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Es scheint, daß bei dem Anbruche der modernen Civilisation die meisten Länder des christlichen Europa's im Besitze einer rohen Art theatralischer Unter. Haltungen waren, die nicht, wie in den Schauspielen des alten Roms und Griechenlands, in Darstellungen natürlicher Charaktere und Ereignisse, sondern in Darstellungen der hauptsächlichsten übernatürlichen Begebenheiten des Alten und Neuen Testamentes oder der Geschichte der Heiligen bestanden, woher sie denn auch den Namen von Wundern oder Wunderstücken (Vlirsdss, Uiracle ?Is)-s) zu erhalten pflegten. Ursprünglich, scheint es, wurden die selben von der Geistlichkeit oder doch unter deren unmittelbarer Leitung auf. geführt. Die Geistlichkeit mag solche Darstellungen für heilsam und der Ver breitung religiöser Gefühle für fördersam gehalten haben, und doch waren sie, wenn man von den erhaltenen Spuren und Ucbcrblcibscln einen Schluß machen darf, profan und im höchsten Grade ungeziemend. Ein Wunderstück, aus der Geschichte der heiligen Katharina und in Fran zösischer Sprache, war im I. IIIS zu Dunstable (in Bedfordshire, 33 Engl. Meilen von London) aufgesührt, und es ist nicht bekannt, wie lange vorher schon in England solche Aufführungen eristirt haben. Von 1268 bis 1577 fanden sie indessen fast jährlich in Chester statt, und es gab wenige große Städte, die sich derselben nicht erfreut hätten , selbst in Schottland waren sie nicht unbekannt. Die heiligsten Personen, die Gottheit nicht ausgenommen, wurden darin vorgeführt. Zur Zeit der Regierung Heinrich'S VI. wurden Personen, die Ge fühle und abstrakte Vorstellungen, wie Erbarmen, Gerechtigkeit, Wahrheit u. s. w., repräsentirtcn, in die Wundcrstücke ausgenommen. Dies führte denn zu einer Art von Drama, welches gänzlich oder besonders aus solchen Charakteren bestand und M 0 ralisches Schauspiel genannt wurde. Dies war ohne Zweifel nach den Wunderstückcn ein großer Fortschritt, denn diese Stücke suchten nicht bloß gesunde Lehren der Moral zu verbreiten, sondern wurden auch, indem sie die Charaktere weiter ansmalten und jedem einzelnen angemessene Reden in den Mund legten, Veranlassung zu einer gewissen freieren poetischen und namentlich dramatischen Behandlung. 'Der einzige Charakter aus der Schrift, der in dieser Art Drama beibehalten war, war der Teufel, der immer in groteskem Aufzuge auftrat und beständig von einem ihn begleitenden Charakter, Vice genannt, geschlagen ward, so daß er dazu diente, die Unterhaltung, die im besten Fall eine ernste blieb, so gut sie auch gemeint war, ein wenig zu beleben. Titel wie die folgenden: Ossie ot 8eeur>tx, IIrbo psiül on tsie Hess, lmpstiem povert)', und Vlsrrisge o5 "ÜONI s»s Vie waren gebräuchlich, und die eben genannten sind die Namen derjenigen Moralischen Schauspiele, die zur Zeit Heinrich'S VIII. sich vorzugSwciser Popularität erfreuten. Um eben diese Zeit ward Darstellen oder Schauspielen zuerst eine besondere Prosession, denn bis dahin waren sowohl die Wunderstückc als dir Moralischen Schauspiele von Geistlichen und Schulknaben oder den Mitgliedern der Gewerb- und HandclS-Corporationen, und ohnehin nur gelegentlich und als Theil irgend einer öffentlichen oder pri vaten Festlichkeit, zur Aufführung gebracht worden. Wie die Einführung allegorischer Personen ein Fortschritt derjenigen Stücke war, welche bloß aus Personen der Schrift bestanden, so war das Aufführen historischer und wirklicher Charaktere wieder eine Erweiterung und Verbesserung derjenigen, die bloß eine Reihe pcrsonifizirtcr Ideen enthielten. Man sah bald, ein wirkliches, menschliches Wesen, mit menschlichem Namen, müsse weit besser dazu geeignet sepn, in den Zuhörern gleiche Gefühle zu er regen, so wie die Aufmerksamkeit rege zu halten, und doch dieselben nicht weniger mit moralischen Wahrheiten erfüllen, als ein Wesen, das nur eine geistige Idee repräsentirtc. Die Ersetzung der spmbolischen durch geschicht liche Charaktere ging sonach allmälig zu Anfänge des I6ten Jahrhunderts vor sich, und so, mit Hülfe Seitens der Griechischen dramatischen Literatur, die man nunmehr zu studiren anfing, und der weiter fortgeschrittenen Jtaliänischen und Spanischen Bühne, nahm das echte Englische Theater seinen Ursprung. Als Proben der Art, die zwischen dem moralisirendcn und mo dernen Drama gleichsam in der Mitte steht, können die sogenannten Inrer- Ius«ü von John Heywood erwähnt werden. John Heywood lebte an dem Hofe Heinrich'S VIII. theils als Musikus, thcils als professionirter Witzkops und theils als Schauspielschreiber. Seine dramatischen Compositionen, deren einer Theil vor 1521 entstanden war, betrafen meist irgend ein spaßhaftes Familien »Ercigniß, in einem Stile der gröbsten und derbsten Farce und doch nicht ohne Talent und Geschicklichkeit. Eines derselben, die 4 p«, dreht sich um einen Streit zwischen einem kslmer (Pilger), ?aücsr> (Apotheker), ?eslsr (Hausirer) und ?srüoner (der Pardon, Ablaß giebt), die die Frage auf geworfen hatten, wer von ihnen die gröbste Unwahrheit sagen könne: eine ge legentliche Bemerkung des Pilgers, daß er niemals in seinem Leben ein böses, ungestümes Weib sah, wird von Allen für die gröbste Lüge erklärt und die Entscheidung der Frage ist somit unter allerlei Schwänken hcrbeigcführt. Eine seiner Hauptbestrcbungen scheint es gewesen zu seyn, die Sitten der Geistlichkeit aufzuziehen und der Sache der Reformatoren zu nützen. ES gab aber noch andere, wenngleich weniger ausgezeichnete Verfasser solcher „Jnter- ludeS" oder Farcen, und David Lyndsay's 8stire ok tb« 'IRree Lstsres, 1539 in Schottland aufgeführt, war ein Stück dieser Art. Das Drama von seinem Entstehen an war in Komödie und Tragödie getheilt, deren beide Elemente sich in den oben beschriebenen rohen Unterhal tungen sehr deutlich vorfinden, des Vorganges der Römer und Griechen nicht zu erwähnen. Von der Komödie, die gleichsam die Fortsetzung der „Jnter- ludes" oder Farcen war und fich noch weiter zurück in dem scherzhaften Theile der moralischen Schauspiele nachweisen läßt, trägt die älteste auffindbare Probe den wunderlichen Titel: Uslpk Koller Unsrer, ein Werk von Nicolas Udall, Meister von Westminster-Schul. Wie man vermuthet, ist es in der Zeit Heinrichs VIII. geschrieben, aber sicher nicht nach 1551. Die Scene ist in London und die Charaktere, dreizehn an der Zahl, stellen Leute aus den Mittelklassen des Volkes damaliger Zeit dar. Es zerfällt in fünf Akte; die Handlung ist belustigend und wohl angelegt und verwickelt. — Mr. I. Payne Collier, der Jahre anhaltender Studien auf die Geschichte und Erforschung der dramatischen Literatur verwendet, hat vier Akte einer Komödie entdeckt, die er in das Jahr IS6V versetzt. Dieses Stück führt den Titel lUesogonus, von Thomas Rychardes- Die Scene ist nach Italien verlegt, aber Sitten und Handlung sind Englisch, und die Nolle des Hausnarren, die in der alten Komödie so bedeutsam, ist sehr bestimmt ausgeführt. Das nächste rückfichtlich der Zeit ist Osminer Ourton's Geeckte, welches UNI 1565 oder noch früher von John Still geschrieben sepn soll, der lUsginter ^rriai» und später Bischof von Bath und Wells war. Dies ist ein Stück von niedrigem, plumpem Humor, denn das Ganze dreht sich um Verlust und Wiedcrfinden der Nadel, mit welcher Frau Gammcr Gurton ein Stück von dem Anzuge ihres Mannes Hodge flickte. Doch ist es im Einzelnen und in der Zeichnung einiger Cha raktere nicht ohne Verdienst. Dieses und das obengenannte Stück Kslpfl k. D. ist in gereimten, langen, unregelmäßig gemessenen Versen geschrieben. Als Probe der Sprache geben wir einige Zeilen aus einer Rede des letztgenannten, in welcher ,,D»me Ostsnee" auf die Schwierigkeit hindeutet, sich einen guten Rus zu bewahren: — — — — II ow llee«88Lrv it 18 uow L-äavs, Hiat eacN llve uprixlitlzk !u all wanuer k'or let oever so little a gap bo open, ^Xulj bv 8ure ok tdi8, tlie ^or8t ^vill iie spolceu! Die Tragödie, späteren Ursprungs als die Komödie, entsprang in gerader Linie von den erhabeneren und ernsteren Stellen der moralischen Schauspiele und den reineren Vorbildern der Griechen und Römer. Die Tragödie von „Ferrer und Porrer" ist das älteste bekannte Spezimen dieser Art Dichtung; sie ist von Thomas Sackville, später IlsrI ok Dorset, und Thomas Norton verfaßt, und wurde im Januar 1561 in Whitehall vor der Königin Elisabeth von den Mitgliedern des Inner ss'empl« aufgesührt. Sic gründet sich auf eine fabelhafte Begebenheit in der früheren Britischen Geschichte und ist voll von Mord und Aufruhr; ein fünfaktigcs Stück, in regelmäßigen ungereimten (blsnk) Versen, indem einige der mehr praktischen Regeln des klassischen Drama'S des Altcrthums beobachtet sind, dem es sich namentlich durch die Einführung eines Chors anschlicßt, — d. h. einer Gruppe von Personen, die dazu da sind, das Stück mit moralischen Sentenzen und Lehren in lyrischen Stanzen zu durchweben. ES muß Verwunderung erregen, in der ersten Eng lischen Tragödie Stellen gleich der folgenden zu begegnen: