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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«.Preiö 22) Ditbergr. (z Tdlr.) viertellädritch, r Tdlr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, IN allen Ldtilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Como., Iägertlraße Nr. 25). so >rie von allen Aönigl. Post.-emlern, angenommen. Literatur des Auslandes. Berlin, Donnerstag den 1. Juli 1847. Ungarn. Ungarische Zustände. Es ist schon früher einigemal in diesen Blättern') von den politischen und socialen Verhältnissen Ungarns die Rede gewesen. Damals knüpften wir unsere Betrachtungen vorzugsweise an den vom Frcihcrrn Eötvös geschrie benen und vom Grafen Mailuth ins Deutsche übertragenen Roman „der Dorf- Notair" an. Heute ist es kein magyarischer Schriftsteller, der über die ver- worrencn und zerfahrenen Zustände seines Vaterlandes die Geißel der Ironie schwingt, sondern — wie es scheint, denn er hat zwar seinen Namen nicht genannt, datirt aber seine Einleitung aus Mannheim — ein deutscher Staatsmann, welcher auf wiederholten Reisen nach Ungarn die dortigen Verhältnisse tief genug kennen lernte, um von seinem Standpunkte aus eine charakteristische Schilderung der nächsten Vergangenheit und Gegenwart zu entwerfen, so wie einen klaren Blick in die nothwcndig sich vorbereitende Ent wickelung des ungarischen Volks zu thun. Es dürfte daher nicht uninteressant seyn, neben jenen mir auf ungarischem Boden fußenden Ansichten des Frei herrn Eötvös die, wenn auch nicht von einem wesentlich anderen, so doch von einem höheren Gesichtspunkt aus gefällten Urtheile eines deutschen Con- stitutionellen zu betrachten. Wir werden unö jedoch auf die Hauptpunkte be schränken. Die geographische Eintheilung Ungarns besteht aus 52 Kömitatcn, deren jedem ein vom König ernannter ComcS oder Obcrgespan vorsteht. Jedes Komitat hat seine Selbstregicrung. Die constitutione!! Berechtigten, in Un garn zahlreicher als in Frankreich und an keine sonstige Befähigung als den Adel gebunden, wählen alle drei Jahre ihren Magistrat und erscheinen ge wöhnlich viermal im Jahre aus dem Hauptsitze der Komitats-Verwaltung, wo sie als administrative, richterliche und politische Körperschaft verwalten, urthcilen und regieren. Diese Komitats-Verfassung hat eine negative und positive Wirksamkeit. In ersterer Beziehung tritt das Komitat, in Folge der bekannten vis inercios, als unbeschränkte Macht auf, schützt das Gesetz gegen Willkür oder einseitige Deutung (?) und beseitigt ohne Rücksicht höhere Ver ordnungen, in solchem Geiste erlassen. Die fcstbcstimmte Geschäftsführung umfaßt: die KomitatS-Verwaltung, Ausarbeitung und Bestimmung der BoU- machtSbriefe für den Reichstag, die Wahl der Komitats-Beamten und Depu- tirtcn, und zum Theil auch Angelegenheiten, die, mehr von reichstäglichcr als örtlicher Erkenntniß, der Festsetzung und Leitung bedürfen, welche nicht allein einen abgesonderten Körper betreffen, sondern mit den übrigen Theilen im Staate verkettet sind, wie z. B. das Recht, eigene Gesetze oder Statuten zu formen, die Vcrthcilung der Steuer nach eigener Maßgabe, die Verfügung über CommunicationSmittel und die hierzu nöthigcn Frohnden. Diese Provinzial-Verfassungen sind die einzigen Garantieen nationaler Selbständigkeit, das Einzige, was politische Sünden, schwere geschichtliche Heimsuchung und österreichische Ucbcrgriffe von dem einstigen ungarischen Staate übrig gelassen. Während ei» großer Theil Europa'ü sich rastlos von den Fesseln drückender Jahrhunderte zu befreien suchte, den Schutt hinwcg- gcräumt und mit neuer Thatkraft neue Schöpfungen in das lückenhafte Staatswesen gepflanzt, Bildungen durch geistige Aufklärung verbreitet, dem Staatsbürger gesicherte Freiheit gegeben; ihm daö Recht, diese zu schützen und auf den Staatshaushalt einzuwirken, übertragen ; während die Gesell schaft nicht in einzelnen zerklüfteten Gliederungen, sondern in Masse vorwärts schritt, Gesetze und Berechtigungen für die Gcsammthcit erstrebte, die Re gierungen volksthümlich wurden und Alles, was Kunst, Wissenschaft und Handel hcrvorbrachten, dem nationalen Genius eindringlich machten, — lag Ungarn, eingekeilt zwischen asiatischer Rohheit und spanischer Geistesstarrheit, ohne thatkrästige reformatorische Muthentwickeluugen in, Lande, starr wie ein Leichnam für Zritmahnungcn, in verfassungsmäßiger Wirksamkeit und auswärtiger Politik den Stempel der Jmbecilität und Verkommenheit tra gend, überall Hemmung der Erkenntniß, Monopol der Wissenschaft, Ver zweigung der Geister und Verdummung der großen Masse durch Unwiffcn- heit, Aberglauben, fromme Märchen und einschläfernden Legendentrug vor- weisend. Der Gedanke ging unter, als habe Ungarn als selbständiges Ganzes Interessen, Aufgaben und eigene Zustände. Als von österreichischer Seite her daS Bestehen des grundgesetzlichen RechtSzustandcs in Frage gestellt wurde, so waren freilich die Komitate durch ihre» energischen Widerstand die ') Zuletzt in Nr. lir de« vorigen Jahrganges einzigen Stützen für daö schwankende Gebäude der ungarischen Nationalität, und deshalb ist ihre Unverletzlichkeit, trotz der großen Mängel, die an ihnen haftet, ein theureS und volkScigenthümlichcs Gemeingut. Der eigentliche Krebsschaden der Komitats-Verfassung liegt darin, daß den Komitats-Gemeinden die Verschmelzung mit der Land-Gemeinde nach unten mangelt; der Adel steht vereinzelt dort, er ist durch abgeschlossene Rechte, Geld-Interessen und Politik von den übrigen Klassen getrennt und zumeist durch Parteiungen geklüftet. Große Kriege und Theilnahmlosigkeit nach Innen haben die Entwickelung des ungarischen Bauernstandes verhindert. Er trägt die Erhaltung des adeligen Komitats, ohne in einer organischen Verbindung mit ihm zu stehen. Außer den Urbarial-Lasten auch noch fast die sämmtlichcn des Staats bestreitend, mit einem elenden und würdelosen Gc- meindewesen, welches beinahe nur Hciduckendicnste für die Grundherrschast und das Komitat leistet, steht der Bauernstand gänzlich vereinzelt im Lande. Streng abgeschlossen vom Ganzen, hängt die Aufgabe und der Lohn seines Dascyns durch keinen einzigen Faden mit dem freien, constitutioncllen Leben zusammen; ihm ist blos die Pflicht beschieden und das Recht genommen; er lebt in einem absoluten Staate. Geistlichkeit und Adel ruhen als Körper- schasten auf ausschließlicher Rechtsgrundlage. Aus ihrem altgeschichtlichen und cigcnthümlichcn Lebensprinzip heraus sich entwickelnd, find fie nie zur poli tischen Annäherung mit dem Bauernstände gelangt. Gleichfalls abgesondert von den übrigen Ständen sehen wir die eigen- thümliche Stellung des Bürgerstandes. Kann man auch nicht streng behaup ten, daß der ungarische Städtebürger den Wcrthbesitz und seine Bewegung, Handel und Industrie, im Gegensatz zu Grundbesitz und Ackerbau, vertritt, so ist dennoch auch hier die Verschiedenheit des Rechtszustandes jene Ursache, welche eine ganz andere Weise der Eristenz, ja eine ganz andere Ausfassung der Persönlichkeit zwischen den Ständen offenbart. Wenn auch der Adel hier und da Gewerbe und Kunst betreibt, so stärkt er nicht den Bürgcrstand, wäh- rcnd Talente und Neichthum in die Adelsreihen übergehen und der Geist des dritten Standes im oligarchischen Wesen untcrgeht. Ueberblickt man nun dieses ganze System der Volksvertretung, so ist eF nicht bloS klar, daß es durchaus nur das altgeschichtliche ist, sondern daß auch die moderne Idee des Volks und seiner Vertretung, deren Basts jeder bc- sitzcndc Staatsbürger ist, ohne Rücksicht auf blos äußere Unterschiede des Standes, hier noch gar keinen Platz gesunden hat. Die Opposition brachte diese Zeitfrage in die Diskussion, indessen bis jetzt konnte sie bloS Einzelnes in Bezug der Honoratioren, kraft des komitatlichen Statutarrcchts, ins Leben bringen, und auch dieses suchte die Regierung zu hindern. DaS Komitat ist der Crystallisationspunkt ungarischen Ledens, dessen Anfang und Ende; eS ist die Basis des Adels, und dieser die älteste Grundlage aller Bewegungen und Rechte. Er tritt aus seinem mittclpunktlichen Komitat bloS dann her- vor, wo er sich an das Allgemeine anschließt, und dann bildet sein Reichstag die organische Vermittelung mit der Idee des einheitlichen StaatcS. So strömen Komitate und Staat sich wechselseitig Leben zu, find fest an einander geknüpft, in engster Geisteseinigung verbunden ; es ist daher natürlich, daß jede Idee, welche den Staat berührt, nach verfassungsmäßiger Weise zuerst sich bemühen muß, die Mehrzahl deo Komitate zu gewinnen. Dies ist daS constitutioncllc Triebwerk der ungarischen Verfassung. In solchen ständischen Körpern organifirtc sich die Opposition, fand sich als Einheit zusammen und trat sodann als geschlossene Macht am Reichstage auf. Aehnliches wollte die neue Regierung auch für sich und die konservative Partei bezwecken; sie trat in Mitbewcrbung mit der Opposition, und ihr erster Schritt in diesem Wett- streit war die Gründung des neuen VerwaltungS-Systems, in welchem man den Schlüssel zur Pforte der Majoritäten zu besitzen wähnte. — Der erste Beamte in jedem Komitat ist, wie erwähnt, der von der Regierung ernannte Obergespan. Sein eigentlicher Berus ist die Ueberficht und Leitung der Magistrats-Personen, denen Polizei und Rechtspflege anvertraut ist, und der Vorsitz bei den Komitats-Berathungcn. Indem eS jedoch geschehen, daß ein solcher Beamter, zumeist dem höchsten Adel angehörend, auch andere Staatsämter zu gleicher Zeit verwaltete, oder wenig Lust hatte, sich mit Komitats-Angelegenheiten zu befassen, endlich manchmal auch der Sprache und Satzung unkundig gewesen, so wurde das Komitat ausschließlich von sclbstgewähltcn Beamten verwaltet und überwacht; der Obcrgespan erschien blos bei den Wahlen, wo er vulgäre Kunststücke zu Gunsten seiner Lieblinge versuchte, wenn er etwa parteiisch seyn wollte. Nach dem neuen System sollte dieser Posten eben daS gewünschte Werkzeug seyn, die Ueberlegenhcit der Regierung und konservativen Partei durchzusetzen. Jedes Komitat erhielt