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Wöchentlich «scheinen drei Nummern. PränumerationS-PreiS 22j Silbergr. (j 2 HI«.) vierteliadrlich, 3 Tdlr. sür da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen ^heilen der Preußischen Monorchie. Magazin für die PrSnum«rat!on«n werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veil u. Somp., Jägerffraß« Re. 2S), so ivi« von allen Kinig!. Posl-Aennern, angenommen. Literatur des Auslandes. 41. Berlin, Dienstag den 6. April 1847. Böhmen. Das Böhmerland und die Böhmen. Die literarische Thätigkeit, welche seit einigen Jahrzehenden in einem Theile des Slawenthums, der für dasselbe bereits eine Zett lang als abge storben galt, wieder erwacht ist, nämlich in Böhmen, ist nicht nur für die Bewohner des böhmischen Bodens selbst, welche slawischer Abkunft find, eine Quelle frischeren Lebens, sondern auch für die Stammgenoffen und insbe sondere die Polen sehr verheißungsreich geworden. In dankbarer Ersaffung des Gedankens, an den in neuerer Zeit zuerst die wiedererstandene böhmische Poesie erinnert hat: daß das Slawenthum ein Ganzes von Natur sep und die gemeinsamen Kräfte in Zukunft dazu anwenden müsse, den aufgelösten Zusammenhang zuvörderst innerlich wieder herzustellen, ist auch Polen den Genossen, die ehemals harte Kämpfe von ihm trennten, wieder nahe ge treten, und indem auch die anderen slawischen Schwestern, die überall, wie aus dem Winterschlafc erstehend, herzugekommen sind, ist Böhmen gewisser maßen der Mittelpunkt eines geistigen und nationalen Verkehrs geworden, wohl geeignet, die Blicke Deutschlands auf sich hinzulenken, dem die politischen Kämpfe des kleinen Landes in seiner Mitte noch in frischem Andenken find. Gewiß steht eS dem Deutschen wie dem Slawen zu, sich einer geistigen Ent wickelung zu freuen, die, wenn sie auch in eine Art von Gegensatz zum deut schen Wesen, oft in Kampf mit demselben tritt, doch immer solche Früchte erzeugen muß, die allen Theilen zu Gute kommen. Eine jede Lisersüchtel.; auf die Erfolge des SlawenthumS, sein Wesen da wieder in alter Reinheit herzustellen, wo cs ehemals Geltung hatte, könnte nur der Kurzsichtigkeit ent springen , die das Gewicht des deutschen Elementes nach seinem äußeren Um fange mißt und ängstlich für dir Niederhaltung dessen zittert, was einst von ihm überwunden und verdeckt worden ist, als wenn nicht selbst durch dir Krisis der Entwickelung für da- deutsche Idiom, hier für das deutsche Böhmen, gleichfalls ein reicher Gewinn zu erwarten stände, der ohne die Anregung de- Kampfes verloren ginge! Herr Chojecki, der polnische Bers, der tn der Anmerkung genannten Schrift"), macht, nachdem er zuerst einen kurzen Blick auf das heutige Böhmen ge- worsen, seine Leser flüchtig mit der Geschichte de- Landes bekannt. Bisher hat nämlich Polen über die früheren politischen Verhältnisse Böhmens in voller Un kunde geschwebt, während Deutschland sich mit der Geschichte befreundet« und sich um die böhmische Literatur nicht kümmerte. Sie wird aber nun auch für Deutschland von besonderem Interesse dadurch, daß sie die Momente ent hält, welche uns das Geschichtsleben de- Volke- anschaulich machen, und weil die Thätigkeit der heutigen Literaten gerade auf den Punkt gerichtet ist, die historischen Denkmale der Nation aus der Vergessenheit zu ziehen und zu Motiven der Begeisterung für den Fortschritt auf nationalem Wege zu machen. Lenkt man nach der Schlacht am weißen Berge den Blick auf die politische Geschichte Böhmens, so scheint eS, al- wäre Alles zu Grabe getragen, was vordem die Selbständigkeit deS Landes ausmachte, doch zeigt auf der anderen Seite die literarische Bewegung ein Auferstehen aus langer Lethargie und stärkt der über alten Monumenten schaffende Geist die Hoffnung aus die Zu kunft deS SlawenthumS in Böhmen. Er vereinigt die Sttkdien der Geschichte als eine begeisternde Arbeit mit den Interessen der Gegenwart, deren Beach tung lohnender sepn mag, und giebt durch das Zusammentreffen der Geschichte und Literatur das Gemälde des organisch gebildeten Volkszustandes. Die czechische Literatur bietet vor unserem Jahrhundert nichts Erhebliches. Man theilt sie gewöhnlich in drei Perioden.- die erste datirt von den frühesten Zeiten bis zum Jahre 1620; die zweite, gewöhnlich die des Absterbens ge nannt, bis zum I. 1774; die letzte umfaßt das Wiederaufleben der Wissenschaft und Kunst. Uns wird nur die letzte und auch diese nur von dem Punkte an inter- essiren, wo Männer von Geist und Ausdauer nicht nur mit großen Massen gelehrten Materials, sondern auch mit neuen selbständigen Schöpfungen her- vortreien. Diese Zeit behandelt Chojrcki auch mit sichtlicher Vorliebe, in dem er ihr verhältnißmäßig den meisten Raum widmet. Durch zwei Zeit- schriftcn: .Mai-rei" und die „Erstlinge der freien Wissenschaft", wurde das neue literarische Treiben vorzüglich angeregt. ES eröffnete sich in ihnen zuerst ein Organ für die AlterthumSforscher, die Philologen, die Belletristen Böbmin und die Böhmen am Ent« t«r «isim Killst« t«s LIX JahchuntM« vvn <itn,u„d Eh°j«ki. t, Bant. Benin, Schneite« und Lamp., »er. und Bersemachrr, so daß dieser Kreis der Bewegung, welchen die beiden Blätter gestatteten, bald zu eng wurde. Sie gingen ein, und die Schrift- stellerei, welche sich in Prag konzentrirte, brachte eine Reihe selbständiger, dichterischer und prosaischer Werke hervor. Eine Sammlung von Gedichten Puchmajer'S und eine solche von Jungmann (8Iovecno«t) gewannen allgemeine Aufmerksamkeit und dienten den angehenden Dichtern zum Muster. Beide Bücher waren eine Art Chrestomathie und enthielten das Beste von dem, was in der czechischen Literatur sich versand. Puchmajer war ein tüchtiger Kenner der Poefie, besonders wa- ihre Form angeht, und besaß einen reinen, wenn- gleich in das Phantastisch-Klassische verliebten Geschmack. Jungmann's Kennt- niß erstreckte sich mehr auf die Prosa; sein Stil selbst ist schlicht und an- ziehend. Unter den über die Rechtschreibung entstandenen Kämpfen, die namentlich zwischen Polkowicz und DobrowSki mit einiger Leidenschaft geführt wurden, trat plötzlich eine ganze Reihe junger Dichter hervor, an deren Spitze sich Kolar stellte. Im I. 17S3 g-Poren, ist er noch gegenwärtig protestantischer Pastor in Pesth. Er empfing seinen ersten Unterricht in Ungarn, von wo er sich auf di« theologische Fakultät der Universität Jena begab. Schon dort gab er im I. I82l einige erotische Sonnette heraus. Drei Jahre später erschienen die ersten Gesänge seines Hauptprodukts (Llsv;: Vrees), und im Jahre 1832 wurde die ganze Ausgabe in fünf Gesängen, bedeutend vermehrt, an- Licht gebracht. In Böhmen wußte man anfangs nicht, was Kolar unter seiner „Slawen- tochter" verstehe; man war der Meinung, er denke sich darunter da- ganze Slawenthum, tn dem er alle einzelnen Stämme zur Einheit zusammenfaffe; dann konnte man aber die Andeutungen nicht erklären, welche von der Liebe überall durchspieltcn. Da- eigene Leden de- Dichters nur konnte den Schlöffel zu diesem Räthsel geben. Als Kolar im I. 1816 sich in Ima aufhielt, lernte er eine protestantische Pastorfamilie kennen, die in der Nähe dort wohnte. ES war eine Tochter im Hause, welche die Zuneigung des Dichter- in hohem Grade gewann und sie erwiederte. Die Frau Pastorin begünstigte das Ver- hältniß nicht, indem fit dir materielle Seite einer darau- hervorgehenden Ehe in- Auge faßte. Kolar mußte schweren Herzen- die Universität verlassen, sich nach Ungarn begeben, um möglicher Weise die Bedingungen zu erfüllen, welche eine „gute Hausfrau" an die Ehe stellt. Boa hier aus blieb er tn beständigem Briefwechsel mit dem Gegenstand« seiner Neigung und schrieb nebenbei, um seinen Gefühlen Luft zu machen, di« „Slawentochter" — bis er plötzlich die Nachricht vom Tod« seiner Geliebten erhält. Bon nun an überwiegt der Schmerz tn seiner Dichtung. Erst nach deren Vollendung kam der Poet zu der überraschenden Entdeckung, daß der Tod seiner Braut nur fingirt worden war. Der Pastor Schmidt war gestorben, und seine hinterlassene Witwe hatte, aus Mißtrauen auf die Hoffnungen deS jungen Dichters und um sich der Stütze ihrer Tochter nicht zu berauben, da- seltene AusfluchtSmittcl gewählt, die jungen Leute von einander zu trennen. In tiefer Schwermuth besang Kolar seine Geliebte in zarten Sonnetten, während sie, keine Nachricht von ihm empfangend, den Entschluß faßte, ihr Leden dem Jungsrauenstande zu weihen. So kam da- Jahr 1830; die „Slawentochter" erschien, von den Zeit schriften bis tn den Himmel erhoben, von den Lesern mit Begierde ergriffen und von den begeisterten czechischen Jünglingen auswendig gelernt. Durch einen glücklichen Zufall gelangte die Dichtung auch in die Hände der Braut Kolar'S; sie erfuhr au- ihr den ganzen Zustand der Dinge, und, mit neuer Hoffnung erfüllt, gab sie durch ein Schreiben dem Dichter Lunde von ihrem Leben und ihrer unvergänglichen Zuneigung. Jndeß pflegte sie ihr« Mutier bi- zu deren Todesjahre und folgte dann ihrem Gatten nach Ungarn. Was uun den Inhalt der Dichtung betrifft, so ist er grtheilt zwischen dem sentimentalen Gefühl verlorener Liebe und der Klage über die Unterdrückung de- böhmischen SlawenthumS durch Magparen und Deutsche. Die Gedanken, welche sie entwickelt, siud weder tief, noch überraschend; der ganze Werth besteht in der Wärme der Begeisterung, welche au- ihnen hervorströmt. Daher wird die Dichtung auch nur insofern ein bleibende- Denkmal der böh mischen Literatur sepn, als sie die Macht deS subjektiven Geiste- zeigt und den ersten Pulsschlag im slawischen Leben, au- dem unnatürlichen Zustande, in welchem eS sich befindet, hinauszutreten. Sie führte Kolar auf den Ge danken deS Panslawismus, weil er in dem eigenen Volksstamm die geistige und phpfischc Kraft der selbständigen Fortentwickelung nicht mehr fand, und hat allerdings das Verdienst, zu einem Bewußtsepn angeregt zu haben, daß noch draußen «ine slawische Brüderschaft eristire, von der Döhmen bis dahin