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Wöckenttich erscheinen drei Nummern. P-ä»um«»iisnS.Pkci« 22j Tiibergr. (z Zdlr.) nierieliiidrilch, 3 Tdlr. für dn« gan;« Jode, °dne Srdohung, -n allen Td-Um der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von leder BttchdandUmg (in Berlin dei Beil u. C ° mp., JSgerstraße Nr. 2L), so nie von allen Kinigl. Post-Aemler», angenommen. Literatur des Auslandes. 87. Berlin, Donnerstag den 22. Juli 1847. England. Die Zerlumpten-Schulen in England. °) Man darf die „Zerlumpten-Schulen" nicht mit den „Armen-Schulen" Englands verwechseln. Letztere, die man überall findet, werden im Allge meinen von Kindern besucht, welche, einer Familie angehörend, eine Wohnung und Eristenzmittel besitzen, die bekannt sind. ES handelt sich bei diesen Kin dern einzig darum, ihnen einen kostenfreien Unterricht zu verschaffen, weil ihre Aeltern entweder zu wenig Mittel oder zu wenig guten Willen haben, dafür zu sorgen. In diesem Sinne find sogar die meisten englischen Schulen Armenschnlcn; die Wohlthätigkcit deS Publikums in der Kirche hat das Land mit einer überflüssigen Anzahl dieser Anstalten versehen. Die Zcrlumpten- Schnlen aber stehen eine oder ein paar Stufen tiefer. Man hat — um Lord Ashley'ü Ausdruck zu gebrauchen — in London und in den übrigen großen Städten Englands die Entdeckung gemacht, daß es in denselben eine fast unbekannte Bevölkerung von kleinen Vagabunden giebt, die, ohne Obdach, ohne Aeltern, ohne eine Spur von Erziehung, ihre» Lebens- Unterhalt auf alle mögliche, nur nicht auf eine rechtliche Weise gewinnen. Kin und wieder zwar wurden einige dieser Unglücklichen vor die Gerichtshöfe gestellt, allein sic erregten wenig Aufmerksamkeit und noch weniger Thcil- nahme. Man vermuthete gar nicht, daß sie einer ganzen, ihnen gleichartigen Bevölkerung angchörten, einer verborgenen, in den tiefsten Schichten der Gesellschaft hausenden Nation. Hatte man die kleinen Miffethätcr, in deren Verbrechen man nur Ausnahmen sah, bestraft, so war Alles gut : man sah und dachte nicht weiter. Aufmerksamere und beharrlichere Beobachter jedoch haben herauSgefunden, daß cS in London eine große Masse dieser kleinen, keiner Klaffe der Gesell, sch ast angehörigen Wesen giebt, die ohne Obdach umberirrcn. Diese Ent- dcckung ist eS, welche die Gründung der Zerlumpten. Schulen veranlaßt hat. Der Pariser gmnm, nach seinem ursprünglichen Typus wenigstens, ist ein weit höher stehendes Wesen, als das Kind in Lumpen, von dem hier die Rede ist. ES ist wahr, der xsmm vagabundirt gern ans den Straßen, und seine Erziehung, wenn er eine andere erhält, als die, welche die freie Luft gewähren kann, will wenig bedeuten. Er wird leicht zum Lügner, zum Betrüger; er spielt den Kaufleuten hundert Streiche, zeigt sich trotzig in seinen Händeln mit den Polizei-Offizianten und nimmt nur gar zu gern Theil an einer Emeute. Allein der gamin ist doch mit dem Leben in der Familie nicht gänzlich unbekannt; er weiß, wenn er Abends müde von seinen Streife- reien und Schelmenstreichen ist, wo er ein Obdach findet. Es kann sogar Vorkommen, daß er von Zeit zu Zeit seinen Fuß in eine Schule des wechsel seitigen Unterrichts setzt; kurz, wenn cs in Paris auch Kinder geben mag, die ganz in die Klaffe der Londoner „Zerlumpten" gehören, so muß doch mit diesen der gamm nicht verwechselt werden, der moralisch wie gesellschaftlich höher steht. Was denn sind eS für Kinder, welche man in die neuen Schulen auf nimmt l Es sind erstlich Waisen, deren sich in ihren ersten Lebensjahren der eine oder der andere Verwandte angenommen hat und die sich eines schönen Morgens aus der Thür gewiesen sehen, mit der Anweisung, zu leben, wie eS eben gehen will; dann sind cs Kinder von tranSportirtcn Verbrechern, die genöthigt find, ihre Nachkommen auf dem Londoner Straßenpflaster zurückzu- laffen ; weiter Kinder, die zwar Verwandte haben, aber dadurch nur um so übler daran sind, da diese Verwandten sie im Raub und Diebstahl unterrich ten; endlich sind eS Kinder, die, einem illegitimen Verhältnisse entsprossen, sich entweder verstoßen sehen oder von einer Rabenmutter so lange gcmißhan- delt werden, bis sie lieber gar kein Obdach haben wollen, als ein solches, wo cs für sie nur Schläge giebt. Alle diese Kinder, die ein gemeinsames widriges Schicksal gleichsam schon im voraus verbindet, nähern sich einander, i Zerlmnpien,Schuir», -8vl,ool». Wir übersetzen wörtlich, weit — wie sonder or bas Wort „Zerlumpten-Schute" auch klingen möge — wir doch kein anderes wüsncn, welch«, drn Sinn de« englischen „ - Sabool" nur kinißermaßen grnau wiedergäbe. Eine z. B. wäre schon etwa« Andere« »I« eine 8cb°ol; dran e« ist in brm oben stehenden Artikel von Kindern, die sich durchaus selbst überlasten find, die von elnrm Familien-Verbände nicht« wissen, die Rede — ein Merk mal, was aus die Kinder brr Proletarier nur in einzelnen Fällen paßt. Auch ist „Zer lumpten-Schule" ein der Analogie durchaus gemäß gebildete« Wort. Wir sagen: Klein kinder-, Bürger-, Soldaten - Schul«. Ja „Arinen sch ule", wo da« erst- Wor, deS Lomposttum« ebcnsall« ein zu einem Substantiv echobene« Adjektiv ist, ist seiner gramma tischen Form nach ganz dasselbe, wa« „Zeriumptel,-Schule" ist. bilden regelmäßige Banden mit Anführern, Losungsworten, Unternehmung-- Entwürfen und leisten sich, geleitet von einem Instinkte des Rechts oder einem Gefühle des gegenseitigen Wohlwollens, das ihnen selbst in ihrem Zustande tiefster Erniedrigung nicht verloren gegangen, einander Beistand. Wer Glück hatte, theilt mit dem, der keines hatte, und höchst selten geschieht es, daß selbst bei gerichtlichen Untersuchungen der Eine des Anderen Angeber wird. Alle Morgen nun kriechen diese Unglücklichen aus den Schlupfwinkeln, die ihnen für die Nacht ein Asyl gewährten, hervor und zerstreuen sich in der Stabt, ohne zu wissen, woher sie ein Stück Brod nehmen sollen, aber auch ohne sich viele Gedanken darüber zu machen, da sie cs auf die eine oder die andere Art vor Abend doch bekommen oder entwendet haben. Für sie giebt es kein Gesetz und, außer ihrer Bande, keine Gesellschaft; sie haben vor fremdem Eigcnthum weder Achtung noch Schonung, und wenn sic die Polizei fürchten, so geben sie doch nur im äußersten Nothfall und mit Verwünschungen im Her zen ihretwegen ein Unternehmen aus. Allem, was sic umgicbt, fremd, be handeln sie Alles als Feind; sie sind eine Horde von Barbaren oder Wilden mitten in einer civilifirten Bevölkerung. Wenn auch fortwährend eine gewisse Anzahl von ihnen aufgcgriffen wird, so entgeht doch der größere Theil der Wachsamkeit der Polizei, und wenn heute zwanzig oder dreißig eingesangen wurden, so erscheinen morgen fünfzig mehr. Das ist das Uebel, welches durch die „Zerlumpten.Schulen" beseitigt werden soll. Menschen von mitleidigem Herzen haben geglaubt, Güte werde mehr als Einschüchterung fruchten; der Lehrer müsse dem Kerkermeister und dem Henker zuvorkommcn, und man brauche diesen unglücklichen Wescn nur eimgen fsnterrlcht angedethen, sie nur ein Handwerk erlernen zu lassen, um sie — wenn dazu noch die Möglichkeit vorhanden sey — in ehrliche und nütz, liche Bürger umzuschaffen. Es find ungefähr drei Jahr, seit man begonnen hat, dieses System prak. tisch anzuwcnden; allein cs Haden sich dabei große Schwierigkeiten hcrauSge- stellt, die bei weitem noch nicht vollständig überwunden find. Zuvörderst kömmt es darauf a», diese Vagabunden aufzusuchen und in Unterhandlung mit ihnen zu treten, und das ist gerade nicht sehr leicht. Glaubt man sie an einem Orte zu treffen, so sind sic längst an einem anderen. Dann, was freilich Niemanden Wunder nehmen wird, sind sie außerordcnt- lich mißtrauisch. Haben sie doch zum größten Theile nie ein freundliches Wort gehört, nie ein Liebeszeichen empfangen. Auf die Straße geworfen, haben sie sich, gleich wilden Thicren, von allen Seiten verfolgt gesehen. Drohungen, Einsperrungen, Züchtigungen — das find die Dinge, welche ihnen von anderen Menschen geworden find. Also sind sie auf ihrer Hut und erblicken in ihrem Wohlthäter einen Feind. Ja, das Unternehmen, sich mit ihnen zu verständigen, kann sogar gefährlich werden. Ehe er sich noch hat erklären können, fallen sie vielleicht über den, der sie aufsucht, her, und die- jenigen, welche sich mit dieser peinlichen Mission betrauen lassen, erklären, wie sic lieber mit einem Stamm wilder Indianer am Ontario-See zu thun haben möchten. Allein angenommen, diese Schwierigkeit sey überstiegen, so tritt eine neue ein. Wie soll man Kinder solches Schlages bereden, sich auf eine Schulbank niederzusetzen? Eine Schule! Bücher! Geistige Arbeit! WaS können sic sich dabei denken und welchen Nutzen können sie sich davon ver- sprechen! Alle diese Dinge sind ihnen böhmische Dörfer; sie sehen höchstens, gleich den Wilden oder den Zigeunern, mit denen sic so viel Achnlichkeit haben, in alle dem eine ganz unnütze Anstrengung und lachen der Menschenfreunde, die sic in eine Schulstube einspcrrcn wollen, während sie ihren Lebensunter halt in der freien Luft gewinnen müssen. Allein auch diese Schwierigkeit sey beseitigt und man habe vierzig bis fünfzig Kinder in Lumpen zusammen in einer Schulstube; wie werden sie fick aufführen? Augenzeugen geben über diesen Punkt eben so merkwürdige als traurige Erklärungen ab. Es ist mehr denn einmal vorgekommen, daß man dem armen Lehrer seine Rockschößc abgcschnitten, seinen Hut voll Oel gegossen, ja daß er selber, weil die Thür verbarrikadirt war, sich genöthigt gesehen hat, so rasch wie möglich aus dem Fenster zu springen. Doch ist das noch nicht Alles. Diese verlaufenen Kinder können, während sie in der Schule versammelt sind, nichts zusammenbringen, und da sie nichts besitzen, so müssen sie wenigstens mit einem Theil ihrer Nahrung versorgt werden. Ja, logischerweise kömmt man endlich so weit, daß man ihnen diese vollständig liefern, daß man ihnen Kleidung und Obdach verschaffen muß; denn da sie keine rechtlichen Eristenzmittel besitzen, so würden sic sonst die Schille nur verlassen, um sogleich ihre Schelmenstreiche wieder anzusangen;