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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Preis 22j Silbergr. (s Thlk.) vierteljährlich, 3 Thlr. sür da» ganze Jahr, ohne Erhöhung in allen Lbcilcn der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden ton jeder Buchhandlung (in Berlin del Bel« u. Comp., Jägerstraße Nr. 2d), so wie von allen König!. Post-Aemtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 102 Berlin, Donnerstag den 26. August 1847. Arankreich. Sieben ungedruckte Briefe von Voltaire.") Das in Brüssel erscheinende periodische Werk: l^e Libliopbtle Lulge ent hält im 3ten Bande sieben Briefe Voltaire's, die bisher in keiner Ausgabe seiner Werke gedruckt sind. Der sie hier mitthcilt, ist Gustave Brunet (von Bor- deaur), und er führt sie durch folgende Zuschrift an den Herausgeber des Libliopkile Leige ein: „Mein Herr! Zu verschiedenen Malen hat das üullecin «in kibliopkilv Leig« uncdirte Briefe berühmter Personen ausgenommen: erlauben Sie mir daher auch, Ihre Bereitwilligkeit für einige Briefe Voltaire's in Anspruch zu nehmen. Im strengeren Sinne des Wortes dürfen diese Briefe nicht als unedirt betrachtet werden, aber sie sind dennoch so unbekannt, als hatten sie niemals das Licht der Welt erblickt; sie haben nämlich keine andere Publizität, als die eines Bordeauxer Journals vor SO oder 38 Jahren. °°) Dies ist ein Grab, wo Niemand sie suchen wird, und Herr Bcuchot, der gewandte und un ermüdliche Herausgeber der Werke des Patriarchen von Ferney, hat sie auch nicht gekannt. Ohne ein lebhaftes Interesse zu haben, sind sie doch von der Art, daß ich gern glaube, Ihre Leser werden sie mit einiger Aufmerksamkeit lesen. I. An Herrn P der ihm einige französische Uebersetzun- gen aus englischen Gedichten zugesendet. Ich habe, mein Herr, mit eben so viel Vergnügen als Dankbarkeit Ihre Versuche von Uebersetzungen aus englischen Dichtern empfangen. Die ehe malige Härte der englischen Sprache schien der Poesie wenig günstig, aber sie hat sich allmälig in Stärke und Kraft verwandelt. Der jetzige Reichthum der Sprache und die verschiedenen Wortstellungen, deren sie sich fähig gemacht hat, setzen sie in den Stand, Alles auszudrücken. UebrigcnS haben sich die kräftigen Redeweisen dieser Sprache noch bedeutend durch die Regierungsform des Lan des vermehrt, die den Engländern erlaubt, öffentlich zu sprechen, und durch die Freiheit der Gewissen, die alle Sekten mit der Sprache der heiligen Schrift ver- traut macht. Wirklich nähert sich die englische Poesie oft jener morgenländischen Erhabenheit, welche anderen Völkern übernatürlich erscheint. Zur Zeit Cromwell s waren alle Reden im Parlamente voll von Ausdrücken, die man den Schriften des Alten Testaments entlehnt hatte. °°°) Die französische Sprache, welche ohne dieses Hülfsmittel geblieben ist, hat deshalb nicht den Reichthum, den sie haben könnte. UeberdieS haben wir eine Menge sehr energischer Ausdrücke der älteren Sprache aufgegeben, wodurch unsere Poesie ein wenig geschwächt wurde. Gerade solchen alten Worten unserer Sprache haben die Engländer das Bür gerrecht in der ihrigen gegeben, so wie sie nach dem Widerrufe des Edikts von Nantes unsere auswanderndcn Landsleute bei sich eingebürgert. Sie haben auf diese Weise und auf unsere Kosten ihre Sprache und ihre Bevölkerung ver- mehrt, -s) Aber je weniger Hülfsquellen die französische Sprache bietet, desto dank barer bin ich für die Nachahmung verschiedener englischer Poeficen. Sie scheinen treu und in guten Versen wiedcrgcgcben zu scyn. Sie werden doch wahrscheinlich nicht bei diesem ersten Versuche stehen bleiben, und das Publikum wird Ihnen, so wie ich, neue Verpflichtungen schuldig seyn. ffff) Ich habe die Ehre rc. Ferney, IS. April 1762. Bergt. Magazin Nr. !8 und bl. "I Seltsam, daß ein Brunet so ungenaue Angaben mach«. Wie heißt da» Journal? und sollte nicht zu ermitteln seyn, ob 30 oder »z Jahre? Bei solcher Angabe wird aller- ding« Keiner auf diesem Grabe sie suchen. Es ist Brunel'« Schuld, wenn wir diese» Grab mit solgender Konjektur.».Kritik beunruhigen - Au» dem ersten Briefe, wo die Freiheit der öffentlich^ Reden al» Mittel zur Hebung der Sprache empfohlen wird, läßt sich schließen, daß di« Briese vor dreißig Jahren, also I8IK—1817, erschienen sind und »ich« vor funfundreißig, also um 1812, wo die Napoleonische Censur sich wahrscheinlich so was verbeten hätte. Nicht blo» in, Parlamente, auch außerhalb desselben bedienten sich die Puritaner überall biblischer Redensarten, wie man es ani ergötzlichsten in Walter S-ott's Woodstock nachgeahmt finde«. ff) Die Sprach-Ausdrücke find allerdings nicht ganz so auf Frankreich» Kosten wie die Emigranten aus England übergegangen, da e» den Franzosen unbenommen blieb, die emi- grirten Redensarten gleichzeitig zu Hause fcstzuhaltcn. Dagegen würde B. jetzt noch viele andere Dinge von Frankreich nach England auf Kosten de» ersteren übergestedelt sehen: Kolonie«», Schiffe, Geld, Industrie und Einfluß. ffffl Der erfahrene Leser wird leicht einsehen, daß V. hier eben so höslich wie nichtssagend geantwortet, und daß er die ihm »ovgelegten Uebersetzunge» gar nicht gelesen II. An den Herausgeber des kourrier st'^viguo». Ich erfahre, mein Herr, daß Sie in Ihrem 6»urrier vom vorigen Monat folgende Stelle ausgenommen haben: „Herr v. Voltaire, der sich auf seinem Schlosse DeliceS nicht sicher glaubt, hat sich nach Lausanne begeben und hat den König von Preußen schriftlich um eine Zufluchtsstätte in Wesel ersucht ic." Diejenigen, welche Ihnen diese Nachricht mittheilten, haben Sie in allen Punkten getäuscht: Ich wohne nicht in den DeliceS; die DeliceS sind kein Schloß; ich bin sehr krank seit langer Zeit auf meinem Gute zu Ferney °); ich bin nicht in Lausanne gewesen; ich habe nicht an den König von Preußen ge schrieben, und ich bedarf keiner Zufluchtsstätte. Ich bitte Sie, der Wahrheit gerecht zu werden und ein Gerücht zu zerstreuen, dem alle Begründung fehlt. WaS die Bücher betrifft, die Sie mir fälschlich und nach lügenhaften Pariser Berichten zuschreiben, so haben Sie zu viel Billigkeit, um mir künftig ver- dächtige Werke unterzuschieben, die mich bei einer weniger gerechten Regierung als die unsrige Gefahren auSsctzcn könnten. Wenn ich solche Neuigkeiten schriebe, so würde ich wenigstens darauf sehen, ob sie wahr seyen. Sie haben das Talent, zu interesfiren, üben Sie künftig in meiner Beziehung die Kunst, zu schweigen. Ferney, den 8. September I7S6. °°) III. An einen Herrn zu Avignon, der ihm über die eiserne Maske geschrieben hatte. Die Krankheiten, von denen ich seit langer Zeit geplagt bin, verbunden mit ein n großen Flusse über den Augen, haben mir nicht früher erlaubt, Ihnen, mell' Herr, sür die Anekdoten zu danken, die Sie mir über das außerordentliche Abenteuer des Mannes mit der eisernen Maske mitzutheilen die Güte hatten. Die Wahrheit dieses Ereignisses ist jetzt unbestritten, aber die Verschiedenheit der Konjekturen besteht noch immer. ES ist das LooS der Menschen, Muth- maßungcn (im Tert «Mernes) über alle Dinge anzustellen, die ihren Wahr nehmungen entzogen sind. Was mich betrifft, so habe ich mich nur an die Thatsache gehalten, und dennoch habe ich dabei viele Mühe gehabt. Ich habe die Ehre rc. 11. November 1763. IV. An de» Verfasser eines Gedichtes über die Vieh seuche (Lpirootie). Pariser Neuigkeitskrämer, die, wie Jedermann weiß, stets die Wahrheit sagen, haben das Gerücht von meinem Tode in Umlauf gesetzt, und sie haben sich nicht ganz getäuscht, denn ich war sehr krank. Letzteres ist der Grund, weshalb ich nicht früher auf Ihren sinnreichen Brief geantwortet habe. Ich danke Ihnen sür diesen Brief und das beigclegte Gedicht! Ich habe in beiden Geist und Gefühl gefunden und sehe, Sie find von den Uebeln der Thiere, die fast eben so groß sind, wie die der Menschen, gerührt. Fahren Sie fort, mein Herr, die schönen Künste und die Literatur zu pflegen; die guten und gefühl- vollen Schriftsteller, welchen Neid und Kabale fremd sind, erscheinen mir als die Elite dieser Welt. Ich schmeichle mir, daß Sie von dieser Gattung sind, und wünsche Ihnen Glück dazu. Ich habe die Ehre rc. Ferney, den 17. März 1776. V. An den Secretair einer Akademie in der Provinz. Die verleumderischen Beschuldigungen, womit mich die angeblichen Lite raten, die eben so Männer der Wissenschaft, wie Quacksalber Aerzte sind, überhäufen wollen, die Bücher, die sie nach schmutzigen und entstellten Hand- schriftcn unter meinem Namen drucken lassen, haben mich gezwungen, an die französische Akademie zu schreiben. Ich richte an die gelehrten Gesellschaften der Provinz eine Abschrift dieses Briefes, in welchem ich das Publikum gegen ha«. Seit B. haben es bi» zum August >817 viele große Männer so gemacht, wenn ihnen ein Geringerer sein- Arbeit zur Beurtheilung, resp. Empfehlung, vorlegte; man la» die Arbeit nicht, schaffte sich aber den ängstlich Harrenden durch eine Alle» und Nicht» enthaltende Antwort vom Halse. ') Man sehe unsere Anmerk, zu Brief V. ") Wenn in der Ordnung der Briese keine chronologische Rücksicht genommen ist, so gehört der Fehler Herrn Brunet an, der, wie schon oben bemerkt, hier etwa« nachlässig zu Werke gegangen. Vielleicht meinte er, der Brief von I7K2 mache einen besseren Ein- druck, und stellte ihn deshalb zuerst, aber dieser Grund läßt sich bei allen folgenden Briefen nicht anwenden.