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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration»-Preis 22) Tilbergr. (1 Thlr.) vierteljährlich - 3 Tdlr. für da« ganze Jadr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Eomp., Jägerfleaße Nr. 25), so wie von allen Königl. Post-Aemlern, angenommen. Literatur des Auslandes. 96. Berlin, Freitag den 11. August 1843. England. Die Kirche in Irland. °) Die Bewegungen in Irland haben zum Theil ohne Zweifel ihre zufälligen Veranlassungen. Die Macht der Torps und die eigenthümliche Stellung O'Connell'S haben einen großen Einfluß auf sie geübt; doch zu glauben, daß ein Wechsel des Ministeriums oder die Entfernung O'Connell'S in Irland den Frieden zurückbringen würde, hieße sich arg täuschen. Nicht O'Connell hat die Bewegungen geschaffen, sondern die Bewegungen O'Connell. England hat eS sich halb zum Gesetz gemacht, sich mit den Irländern nur zu beschäf tigen, wenn diese durch ernste Unruhen die Blicke gewaltsam auf sich lenken. Sobald der Friede äußerlich wieder bergestellt ist, fällt England in seinen stolzen JndifferentiSmus zurück. So ost es jedoch auch noch gelingt, diese Unruhen zu beschwichtigen, sie werden stets wiedcrkehren, so lange ihre tieferen allgemeinen Ursachen nicht weggeräumt sind. ES hat Aufstände in Irland vor O'Connell gegeben, und sie werden mit ihm nicht aussterben. O'Connell rühmt sich mit Recht, daß durch ihn an die Stelle der blutigen Empörungen, welche Irland einst verwüsteten, so zu sagen geregelte Unruhen getreten sind, in denen das Volk einem bestimmten Ziel bewußt cntgegenarbeitet. England kann leicht den Stab über ihn brechen und vor der Welt alle Verantwortlich keit ihm aufbürden; im Geheimen fühlt die Englische Regierung wohl, daß sie ihm eine größere Macht zuschrcibt, als er ihrer eigenen Ueberzeugung nach besitzt. Individuen können den Gährungsstoff, der sich im Volke entwickelt hat, zum Ausbruch treiben, doch sie können ihn nicht erzeugen. Wenn in Irland die Elemente zu einer Revolution nicht vorhanden wären, so würde O'Connell nicht so mächtig seyn. Indem er den Neigungen des Volkes schmeichelte, könnte er eine vorübergehende Revolte Hervorrufen, doch un geachtet all' seiner hohen Naturgaben könnte er nicht eine ganze Nation von einem einzigen Gefühl, von einer einzigen Idee erfüllen, wenn dieses Gefühl, diese Idee nicht längst in den Herzen gelebt hätte. Nicht Sir Robert Peel, nicht Lord John Russell, nicht O'Connell haben bewirkt, daß England und Irland sich so feindlich gcgenüberflehen; die Wurzel alles Unheils ist die kirch liche Verfassung Irlands, die protestantische Irländische Kirche. Die protestantische Kirche ist in Irland die fremde Kirche, die verhaßte Kirche, die im Gefolge der Eroberer cingcdrungcn ist und als der lebendige Zeuge einer vierhundertjährigen Tyrannei dasteht. So lange diese erotische Pflanze das Mark des Volkes einsaugt, so lange sieben Millionen Menschen in Irland ihre National-Religion unterdrückt sehen, so lange wird Irland den Frieden nicht kennen, und so lange wird ihn auch England nur scheinbar genießen. Lord John Russell sagte erst vor kurzem noch im Unterhause: „Der politische Zustand Irlands ist nicht wieder geordnet worden seit dem Gesetz, welches auf der Fiction beruhte, cS gebe keine Katholiken in Irland, welches überall nur Protestanten sah, weil cS sie sehen wollte. Viele der gegenwärtigen Einrichtungen gründen sich noch auf diese Fiction. Man hat die Katholiken zum Genuß der politischen und bürgerlichen Rechte zugclasscn; man gestalte Irland denn nach den Bedürfnissen um, die man durch die EmancipationS-Akte als vorhanden eingesteht." Und Lord John Russel fügte mit der ganzen Bedeutsamkeit, die sein Name, sein Charakter und sein Talent seinen Worten verleihen, hinzu, daß es unmöglich sep, die Irländische Kirche in der Verfassung zu lassen, die sie gegenwärtig noch hat. Zwar geht er über dieses Geständniß nicht hinaus; obwohl Haupt der liberalen Partei, vergißt er nicht, daß er Protestant und Engländer ist; doch wer nicht blind für die Oberhoheit der Englischen Kirche schwärmt, zieht sich den Schluß selbst. Weshalb soll Irland immerfort für England und Schottland zahlen? Weshalb wird die kirchliche Frage in Irland nicht als eine Frage, die Irland betrifft, behandelt? Alle, denen die Glaubensfreiheit am Herzen liegt, er schreckt an der protestantischen Kirche in Irland die doppelte Schattenseite, daß sie die vom Staate gebotene ist und zugleich die, zu welcher nur die ent schiedene Minorität der Bevölkerung sich bekennt. In allen anderen Ländern, in denen eine Staats-Religion eristirt, hat dieselbe wenigstens die Entschul digung, daß sie die Religion der Majorität ist; doch in Irland sehen wir die traurige, widernatürliche Erscheinung, daß der Staat eine Kirche aufrccht- hält, die dem Volke gleichgültig ist oder von ihm verabscheut wird. Man Nach der kevue Ues Seur klovües. wird mir vielleicht einwenden, daß ich Irland als unabhängig, nicht als einen Theil des vereinigten Großbritaniens betrachte; doch hat Schottland nicht eine StaatS-Religion, welche die Religion der Majorität, und eine Kirche, welche von der Englischen getrennt ist? Wenn es England als Prinzip ausstellt, daß der Staat nur eine einzige Religion anerkennen dürfe, weshalb wendet es dieses Prinzip nicht auf Schottland an? Weshalb ist der presby terianische Kultus durch Privilegien geschützt, die dem katholischen versagt werden? England hat seine National-Kirche, Schottland hat sie; doch Ir land hat eine fremde Kirche. Die Englische und die Schottische Kirche haben die Mehrzahl der Bewohner für sich und das Faktum der Existenz, welches zuletzt stets zum Recht wird; die Irländische Kirche hat nichts für sich als das Gebot des Staates, doch dieses Gebot an sich reicht noch nicht hin, um den politischen Angelegenheiten selbst, wie viel weniger, um den kirchlichen Gel tung zu verschaffen. Als der despotische Heinrich VIII. sich in England zum Haupte der Reformation erhob, machte er durch die Einziehung und Wieder- verthcilung der Kirchengüter Proselyten. Unter Elisabeth wurde diese Um wandlung fortgesetzt; doch was vor Allem dazu beitrug, daß der Protestan tismus in England tiefere Wurzeln schlug, das war der wesentlich nationale Charakter, welchen er hier annahm. Die Nation sah im Katholizismus eine Tyrannei des Papstthums, und um dieses fremde Joch abzuschütteln, wurde sie protestantisch; denn der Protestantismus war ihr eigenes Werk. Der König und die Edlen standen an der Spitze dieser Auflehnung gegen den Römischen Stuhl, daher wurde ihnen die höchste Gewalt übertragen, und daher ist die Anglikanische Kirche eine politische Kirche. In Schottland ging die Bewegung vom Volke aus und stieg zu den Großen empor, doch obgleich sie sonach die entgegengesetzte Richtung wie in England nahm, trug sie doch denselben nationalen Charakter an sich. Die Englischen Herrscher versuchten wiederholt, die Episkopal-Kirche in Schottland einzuführen, doch dies knüpfte die Schottländer nur noch fester an ihren ursprünglichen Kultus; England wurde genöthigt, zu kapituliren und in Schottland eine unabhängige Kirche anzucrkennen. Dieses Faktum, daß die presbyterianische Kirche in Schottland von Staats wegen sanctionirt ist, hat sür die Entscheidung der kirchlichen Frage in Irland die höchste Wichtigkeit; denn es beweist, daß es nicht gegen das Prinzip der Englischen Regierung ist, den Irländern in ihren heiligsten Wünschen zu willfahren, sondern daß dies bloß in die übrigen Pläne der Englischen Regierung nicht paßt. Schottland hat man wie ein selbständiges Land behandeln müssen; Irland möchte man gern nur als eroberte Provinz ansehen, und deshalb wird die nationale Religion Irlands vom Staate ver worfen. Der Protestantismus ist mit den Eroberern nach Irland gekommen ; er fand daher von Anfang einen mächtigen Widerstand, der nicht bloß in der Religion, sondern in der gesammten Nationalität des Irischen Volkes seinen Grund hatte. Heinrich VIII. und Elisabeth thaten in Irland, was sie in England gethan hatten, sie konsiszirten alle Kirchengüter; doch das Volk hing fester als je an seinen vertriebenen Priestern. ES besteht in Irland ein gegen seitiges Vertrauen zwischen Priestern und Volk, wie man es vielleicht in keinem Lande wicderfindet. Dieses Vertrauen schreibt sich noch aus der Zeit der Normännischcn Eroberungen her; damals theilte der Irländische Klerus muthig das Loos des gesammten Volkes, und er zeichnete sich damals durch seine Bildung aus; er bestand größtenthcils aus Irländern, welche die Spa nischen Universitäten besucht hatten, oder aus eingewanderten Spaniern. Dieses wechselseitige Vertrauen war vorzüglich der Grund, weshalb die Klostergüter nach der Eroberung Heinrich's H. im Allgemeinen unverletzt blieben. Die Klöster wurden das Asyl des Volkes, und die Eroberer hatten beinahe vier Jahrhunderte zu kämpfen, ehe sie ihr Werk mit Hülfe der Re formation durchsetzten. Damals zog sich das Band, welches Volk und Kirche bereits umschlang, noch enger zusammen, da jetzt die Priester verfolgt wurden. Der Haß gegen die Engländer wurde erst jetzt auch ein entschieden religiöser; man sah in ihnen von nun an nicht bloß Sachsen, sondern auch Ketzer. Die ersten sechzig Jahre nach Einführung der Reformation in Irland sind die blutigsten der Irländischen Geschichte. Die reichen Kirchengüter wurden zum Theil der protestantischen Geistlichkeit, zum Theil dem Englischen Adel überwiesen. Die protestantischen Geistlichen, welche fast alle aus Engländern bestanden, hielten sich in England auf, nicht in Irland. Sie verzehrten in ihrem Baterlande die Einkünfte, die sie aus dem eroberten Reiche bezogen. Ihre Pfründen überließen sic Pächtern, welche eine bestimmte Summe zahlten und dafür zugleich das Recht erhielten, die Grundbesitzer nach Lust oder Be-