenstiicke und Nollvorhänge. Ist, wie Bernardin de St. Pierre gesagt, die Landschaft der Hintergrund des Menschenlebens, so ist die Wohnung des Menschen der Rahmen seines Daseyns, seiner geistigen Launen, der Sitten seiner Zeit. Jede Zierrath, die er gern um sich hatte, kann der Gegenstand einer neuen Forschung werden; jedwede Kleinigkeit, deren er sich bediente, kann den Aufmerksamen einer neuen Aufklärung für das Leben des Abgerufcncn auf die Spur bringen. Hat nun aber diese Wohnung einem der Geistesgewaltigen dieser Erde zum Lebensrahmcn gedient — welche Gefühle hoher Verehrung durchdringen nicht dann den Besucher! Wie hehre Erinne rungen, wie ergreifende Vorstellungen erfüllen nicht dann Geist und Gcmüth schon beim bloßen Anblicke des Tisches, an welchem Jener im rühm- und preisgekrönten Streben seine Nächte durchwacht — beim Anschaucn des Kamins, vor welchem er im trauten Kreise der Freundschaft von anstrengen, den Mühen sich erholt! Solchen Empfindungen, solchen, einen weit zurück liegenden Zeitraum durchstreifenden Gedanken mich überlassend, weidete ich den begierigen Blick an diesen Gewölben, diesem Geräth, diesen Behängen und suchte allenthalben nach Spuren eines Siegestages, einer Wonncstunde oder eines Augenblickes launiger Muße, indem ich zu mir selber sagte: Hier her also brachte er am liebsten die Siegeszeichen aus seinen wundcrgleichen Feldzügen — hier suchte er die unheilvolle Nebenbuhlerschaft seiner eifcrsüch. tigen Großen, die stürmischen Rcichstagskämpfe zu vergessen — und durch diese Thür schritt er, nachdem er unter Wiens Mauern die Christenheit vom eingedrungenen Türken erlöst; hier begrüßte ihn damals jener Priester, als Dolmetsch eines gesammten begeisterungerglühtcn Volkes, mit des Evangelisten Worten: kUt stomo misnu« s Deo, eui Nomen erat stosnne» — diese Wände waren Zeugen seiner Ungeheuern Pläne — nnd auf diesem Lager ver- hauchte er seinen letzten Seufzer. — Armer König! in Deinem Herrscher- Ansehen durch den unbeugsamen Adel unaufhörlich angefochten — armer Heldengeist, der Du gewiß manchmal die friedsame Gleichgültigkeit Deines ungekanntcsten Untcrthans beneiden mochtest — armer Baumeister eines Riesenbaues, welcher Dir nach zusammcnstürzte — Du lorbeergekrönter Held, Du edles, Du zärtliches Herz, in Deinen süßesten Neigungen grausam ver- -) Jakob Sobiekki nämlich verkaufte, nach seine« großen Vater« Tode (IKW), die Herrschaft Willanow an die Gräfin SeniawSka, welche zuvörderst deren Nießbrauch dem Könige Stanislav« August II. überließ und nachher ihrem eigenen Stammhause Lubo mirski dieselbe vermachte.