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WSchuittich «sckeinm drei Nummer». PrZnumeratlon« - Preit 22z Silbergr. lj Tdlr.) vierleltahrli», 3 Tblr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Lheiicn der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Bei« u. Lom»., IägerSraße Rc. 25), s» wie oon allen Kinigl. Post-Armier», ZtM angenommen. Literatur des Auslandes. 86. Berlin, Dienstag den 20. Juli 1847. Frankreich. Eine Sitzung des Konventes. °) Ein denkwürdiger Tag für Frankreich und für ganz Europa war der s. Thermidor des Jahres II. Rie, glaube ich, hat die neuere Geschichte einen so völligen Umsturz, eine so gänzliche Umwandlung eines bisher ver folgten Spstems erlebt. Mit jenem Tage beginnt eine neue Aera, eine jener gewaltsamen Abweichungen von dem bis dahin verfolgten politischen System, welche stets folgenreich bleiben. Die Vorsehung führte sie auf Wegen herbei, die aller Menschenklugheit entgehen, indem sie eben aus den Kreaturen einer schreckcncrregcnden Gewalt sich das Werkzeug zu deren Fall erkor. Schon schien es, als ob die Tyrannei des Wohlfahrts-Ausschusses sich immer mehr durch ihren Druck befestigte; ja, man fürchtete sogar, daß sie der Normal- Zustand werden oder sich wenigstens noch lange Zeit aufrecht erhalten möchte: und doch erschütterte eine Berathung von wenigen Stunden ihre ganze Grund veste. Will man sich diese Tyrannei unter der angenommenen Bezeichnung des Berges vergegenwärtigen, so bildet der S. Thermidor ihren Culmina- tionSpunkt; von hier an fängt in entgegengesetzter Richtung jene bcwcinenS- werthe Höhe, zu der man aufgestiegen war, sich mit reißendem Sturmschritt zu neigen an. Von allen Zusammenkünften bcrathender Versammlungen ist gewiß die Sitzung, welche uns hier beschäftigen soll, die bedeutungsvollste, obgleich andere Tage in der Revolution uns ein ähnliches Gemälde voller Interesse aufbewahrt haben. Endlich bleibt uns noch die Bemerkung übrig, daß in dieser denkwürdigen Sitzung, trotzdem die Sieger zum Kampfe ge zwungen wurden und beinahe wider ihren Willen triumphirten, sie dennoch bald darauf eingcßehen mußten, sie hätten zum Umstürze ihrer eigenen Par tei hingearbeitet und durch den Tod ihres Feindes sich selbst den Todesstoß versetzt. Gäbe es bei den neueren Nationen noch, wie im Alterthumc zu Athen und Rom, Theater, wo das ganze Volk der Darstellung eines geschichtlichen Schauspiels beiwohnen könnte, so würden gewiß die verschiedenen Phasen des «. Thermidor, ohne jede Episode, ohne jede fremde Zuthat, ohne daß man in den gesetzlichen 24 Stunden eine Pause machen dürfte, allein schon hin reichen, das Schauspiel auszufüllen. Robespierre, der Held des TageS, erscheint Mittags im Konvente, in der vollen Gewißheit, man werde mehrere wichtige Häupter seinen Zwecken opfern. Warum sollte man sie ihm auch verweigern ( ES geschähe wenigstens zum ersten Male. Nach einigen Stunden Debattirens (o, welche Debatten!) wird er mit seinen Anhängern schon ins Gcfängniß geschleppt. Mit drohender Gebcrde war er in den Saal getreten, den er unter der Last eines Anklage- Dekrets verläßt. Was war denn geschehen? Außerhalb des Palastes wußte man noch nichts davon. Die Versammlung, welche ihr Werk schon vollendet wähnte, vertagt ihre Sitzung. Zwei Stunden reichen hin, ihr den so unerwarteten Sieg, den sie eben erst davongetragen, aus den Händen zu spielen und die Lage der Dinge umzuwandcln. Die Nebenbuhlerin der National. Versammlung, der Eemeinderath von Paris, geräth in Aufruhr und ruft die Scctione» unter Waffen. Robespierre, Saint-Just, Couthon, kurz alle Proskribirtc werden befreit und im Triumphe nach dem Rathhausc geführt. Hcnriot, der Anführer der militairischen Macht, stellt seine Infanterie und Artillerie gegen den Palast des Konvents gerichtet aus, der Niemanden zu seiner Vertheidi- gung bereit hat. Das Ungewitter der Revolution, einen Augenblick nur aufgehalten, ist von neuem entfesselt und stürzt sich tobend auf die Arena nieder. Bei ihrem Eintritt in die Tuilerieen sehen sich die Dcputirten von Hcn- riot's Hausen umlagert, welcher seine Geschütze auf sic richten läßt. Die Berathung beginnt mit der Aussicht, bald von Kanonenkugeln durchsaust zu werden. Jndeß zögern die Kanoniere. Wie! Sollen sie die National-Ber- sammlung vernichten! Ihre Geschütze gegen die Dcputirten Frankreichs rich ten! Sollen sie die einzige Regierung, die noch bestehen darf, umstürzen!... Sie versagen den Dienst. Mit großer Geistesgegenwart benutzt die Versammlung dieses Zaudern und erklärt die Proskribirten in die Acht. Der Beschluß wird laut auSge- ') Die „Geschickte der Girondisten" von Lamartine nicht bekanntlich bii jum 9. Ther midor. Es reiht sick hieran die nachstehende interessante Skizze, di» wir der MbUoUiiqu« Hoivsri<«Uv entlehnen. sprachen; er vereint die Männer wieder, welche jetzt mehr als je eines Mittel- Punkts zum Standhalteu bedürfen. Dennoch trotzt der Gemeinderath diesem Stoße und bleibt unter Waffen. Auch der Konvent bewaffnet sich, ernennt einen Befehlshaber und ergreift die Offensive. Einige Truppen, die man in der Eile zusammcngerafft hat, beginnen sogleich den Angriff auf da« Rathhaus. Darauf bleibt die Versammlung permanent, des Ausganges harrend. . z Um 3 Uhr Morgens hört man den Ausruf: Es lebe der Konvent! Sieg! Es bedurfte keines Gefechtes. Bei der Verkündigung des Dekretes, welches von den Deputirten abgefaßt worden war, haben sich die Haufen des Ge- mcindcrathS zerstreut. RobeS^ierre und seine Anhänger, welche Niemand zu vertheidigen wagt, führt man gefangen herbei. Einige Monate früher, wie am 2. Juni 1793; später darauf in den stürmischen Tagen des I. Prairial im Jahre Hl, am 13. Vcndemiaire des Jahres l>', am l8. Fructidor des Jahres V hatte die militairischc Gewalt einschreitend entscheiden müssen. Die Sektionen oder vielmehr aufrührerische Haufen waren die thätige Stütze jeder Unternehmung gewesen. Am s. Thcr- mivor dagegen entschied die Berathung Alles. Nic, an keinem jener Tage hatte man dem Worte eine so bedeutungsvolle Macht verliehen. Ohne Zweifel lief es nicht ohne Stock- und Säbelhiebe, ohne einen ungeheuren Tumult beim Kampfe ab; doch neigten sich die Waffen vor dem richterlichen Aussprache. Zwei Dekrete wurden an diesem denkwürdigen Tage beschlossen. Zuerst bas Anklage-Dekret, welches ein bloßer Antrag vor dem Tribunal war, damit hier über dasselbe abgcurtheilt würde. Freilich galt in diesem Zeiträume eine Anklage fast schon so viel als eine Berurthcilung, aber zu diesem Endzwecke hatte man noch einiges Formelle zu beobachten. Das zweite Dekret, welches die Versammlung in der Abend-Sitzung, schon ganz - rmattet, als letzte Entscheidung gab, nämlich die Achtserklärung, war an und für sich eine Vcrurtheilung. Das Tribunal hatte nun nichts weiter zu thun, als die Identität der Angeklagten zu bestätigen. Der Tod folgte dem Rechte, und Fouquier-Linville war daher, als am l». Thermidor sein Ge bieter vor ihm erschien, des traurige» Geschäfts überhoben, ihn weiter zu fragen und bas Urtheil über ihn zu fällen. Er bestätigte blos, daß eS NobeS- pierrc wäre. Wir wollen nun so rasch wie möglich unS die Lage der Republik am Abend des 9. Thermidor vergegenwärtigen. Einige Monate vor dieser Epoche hatten zwei Parteien die Regierung be droht, freilich eine grausenhafte Regierung, aber sie war gesetzlich oder wenigstens nothwendig aus dem damaligen Staude der Dinge hervorgegan- gen: die Ultra-Jakobiner des Gcmeiubcraths und die Gemäßigten. Auf der einen Seite: Hebert, Ronsin, Vincent, Momoro, die Apostel des Vernunft- Kultus, welche sich darüber beklagten, daß man die rcvolutionaire Bewegung nicht genug beschleunige; auf der anderen die Männer, welche Aufruhr und Tod gepredigt hatten, doch jetzt mit Frankreichs bestehender Lage zufrieden- gestellt waren und endlich wünschten, daß man dem Blutvergießen Einhalt thun und wieder in die gesetzlichen Bahnen einlcnkcn sollte: Danton , Camille Desmoulins, Hl-rault de SöchelleS. Bei solcher Lage der Dinge, wo den ersten Platz der Kühnste eumahm, nämlich der, welcher sich desselben zu bemächtigen verstanden, begreift man wohl, wie schwer eS hielt, seinen Platz auch zu behaupten, und mit welchem eisersiichtigcn Auge die zur Macht gelangten Männer jene fesscllosen Haufen überwachen mußten, bereu Absicht es war, ihnen nachzuklimmcn und sie wieder von dieser Höhe hcrabzustürzen, nämlich »ene Jakobiner der zweiten, dritten, zwanzigsten Klasse lKurie), welche nicht begriffen, warum sie nicht die Macht iimehättcn, da sie eben so gut wie vic Anderen über Berrath, Aristokratie, Guillotine zu schreien verstanden- Auch sehen wir, wie wenig noch in dieser Epoche die Individuen ausdaucrn. Man muß in solchen Tagen einer Alles überflügelnden Thätigkeit einen anderen Maßstab, als in ruhigen Zeitläuften, an die Zeit legen. Hier sind Wochen gleich Jahren. Jetzt nimmt der Kampf eine andere Wendung. Zwischen dem alten be siegten Systeme und dem neuen war der Streit schon längst entschieden, und obschon, mehr aus Gewohnheit, die Jakobiner noch gegen die unglücklichen Ueberrestc der besiegten Partei wüthctcn, so richten sic doch von nun an ihre vernichtenden Blicke gegen einander selbst. Bald werden wir sehen, wie sie. Jeder einzeln, das Blutgerüst besteigen. In jenen blutigen Saturnalien, wo der Abschaum des Volkes obenauf schwimmt, wo kein Zügel mehr die Scheusale fesselt, wo man sich Mit schlech- ten Leidenschaften brüstet, wo man, sey es aus Furcht oder aus Prahlerei,