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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration».Preis 22j Silbergr. (j Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für da» ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Deit u, Como., ISgtrgraße Nr. 2S), so wie von allen ötinigl. Post-'Semlern, angenommen. Literatur des Auslandes. Berlin, Sonnabend den 10. Juli 1847. Rußland. Die beiden Panslawismen. Die Idee des Panslawismus ist, wenngleich noch jung, doch schon zu tief in die moderne Publizistik eingedrungen, als daß man glauben könnte, sie werde nicht immer einen Theil derselben in Anspruch nehmen. Die deutsche Schriftstellern, angeregt von den neuesten czechischen Bestrebungen, hat sich zuerst dieses Gegenstandes bemächtigt und ihn verschieden beurthcilt, ist jedoch im Allgemeinen darin übereingekommen, daß die Vereinigung der slawischen Stämme in eine Nationalität ein nothwendiges System unserer Zeit und keinesweges eine bloße Schwärmerei einzelner Politiker sey. Seitdem fran zösische Literaten sich dieser slawischen Frage zugewendet haben, erhielt die selbe einen neuen Aufschwung; die polnischen Emigranten lieferten ihnen zum Theil das Material, Andere, wie Cyprien Robert, schöpften in der Mitte des slawischen Volks. Der Letztere hat kürzlich eine neue Schrift mit dem Titel: Die beiden Panslawismen (Leipzig, 1847) erscheinen lassen, in welcher dieser Gegenstand mit der dem Herrn Robert eigenthümlichen Ge wandtheit behandelt wird. Er bestätigt das Vorhandenseyn zweier Richtun- gen im Panslawismus und giebt den Unterschied so an, daß ein Theil der Slawen eine Versöhnung, brüderliche Annäherung und endliche Vereinigung aller Slawen in eine moralische Kör perschaft wolle, so daß die Einheit nur bestehe in der freien Uebcreinkunft; ein anderer Theil, die sogenannten Russen- Slawen, von dem Prinzip absoluter Centralisation auSgehe und, mit Vernichtung aller nationalen Eigenthümlichkeiten und Unterschiede, nichts Anderes träume, als eine große gonvcrnementale Einheit der ganzen Race. Diese beiden Systeme bilden nach der älteren und von Robert angenommenen Benennung den russischen und den slawischen Panslawismus. Mit Einsicht versucht Herr Robert die Elemente unv moralisch-,, Kräfte nachzuweisen, auf welche die Hoffnungen und Wünsche des Panslawismus sich stützen. „Die Slawen" — sagt er — „bilden den Hauptfond der Bevölkerung in drei großen Neichen: Rußland, Türkei und Oesterreich. Allein in den letzte- ren beiden Staaten haben sie ein Gegengewicht an fremden Stämmen, die sie beherrschen, aber nicht die Macht haben, sie zu absorbircn, und sie nicht verhindern können, daß sie die Majorität der Einwohner ausmache». So zählen wir in Europa wohl nicht über 2 Millionen Türken reinen Bluts gegen 8 —» Millionen Slawen. Oesterreich enthält auf 3V Millionen Unter- thancn kaum 6 Millionen Deutsche, während cs 17 Millionen slawischer Un- tcrthanen umfaßt, woraus nothweudig folgt, daß Oesterreich, ein entschieden slawisches Land, von Deutschland erploitirt (?) ist. In Preußen allein haben die Slawen die Minorität, da man nur 2 Millionen Polen in Pose» (nur 1 Million) zählt und einige Hunderttausend Schlesier und Lausitzer sich noch zu der Sprache ihrer Väter bekennen, welche jedoch vom deutschen Geiste mehr und mehr durchdrungen werden. „Die Hauptstärke, die Garantie der Dauer des Panslawismus besteht darin, daß er bei den slawischen Völkern ein literarisches und intellektuelles Bedürfniß, ein Bcdürfniß der Natur geworden ist, bevor er ein poli tisches Bedürf« iß war. Alle slawischen Völker fühlen sich unwider stehlich zu einander hingczogen. (Dieser Behauptung lassen sich doch sehr viele Zweifel gegenüberstellcn. D. R.) Die Sitten aller Slawen find in ihrer Uebereinstimmung so markirt, daß, während man die dalma tischen Küsten des Adriatischen Meeres durchstreift, man sich plötzlich zu den Kosaken des Don und des Azowschen Meeres hinversctzt fühlt. Warschau und Prag diffcriren in ihrer Physiognomie nicht mehr, als Paris und Lyon. Die Bulgaren der Türkei und die Bergbewohner Galiziens biete» die frap panteste Aehnlichkeit der Tracht und der Gebräuche dar. DaS häusliche Leben, die Gemeinde-Organisation, das ganze Administrations-System gleichen sich von einem Ende der slawischen Welt bis zum anderen. „Je weiter man ins Alterthum hinaufsteigt, desto mehr findet man diese vollständigen Analogieen. Die alten Reisenden, welche uns die russischen Stade; beschrieben haben, zeigen uns diese in demselben Bilde, in welchem wir heute die Städte Serbiens und des Balkan sehen. In Moskau trugen vor 200 wahren die Frauen, wie in der heutigen Bulgarei, lange mit Gold und Silber besetzte Kleider, das Haar auf die Schultern hcrabwallcnd und an ihnen mit goldenen Spangen befestigt. Die nationalen Spiele und Tänze sind im ganzen Slawenthum einander mehr oder weniger gleich. Der Kolo (Kreis), ein Ringeltanz der Illyrier, findet sich in Böhmen und Polen wieder, und unter dem Namen KKorovoüo wiederholen die russischen Bauern diesen Tanz in Nowgorod fast eben so, wie man ihn zu Belgrad an der Donau ausführen sieht. Die 6»sl», eine Art Guitarre, welche die Slawen allein kennen und mit der die Blinden Illyriens im Lande, ihre langen Rhapsodieen begleitend, cinherziehen, ist ganz ähnlich dem Instrument, welches man mitten in Rußland unter dem Namen bslslsxks findet." Unter den populären Pocsiecn der verschiedenen slawischen Nationen giebt cS nicht minder frappante Analogieen, als unter ihren Sitten und Künsten. Diese Analogieen zeigen sich in hohem Grade an den Punkten, wo der nationale Geist noch am wenigsten vermischt ist. Da der ursprüngliche Instinkt in diesen Gegenden noch die Basis des socialen Lebens geblieben ist, so hat die Poesie hier noch mit besonderer Treue den slawischen Typus erhalten. Jeder Fremde, der hier die slawische Sprache redet, wird als ein Landsmann angesehen. Mag man die Slowaken in Ungarn, die Bulgaren, die Dalmaten, die Illyrier von Istrien und Kärnthen besuchen, man wird finden, daß diese alten Völkerschaften, bisher noch von lebhaftem Nationalgefühl erfüllt, alle Slawen als zu einem National-Verband gehörig, als eine Familie be trachten. Erst seit einem halben Jahrhundert hat sich ein contraireS Gefühl, das besonderer Nationalitäten, gezeigt und sich in den freiesten Theilen Illy riens, besonders Kroatiens und Serbiens, enthüllt. In dem Tert eines alten illyrischen Liedes, dessen Inhalt Robert mittheilt, wird der Name illy risch und slawisch noch immer synonym gebraucht. ES würde schwer seyn, meint er, den innigen Zusammenhang der Stämme besser nachzuweisen, als durch solche Thatsachen. Er geht nun auf die verschiedenen Sprach-Idiome ein, welche alle aus einer ursprünglich gemeinsamen Sprache, der slawischen oder der heiligen Sprache der Kirche ocS Orients, eine Sprache, welche heute nur noch als eine todte Sprache eristirt, so wie die lateinische im Occident, abgeleitet sind. Der slawische, illyrische, böhmische, polnische und russische Dialekt gruppiren sich um dieses ursprüngliche Idiom, das bis auf den heutigen Tag noch seine besonderen Schriftsteller, Schriften und Druckereien hat. L»e jtawijlyen sprayen yaven, wie vie Avner, zwei starken Einflüssen unterlegen, dem des griechischen und dem des lateinischen Geistes. Dem griechischen Ritus und folglich der orientalischen Civilisation gehören die illy- rische und russische Sprache an. Die polnische und böhmische Literatur da gegen ist vom Latinismus inspirirt, unv in ihrer Entwickelung hat die occi» dentalische Civilisation sich mit den slawischen Ideen vermischt. — Der vollkommenste, der am meisten gelesene, der einflußreichste der slawischen Dialekte ist ohne Streit der polnische. Man muß die Macht dieser Sprache nicht nach der Breite des Territoriums abmessen, in welchem sie ge sprochen wird, denn dieses würde gegen Rußland verschwinden, sondern nach ihrem moralischen Einfluß; und von dieser Seite darf man nicht fürchten, daß das Idiom je einem ihm feindlich cntgegenstehendcn unterliegen werde. Dies zeigt schon die Verbreitung der Erzeugnisse der neueren polnischen Literatur, welche, im Vergleiche mit der offiziellen Schriftstcllcrci Rußlands, von großer Frische und Lebendigkeit zeugt. Nach einem Uebcrblick der verschiedenen slawischen Dialekte wendet Cyprien Robert sich zur Betrachtung der Bedeutung des literarischen Pan slawismus; er beklagt zuerst den traurige» Antagonismus, welcher zwischen der polnischen und russischen Literatur hervorgetreten sey, und sagt von ihm aus, daß er zwischen diesen beiden Ländern politische und religiöse Scheide wände errichtet habe, welche unübersteiglich sepen. Polen war von Anfang an in der slawischen Welt das Organ des Latinismus und der occidentalischcn Civilisation; Rußland im Gcgentheil gerirte sich stets als der Schildträger der griechischen Kirche und orientalischer Institutionen. Daraus entspringt der unaufhörliche Krieg zwischen den Nachbarländern. Mehr oder weniger find auch die übrigen slawischen Stämme durch diese Unterschiede charakterifirt, welche immer ein Haupthinderniß innerer Vereinigungen bildeten. Doch die ganze Geschichte slawischer Völkerschaften zeigt, daß dieser Antagonismus ein anormaler Zustand ist, dem Geist der Nationen entgegen, ein Akt der List und Gewalt, der, wenn er verewigt wird, dazu führt, das slawische Volk zu zersplittern und in der Sklaverei zu fesseln. Darum haben auch alle Slawisten, welche im Stande waren, sich über ihre eigene Nationalität zu erheben, sich mit den Mitteln beschäftigt, welche diese inneren Hindernisse verschwinden machen können; die Einen beschränken sich auf eine rein litera rische Propaganda, die Anderen halten die Vereinigung nur für möglich durch eine vorhergehende Befreiung der Nationalitäten, oder auch durch eine end- liche Absorption durch das russische Reich; diese Letzteren legen ihrer sitera« rischen Wirksamkeit einen politischen Zweck bei.